Erfahrungsbericht: Wie ich vom Alkohol losgekommen bin

Irgendwann im späten Frühjahr 2016 war es soweit, dass mein Alkoholkonsum vollkommen aus dem Ruder gelaufen ist. Der heimliche Vodka am morgen gehörte zum Alltag. Dass ich ein echtes Problem hatte, wusste ich zwar irgendwie, wollte es aber eigentlich nicht wahr haben. Wie es genau dazu kam, habe ich übrigens hier aufgeschrieben.

Dauerrausch und Realitätsverweigerung

Natürlich hatte ich auch diverse online Tests gemacht, ob ich Alkoholiker bin. Das jeweils klare Ergebnis spülte ich mit einem Bier oder einem guten Roten weg. Und am nächsten Tag redete ich mir ein, ich sei nicht abhängig, gelang es mir doch immer wieder mal, einige Tage am Stück nichts zu trinken, einmal sogar drei Wochen, um meine Leberwerte in Ordnung zu bringen, immerhin. Zwei Jahre später war es dann aber schon eine Leistung, mal einen Vormittag ohne Alkohol auszuhalten…

Ja, ich hatte im Laufe der Zeit schon diverse Gespräche u.a. mit meinem Hausarzt geführt, aber die Aussicht, nie mehr wieder im Leben einen Bowmore, ein Schönramer Pils, einen Bollinger oder einen Mayer Näkel Frühburgunder trinken zu können, hielten mich ab. In erster Linie hielt ich mich immer noch für einen Genusstrinker.

Der Leidensdruck wird zu groß

Eines morgens Ende August 2018 sagte ich mir nach einer Flasche Vodka und noch reichlich Restalkohol vom Vorabend, dass es so nicht weitergehen könne.

Das Thema Alkohol und die Frage wann, was und wieviel ich trinken könnte, bestimmte mein ganzes Leben. Trank ich einmal nichts, kam mir alles unerträglich vor, ich brauchte den Alkohol als Medizin. Gleichzeitig merkte ich aber, dass es immer schwerer wurde, mein Problem zu verheimlichen und dass mein viel zu hoher Konsum langsam offensichtlich wurde: mehr als einmal wurde ich auf meine rote raue Gesichtshaut angesprochen.

Und so ging ich in die LVR Klinik in Bonn, ein psychiatrisches  Krankenhaus mit einer Abteilung für Suchterkrankungen, und meldete mich bei der Aufnahme. Da ich trotz 3‰ noch völlig klar war, bekam ich sofort ein Bett – es war offensichtlich, dass ich ein echtes Problem habe. Es folgte eine Entgiftung, die ohne Komplikationen vonstatten ging. Nach kurzen Gesprächen mit den Ärzten war der Rat, ich solle es doch einmal mit kontrolliertem Trinken versuchen, unterstützt von Naltrexon – ich sei ja intelligent, das würde ich schon hinkriegen. Meine größte Sorge, nie mehr trinken zu können, verwirklichte sich also nicht. Doch das kontrollierte Trinken ging eine Weile gut, aber schon nach wenigen Monaten war ich wieder im alten Rhythmus gefangen und brauchte schon morgens meinen Vodka. Auch diese Geschichte gibt es hier ausführlicher.

Das gescheiterte 1.000 Tage Experiment

Mein Konsum steigerte sich weiter und im Frühsommer 2019 hatte ich an einem Tag dann soviel getrunken, dass dies auch meinem Vorgesetzten nicht verborgen blieb. Er hatte allerdings Verständnis für mein Problem, ich solle etwas tun, am besten in eine Entzugsklinik gehen. Hier war aber zum einen die Angst zu groß, mehrere Wochen aus dem normalen Leben gerissen zu werden und zum anderen die bekannte Sorge, nie mehr etwas trinken zu dürfen.

So beschloss ich, zunächst 1.000 Tage auf Alkohol zu verzichten. Vom einen Tag zum anderen hörte ich ohne ärztliche Begleitung mit dem Trinken auf, sozusagen eine Vollbremsung von 280 auf 0. Ich hatte das Glück, dass ich auch diesmal nur leichte Entzugserscheinungen hatte – unruhiger Schlaf, Zittern und Schwitzen. Ansonsten kann ich jedem nur von diesem Vorgehen abraten, es kann gesundheitlich wirklich böse ausgehen!

Die ersten Wochen liefen gut, ich war voller Enthusiasmus. Als diese erste Euphorie nachließ, wurden mir meine Ängste und Nöte im Alltag wieder bewusst, ich konnte es kaum erwarten, dass die 1.000 Tage endlich um wären. Ich wurde immer unzufriedener und gehetzter, bis ich nach gut fünf Monaten wieder in kleinen Mengen heimlich anfing – es sollte ja keiner merken.

Der Zusammenbruch – und eine wichtige Entscheidung

Langsam wurde mir aber auch klar, dass ich in meinem Leben wirklich grundlegend an den Ursachen etwas ändern und nicht nur an den Symptomen – also dem Konsum – herumdoktern müsste. Dazu kam, dass ich eine andere Frau kennengelernt hatte, von der ich überzeugt war (und immer noch bin), dass es die Richtige sei.

Auf der anderen Seite war ich aber zu feige, meine bestehende Beziehung zu beenden und mein Leben wirklich zu ändern. Diese Erkenntnisse, das daraus folgende Gefühl, in einer ausweglosen Situation zu stecken und die daraus folgenden Diskussionen mit meiner Ehefrau führten dazu, dass ich über mehrere Tage soviel trank, wie wohl noch nie zuvor in meinem Leben – mit der Folge einiger totaler Abstürze, die sogar einmal in einer Notaufnahme endeten, ich war im Kölner Hauptbahnhof einfach zusammengebrochen.

Es war meine neue Liebe, die mich dazu brachte, eine Entzugsklinik aufzusuchen, indem sie mir klar machte, dass es für uns – aber auch für mich persönlich – nur eine Chance geben könnte, wenn ich etwas ganz grundlegend ändern würde. Seit diesem Gespräch, das am 24. Januar 2020 geführt wurde, habe ich keinen Alkohol mehr getrunken.

Mit Unterstützung von ihr, meiner gesamten Familie und meinem Arbeitgeber ging ich am 13. Februar 2020 in eine auf Suchterkrankungen spezialisierte Einrichtung, die Lifespring Klinik in Bad Münstereifel, eine der wichtigsten und besten Entscheidungen meines Lebens.

Endlich trocken

Nach drei Wochen intensiver Behandlung konnte ich die Klinik Anfang März 2020 verlassen – voll Lebensmut und Tatendrang. Entscheidend dort war, dass ich dort in dieser Zeit lernte, wieder an mich zu glauben – mein Selbstwertgefühl war durch die lange Suchtphase nahe Null, ich dachte, ohne Alkohol nicht mehr funktionieren zu können.

Mit diesem neuen Selbstwertgefühl gewann ich auch den Mut, Entscheidungen zu treffen: ich löste mich aus einer Ehe, in der ich für mich schon lange keine Perspektive mehr sah und begann eine neue Beziehung mit der Frau, die mich zu diesem Schritt motivierte. Auch beruflich stellte ich mich neu auf und nahm eine neue Herausforderung an.

Natürlich gab es in dieser Zeit der Umbrüche auch schwere Tage, eine Trennung nach über 20 Jahren Beziehung ist nie leicht und die besondere Corona Situation mit ihren Lockdowns machte es nicht unbedingt einfacher. In Versuchung gekommen zu trinken bin ich aber kein einziges mal mehr.

Geholfen hat mir dabei auch der offene Umgang mit der Sucht, den ich auch meiner neuen Partnerin zu verdanken habe. Die fortlaufende öffentliche Auseinandersetzung mit der Sucht hilft mir, nicht rückfällig zu werden. Dazu habe ich hier mehr geschrieben.

Ein Fazit

Vier Jahre habe ich extrem viel getrunken, es hat drei Anläufe gebraucht, um trocken zu werden. Inzwischen kann ich mir nicht mehr vorstellen, rückfällig zu werden.

Meine wichtigsten Empfehlungen an alle, die ebenfalls ihrer persönlichen Alkoholhölle entkommen wollen, sind diese:

  • Stellen Sie sich offen ihrem Problem.
  • Der Versuch, kontrolliert zu trinken, kann ein wichtiger Zwischenschritt sein – und wenn er einem nur zeigt, dass kontrollierter Konsum nicht funktioniert.
  • Seien Sie bereit, Hilfe anzunehmen, auch professionelle. Ab einem bestimmten Punkt schafft man es nicht alleine.
  • Seien Sie bereit, Ihr Leben ggf. grundlegend zu ändern, um die Ursachen Ihres Konsums zu beseitigen.
  • Gehen Sie offen mit Ihrem Alkoholismus um – ich habe darauf nur positive Resonanz erhalten.

Mehr Infos, Hilfen und Hintergründe finden Sie hier.

Dieser Beitrag ist Teil meiner Serie mit eigenen Erfahrungsberichten rund um meine Alkoholsucht. Die ganze Geschichte finden Sie hier.

 

4 Antworten auf „Erfahrungsbericht: Wie ich vom Alkohol losgekommen bin“

  1. Ohne Sie zu kennen und ohne die weiteren Beiträge gelesen zu haben, wusste ich ab dem zweiten Satz, dass mit dem Eheleben etwas nicht stimmen muss. Sie haben das Richtige getan, in aller Hinsicht. Auch verdanken Sie Ihrer jetzigen Partnerin enorm viel. Das ist der Schlüssel. Sie war/ist der Schlüssel des Wandels. Ich wünsche Ihnen alles Gute

  2. Danke für diesen ehrlichen Bericht. Er macht Hoffnung. Ich befinde mich in einer ähnlichen Situation wie Sie vor dem 3. Anlauf. Ich habe vor einigen Wochen meinen Kollegen gegenüber mein Problem offen gelegt und bin auch nur auf Verständnis und Unterstützung gestoßen. Ich möchte es ohne professionelle Unterstützung schaffen, werde diese aber annehmen, wenn ich es allein nicht bewältigen kann. Viel Erfolg und Standfestigkeit auf Ihrem weiteren Weg. Jeder Tag ist eine Entscheidung…

  3. Du hast, wie es die AN(Anonymous Narcotics) sagen , eine innere Inventur gemacht. Mein Medikamentenkonsum fing im Alter von 8 Jahren schleichend an. Mein Vater, Arzt hat mich sexuell missbraucht und meine Panikattacken mit Medikamenten behandelt.
    Der Entzug war die Hölle. Heute bin ich dankbar, dass ich es seit 1995 ohne Rückfall geschafft habe.
    Danke für deine Offenheit

  4. Mir hilft beim Durchhalten, dass ich mir nur den heutigen Tag vornehme. Für einen (kritischen) Trinker ist die Vorstellung schwer den Rest des Lebens nie wieder… Einen Tag durchzuhalten ist schon eher schaffbar. Danach kommt erst der nächster Tag.
    Ich habe nie Alkohol gebraucht um zu funktionieren, war kein täglicher Trinker. Nach einem halben Jahr Abstinenz habe ich gemerkt, dass ich zuvor über 10 Jahre psychisch abhängig war.
    Jetzt steht meine Abstinenz nicht in Frage. Ich bemerke kritische Situationen die mir gefährlich werden könnten. Halte an diesem Tag durch.
    Morgen früh nehme ich mir den nächsten Tag vor.

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