
Seit dem 1. Juli 2021 gilt in Deutschland ein neuer Glücksspielstaatsvertrag. Online-Poker, virtuelle Automatenspiele, digitale Casinos. Alles nun unter einem gemeinsamen rechtlichen Dach. Klingt modern, klingt nach Fortschritt.
Doch wer genauer hinsieht, erkennt schnell, die große Reform war weniger Befreiungsschlag, als vielmehr ein zu eng geschnürtes Korsett. Denn während legale Anbieter unter Auflagen ächzen, feiert der Schwarzmarkt seine goldene Stunde und genau deshalb rollt bereits jetzt die nächste Reformwelle heran, lange vor Ablauf des Vertrags.
Ein Vertrag mit Lücken
Das erklärte Ziel des Glücksspielstaatsvertrags war so klar wie ambitioniert. Die bisher zersplitterte Gesetzeslage sollte endlich bundesweit vereinheitlicht werden. Spieler sollten nicht mehr in rechtlichen Grauzonen unterwegs sein, sondern auf sicheren Plattformen mit überprüften Spielen und transparenten Regeln landen. Wer seriöse Angebote schafft, entzieht dem Schwarzmarkt die Grundlage.
Tatsächlich aber sieht die Praxis düsterer aus. Die sogenannte Kanalisierungsquote, also der Anteil der Spieler, die sich für lizenzierte Angebote entscheiden, dümpelt je nach Quelle zwischen 20 und 50 Prozent herum und das, obwohl die Legalität schwarz auf weiß auf dem Bildschirm steht. Warum? Weil legale Anbieter mit einer Vielzahl an Beschränkungen kämpfen, die dem Spielvergnügen spürbar im Weg stehen.
Ein-Euro-Einsatz pro Spielrunde, fünf Sekunden Zwangspause zwischen Spins, monatliches Einzahlungslimit von 1.000 Euro. Regeln wie aus einem Laborexperiment, nicht aus dem echten Leben. Dazu kommt die langatmige Zulassungspolitik, bei der jedes einzelne Spiel genehmigt werden muss.
Für viele Anbieter wirkt die deutsche Glücksspiellizenz unnötig, denn sie ist zu aufwendig, zu restriktiv und zu wenig lohnenswert im Vergleich zu den Angeboten, die Spieler mit wenigen Klicks auf internationalen Plattformen finden. Während legale Betreiber auf Freigaben warten, expandiert der Schwarzmarkt ungestört weiter.
Der Schwarzmarkt wächst und zeigt die Schwächen des Systems schonungslos auf
Während die Legalität unter Paragrafen ächzt, blüht der Schwarzmarkt wie nie zuvor. Über 1.900 illegale Anbieter tummeln sich im Netz, viele davon mit deutscher Sprache, deutschem Support und einer Benutzeroberfläche, die so seriös wirkt wie die Website eines Finanzdienstleisters. Tatsächlich wird geschätzt, dass bis zu 88 Prozent der Spieler auf nicht lizenzierten Seiten aktiv sind. Ein wirtschaftlicher und politischer Totalschaden.
Was zieht sie dorthin? Ganz einfach, es sind Auswahl, Freiheit und Tempo. Während legale Anbieter sich mühsam durch Genehmigungsverfahren schleppen, präsentieren illegale Plattformen ein Vielfaches an Spielvarianten. Neunmal mehr, um genau zu sein. Keine Limits, kein künstlich verlangsamtes Spieltempo, keine verpflichtende Registrierung. Dafür gibt es schnelle Ein- und Auszahlungen, oft sogar mit Kryptowährungen.
Die zuständige Behörde, die Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder (GGL), ist zwar bemüht, hat aber nur begrenzte Werkzeuge. IP-Blocking ist rechtlich umstritten, DNS-Sperren lassen sich mit einem simplen VPN umgehen. Zahlungsflüsse zu unterbinden ist komplex und bislang kaum erfolgreich und so entsteht eine paradoxe Situation, denn während legale Anbieter strampeln, fließt ein Großteil des Geldes an Plattformen, die keinerlei Rücksicht auf nationale Gesetze nehmen.
Die Evaluation 2026 wirft ihren Schatten voraus
Noch sind es knapp zwei Jahre bis zur offiziellen Evaluation des Glücksspielstaatsvertrags. Doch die Risse im Fundament sind bereits jetzt nicht mehr zu übersehen. Politiker, Juristen und Branchenvertreter bringen sich in Stellung. Die Innenminister der Länder drängen auf schnelle Reformen. Sie wollen nicht bis 2028 warten, um das offensichtlich Fehlkonstruierte zu korrigieren.
Denn längst ist klar, der aktuelle Vertrag hat viele seiner Ziele verfehlt. Die Kanalisierung stagniert, der Spielerschutz verpufft im Verdrängungswettbewerb mit illegalen Angeboten, und das Versprechen transparenter Steuereinnahmen bleibt brüchig. Millionenbeträge fließen an nicht-lizenzierte Anbieter ab, mit entsprechenden Ausfällen für Fiskus und Sozialsystem.
Vorschläge und Streitpunkte rund um die Reform 2028
Ideen für die Neuausrichtung gibt es viele. Ob sie am Ende auch politische Mehrheiten finden, steht auf einem anderen Blatt. Ein Vorschlag, der breite Zustimmung findet, lautet, dass das Zulassungsverfahren vereinfacht werden sollte. Statt jedes Spiel einzeln zu prüfen, sollen künftig ganze Anbieter oder Spielsysteme lizenziert werden können. Das würde Prozesse beschleunigen und Innovationszyklen verkürzen.
Auch steuerlich wird über neue Wege nachgedacht. Die derzeitige Einsatzsteuer wird kritisiert, weil sie Anbieter mit hoher Auszahlungsquote benachteiligt. Denkbar wäre eine klassische Umsatzsteuer, wie sie in anderen Branchen üblich ist. Damit könnten legale Anbieter besser wirtschaften und sich gegen die Konkurrenz aus dem Graubereich behaupten.
Ebenfalls auf dem Prüfstand sind die strengen Spielerschutzregeln. Das monatliche Einzahlungslimit, die 5-Sekunden-Regel, die Zwangsverzögerung. Vieles davon wirkt aus der Zeit gefallen. Eine flexiblere, datengestützte Risikobewertung könnte mehr Wirkung zeigen, ohne gleich alle Nutzer unter Generalverdacht zu stellen.
Warum Spielerschutz oft zur Hürde wird
Spielerschutz ist wichtig. Keine Frage. Doch gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Wer Menschen vor sich selbst schützen will, muss das klug, verhältnismäßig und nachvollziehbar tun. Der Glücksspielstaatsvertrag hingegen setzt auf starre Mechanismen wie Sperrdateien, Limitdateien und standardisierte Prüfprozesse. Ein bürokratisches Gerüst, das nicht nur Spieler abschreckt, sondern auch Anbieter.
OASIS, die zentrale Sperrdatei, wurde eingeführt, um gefährdete Spieler vom Markt fernzuhalten. Die Idee dahinter lautet, wer gesperrt ist, soll nirgendwo mehr spielen können. In der Theorie überzeugend. In der Praxis häufig lückenhaft, technisch anfällig und datenschutzrechtlich umstritten.
Auch die Limitdatei, die zentrale Kontrolle über alle Einzahlungen, sorgt für Unmut. Viele Spieler empfinden sie als unnötige Überwachung, die eigene Mündigkeit wird infrage gestellt. Das Ergebnis heißt, statt Vertrauen aufzubauen, wird Misstrauen gesät und das wiederum treibt viele direkt in die Arme illegaler Anbieter, bei denen kein Algorithmus über die Schulter schaut.
Wenn der Vertrag scheitert
Was passiert, wenn sich die Bundesländer nicht einigen? Wenn 2026 keine Reform beschlossen wird und der Vertrag 2028 einfach ausläuft oder in der Luft hängt? Die Antwort ist ebenso einfach wie unbequem, denn dann zerfällt die aktuelle Struktur.
Einzelne Länder könnten wieder eigene Regeln einführen, die GGL verlöre ihre Koordinationsrolle, Anbieter müssten sich auf länderspezifische Vorgaben einstellen. Das Chaos wäre vorprogrammiert und während sich die Politik in Zuständigkeiten verheddert, würden illegale Anbieter weiter Marktanteile gewinnen.
Für den Staat bedeutet das entgangene Steuereinnahmen in Milliardenhöhe und für die Wirtschaft, Kontrollverlust über ein sensibles Marktsegment und ein nachhaltiger Imageverlust. Für Spieler heißt das Unsicherheit, Intransparenz und das Gefühl, im Regen zu stehen und für Anbieter ist es ein Markt ohne verlässliche Spielregeln, in dem langfristige Investitionen zur Lotterie werden.