Dokumentiert: Die Hoßbach Niederschrift

Diese Niederschrift von Oberst Friedrich Hoßbach dokumentiert ein Treffen von 5. November 1937, in dem Adolf Hitler die Grundzüge seiner Außenpolitik darlegte. Die Hoßbach Niederschrift, auch Hoßbach Protokoll genannt, wird ein wichtiges Beweisstück in den Nürnberger Prozessen.

Die Hoßbach-Niederschrift

Anwesend:

Der Führer und Reichskanzler, der Reichskriegsminister Generalfeldmarschall von Blomberg, der Oberbefehlshaber des Heeres Generaloberst Freiherr von Fritsch, der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine Generaladmiral Dr. h. c. Raeder, der Oberbefehlshaber der Luftwaffe Generaloberst Göring, der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath, Oberst Hoßbach

Der Führer stellte einleitend fest, daß der Gegenstand der heutigen Besprechung von derartiger Bedeutung sei, daß dessen Erörterung in anderen Staaten wohl vor das Forum des Regierungskabinetts gehörte, er – der Führer – sähe aber gerade im Hinblick auf die Bedeutung der Materie davon ab, diese in dem großen Kreise des Reichskabinetts zum Gegenstand der Besprechung zu machen. Seine nachfolgenden Ausführungen seien das Ergebnis eingehender Überlegungen und der Erfahrungen seiner viereinhalbjährigen Regierungszeit; er wolle den anwesenden Herren seine grundlegenden Gedanken über die Entwicklungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten unserer außenpolitischen Lage auseinandersetzen, wobei er im Interesse einer auf weite Sicht eingestellten deutschen Politik seine Ausführungen als seine testamentarische Hinterlassenschaft für den Fall seines Ablebens anzusehen bitte.

Der Führer führte sodann aus:

Das Ziel der deutschen Politik sei die Sicherung und die Erhaltung der Volksmasse und deren Vermehrung. Somit handele es sich um das Problem des Raumes.

Die deutsche Volksmasse verfüge über 85 Millionen Menschen, die nach der Anzahl der Menschen und der Geschlossenheit des Siedlungsraumes in Europa einen in sich so fest geschlossenen Rassekern darstelle, wie er in keinem anderen Land wieder anzutreffen sei und wie er andererseits das Anrecht auf größeren Lebensraum mehr als bei anderen Völkern in sich schlösse. Wenn kein dem deutschen Rassekern entsprechendespolitisches Ergebnis auf dem Gebiet des Raumes vorläge, so sei das eine Folge mehrhundertjähriger historischer Entwicklung und bei Fortdauer dieses politischen Zustandes die größte Gefahr für die Erhaltung des deutschen Volkstums auf seiner jetzigen Höhe. Ein Aufhalten des Rückganges des Deutschtums in Österreich und in der Tschechoslowakei sei ebenso wenig möglich als die Erhaltung des augenblicklichen Standes in Deutschland selbst. Statt Wachstum setze Sterilisation ein, in deren Folge Spannungen sozialer Art nach einer Reihe von Jahren einsetzen müßten, weil politische und weltanschauliche Ideen nur solange von Bestand seien, als sie die Grundlage zur Verwirklichung der realen Lebensansprüche eines Volkes abzugeben vermöchten. Die deutsche Zukunft sei daher ausschließlich durch die Lösung der Raumnot bedingt, eine solche Lösung könne naturgemäß nur für eine absehbare, etwa 1-3 Generationen umfassende Zeit gesucht werden.

Bevor er sich der Frage der Behebung der Raumnot zuwende, sei die Überlegung anzustellen, ob im Wege der Autarkie oder einer gesteigerten Beteiligung an der Weltwirtschaft eine zukunftsreiche Lösung der deutschen Lage zu erreichen sei.

Autarkie: Durchführung nur möglich bei straffer nationalsozialistischer Staatsführung, welche die Voraussetzung sei, als Resultat der Verwirklichungsmöglichkeit sei festzustellen:

A. Auf dem Gebiet der Rohstoffe nur bedingte, nicht aber totale Autarkie.

1. Soweit Kohle zur Gewinnung von Rohprodukten in Betracht komme, sei Autarkie durchführbar.

2. Schon auf dem Gebiet der Erze Lage viel schwieriger. Eisenbedarf = Selbstdeckung möglich und Leichtmetall, bei anderen Rohstoffen – Kupfer, Zinn dagegen nicht.

3. Faserstoffe – Selbstdeckung, soweit Holzvorkommen reicht. Eine Dauerlösung nicht möglich.

4. Ernährungsfette möglich.

B. Auf dem Gebiet der Lebensmittel sei die Frage der Autarkie mit einem glatten ’nein‘ zu beantworten.

Mit der allgemeinen Steigerung des Lebensstandards sei gegenüber den Zeiten vor 30-40 Jahren eine Steigerung des Bedarfs und ein gesteigerter Eigenkonsum auch der Produzenten, der Bauern, Hand in Hand gegangen. Die Erlöse der landwirtschaftlichen Produktionssteigerung seien in die Deckung der Bedarfssteigerung übergegangen, stellten daher keine absolute Erzeugungssteigerung dar. Eine weitere Steigerung der Produktion unter Anspannung des Bodens, der infolge der Kunstdüngung bereits Ermüdungserscheinungen aufweise, sei kaum noch möglich und daher sicher, daß selbst bei höchster Produktionssteigerung eine Beteiligung am Weltmarkt nicht zu umgehen sei. Der schon bei guten Ernten nicht unerhebliche Ansatz von Devisen zur Sicherstellung der Ernährung durch Einfuhr steigere sich bei Mißernten zu katastrophalem Ausmaß. Die Möglichkeit der Katastrophe wachse in dem Maße der Bevölkerungszunahme, wobei der Geburtenüberschuß von jährlich 560 000 auch insofern einen erhöhten Brotkonsum im Gefolgehabe, da das Kind ein stärkerer Brotesser als der Erwachsenesei.

Den Ernährungsschwierigkeiten durch Senkung des Lebensstandards und durch Rationalisierung auf die Dauer zu begegnen, sei in einem Erdteil annähernd gleicher Lebenshaltung unmöglich. Seitdem mit Lösung des Arbeitslosenproblems die volle Konsumkraft in Wirkung getreten sei, wären wohl noch kleine Korrekturen unserer landwirtschaftlichen Eigenproduktion, nicht aber eine tatsächliche Änderung der Ernährungsgrundlage möglich. Damit sei die Autarkie sowohl auf dem Ernährungsgebiet als auch in der Totalität hinfällig.

Beteiligung an der Weltwirtschaft: Ihr seien Grenzen gezogen, die wir nicht zu beheben vermöchten. Einer sicheren Fundierung der deutschen Lage ständen die Konjunkturschwankungen entgegen, die Handelsverträge böten keine Gewähr für die praktische Durchführung. insbesondere sei grundsätzlich zu bedenken, daß seit dem Weltkrieg eine Industrialisierung gerade früherer Ernährungsausfuhrländer stattgefunden habe. Wir lebten im Zeitalter wirtschaftlicher Imperien, in welchem der Trieb zur Kolonisierung sich wieder dem Urzustand nähere; bei Japan und Italien lägen dem Ausdehnungsdrang wirtschaftliche Motive zu Grunde ebenso wie auch für Deutschland die wirtschaftliche Not den Antrieb bilden würde. Für Länder außerhalb der großen Wirtschaftsreiche sei die Möglichkeit wirtschaftlicher Expansion besonders erschwert.

Der durch die Rüstungskonjunkturen verursachte Auftrieb in der Weltwirtschaft könne niemals die Grundlage zu einer wirtschaftlichen Regelung für einen längeren Zeitraum bilden, welch letzterer vor allem auch die vom Bolschewismus ausgehenden Wirtschaftszerstörungen im Wege stünden. Es sei eine ausgesprochene militärische Schwäche derjenigen Staaten, die ihre Existenz auf dem Außenhandel aufbauten. Da unser Außenhandel über die durch England beherrschten Seegebieteführe, sei es mehr eine Frage der Sicherheit des Transportesals eine solche der Devisen, woraus die große Schwäche unserer Ernährungssituation im Kriege erhelle. Die einzige, uns vielleicht traumhaft erscheinende Abhilfe läge in der Gewinnung eines größeren Lebensraumes, ein Streben, das zu allen Zeiten die Ursache der Staatenbildungen und Völkerbewegungen gewesen sei. Daß dieses Streben in Genf und bei den gesättigten Staaten keinem Interesse begegne, sei erklärlich. Wenn die Sicherheit unserer Ernährungslage im Vordergrund stände, so könne der hierfür notwendige Raum nur in Europa gesucht werden, nicht aber ausgehend von liberalistisch-kapitalistischen Auffassungen in der Ausbeutung von Kolonien. Es handele sich nicht um die Gewinnung von Menschen, sondern von landwirtschaftlich nutzbarem Raum. Auch die Rohstoffgebiete seien zweckmäßiger im unmittelbaren Anschluß an das Reich in Europa und nicht in Übersee zu suchen, wobei die Lösung sich für ein bis zwei Generationen auswirken müsse. Was darüber hinaus in späteren Zeiten notwendig werden sollte, müsse nachfolgenden Geschlechtern überlassen bleiben. Die Entwicklung großer Weltgebilde gehe nun einmal langsam vor sich, das deutsche Volk mit seinem starken Rassekern finde hierfür die günstigsten Voraussetzungen inmitten des europäischen Kontinents. Daß jede Raumerweiterung nur durch Brechen von Widerstand und unter Risiko vor sich gehen könne, habe die Geschichte aller Zeiten – Römisches Weltreich, Englisches Empire – bewiesen. Auch Rückschläge seien unvermeidbar. Weder früher noch heute habe es herrenlosen Raum gegeben, der Angreifer stoße stets auf den Besitzer.

Für Deutschland laute die Frage, wo größter Gewinn unter geringstem Einsatz zu erreichen sei.

Die deutsche Politik habe mit den beiden Haßgegnern England und Frankreich zu rechnen, denen ein starker deutscher Koloß inmitten Europas ein Dorn im Auge sei, wobei beide Staaten eine weitere deutsche Erstarkung sowohl in Europa als auch in Übersee ablehnten und sich in dieser Ablehnung auf die Zustimmung aller Parteien stützen könnten. In der Errichtung deutscher militärischer Stützpunkte in Übersee sähen beide Länder eine Bedrohung ihrer Überseeverbindungen, eine Sicherung des deutschen Handels und rückwirkend eine Stärkung der deutschen Position in Europa.

England könne aus seinem Kolonialbesitz infolge des Widerstandes der Dominien keine Abtretungen an uns vornehmen. Nach dem durch Übergang Abessiniens in italienischen Besitz eingetretenen Prestigeverlust Englands sei mit einer Rückgabe Ostafrikas nicht zu rechnen. Das Entgegenkommen Englands werde sich bestenfalls in dem Anheimstellen äußern, unsere kolonialen Wünsche durch Wegnahme solcher Kolonien zu befriedigen, die sich z.Z. in nicht englischem Besitz befänden z. B. Angola -. In der gleichen Linie werde sich das französische Entgegenkommen bewegen.

Eine ernsthafte Diskussion wegen der Rückgabe von Kolonien an uns käme nur zu einem Zeitpunkt in Betracht, in dem England sich in einer Notlage befände und das deutsche Reich stark und gerüstet sei. Die Auffassung, daß das Empire unerschütterlich sei, teile der Führer nicht. Die Widerstände gegen das Empire lägen weniger in den eroberten Ländern als bei den Konkurrenten. Das Empire und das Römische Weltreich seien hinsichtlich der Dauerhaftigkeit nicht vergleichbar; dem letzteren habe seit den punischen Kriegen kein machtpolitischer Gegner ernsthafteren Charakters gegenüber gestanden. Erst die vom Christentum ausgehende auflösende Wirkung und die sich bei jedem Staat einstellenden Alterserscheinungen hätten das alte Rom dem Ansturm der Germanen erliegen lassen.

Neben dem englischen Empire ständen schon heute eine Anzahl ihm überlegener Staaten. Das englische Mutterland sei nur im Bunde mit anderen Staaten, nicht aus eigener Kraft in der Lage, seinen Kolonialbesitz zu verteidigen. Wie solle England allein z. B. Kanada gegen einen Angriff Amerikas, seine ostasiatischen Interessen gegen einen solchen Japans verteidigen!

Das Herausstellen der englischen Krone als Träger des Zusammenhaltes des Empire sei bereits das Eingeständnis, daß das Weltreich machtpolitisch auf die Dauer nicht zu halten sei. Bedeutungsvolle Hinweise in dieser Richtung seien:

a) Das Streben Irlands nach Selbständigkeit.

b) Die Verfassungskämpfe in Indien, wo England durch seine halben Maßnahmen den Indern die Möglichkeit eröffnet habe, späterhin die Nichterfüllung der verfassungsrechtlichen Versprechungen als Kampfmittel gegen England zu benutzen.

c) Die Schwächung der englischen Position in Ostasien durch Japan.

d) Der Gegensatz im Mittelmeer zu Italien, welches – unter Berufung auf seine Geschichte, getrieben aus Not und geführt durch ein Genie – seine Machtstellung ausbaue und sich hierdurch in zunehmendem Maße gegen englische Interessen wenden müsse. Der Ausgang des abessinischen Krieges sei ein Prestigeverlust Englands, den Italien durch Schüren in der mohammedanischen Welt zu vergrößern bestrebt sei.

In summa sei festzustellen, daß trotz aller ideeller Festigkeit das Empire machtpolitisch auf die Dauer nicht mit 45 Millionen Engländern zu halten sei. Das Verhältnis der Bevölkerungszahl des Empires zu der des Mutterlandes von 9 : 1 sei eine Warnungfür uns, bei Raumerweiterungen nicht die in der eigenen Volkszahl liegende Plattform zu gering werden zu lassen.

Die Stellung Frankreichs sei günstiger als die Englands. Das französische Reich sei territorial besser gelagert, die Einwohner seines Kolonialbesitzes stellten einen militärischen Machtzuwachs dar. Aber Frankreich gehe innenpolitischen Schwierigkeiten entgegen. Im Leben der Völker nehmen die parlamentarische Regierungsform etwa 10%, die autoritäre etwa 90% der Zeit ein. Immerhin seien heute in unsere politischen Berechnungen als Machtfaktoren einzusetzen: England, Frankreich, Rußland und die angrenzenden kleineren Staaten.

Zur Lösung der deutschen Frage könne es nur den Weg der Gewalt geben, dieser niemals risikolos sein. Die Kämpfe Friedrichs d.Gr. um Schlesien und die Kriege Bismarcks gegen Österreich und Frankreich seien von unerhörtem Risiko gewesen und die Schnelligkeit des preußischen Handelns 1870 habe Österreich vom Eintritt in den Krieg ferngehalten. Stelle man an die Spitze der nachfolgenden Ausführungen den Entschluß zur Anwendung von Gewalt unter Risiko, dann bleibe noch die Beantwortung der Fragen ‚wann‘ und wie. Hierbei seien drei Fälle zu entscheiden:

Fall 1: Zeitpunkt 1943-1945.

Nach dieser Zeit sei nur noch eine Veränderung zu unseren Ungunsten zu erwarten.

Die Aufrüstung der Armee, Kriegsmarine, Luftwaffe sowie die Bildung des Offizierkorps seien annähernd beendet. Die materielle Ausstattung und Bewaffnung seien modern, bei weiterem Zuwarten läge die Gefahr ihrer Veraltung vor. Besonders der Geheimhaltungsschutz der ‚Sonderwaffen‘ ließe sich nicht immer aufrecht erhalten. Die Gewinnung von Reserven beschränke sich auf die laufenden Rekrutenjahrgänge, ein Zusatz aus älteren unausgebildeten Jahrgängen sei nicht mehr verfügbar.

Im Verhältnis zu der bis dahin durchgeführten Aufrüstungder Umwelt nähmen wir an relativer Stärke ab. Wenn wir bis 1943/45 nicht handelten, könne infolge des Fehlens von Reserven jedes Jahr die Ernährungskrise bringen, zu deren Behebung ausreichende Devisen nicht verfügbar seien. Hierin sei ein ‚Schwächungsmoment des Regimes‘ zu erblicken. Zudem erwarte die Welt unseren Schlag und treffe ihre Gegenmaßnahmen von Jahr zu Jahr mehr. Während die Umwelt sich abriegele, seien wir zur Offensive gezwungen.

Wie die Lage in den Jahren 1943/45 tatsächlich sein würde, wisse heute niemand. Sicher sei nur, daß wir nicht länger warten können.

Auf der einen Seite die große Wehrmacht mit der Notwendigkeit der Sicherstellung ihrer Unterhaltung, das Älterwerden der Bewegung und ihrer Führer, auf der anderen Seite die Aussicht auf Senkung des Lebensstandards und auf Geburteneinschränkung ließen keine andere Wahl als zu handeln. Sollte der Führer noch am Leben sein, so sei es sein unabänderlicher Entschluß, spätestens 1943/45 die deutsche Raumfrage zu lösen. Die Notwendigkeit zum Handeln vor 1943/45 käme im Fall 2 und 3 in Betracht.

Fall 2:

Wenn die sozialen Spannungen in Frankreich sich zu einer derartigen innenpolitischen Krise auswachsen sollten, daß durch letztere die französische Armee absorbiert und für eine Kriegsverwendung gegen Deutschland ausgeschaltet würde, sei der Zeitpunkt zum Handeln gegen die Tschechei gekommen.

Fall 3:

Wenn Frankreich durch einen Krieg mit einem anderen Staat so gefesselt ist, daß es gegen Deutschland nicht ‚vorgehen‘ kann.

Zur Verbesserung unserer militär-politischen Lage müsse in jedem Fall einer kriegerischen Verwicklung unser 1. Ziel sein, die Tschechei und gleichzeitig Österreich niederzuwerfen, um die Flankenbedrohung eines etwaigen Vorgehens nach Westen auszuschalten. Bei einem Konflikt mit Frankreich sei wohl nicht damit zu rechnen, daß die Tschechei am gleichen Tage wie Frankreich uns den Krieg erklären würde. In dem Maße unserer Schwächung würde jedoch der Wille zur Beteiligung am Kriege in der Tschechei zunehmen, wobei ihr Eingreifen sich durch einen Angriff nach Schlesien, nach Norden oder nach Westen bemerkbar machen könne.

Sei die Tschechei niedergeworfen, eine gemeinsame Grenze Deutschland-Ungarn gewonnen, so könne eher mit einem neutralen Verhalten Polens in einem deutsch-französischen Konflikt gerechnet werden. Unsere Abmachungen mit Polen behielten nur solange Geltung als Deutschlands Stärke unerschüttert sei. bei deutschen Rückschlägen müsse ein Vorgehen Polens gegen Ostpreußen, vielleicht auch gegen Pommern und Schlesien in Rechnung gestellt werden.

Bei Annahme einer Entwicklung der Situation, die zu einemplanmäßigen Vorgehen unsererseits in den Jahren 1943/45 führe, sei das Verhalten Frankreichs, Englands, Italiens, Polens, Rußlands voraussichtlich folgendermaßen zu beurteilen:

An sich glaube der Führer, daß mit hoher Wahrscheinlichkeit England, voraussichtlich aber auch Frankreich die Tschechen bereits im Stillen abgeschrieben und sich damit abgefunden hätten, daß diese Frage eines Tages durch Deutschland bereinigt würde. Die Schwierigkeiten des Empire und die Aussicht in einen lang währenden europäischen Krieg erneut verwickelt zu werden, seien bestimmend für eine Nichtbeteiligung Englands an einem Kriege gegen Deutschland. Die englische Haltung werde gewiß nicht ohne Einfluß auf die Frankreichs sein. Ein Vorgehen Frankreichs ohne die englische Unterstützung und in der Voraussicht, daß seine Offensive an unseren Westbefestigungen sich festlaufe, sei wenig wahrscheinlich. Ohne die Hilfe Englands sei auch nicht mit einem Durchmarsch Frankreichs durch Belgien und Holland zu rechnen, der auch bei einem Konflikt mit Frankreich für uns außer Betracht bleiben müsse, da es in jedem Fall die Feindschaft Englands zur Folge haben müßte. Naturgemäß sei eine Abriegelung im Westen in jedem Fall während der Durchführung unseres Angriffs gegen die Tschechei und Österreich notwendig. Hierbei sei zu berücksichtigen, daß die Verteidigungsmaßnahmen der Tschechei von Jahr zu Jahr an Stärke zunähmen und daß auch eine Konsolidierung der inneren Werte der österreichischen Armee im Laufe der Jahre stattfände. Wenn auch die Besiedelung insbesondere der Tschechei keine dünne sei, so könne die Einverleibung der Tschechei und Österreichs den Gewinn von Nahrungsmitteln für 5-6 Millionen Menschen bedeuten unter Zugrundelegung, daß eine zwangsweise Emigration aus der Tschechei von zwei, aus Österreich von einer Million Menschen zur Durchführung gelange. Die Angliederung der beiden Staaten an Deutschland bedeute militär-politisch eine wesentliche Entlastung infolge kürzerer, besserer Grenzziehung, Freiwerdens von Streitkräften für andere Zwecke und der Möglichkeit der Neuaufstellung von Truppen bis in Höhe von etwa 12 Divisionen, wobei auf 1 Million Einwohner eine neue Division entfalle.

Von der Seite Italiens sei[en] gegen die Beseitigung der Tschechei keine Einwendungen zu erwarten, wie dagegen seine Haltung in der österreichischen Frage zu bewerten sei, entziehe sich der heutigen Beurteilung und sei wesentlich davon abhängig, ob der Duce noch am Leben sei.

Das Maß der Überraschung und der Schnelligkeit unseres Handelns sei für die Stellungnahme Polens entscheidend. Gegen ein siegreiches Deutschland wird Polen – mit Rußland im Rücken – wenig Neigung haben, in den Krieg einzutreten.

Einem militärischen Eingreifen Rußlands müsse durch die Schnelligkeit unserer Operationen begegnet werden; ob ein solches überhaupt in Betracht kommen werde, sei angesichts der Haltung Japans mehr als fraglich.

Trete der Fall 2 – Lahmlegung Frankreichs durch einen Bürgerkrieg – ein, so sei infolge Ausfall des gefährlichsten Gegners die Lage jederzeit zum Schlag gegen die Tschechei auszunutzen.

In gewissere Nähe sähe der Führer den Fall 3 gerückt, der sich aus den derzeitigen Spannungen im Mittelmeer entwickeln könne und den er eintretendenfalls zu jedem Zeitpunkt, auch bereits im Jahre 1938, auszunutzen entschlossen sei …

Wenn Deutschland diesen Krieg zur Erledigung der tschechischen und österreichischen Frage ausnutze, so sei mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß England – im Kriege mit Italien liegend – sich nicht zu einem Vorgehen gegen Deutschland entschließen würde. Ohne die englische Unterstützung sei eine kriegerische Handlung Frankreichs gegen Deutschland nicht zu erwarten.

Der Zeitpunkt unseres Angriffs auf die Tschechei und österreich müsse abhängig von dem Verlauf des italienisch-englischfranzösischen Krieges gemacht werden und läge nicht etwa gleichzeitig mit der Eröffnung der kriegerischen Handlungen dieser drei Staaten. Der Führer denke auch nicht an militärische Abmachungen mit Italien, sondern wolle in eigener Selbständigkeit und unter Ausnutzung dieser sich nur einmal bietenden günstigen Gelegenheit den Feldzug gegen die Tschechei beginnen und durchführen, wobei der Überfall auf die Tschechei ‚blitzartig schnell‘ erfolgen müsse.

Feldmarschall von Blomberg und Generaloberst von Fritschwiesen bei der Beurteilung der Lage wiederholt auf die Not- wendigkeit hin, daß England und Frankreich nicht als unsere Gegner auftreten dürften, und stellten fest, daß durch den Krieg gegen Italien das französische Heer nicht in dem Umfange gebunden sei, daß es nicht noch mit Überlegenheit all unserer Westgrenze auf den Plan treten könne. Die mutmaßlich an der Alpengrenze gegenüber Italien zum Einsatz gelangenden fran- zösischen Kräfte veranschlagte Generaloberst von Fritsch auf etwa 20 Divisionen, so daß immer noch eine starke französische Überlegenheit an unserer Westgrenze bliebe, der als Aufgabe nach deutschem Denken der Einmarsch in das Rheinland zu unterstellen sei, wobei noch besonders der Vorsprung Frank- reichs in der Mobilmachung in Rechnung zu stellen und zu berücksichtigen sei, daß abgesehen von dem ganz geringen Wert unseres derzeitigen Standes der Befestigungsanlagen – worauf Feldmarschall von Blomberg besonders hinwies – die für den Westen vorgesehenen vier mot[orisierten] Divisionen mehr oder weniger bewegungsunfähig seien. Hinsichtlich unserer Offensive nach Südosten machte Feldmarschall von Blomberg nachdrücklich auf die Stärke der tschechischen Befestigungen aufmerksam, deren Ausbau den Charakter einer Maginot-Linie angenommen hätte und unseren Angriff aufs Äußerste erschwere.

Generaloberst von Fritsch erwähnte, daß es gerade Zweck einer durch ihn angeordneten Studie dieses Winters sei, die Möglichkeiten der Führung der Operationen gegen die Tschechei unter besonderer Berücksichtigung der Überwindung des tschechischen Festungssystems zu untersuchen; der Generaloberst brachte ferner zum Ausdruck, daß er unter den obwaltenden Verhältnissen davon absehen müsse, seinen am 10. 11. beginnenden Auslandsurlaub durchzuführen. Diese Absicht lehnte der Führer mit der Begründung ab, daß die Möglichkeit des Konfliktes noch nicht als so nahe bevorstehend anzusehen sei. Gegenüber dem Einwand des Außenministers, daß ein italienisch-englisch-französischer Konflikt noch nicht in so greifbarer Nähe sei als es der Führer anzunehmen schiene, stellte der Führer als den ihm hierfür möglich erscheinenden Zeitpunkt den Sommer 1938 hin. Zu den seitens des Feldmarschalls von Blomberg und des Generalobersten von Fritsch hinsichtlich des Verhaltens Englands und Frankreichs angestellten Überlegungen äußerte der Führer in Wiederholung seiner bisherigen Ausführungen, daß er von der Nichtbeteiligung Englands über zeugt sei und daher an eine kriegerische Aktion Frankreichs gegen Deutschland nicht glaube. Sollte der in Rede stehende Mittelmeerkonflikt zu einer allgemeinen Mobilmachung in Europa fuhren, so sei unsererseits sofort gegen die Tschechei anzutreten, sollten dagegen die am Kriege nicht beteiligten Mächte ihr Desinteressement erklären, so habe sich Deutschland diesem Verhalten zunächst anzuschließen.

Generaloberst Göring hielt angesichts der Ausführungen des Führers es für geboten, an einen Abbau unseres militärischen Spanienunternehmens zu denken. Der Führer stimmt dem insoweit zu, als er den Entschluß einem geeigneten Zeitpunkt vorbehalten zu glauben solle.

Der zweite Teil der Besprechungen befaßte sich mitmateriellen Rüstungsfragen.

Für die Richtigkeit:*Oberst d. G. gez. Hoßbach

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