Nein, das Asylrecht wurde nicht wegen der Erfahrungen mit der NS Zeit ins Grundgesetz aufgenommen

Immer wieder wird behauptet, das Asylrecht sei wegen der Erfahrungen mit der NS Zeit ins Grundgesetz aufgenommen worden.

Dies hält aber einer Überprüfung nicht stand.

Die Ursprünge des modernen Asylgedankens

Historisch fußt das Asylrecht im Schutz vor Auslieferungen wegen politischer Straftaten, die viele europäische Rechtsordnungen bereits im frühen 19. Jahrhundert kannten. Das Belgische Auslieferungsrecht von 1833 setzte hier Maßstäbe, die im Laufe der Zeit von vielen westlichen Staaten übernommen wurden.

Die entsprechende Entwicklung in Deutschland begann aber erst recht spät. So regelte das „Deutsche Auslieferungsgesetz“ von 1929, dass Auslieferungen wegen politischer Straftaten nicht möglich sind, die Entscheidung darüber wurde den Gerichten übertragen. 1932 schließlich enthielt die preußische Ausländer-Polizeiverordnung auch einen Schutz politisch Verfolgter vor Zurückweisung an der Grenze und damit faktisch erstmals ein individuelles Asylrecht in Deutschland. Die Idee des individuellen Asyls im deutschen Recht gab es also schon vor der NS-Zeit.

Ursächlich für diese Sensibilisierung in Sachen Flüchtlinge und Asyl waren die Erfahrungen des ersten Weltkriegs, der zu großen Fluchtbewegungen führte. Auf internationaler Ebene schärften weitere Konflikte und Probleme, wie z.B. der Genozid der Türken an den Armeniern oder die Hungerkrise in der Sowjetunion den Blick auf die Thematik und führten zu Lösungsansätzen wie z.B. den Nansen-Pass für Flüchtlinge, den der Hochkommissar des Völkerbundes für Flüchtlingsfragen, Fridtjof Nansen, 1922 einführte.

Die folgenden Erfahrungen des zweiten Weltkriegs verstärkten zwar den Druck, in Flucht- und Asylfragen aktiv zu werden, waren aber gleichfalls nicht allein ursächlich für die weiteren Entwicklung wie z.B. die Verabschiedung der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ im Jahr 1948, die in Art. 10 (Verbot der willkürlichen Ausweisung) und Art. 14 Asylrechtsgrundsätze umfasst.

Die Aufnahme des Asylrechts im Grundgesetz

Grundsätzlich steht hinter dem Grundgesetz natürlich der Gedanken der Abgrenzung zur NS-Diktatur. Juristisch steht es aber durchaus in der Tradition der Weimarer Republik unter Vermeidung deren Fehler. Dies ist nahe liegend, wurden die Mitglieder des Parlamentarischen Rats doch durch diese politisch und juristisch geprägt. Gleichzeitig konnte man sich den internationalen Entwicklungen der Zeit nicht verschließen.

Gleichwohl sollte das Grundgesetz – insbesondere aufgrund der wirtschaftlichen Situation in Nachkriegsdeutschland – nur einen Minimalschutz in Sachen Asyl bieten. So lautete einer der ersten Entwürfe des Asylartikels:

Jeder Deutsche, der wegen seines Eintretens für Freiheit, Demokratie, soziale Gerechtigkeit oder Weltfrieden verfolgt wird, genießt im Bundesgebiet Asylrecht.

Vom Asylrecht sollten damit nur deutsche Staatsbürger – im Hinterkopf hatte man insbesondere die Bewohner der SBZ, der sowjetisch besetzten Zone – profitieren. Man kann also getrost behaupten, dass auch der aufkommende Ost-West Konflikt seinen Anteil daran hat, dass das Asylrecht gesondert ins Grundgesetz aufgenommen wurde.

Mit einem Asylrecht auch für Ausländer hielten jedenfalls viele Mitglieder des Rats und der Ausschüsse die Bundesrepublik für überfordert. Angesichts der internationalen Entwicklungen und vermeintlicher völkerrechtlicher Verpflichtungen wollte – und konnte – man sich dem aber nicht verschließen, so dass weitere Entwürfe lauteten:

Ausländer, welche wegen ihres Eintretens für Freiheit, Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Weltfrieden politisch verfolgt werden, genießen im Bundesgebiet Asylrecht.

oder

Politisch verfolgte genießen Asylrecht im Rahmen des allgemeinen Völkerrechts.

Der Hinweis auf das allgemeine Völkerrecht sollte klarstellen, dass das Asylrecht des Grundgesetzes eben nicht über das daraus notwendige hinausgehen sollte, denn

Wir sind eine schwache Nation, und ohne die Mittel, um weitergehenden Schutz zu gewähren, können wir nicht etwas tun, wofür wir selbst nicht die entsprechenden Mittel zur Hand haben, um es zu gewährleisten.

wie Hermann von Mangoldt (CDU) in diesem Zusammenhang ausführte.

Der Hinweis auf das allgemeine Völkerrecht wurde dann insbesondere auf das Betreiben Carlo Schmids (SPD) und auch wohl von Mangoldts gestrichen, da man diesen angesichts von Art. 25 GG entbehrlich hielt. Dieser lautet:

Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.

Das Asylrecht des Grundgesetzes sollte im Ergebnis mithin nur einen völkerrechtlich ohnehin gebotenen Mindestschutz gewähren, nicht jedoch über diesen hinausgehen. Erstaunlich ist in dem Zusammenhang, dass diese allgemeinen Regeln des Völkerrechts damals und besonders auch im Verständnis des parlamentarischen Rats in erster Linie einen Schutz vor Auslieferung begründen sollte. Das Grundgesetz sollte dieser völkerrechtlichen Institution Asylrecht lediglich einen subjektiven Charakter geben.

Die Entstehung des Art. 16 aF GG ist also besonders im Kontext der historischen völkerrechtliche Entwicklung zu sehen, die wiederum insbesondere durch die Erfahrungen im ersten Weltkrieg und der Zeit danach vorangetrieben wurde.

Die frühe Entwicklung in der Praxis

Aus Sicht der Mitglieder des parlamentarischen Rats war also klar, dass der Inhalt des Asylrechts im Grundgesetz sich aus dem Rahmen des Völkerrechts ergeben und sich mit diesem entwickeln würde.  Dies wird das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.01.1957 (BVerwG I C 65.5, hier online) besonders deutlich:

Nach der Entstehungsgeschichte des Art. 16 GG sollte dem politisch Verfolgten das Asylrecht im Rahmen des Völkerrechts gewährt werden. Zu Beginn der Beratungen des Parlamentarischen Rates waren, wie der Bonner Kommentar zu Art. 16 GG mitteilt (Anm. II 4 b), noch die Worte „im Rahmen des allgemeinen Völkerrechts“ eingeschaltet worden. Diese Wendung ist jedoch im Hinblick auf die innerstaatliche Geltung der allgemeinen Regeln des Völkerrechts (Art. 25 GG) als entbehrlich gestrichen worden. Nun finden sich aber im Völkerrecht keine allgemein anerkannten Regeln über das Asylrecht (vgl. hierzu Grützner in Neumann-Nipperdey-Scheuner, Die Grundrechte, Bd. 2 S. 598, und Lange, Grundfragen des Auslieferungs- und Asylrechts, Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe, Schriftenreihe, Heft 5 S. 11). Das Asylrecht wird noch sehr unterschiedlich gehandhabt. Lediglich Ansätze zu einer weiteren Entwicklung sind im internationalen Recht festzustellen. Auf sie wird, wenn man dem Sinn des Art. 16 GG gerecht werden will, zurückzugreifen sein. …
Dafür, daß der Grundgesetzgeber dem Staat eine Verpflichtung über diese Grundsätze hinaus auferlegen wollte, ergeben sich keine Anhaltspunkte.

Prägend ist die Genfer Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951, auf die auch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Bezug nimmt. Nach dieser darf ein Flüchtling nicht ausgewiesen oder abgeschoben werden, wenn sein Leben oder seine Freiheit im Zielland wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sind.

Die weitere Rechtsprechung der obersten Gerichte des Bundes und des Bundesverfassungsgerichts, die begleitende Gesetzgebung und Entwicklung des Völkerrechts haben das Asylrecht des Grundgesetzes dann konkretisiert.

Der NS Zeit Mythos

Dennoch wird immer wieder behauptet, das Asylrecht sei wegen der Erfahrungen mit der NS-Zeit ins Grundgesetz aufgenommen worden, was wie dargelegt nicht zutreffend ist.

Wenn z.B. die folgende Kommentierung zu Artikel 16a GG (Stern / Becker: Grundrechte-Kommentar, 2. Auflage 2016 Rn 13 zu III. Entstehungsgeschichte des Art. 16 Abs. 2 GG a.F. ) ausführt

„Das Asylgrundrecht in Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG stellt in der deutschen Verfassungstradition und auch vor dem völker- und menschrechtlichen Hintergrund eine Novität dar, die als Reaktion auf die politischen Verfolgungen während der Nazidiktatur sowie der kommunistischen Diktaturen der Nachkriegszeit zu verstehen ist…“

ist dies stark verkürzend wenn nicht gar verfälschend. Das Asylgrundrecht in Art. 16 aF war keine Novität und sollte nach dem Willen des Parlamentarischen Rats eben nie über das Völkerrecht hinausgehen und greift lediglich eine Entwicklung auf, die nach dem ersten Weltkrieg an Fahrt aufgenommen hat.

Mehr zum Thema

Wer sich ausführlicher mit dem Thema befassen mag, lese „Das konstitutionelle Asylrecht in Deutschland in Deutschland – ein Nachruf“ von Dr. Dr. Paul Tiedemann, das als PDF verfügbar ist.

3 Antworten auf „Nein, das Asylrecht wurde nicht wegen der Erfahrungen mit der NS Zeit ins Grundgesetz aufgenommen“

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