Nein, das Asylrecht wurde nicht wegen der Erfahrungen mit der NS Zeit ins Grundgesetz aufgenommen

Immer wieder wird behauptet, das Asylrecht sei wegen der Erfahrungen mit der NS Zeit ins Grundgesetz aufgenommen worden.

Dies hält aber einer Überprüfung nicht stand.

Die Ursprünge des modernen Asylgedankens

Historisch fußt das Asylrecht im Schutz vor Auslieferungen wegen politischer Straftaten, die viele europäische Rechtsordnungen bereits im frühen 19. Jahrhundert kannten. Das Belgische Auslieferungsrecht von 1833 setzte hier Maßstäbe, die im Laufe der Zeit von vielen westlichen Staaten übernommen wurden.

Die entsprechende Entwicklung in Deutschland begann aber erst recht spät. So regelte das „Deutsche Auslieferungsgesetz“ von 1929, dass Auslieferungen wegen politischer Straftaten nicht möglich sind, die Entscheidung darüber wurde den Gerichten übertragen. 1932 schließlich enthielt die preußische Ausländer-Polizeiverordnung auch einen Schutz politisch Verfolgter vor Zurückweisung an der Grenze und damit faktisch erstmals ein individuelles Asylrecht in Deutschland. Die Idee des individuellen Asyls im deutschen Recht gab es also schon vor der NS-Zeit.

Ursächlich für diese Sensibilisierung in Sachen Flüchtlinge und Asyl waren die Erfahrungen des ersten Weltkriegs, der zu großen Fluchtbewegungen führte. Auf internationaler Ebene schärften weitere Konflikte und Probleme, wie z.B. der Genozid der Türken an den Armeniern oder die Hungerkrise in der Sowjetunion den Blick auf die Thematik und führten zu Lösungsansätzen wie z.B. den Nansen-Pass für Flüchtlinge, den der Hochkommissar des Völkerbundes für Flüchtlingsfragen, Fridtjof Nansen, 1922 einführte.

Die folgenden Erfahrungen des zweiten Weltkriegs verstärkten zwar den Druck, in Flucht- und Asylfragen aktiv zu werden, waren aber gleichfalls nicht allein ursächlich für die weiteren Entwicklung wie z.B. die Verabschiedung der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ im Jahr 1948, die in Art. 10 (Verbot der willkürlichen Ausweisung) und Art. 14 Asylrechtsgrundsätze umfasst.

Die Aufnahme des Asylrechts im Grundgesetz

Grundsätzlich steht hinter dem Grundgesetz natürlich der Gedanken der Abgrenzung zur NS-Diktatur. Juristisch steht es aber durchaus in der Tradition der Weimarer Republik unter Vermeidung deren Fehler. Dies ist nahe liegend, wurden die Mitglieder des Parlamentarischen Rats doch durch diese politisch und juristisch geprägt. Gleichzeitig konnte man sich den internationalen Entwicklungen der Zeit nicht verschließen.

Gleichwohl sollte das Grundgesetz – insbesondere aufgrund der wirtschaftlichen Situation in Nachkriegsdeutschland – nur einen Minimalschutz in Sachen Asyl bieten. So lautete einer der ersten Entwürfe des Asylartikels:

Jeder Deutsche, der wegen seines Eintretens für Freiheit, Demokratie, soziale Gerechtigkeit oder Weltfrieden verfolgt wird, genießt im Bundesgebiet Asylrecht.

Vom Asylrecht sollten damit nur deutsche Staatsbürger – im Hinterkopf hatte man insbesondere die Bewohner der SBZ, der sowjetisch besetzten Zone – profitieren. Man kann also getrost behaupten, dass auch der aufkommende Ost-West Konflikt seinen Anteil daran hat, dass das Asylrecht gesondert ins Grundgesetz aufgenommen wurde.

Mit einem Asylrecht auch für Ausländer hielten jedenfalls viele Mitglieder des Rats und der Ausschüsse die Bundesrepublik für überfordert. Angesichts der internationalen Entwicklungen und vermeintlicher völkerrechtlicher Verpflichtungen wollte – und konnte – man sich dem aber nicht verschließen, so dass weitere Entwürfe lauteten:

Ausländer, welche wegen ihres Eintretens für Freiheit, Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Weltfrieden politisch verfolgt werden, genießen im Bundesgebiet Asylrecht.

oder

Politisch verfolgte genießen Asylrecht im Rahmen des allgemeinen Völkerrechts.

Der Hinweis auf das allgemeine Völkerrecht sollte klarstellen, dass das Asylrecht des Grundgesetzes eben nicht über das daraus notwendige hinausgehen sollte, denn

Wir sind eine schwache Nation, und ohne die Mittel, um weitergehenden Schutz zu gewähren, können wir nicht etwas tun, wofür wir selbst nicht die entsprechenden Mittel zur Hand haben, um es zu gewährleisten.

wie Hermann von Mangoldt (CDU) in diesem Zusammenhang ausführte.

Der Hinweis auf das allgemeine Völkerrecht wurde dann insbesondere auf das Betreiben Carlo Schmids (SPD) und auch wohl von Mangoldts gestrichen, da man diesen angesichts von Art. 25 GG entbehrlich hielt. Dieser lautet:

Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.

Das Asylrecht des Grundgesetzes sollte im Ergebnis mithin nur einen völkerrechtlich ohnehin gebotenen Mindestschutz gewähren, nicht jedoch über diesen hinausgehen. Erstaunlich ist in dem Zusammenhang, dass diese allgemeinen Regeln des Völkerrechts damals und besonders auch im Verständnis des parlamentarischen Rats in erster Linie einen Schutz vor Auslieferung begründen sollte. Das Grundgesetz sollte dieser völkerrechtlichen Institution Asylrecht lediglich einen subjektiven Charakter geben.

Die Entstehung des Art. 16 aF GG ist also besonders im Kontext der historischen völkerrechtliche Entwicklung zu sehen, die wiederum insbesondere durch die Erfahrungen im ersten Weltkrieg und der Zeit danach vorangetrieben wurde.

Die frühe Entwicklung in der Praxis

Aus Sicht der Mitglieder des parlamentarischen Rats war also klar, dass der Inhalt des Asylrechts im Grundgesetz sich aus dem Rahmen des Völkerrechts ergeben und sich mit diesem entwickeln würde.  Dies wird das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.01.1957 (BVerwG I C 65.5, hier online) besonders deutlich:

Nach der Entstehungsgeschichte des Art. 16 GG sollte dem politisch Verfolgten das Asylrecht im Rahmen des Völkerrechts gewährt werden. Zu Beginn der Beratungen des Parlamentarischen Rates waren, wie der Bonner Kommentar zu Art. 16 GG mitteilt (Anm. II 4 b), noch die Worte „im Rahmen des allgemeinen Völkerrechts“ eingeschaltet worden. Diese Wendung ist jedoch im Hinblick auf die innerstaatliche Geltung der allgemeinen Regeln des Völkerrechts (Art. 25 GG) als entbehrlich gestrichen worden. Nun finden sich aber im Völkerrecht keine allgemein anerkannten Regeln über das Asylrecht (vgl. hierzu Grützner in Neumann-Nipperdey-Scheuner, Die Grundrechte, Bd. 2 S. 598, und Lange, Grundfragen des Auslieferungs- und Asylrechts, Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe, Schriftenreihe, Heft 5 S. 11). Das Asylrecht wird noch sehr unterschiedlich gehandhabt. Lediglich Ansätze zu einer weiteren Entwicklung sind im internationalen Recht festzustellen. Auf sie wird, wenn man dem Sinn des Art. 16 GG gerecht werden will, zurückzugreifen sein. …
Dafür, daß der Grundgesetzgeber dem Staat eine Verpflichtung über diese Grundsätze hinaus auferlegen wollte, ergeben sich keine Anhaltspunkte.

Prägend ist die Genfer Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951, auf die auch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Bezug nimmt. Nach dieser darf ein Flüchtling nicht ausgewiesen oder abgeschoben werden, wenn sein Leben oder seine Freiheit im Zielland wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sind.

Die weitere Rechtsprechung der obersten Gerichte des Bundes und des Bundesverfassungsgerichts, die begleitende Gesetzgebung und Entwicklung des Völkerrechts haben das Asylrecht des Grundgesetzes dann konkretisiert.

Der NS Zeit Mythos

Dennoch wird immer wieder behauptet, das Asylrecht sei wegen der Erfahrungen mit der NS-Zeit ins Grundgesetz aufgenommen worden, was wie dargelegt nicht zutreffend ist.

Wenn z.B. die folgende Kommentierung zu Artikel 16a GG (Stern / Becker: Grundrechte-Kommentar, 2. Auflage 2016 Rn 13 zu III. Entstehungsgeschichte des Art. 16 Abs. 2 GG a.F. ) ausführt

„Das Asylgrundrecht in Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG stellt in der deutschen Verfassungstradition und auch vor dem völker- und menschrechtlichen Hintergrund eine Novität dar, die als Reaktion auf die politischen Verfolgungen während der Nazidiktatur sowie der kommunistischen Diktaturen der Nachkriegszeit zu verstehen ist…“

ist dies stark verkürzend wenn nicht gar verfälschend. Das Asylgrundrecht in Art. 16 aF war keine Novität und sollte nach dem Willen des Parlamentarischen Rats eben nie über das Völkerrecht hinausgehen und greift lediglich eine Entwicklung auf, die nach dem ersten Weltkrieg an Fahrt aufgenommen hat.

Mehr zum Thema

Wer sich ausführlicher mit dem Thema befassen mag, lese „Das konstitutionelle Asylrecht in Deutschland in Deutschland – ein Nachruf“ von Dr. Dr. Paul Tiedemann, das als PDF verfügbar ist.

Dokumentiert: Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.01.1957 (BVerwG I C 65.56)

Dieses Urteil des Bundesverwaltungsgerichts haben wir hier dokumentiert, da es wichtige Hinweise auf die Entstehungsgeschichte des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG aF (Asylrecht) gibt.

Ein Asylberechtigter kann unter denselben Voraussetzungen und in demselben beschränkten Umfang des Landes verwiesen werden wie ein politischer Flüchtling nach Art. 32 und 33 der Genfer Konvention.

In der Verwaltungsstreitsache hat das Bundesverwaltungsgericht, I. Senat, in der mündlichen Verhandlung am 17. Januar 1957 durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Egidi und die Bundesrichter Witten, Dr. Ernst, Dr. Ritgen und Hering für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21. Februar 1956 – Nr. 108 I 53 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß der Kläger auf Grund des gegen ihn erlassenen Aufenthaltsverbots der Beklagten vom 22. Februar 1952 nicht nach Frankreich oder in die französischen Schutzgebiete ausgewiesen oder abgeschoben werden darf.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 2.000 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Kläger ist marokkanischer Staatsangehöriger. Er wurde im Jahre 1919 im damaligen Französisch-Marokko geboren. Nach seiner Darstellung wurde er im Jahre 1942. Soldat im französischen Heer, desertierte jedoch um die Jahreswende 1942/43, um – wie er vorträgt – „bei Zwischenfällen in Marokko nicht auf seine Brüder schießen zu müssen“. Wie er weiterhin angibt, ist er seinerzeit nach Genua geflüchtet und von dort nach Deutschland gelangt. Hier will er zunächst in einer SS-Kaserne beschäftigt, sodann in Pilsen als Bodenarbeiter bei der Luftwaffe und schließlich als Arbeiter bei der Organisation Todt verwendet worden sein. Nach einer Auskunft des französischen Generalkonsulats in München hingegen kam der Kläger nach Kriegsende als Besatzungssoldat nach Deutschland und desertierte im Jahre 1945 in der französisch besetzten Zone Deutschlands.

Jedenfalls lebte er, wie sich während des Verwaltungsstreitverfahrens herausstellte, seit 1945 in Deutschland als angeblich syrischer Staatsangehöriger unter falschem Namen. Wiederholt nahm er Fürsorgeunterstützung in Anspruch. In der Zeit von 1945 bis 1952 wurde er achtzehnmal rechtskräftig von amerikanischen und deutschen Gerichten wegen Schwarzhandels, Bestechung, Erregung öffentlichenÄrgernisses, Herumlungerns, Kuppelei, Zoll- und Steuerhinterziehung und verbotener Wechselgeschäfte bestraft. Meist handelte es sich um kleinere Geld-, Haft- und Gefängnisstrafen. Die größeren Strafen sind:

  • eine Strafe von zwei Monaten Gefängnis wegen fortgesetzter Kuppelei, Urteil des Amtsgerichts München vom 12. Dezember 1950;
  • eine Strafe von fünf Monaten Gefängnis wegen fortgesetzter teilweise gewerbsmäßiger Zoll- und Steuerhinterziehung, Urteil des Amtsgerichts München vom 20. März 1952.

Als der Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nachsuchte, erließ die Beklagte gegen ihn aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ein dauerndes Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet und Westberlin mit der Begründung, er bestreite seinen Lebensunterhalt vorwiegend durch Schwarzhandel, lebe von Leistungen der öffentlichen Fürsorge und habe durch seine zahlreichen Vorstrafen bewiesen, daß er nicht gewillt sei, sich in die Rechtsordnung seines Gastlandes einzufügen. Gegen dieses Aufenthaltsverbot geht der Kläger an. Seine Beschwerde wurde zurückgewiesen. Daraufhin beschritt er den Verwaltungsrechtsweg. Dabei bediente er sich zunächst des falschen Namens, unter dem er bisher gelebt hatte, bis sich auf Grund einer Auskunft des französischen Generalkonsulats in München seine richtigen Personalien herausstellten.

Die Klage war in zwei Instanzen ohne Erfolg. Das Berufungsgericht führte in den Gründen seines Urteils aus:

Der Kläger mache zu Unrecht geltend, daß er die deutsche Staatsangehörigkeit erworben habe. Die Voraussetzungen für die Anwendung des sogen. Führererlasses über den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Einstellung in die deutsche Wehrmacht, die Waffen-SS, die deutsche Polizei oder die Organisation Todt vom 19. Mai 1943 und des hierzu ergangenen Erlasses des früheren Reichsministers des Innern vom 23. Mai 1944 lägen – abgesehen von den Zweifelsfragen, die sich im übrigen hinsichtlich dieser Erlasse ergäben – schon deswegen im Falle des Klägers nicht vor, weil der Kläger nach seinen eigenen Angaben lediglich OT-Arbeiter, nicht aber Angehöriger des Schutzkommandos der OT gewesen sei. Der Kläger unterliege daher den Vorschriften der Ausländerpolizeiverordnung vom 22. August 1938 (RGBl. I S. 1053) – APVO -, die, soweit sie hier in Betracht komme, gültiges Recht sei. Die Tatbestände des§ 5 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b, d und i dieser Verordnung seien gegeben. Die Einwendungen des Klägers gegen das Aufenthaltsverbot seien unbegründet. Der Kläger sei, wie dies vom Hohen Kommissar für die Flüchtlinge bestätigt worden sei, nicht heimatloser Ausländer.

Der Kläger müsse allerdings als politisch Verfolgter im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes – GG – anerkannt werden. Für seine Anerkennung als politisch Verfolgter sei es gleichgültig, ob er im Jahre 1943 in Marokko oder 1945 in der französischen Besatzungszone Deutschlands fahnenflüchtig geworden sei. Maßgebend sei, daß er desertiert sei, um bei den Auseinandersetzungen zwischen Teilen der marokkanischen Bevölkerung und der früheren französischen Herrschaft in Marokko nicht als Soldat auf französischer Seite stehen zu müssen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit würde er deswegen in Frankreich zu einer erheblichen Freiheitsstrafe verurteilt werden. Als Asylberechtigter habe der Kläger, solange er sich in Deutschland befinde, gegenüber den deutschen Behörden Anspruch auf Schutz vor der Verfolgung wegen seiner aus politischen Gründen erfolgten Fahnenflucht aus dem französischen Heer.

Der Kläger habe sich aber nicht in die Rolle des Asylsuchenden gefügt. Bei dem vorliegenden Sachverhalt sei das Aufenthaltsverbot nicht zu beanstanden. Freilich dürfe es nicht durch Abschiebung nach Frankreich zwangsweise vollstreckt werden. Das würde gegen das Asylrecht verstößen. Dieses Recht wirke sich jetzt nicht mehr dahin aus, daß sich der Kläger weiterhin in der Bundesrepublik aufhalten dürfe, sondern lediglich dahin, daß er nicht nach Frankreich abzuschieben sei. Damit sei die Rechtslage des Klägers etwa der eines heimatlosen Ausländers oder eines ausländischen Flüchtlings im Sinne der Genfer Konvention vergleichbar. Der heimatlose Ausländer könne aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden, dürfe aber nicht in das Land abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, seiner Abstammung, seiner Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauung bedroht sei.

Der Kläger hat die vom Berufungsgericht zugelassene Revision eingelegt. Er beantragt, die angefochtenen Urteile und Bescheide aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm den weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet und in Westberlin zu genehmigen und ihm dort Asylrecht zu gewähren. Hilfsweise beantragt er, die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Er rügt, daß der sogen. Führererlaß vom 19. Mai 1943 und der Runderlaß des RMdI vom 23. Mai 1944 unrichtig angewandt seien. Er ist der Meinung, daß das Gericht in diesem Zusammenhang hätte aufklären müssen, ob er bereits 1943 nach Deutschland geflüchtet oder erst 1945 mit ausländischen Besatzungstruppen in das Gebiet der Bundesrepublik gelangt sei. Er beruft sich auf Art. 16 GG und rügt weiterhin, daß nicht genügend geprüft worden sei, welches Schicksal er zu erwarten habe, wenn er in ein anderes Land als Frankreich abgeschoben werde. Er hält ferner die Ausländerpolizeiverordnung für ungültig.

Die Beklagte vertritt demgegenüber den Standpunkt, daß dem Kläger Asylrecht nicht zustehe. Sie verweist auf den Truppenvertrag, wonach sich strafbar mache, wer ein Mitglied der alliierten Streitkräfte zur Fahnenflucht verleite oder ihm die Fahnenflucht erleichtere, und trägt vor, daß der Kläger ungehindert nach Marokko zurückkehren könne, nachdem Marokko durch. Frankreich als souveräner Staat anerkannt sei. Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht und die Staatsanwaltschaft beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof sind der Ansicht, daß das Aufenthaltsverbot im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden sei. Im übrigen hält der Oberbundesanwalt es für unzulässig, bereits in der Entscheidung über das Aufenthaltsverbot zum Ausdruck zu bringen, daß es nicht durch Ausweisung in bestimmte Gebiete vollstreckt werden könne; dies sei vielmehr eine Angelegenheit des Vollzugs der Ausweisung.

II.

Die Revision ist mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß der Kläger nicht zwangsweise nach Frankreich oder in die französischen Schutzgebiete abgeschoben werden darf.

Die Meinung des Klägers, daß das Aufenthaltsverbot gegen ihn schon deswegen nicht habe erlassen werden dürfen, weil er während des letzten Krieges die deutsche Staatsangehörigkeit erworben habe, mithin auch nicht Ausländer sei, trifft nicht zu. Zu Unrecht beruft sich der Kläger auf den sogen. Führererlaß über den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Einstellung in die deutsche Wehrmacht, die Waffen-SS, die deutsche Polizei oder die Organisation Todt vom 19. Mai 1943 (RGBl. I S. 315) und den hierzu ergangenen Runderlaß des RMdI vom 23. Mai 1944 (RMBliV S. 551). Auch wenn man das Vorbringen des. Klägers in vollem Umfang als richtig unterstellt, hat er, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, die deutsche Staatsangehörigkeit vor 1945 auf Grund der angeführten Bestimmungen nicht erworben. Der Kläger ist nicht deutschstämmig, wie es Ziff. I 1 des Erlasses vom 19. Mai 1943 verlangt, auch war er weder Angehöriger des Schutzkommandos der Organisation Todt, wie dies nach dem Runderlaß vom 23. Mai 1944 zu fordern war, noch liegt eine entsprechende Feststellung der Einwandererzentrale vor (vgl. § 10 des Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit vom 22. Februar 1955 [BGBl. I S. 65]). Da also selbst dann, wenn man von den Behauptungen des Klägers ausgeht, von einem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch ihn nicht die Rede sein kann, kam es auf Beweisaufnahmen über die Richtigkeit der Behauptungen des Klägers nicht an. Die vom Kläger insoweit erhobene Rüge mangelnder Aufklärung des Sachverhalts geht fehl.

Der Kläger ist ferner der Meinung, daß ihm das Asylrecht nach Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG zustehe. Nach dieser Vorschrift genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Verfolgungen aus kriminellen Gründen reichen nicht aus. Nur bei Vorliegen besonderer Umstände kann die Verfolgung wegen einer kriminellen Straftat auch zu einer politischen Verfolgung werden. Fahnenflucht und die deswegen zu erwartende Verfolgung rechtfertigen also nicht ohne weiteres die Inanspruchnahme des Asylrechts. Es müssen vielmehr besondere Umstände hinzutreten, die eine wegen der Fahnenflucht zu erwartende Verfolgung zu einer politischen werden lassen (vgl. hierzu Entscheidung des erkennenden Senats vom 17. Januar 1957 – BVerwG I C 166.56 -). Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts liegen hier solche besonderen Umstände vor. Ob das Berufungsgericht diese Umstände im vorliegenden Fall noch näher hätte aufklären müssen, mag dahingestellt bleiben. Die Beklagte hat gegen das Urteil des Berufungsgerichts kein Rechtsmittel eingelegt. Auch ist das Revisionsgericht an die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts gebunden (§ 56 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverwaltungsgericht vom 23. September 1952 [BGBl. I S. 625] – BVerwGG -). Danach ist hier davon auszugehen, daß der Kläger als politisch Verfolgter zu gelten hat.

Der Kläger will, indem er Asylrecht in Anspruch nimmt, der Behörde das Recht absprechen, das Asyl im Bundesgebiet durch Maßnahmen auf Grund der Ausländerpolizeiverordnung einzuschränken. Für die Ansicht des Klägers mag die ursprüngliche Bedeutung des Wortes „Asyl“ sprechen. Asyl stammt aus dem Griechischen: [Grafik]= Zufluchtsstätte. Das Asylrecht desArt. 16 GG würde demnach das Recht auf Zuflucht, und zwar innerhalb des Bundesgebietes bedeuten. Die Maßnahmen, die auf Grund der Ausländerpolizeiverordnung gegen den Kläger getroffen worden sind, schränken diese Zuflucht ein. Ob solche Einschränkungen mit dem Sinn, und Zweck des Art. 16 GG vereinbar sind, ist die entscheidende Frage des Revisionsverfahrens. Dabei ist klarzustellen, daß es sich nicht um einen Fall des Art. 18 GG handelt, sondern um die Frage, ob – abgesehen von der nach Art. 18 GG möglichen Beschränkung des Asylrechts – dieses Recht in sich bereits Grenzen trägt, die eine Einschränkung der Zuflucht des Asylsuchenden im Bundesgebiet möglich machen.

Nach der Entstehungsgeschichte des Art. 16 GG sollte dem politisch Verfolgten das Asylrecht im Rahmen des Völkerrechts gewährt werden. Zu Beginn der Beratungen des Parlamentarischen Rates waren, wie der Bonner Kommentar zu Art. 16 GG mitteilt (Anm. II 4 b), noch die Worte „im Rahmen des allgemeinen Völkerrechts“ eingeschaltet worden. Diese Wendung ist jedoch im Hinblick auf die innerstaatliche Geltung der allgemeinen Regeln des Völkerrechts (Art. 25 GG) als entbehrlich gestrichen worden. Nun finden sich aber im Völkerrecht keine allgemein anerkannten Regeln über das Asylrecht (vgl. hierzu Grützner in Neumann-Nipperdey-Scheuner, Die Grundrechte, Bd. 2 S. 598, und Lange, Grundfragen des Auslieferungs- und Asylrechts, Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe, Schriftenreihe, Heft 5 S. 11). Das Asylrecht wird noch sehr unterschiedlich gehandhabt. Lediglich Ansätze zu einer weiteren Entwicklung sind im internationalen Recht festzustellen. Auf sie wird, wenn man dem Sinn des Art. 16 GG gerecht werden will, zurückzugreifen sein.

Dabei kann vor allem auf die Genfer Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II S. 559 und 1954 II S. 619) hingewiesen werden. Diese Konvention regelt den Umfang des Asylrechts, das bestimmten Gruppen politischer Flüchtlinge zu gewähren ist (vgl. Art. 1 der Konvention). Das Abkommen ist von einer großen Zahl von Staaten unterzeichnet und von vielen Staaten bereits ratifiziert worden. Auch in Deutschland ist es in Kraft getreten (vgl. BGBl. 1954 II S. 619). Wenn auch die Konvention erst nach Inkrafttreten des Grundgesetzes zustande gekommen ist, so werden doch bei der Auslegung des Art. 16 GG die Bestimmungen dieser Konvention deswegen hinzugezogen werden können, weil in der Konvention Rechtsüberzeugungen niedergelegt sind, die sich im Laufe der letzten Jahrzehnte, also bereits vor Inkrafttreten des Grundgesetzes, allmählich im internationalen Rechtsverkehr entwickelt haben. In Betracht kommen hier vor allem die Art. 32 und 33 der Genfer Konvention, in denen die Frage geregelt ist, inwieweit die Zuflucht des ausländischen Flüchtlings eingeschränkt werden kann.

In Art. 32 der Genfer Konvention haben sich die vertragschließenden Staaten verpflichtet, einen ausländischen Flüchtling, der sich rechtmäßig in ihrem Staatsgebiet aufhält, nur aus Gründen der Staatssicherheit oder deröffentlichen Ordnung auszuweisen. Dazu wird in Art. 33 weiterhin bestimmt, daß ein Flüchtling nicht über die Grenzen von Gebieten ausgewiesen oder abgeschoben werden darf, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht wäre. Auf diese. Vergünstigung kann sich ein Flüchtling nur dann nicht berufen, wenn erhebliche Gründe dafür vorliegen, ihn als Gefahr für die Sicherheit des Landes anzusehen, in dem er sich befindet, oder wenn er eine Bedrohung für die Gemeinschaft dieses Landes deswegen bedeutet, weil er wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt wurde.

Soweit nach Art. 32 und 33 der Genfer Konvention die vertragschließenden Staaten sich zur Gewährung von Asyl untereinander verpflichtet haben, so weit muß auch, wenn man dem Sinn desArt. 16 GG gerecht werden will, der vom Grundgesetz gewährleistete Anspruch des Asylsuchenden gehen. Daß dieser Anspruch aber noch darüber hinausreichen sollte, ist mit dem Sinn desArt. 16 GG nicht zu vereinen. Zwar mag es sein, daß die einzelnen Staaten im internationalen Rechtsverkehr untereinander die Möglichkeit haben, einen weitergehenden Asylschutz zu gewähren. Eine Verpflichtung des Staates hierzu dem Asylsuchenden gegenüber ist aber nicht anzuerkennen. Die Art. 32 und 33 der Genfer Konvention enthalten Grundsätze, die sich in der Praxis der zivilisierten Staaten entwickelt haben (vgl. hierzu Dr. P. Weis, Legal Aspects of the Convention of 28. July 1951 relating to the Status of Refugees in The British Year Book of International Law 1953, Seite 482). Dafür, daß der Grundgesetzgeber dem Staat eine Verpflichtung über diese Grundsätze hinaus auferlegen wollte, ergeben sich keine Anhaltspunkte. In dem Rahmen also, der sich aus Art. 32 und 33 der Genfer Konvention ergibt, können die Behörden dem Asylsuchenden gegenüber das Recht auf Zuflucht im Bundesgebiet einschränken.

In diesem Rahmen ist daher auch die Ausländerpolizeiverordnung vom 22. August 1938 (RGBl. I S. 1053) gegenüber dem Asylsuchenden anwendbar. Die Meinung des Klägers, daß diese Verordnung ungültig sei, trifft nicht zu. Dies hat der erkennende Senat bereits durch Urteil vom 15. Dezember 1955 – BVerwG I C 1.54 – (BVerwGE 3, 58) entschieden. Nach den tatsächlichen, das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts sind hiernach im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für den Erlaß eines Aufenthaltsverbots gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 APVO gegeben. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, weiterhin, daß Gründe der öffentlichen Ordnung vorliegen, die ein Einschreiten gegen den Kläger geboten erscheinen lassen. Das Aufenthaltsverbot, das gegen den Kläger erlassen wurde, ist daher gerechtfertigt.

Allerdings sind bei Erlaß des Aufenthaltsverbots gegen einen Asylsuchenden bereits in dem Verbot selbst die Einschränkungen zu machen, die sich daraus ergeben, daß er nicht ohne weiteres in ein Land abgeschoben werden darf, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht wäre. Dies hat der Senat für den Fall des heimatlosen Ausländers (§ 23 des Gesetzes über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet vom 25. April 1951 [BGBl. I S. 269]) im Urteil vom 28. Juni 1956 – BVerwG I C 23.56 – (BVerwGE 3, 355 [BVerwG 28.06.1956 – I C 23/56]) bereits entschieden. Dabei hat sich der Senat von Gedanken des Rechtsschutzes leiten lassen. Daran hält der Senat fest. Diese Erwägungen sind auch dann zu berücksichtigen, wenn es sich um ein Aufenthaltsverbot gegen einen Asylsuchenden handelt. Mit der Maßgabe also, daß das gegen den Kläger erlassene Aufenthaltsverbot nicht dazu dienen kann, ihn nach Frankreich oder in französisches Schutzgebiet abzuschieben, war die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Meinung: Ruhig, Brauner – ein kurzer Kommentar zur Diesel Fahrverbot Diskussion

Wie dank ausgiebiger Berichterstattung in allen Medien, ARD Brennpunkt Sondersendungen und überbordender Diskussionen in den sozialen Medien wohl jeder in Deutschland mitbekommen:

das Bundesverwaltungsgericht lässt grundsätzlich Fahrverbote für Diesel Fahrzeuge in Deutschland zu.

Der Aufschrei ist groß. Allenthalben ist von Enteignung der Diesel-Fahrer die Rede. Als hätte das Gericht von Heute auf Morgen alle Dieselfahrzeuge in Deutschland verboten und deren Einziehung und Zerstörung angeordnet.

Konkret ging es in dem Urteil aber nur um die Rechtmäßigkeit der Fahrverbote in Düsseldorf und Stuttgart.

Zu Stuttgart (BVerwG 7 C 30.17 – Urteil vom 27. Februar 2018) schreibt das BVerwG in der Pressemitteilung:

Bei Erlass dieser Maßnahme wird jedoch – wie bei allen in einen Luftreinhalteplan aufgenommenen Maßnahmen – sicherzustellen sein, dass der auch im Unionsrecht verankerte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt. Insoweit ist hinsichtlich der Umweltzone Stuttgart eine phasenweise Einführung von Verkehrsverboten, die in einer ersten Stufe nur ältere Fahrzeuge (etwa bis zur Abgasnorm Euro 4) betrifft, zu prüfen. Zur Herstellung der Verhältnismäßigkeit dürfen Euro-5-Fahrzeuge jedenfalls nicht vor dem 1. September 2019 (mithin also vier Jahre nach Einführung der Abgasnorm Euro 6) mit Verkehrsverboten belegt werden. Darüber hinaus bedarf es hinreichender Ausnahmen, z.B. für Handwerker oder bestimmte Anwohnergruppen.

Und für Düsseldorf (BVerwG 7 C 26.16 – Urteil vom 27. Februar 2018):

Hinsichtlich des Luftreinhalteplans Düsseldorf hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass Maßnahmen zur Begrenzung der von Dieselfahrzeugen ausgehenden Emissionen nicht ernsthaft in den Blick genommen worden sind. Dies wird der Beklagte nachzuholen haben. Ergibt sich bei der Prüfung, dass sich Verkehrsverbote für Diesel-Kraftfahrzeuge als die einzig geeigneten Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung überschrittener NO2-Grenzwerte darstellen, sind diese – unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – in Betracht zu ziehen.

Festhalten kann man also, dass

  • es Diesel Fahrverbote nur in einzelnen Gebieten geben wird
  • Fahrverbote wohl nur an einzelnen Tagen geben wird
  • diese dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerecht werden müssen
  • es daher z.B. Ausnahmeregelungen für Handwerker und Anwohner geben muss.

Man kann das Urteil sogar noch viel weiter denken: Dieselfahrverbote sind nur zulässig, wenn Sie dem Ziel der Luftreinhaltung dienen. Sollte sich in der Zukunft also zeigen, dass Diesel KfZ gar keinen so großen Beitrag zur Luftverschmutzung in den Städten leisten, wären Fahrverbote also gar nicht mehr zulässig.

Warten wir also ab. Die große Panik und Empörung ist jedenfalls unnötig.

Nachtrag:

Eine andere Meinung zum Thema finden Sie hier im Blog vom Huegelkind.