Warum ich für einen anderen ersten Ansatz bei zu hohem Alkohohlkonsum bin

Das Nie-Wieder-Alkohol Dogma

Ich halte es für ein großes Problem, dass die meisten Webseiten rund um Alkoholsucht, Ratgeberbücher, Beratungsstellen, Ärzte, Suchtberater und Psychologen direkt zu lebenslanger Abstinenz raten, wenn es um einen möglicherweise zu hohen Alkoholkonsum geht.

Nicht, dass ich nichts von lebenslanger Abstinenz halte, ganz im Gegenteil. Ich trinke selber seit Anfang 2020 nichts mehr und kann mir auch nicht vorstellen, nochmals zur Flasche zu greifen. Aber für mich – und viele andere auch – war diese Empfehlung vorerst fatal.


Wie der Abstinenz-Rat mich vom weniger Trinken abhielt

Warum bin ich also dagegen, direkt diesen Rat auszusprechen?

Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich in einer frühen Phase des Abrutschens in meine Alkoholsucht immer mal wieder online Selbsttests gemacht habe, mit meinem Hausarzt und nicht nur einmal sogar mit Suchtberatungsstellen gesprochen habe.

Das Ergebnis war am Ende immer, dass ich einen mehr als kritischen Konsum habe und in der Konsequenz nie mehr etwas trinken dürfe. Punkt. „Geht es nicht auch anders?“ – „Nein, das schaffen Sie nicht, Abstinenz ist der einzige Weg.“

Und damit war erstmal raus. Zu unerträglich war für mich als ursprünglicher Genusstrinker die Vorstellung, nie mehr wieder ein gutes Glas Rotwein, ein ausgefallenes Bier, oder einen besonderen Whisky trinken zu können. Hätte man mir hingegen gesagt: „OK, Ihr Konsum ist eindeutig zu hoch, aber wir schauen erst mal, ob und wie wir das reduzieren können.“ hätte ich das akzeptiert und hätte mich darauf eingelassen, mich mit professioneller Begleitung meinem Alkoholproblem zu stellen. So steckte ich dann aber den Kopf in den Sand und trank weiter. Bis ich einen richtig gefährlichen Konsum hatte.

Erst später, als mir die Option kontrolliertes Trinken mit Unterstützung von Naltrexon, angeboten wurde, ließ ich mich darauf ein. Und als ich dann feststellen musste, dass dieses Konzept bei mir nicht funktionierte, wurde mir klar, dass ich einen Weg finden muss, komplett trocken zu werden. Ich brauchte also diesen Zwischenschritt, um das Ausmaß des Problems zu erkennen und um dann angesichts meines Scheiterns die für mich einzig richtige Entscheidung treffen zu können.

Die knallharte Aussage, dass ich von 200 auf 0 abbremsen müsse, war für mich vorher einfach zu abschreckend und hat mich davon abgehalten, mich meinem Problem zu stellen. Und ich weiß aus Gesprächen mit vielen Menschen, die auch zu viel trinken, dass es bei Ihnen nicht anders ist. Ein Abbremsen von 200 auf 100 hätte ich aber direkt akzeptiert, ja habe nach Wegen danach gesucht. Hätte man mir diesen sanfteren Weg früher angeboten, hätte ich vielleicht früh genug die Reißleine gezogen und könnte heute noch bei der ein oder anderen Gelegenheit mit einem Glas Wein oder Sekt anstoßen. Oder ich hätte schneller gemerkt, dass Alkohol und ich einfach nicht zusammenpassen und hätte meinen Mitmenschen und mir viel Leid ersparen können.

Was also tun, wenn man zu viel Alkohol trinkt?

Wenn ich meinem früheren Ich einen Rat geben könnte, wäre der im Grunde, wirklich nichts mehr zu trinken, so glücklich bin ich inzwischen mit der Entscheidung. Sollten Sie sich ein abstinentes Leben für sich vorstellen können, sollten Sie aus meiner Sicht nicht zögern und entsprechende Schritte unternehmen. Bei mir weiß aber leider, dass mein früheres Ich das nicht akzeptiert hätte.

Und daher würde ich mir raten, dass ich ehrlich zu mir sein soll, was meinen Alkoholkonsum angeht und diesen immer wieder zu hinterfragen, z.B. auch durch regelmäßige Selbsttests. Ja, diese mögen für viele trivial und banal erscheinen, aber geht man mit offenem Geist an sie heran, können Sie einem wirklich helfen, sich bewusster mit seinem Konsum auseinanderzusetzen. Einige habe ich hier zusammengefasst, wobei der LAST Test der aussagekräftigste sein dürfte.

Der nächste Rat wäre dann, nicht nur selbst nach Wegen zu suchen, weniger zu trinken, sondern den Hausarzt oder eine andere fachkundige Person hinzuziehen und diese ins Vertrauen zu ziehen, dass man nach Wegen sucht, weniger Alkohol zu trinken. Und diese können einem dann auch helfen, wenn dieser Versuch nur eine Zwischenstation war.

Auf jeden Fall sollten Sie nie zulassen, dass der Alkohol Sie kontrolliert, sondern Sie sollten den Alkohol kontrollieren!

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