Meinung: Warum man den Verkauf der kleinen Schnapsflaschen an Supermarktkassen nicht staatlich regulieren sollte

Das Problem der kleinen Flaschen

Karl Lauterbach hat mit einem tweet für Aufsehen gesorgt, in dem er den Verkauf der kleinen Schnapsflaschen an Supermarktkassen kritisiert.

Über diese Art Regale an der Supermarktkasse muss gesprochen werden. Hier werden Menschen mit Alkoholkrankheit gezielt gefährdet. Das ist eine unethische Form der Werbung.

Ich selbst bin Alkoholiker. Und auch ich habe mir früher diese kleinen Flaschen gekauft. Und ja, die meisten Kunden dieser kleinen Flaschen werden ein Alkoholproblem haben, an deutschen Autobahnraststätten ist eine der häufigsten um 7h früh verkauften Kombis die kleine Flasche und dazu der Kaugummi, wie mir einmal jemand von Tank&Rast erzählte.

Jetzt bin ich trocken und trinke nichts mehr. Und dennoch bin ich gegen ein Verbot der kleinen Flaschen und deren Präsentation an Kiosken oder Tankstellen- und Supermarktkassen.

Wenn ich mir meine persönliche Alkoholgeschichte so anschaue, haben diese kleinen Fläschchen mit Vodka, Jägermeister, Korn und Whisky darin natürlich auch eine Rolle gespielt. Ob sie meinen Konsum befördert haben – mein erster harter Alkohol mittags an einem Arbeitstag war immerhin einmal so ein kleines Fläschchen – oder nicht doch eher gebremst haben – ich habe mir anfangs extra nur die ganz kleinen Alkoholfaschen gekauft, damit es nicht aus dem Ruder läuft – ist höchst spekulativ. Wahrscheinlich hätte es nicht viel geändert, sondern mich nur in der Beschaffungslogistik noch mehr gestresst (ich könnte jetzt Geschichte, erzählen, was ich in Ländern angestellt habe, wo es diese kleinen Flaschen nicht gibt) und noch schneller für einen höheren Konsum gesorgt – denn am Ende habe ich so oder so nur noch die großen Flaschen gekauft, trotz der Verfügbarkeit der kleinen Portionen.

Und wenn ich jetzt die kleinen Flaschen sehe, löst das in mir nichts spezielles mehr aus. Jedenfalls nichts anderes, als wenn ich an großen Flaschen vorbeigehe, Leuten beim Sekt zuschaue oder in einer Talkshow höre, dass Karl Lauterbach Rotwein für gesund hält. Alkohol ist in unserer Gesellschaft sowieso allgegegenwärtig.

Natürlich mag es auch wieder individuelle Fälle geben, bei denen die kleinen Flaschen ein Problem sind. Sie zu verstecken, wird aber auch bei diesen Menschen nichts zugrundeliegendes lösen.

Wollen wir den Nanny-State?

Ich möchte aber auch nicht in einem Nanny-State leben, der alles kontrolliert und reguliert. Ich möchte in einem Staat leben, der liberal ist, sich zurücknimmt, auf die großen Themen konzentriert und auf die Eigenverantwortung seiner Bürger setzt, ja auch die des Suchtkranken. Und das darf ich als Suchtkranker, der ich mein Leben lang bleiben werde, auch so schreiben. Eine Regulierung der Werbung und dieser Form der Warenpräsentation wäre jedenfalls eine solche Einmischung in ein Klein-Klein, die ich allein schon deswegen für falsch halte. Die Supermärkte können ja von sich aus aktiv werden.

Viel wichtiger ist aber noch abseits von dieser vielleicht ideologischen Sichtweise: Ein Verbot dieser Warenpräsentation wäre reine Augenwischerei und würde am Grundproblem nichts ändern.

Wenn man das Thema Alkoholismus und Alkoholmissbrauch in der Gesellschaft ernsthaft angehen will, muss man zunächst offen über das Problem sprechen und eine neue Offenheit im Umgang mit dem Thema Sucht in der Gesellschaft schaffen. Dazu ist Lauterbachs tweet immerhin ein kleiner Beitrag. Zur Wahrheit gehört aber auch klar zu sagen, dass die kleine Flasche an der Tankstelle genau so eine Manifestierung des Problems darstellen kann wie die Zelebrierung eines Château Léoville Las Cases Saint-Julien AC, 2ème Cru Classé, eines Glenfarclas 26 Jahre Oloroso Sherry Casks, Sierra Nevada Torpedo Extra IPA oder Roederer Cristall. Denn um ehrlich zu sein war das der Einstieg in mein Problem, nicht die kleinen Fläschchen.

Viel wichtiger ist aber, dass die Menschen, die sich diesem Problem stellen wollen, auch Hilfe bekommen. Es braucht mehr Anlaufstellen für Alkoholiker, die weniger oder nichts mehr trinken wollen, mehr Plätze und Personal in Suchtkliniken, mehr Psychologen und Therapeuten. Es braucht auch einen ganz neuen Blick auf Therapieformen. Aber all das zu ändern, würde Geld kosten und Arbeit machen.

Mit wohlfeilem Aktionismus wirkt man jedenfalls nicht gegen Alkoholismus.

Aber immerhin – mit Lauterbachs tweet ist eine Diskussion über die Rolle von Alkohol in der Gesellschaft eröffnet.

Wenn Sie übrigens Ihren Konsum selbst hinterfragen wollen, geht das am ganz schnell mit dem LAST Test

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