Meinung: Was mich an der Politik 2019 stört – und was sich ändern sollte

Politik für die einfachen Leute – und die Zersplitterung des deutschen Parteiensystems

Ich darf Sie vorwarnen. Wenn Sie hier eine tiefschürfende Analyse erwarten, hören Sie auf zu lesen. Hier schreibe ich nur spontan, was mich an der Politik in Deutschland Stand 2019 am meisten stört.

Auslöser für diesen Beitrag ist eine von der F.A.Z. dokumentierte Rede Erwin Teufels, die zwar von 2011 ist, in der ich aber eine Aussage in Hinblick auf die CDU interessant und nach wie vor zutreffend finde:

Dahin müssen wir auf Bundesebene und Landesebene wieder kommen: dass wir in den Augen der Bürger wieder die Partei der einfachen Leute, die große Volkspartei der Mitte, sind. Die einfachen Leute sind immer in der Mehrheit.

Und je länger ich über diese Aussage nachdenke, um so mehr zeigt sie das Grundproblem der heutigen Politik: Es gibt keine Partei mehr, die diese einfachen Leute im Blick hat.

In meiner Jugend – in den frühen 1980ern – war es einfach. Die CDU kümmert sich um die bürgerlichen einfachen und nicht so einfachen Angestellten, die SPD um die einfachen Arbeiter, die FDP um die Angehörigen der freien Berufe, die Grünen um die Umweltbewussten. Und neben diesen vier großen Parteien gab es – bezogen auf die Bundestagswahl 1983 – 0,4%, die sich auf acht sonstige Parteien verteilten. Bei der Bundestagswahl 2017 hingegen sind das linke und rechte Lager durch „Die Linke“ und die „AfD“ zersplittert und mehr als 30 sonstige Parteien holen 5% der Stimmen.

Nach den meisten aktuellen Umfragen im Frühjahr 2019 würde es zu einer großen Koalition aus CDU und SPD nicht einmal mehr reichen. Die große Bindungskraft der beiden ehemaligen großen Volksparteien ist weg.

Erwin Teufel dürfte damit richtig liegen, dass die CDU – insbesondere aber auch die CDU – die einfachen Leute aus dem Auge verloren hat.

Doch gibt es die einfachen Leute angesichts eines immer stärker ausgeprägten Individualismus noch?

Ich glaube ja. Die „einfachen Leute“ wollen ihren sicheren Job, ein oder zwei mal im Jahr in den Urlaub, eine funktionierende Infrastruktur, soziale Absicherung, Sicherheit nach Innen und Außen und ansonsten in Ruhe gelassen werden. Und während die einen in ihrer Freizeit zum Schützenverein gehen oder im Kirchenchor singen, praktizieren die anderen lieber Yoga oder suchen den Kick beim Bungee-Jumping. Ansonsten wollen sie ihr Leben ohne übermäßige Bevormundung leben.

Die Veroberlehrerung, Vertwitterung und Berlinisierung der Politik

Schauen wir auf die Parteienlandschaft in der Bundesrepublik Deutschland, so war diese die ersten 30 Jahre verblüffend stabil. In den frühen 1980ern stießen die Grünen in eine Lücke, die von den Volksparteien so nicht abgedeckt wurde. Zu einer Zersplitterung der beiden großen Lager kam es dann erst durch „Die Linke“ und die „AfD“. Während „Die Linke“ für die SPD aufgrund der Wiedervereinigung in gewisser Weise eine „Naturgewalt“ und nur zum Teil – Streit zwischen Schröder und Lafontaine – selbst verschuldet war, ist die AfD ein von der CDU selbst verursachtes Problem.

Das Thema der AfD war anfangs die Europolitik der Regierung, die von dieser als alternativlos dargestellt wurde. Bedenkenträger wurden als Spinner abgetan, es wurde gleichsam diktiert, was richtig und was falsch sei. Die Politik als Oberlehrer der Bevölkerung ist eine Entwicklung, die sich seitdem fortgesetzt und auf viele andere Bereiche ausgeweitet hat, Stichwort Klima oder Migration. Wer in diesen Bereichen von der „offiziellen“ Linie abweicht, wird schnell in eine extreme Ecke gerückt und ist in Diskussionen schnell ein Paria. Dadurch hat sich die politische Diskussionskultur aus der breiten Mitte verabschiedet und rückt in die radikalen Ränder. Mitursächlich für diese bedenkliche Entwickelung ist im übrigen das, was ich die Methode Merkel nenne, die nicht nur auf die Politik abfärbt sondern ebenfalls schon auf viele Medien, die am liebsten vorschreiben wollen, welche Positionen richtig und welche falsch sind.

Getrieben wird diese Entwicklung auch durch twitter. Das soziale Netzwerk ist besonders bei Politikern, Aktivisten und Journalisten besonders beliebt und ist sicherlich auch ein Seismograph dafür, welche Themen in diesen Kreisen gerade wichtig sind. Doch der Einfluss von twitter ist zu groß, viele Politiker richten ihre Positionierung nach dem dortigen Stimmungsbild aus, übersehen aber, dass die meisten „einfachen Leute“ twitter nicht einmal kennen, geschweige denn nutzen. twitter ist progressiver, radikaler – sowohl links wie rechts – und differenzierte moderate Positionen haben dort kaum eine Chance. twitter jedenfalls ist alles andere als ein Abbild der bundesrepublikanischen Gesellschaft.

Ebenso, wie auch Berlin nicht Deutschland abbildet. Ich hielt es für einen Fehler, die Hauptstadt von Bonn nach Berlin zu verlegen, da Berlin das Denken zu sehr prägt. Vielmehr halte ich sogar das Modell einer Hauptstadt für nicht mehr zeitgemäß und plädierte schon 2011 unter der Überschrift „Schafft die Hauptstadt ab„, die bundesstaatlichen Institutionen – noch stärker als es ohnehin schon der Fall ist – über ganz Deutschland zu verteilen. Ich bin davon überzeugt, dass die Entscheidung für Berlin als Regierungssitz und die damit einhergehend zunehmende, der föderalen Struktur und Tradition Deutschlands widersprechende, Zentralisierung dazu führen, dass die „einfachen Leute“ mehr und mehr aus dem Blick der Politik geraten.

Was sollte sich ändern?

Ob die einfachen Leute immer richtig liegen, weiß ich nicht. Aber Erwin Teufel hat auch Recht mit seiner Einschätzung, dass die einfachen Leute die Mehrheit in Deutschland stellen.

Eine Mehrheit, die derzeit von der Politik nicht repräsentiert wird, vielmehr sogar ignoriert, nicht ernstgenommen und teilweise sogar verachtet wird.

Dabei ist eigentlich alles ganz einfach:

  • Hört Euch gegenseitig.
  • Redet miteinander.
  • Diskutiert ergebnisoffen.
  • Akzeptiert andere Meinungen.

Und besonders: Nehmt die einfachen Leute wieder ernst.

Eine Antwort auf „Meinung: Was mich an der Politik 2019 stört – und was sich ändern sollte“

  1. Interessant, wie unterschiedlich doch die Wahrnehmung von Politik und die Schlussfolgerungen daraus sein können.
    Ich habe die 80er Jahre unter Kohl als eine Zeit des Stillstands erfahren, notwendige Entscheidungen, wie ein Einwanderungsgesetz wurden vertagt und daher auch auf der europäischen Agenda vollkommen versäumt.
    Die Finanzierung der Universitäten war eine Katastrophe, heute nach vielen Jahren Merkel ist es kaum besser.
    Die Schuldenspirale dreht sich seit Jahrzehnten immer weiter.
    Das demotivierende an den deutschen Verhältnissen mit selten wechselnden Regierungsbündnissen mit kaum welchselndem Personal ist, dass sich einfach zu wenige Menschen aus dem „einfachen“ Volk in die Bundespolitik begeben wollen.
    Die wenigen Jahre Rot-Grün haben wir daher als einen längst überfälligen Wandel begrüßt, auch wenn manche Entscheidung und die eine oder andere Personalie für einen Unternehmer wie mich wirtschaftlich nachteilig waren, so haben wir doch noch an eine Entwicklung zu einer gerechteren Republik geglaubt. Ich erinnere hier an die erfrischende Renate Künast, die mal endlich echte Verbraucherschutzpolitik gemacht hat und das authentisch aus dem bürgerschaftlichen Engagement heraus. Ich erinnere an Joschka Fischer, der zwar auch nicht alles richtig gemacht hat aber zumindest uns aus dem unsäglich verlogenen Irak-Krieg von Busch-Junior herausgehalten hat.
    Dass die deutschen Wähler heute glauben, diese gerechtere Republik oder ein gerechteres Europa in einer großen Koalition mit CDU/CSU-Beteiligung oder mit der AfD wiederzufinden, ist schon arg irritierend.
    Deutschlands Politik – sowohl im Bund als auch in der EU – krankt am Wirtschaftlobbyismus und da war Schröder keine Ausnahme. Auch darum wurde er wieder abgewählt.
    Das Gesetz zum Urheberrecht aus der Feder von Axel Voss ist aber ein gutes Beispiel dafür, wie man die grundgesetzlich verbürgten Interessen und Freiheiten des Einzelnen zugunsten von wirtschaftlichen Interessen massiv einschränken kann. Das gilt auch für die Frage der Entschädigung aufgrund der Betrügereien zum Diesel.
    Bei der Frage der Migration und Einwanderung werden die Ressentiments und Vorurteile der Rechten und des „einfachen“ Volkes gern aufgegriffen. Das nennt man aber Populismus.
    Was uns eigentlich fehlt, ist mehr Rückgrat in der Politik. Also eine politische Kaste, die sich im Parlament auch mal sachlich streiten kann, aber weiß, wo es aus dem „einfachen“ Volk herkommt und wo es wieder hinkann, wenn der Sitz verloren ist. Das wäre mal ein Vorbild. Es fehlen bei all dem rundgelutschten Kadervolk aus der CDU und SPD echte Menschen.
    Ich halte daher einen starken Hang, ja Zwang zum Konformismus als das eigentlich Problem in Deutschland. Das ist nicht die Methode Merkel, sondern das ist die Methode soziale Kontrolle.
    Und hier komme ich endlich zu meinem Fazit: Das eigentlich Problem sind doch, dass soziale Medien von Menschen genutzt werden, die keine Debattenkultur haben, keine Netiquette kennen und vor allem: Das Thema „Meinungsfreiheit“ nicht mehr so verstehen, wie es sein müsste. Meinungsfreiheit ist nämlich mehr, als die Fakten zugunsten einzelner Interessensgruppen verdrehen zu dürfen, sondern die Freiheit des Einzelnen, in einer Atmosphäre der Vertrautheit sich äußern zu können und sich respektiert und akzeptiert zu wissen.
    Dieses Grundgefühl fehlt aber in Deutschland in vielen gesellschaftlichen Milieus und wurde durch die sozialen Medien noch verschlimmert. Anders zu sein, anders zu denken, sich anders zu äußern ist ein Problem geworden in Deutschland und vielerorts in Europa und das nicht erst seit kurzem.
    Darum würde ich ergänzen:
    – Respektiert das Anderssein der anderen, freut Euch daran, begreift es als Bereicherung und nicht als Bedrohung.
    – Respektiert, dass andere Menschen andere Erfahrungen und auch schon mal weniger Wissen haben. Die eigene Überheblichkeit ist immer so groß, wie es einem an Intelligenz und Menschlichkeit fehlt.
    – Fördert einer Mitgefühl, gegenüber Euch selbst und anderen. Schon im Kindergarten, im Verein und in der Schule. Leistung ist nicht alles, Freundlichkeit und Herz ist oft viel mehr und macht direkt und unmittelbar glückliche Menschen.
    – Glaubt nicht an das Primat der Wirtschaft, denn das Leben, Dreizeit, die Gesundheit und das Glück des Einzelnen sind mindestens genauso wichtig, wenn nicht wichtiger. Dem muss die Wirschaft untergeordnet sein und nicht umgekehrt und das gilt für die Dritte Welt ebenso, wie vor unserer Haustür.
    – Wettbewerb ist nicht alles. Das Zusammen ist mindestens genausoviel wert!
    – Lebt so nachhaltig, wie ihr es könnt. Schützt ist Umwelt.

    Deshalb, das Problem unserer Gesellschaft und Politik könnten auch die falschen Prioritäten politischen Handelns sein.

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