Warum Jared Kushner nicht der Leibhaftige an sich ist

Kaum gibt es Gerüchte, dass Jared Kushner, der Ehemann von Trumps Tochter Ivanka, CEO von twitter werden könnte, eskaliert Deutsch-Twitter wieder. Selbst gemäßigte und besonnene Köpfe, die sich von den bisherigen wilden Wochen auf der Plattform nicht beeindrucken ließen, kündigen für diesen Fall schon an, Twitter dann den Rücken zu kehren.

Dabei ist der Blick auf Kushner aus Deutschland heraus mal wieder sehr einseitig. Klar, er ist der Schwiegersohn von Donald Trump und war während dessen Präsidentschaft einer seiner wichtigsten Berater. Und natürlich kann man auch über Vetternwirtschaft rund um seine Immobilienfirmen reden oder darüber, dass sich auch der saudische Staatsfond an seiner Investment Firma beteiligt.

Von Kontaktschuld halte ich nicht viel, die Saudis investieren auch in andere Unternehmen. Und auch wenn es natürlich auch negative Seiten bei ihm gibt, die – sollte er tatsächlich eine wichtige Rolle bei twitter einnehmen – alle hervorgekramt werden.

Aber auch ein Kushner ist nicht der Leibhaftige an sich, weswegen ich auf einige andere Aspekte hinweisen möchte, mit denen man sich befassen sollte, bevor man ein vorschnelles Urteil fällt. Und das ganz unabhängig von der twitter Diskussion:

  • Kushner kaufte 2006 den The New Yorker Observer und machte die kriselnde Zeitung profitabel. Im April 2016 war der New York Observer zwar eine der wenigen Zeitungen, die den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump in den Vorwahlen offiziell unterstützten, aber die Zeitung entschied sich am Ende des Wahlkampfs, überhaupt keinen Präsidentschaftskandidaten zu empfehlen. Die Huffpost schrieb: „Donald Trump Will Not Get His Son-In-Law’s Newspaper’s Endorsement“
  • Jared Kushner ist grundsätzlich Anhänger der Demokraten. 2008 spendete er für den Wahlkampf von Hillary Clinton, und seine Zeitung, der New York Observer, unterstützte bei den Präsidentschaftswahlen 2008 Barack Obama gegenüber John McCain. 2014 spendete er weiterhin an demokratische Gruppen, wandte sich dann aber 2015 dem Trump Team zu.
  • Kushner war innerhalb der Trump-Administration ein starker Befürworter des überparteilichen Gesetzes zur Strafrechtsreform „Formerly Incarcerated Reenter Society Transformed Safely Transitioning Every Person Act“ (FIRST STEP ACT, H.R. 5682). Mit dem recht progressiven Gesetz wurden mehrere Reformen des amerikanischen Strafvollzugs- und Strafjustizsystems umgesetzt, wobei unter anderem die Strafen für bestimmte nicht gewalttätige Straftäter reduziert und Gefängnisprogramme zur Verringerung der Rückfälligkeit verbessert wurden. Nach Medienberichten soll Trump später bedauert haben, dass er Jared Kushners Meinung bei der Verabschiedung des First Step Act folgte. Er wird mit den Worten: „“No more of Jared’s woke shit“ zitiert.
  • Der von Trump am 28. Januar 2020 auf einer Pressekonferenz im Weißen Haus an der Seite des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu vorgestellte Friedensplan für den israelisch-palästinensischen Konflikt wurde federführend von Kushner erarbeitet. Der Plan bot den Palästinensern einen bedingten Weg zu einem unabhängigen Staat mit festgelegten Grenzen. Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar, Bahrain, Ägypten und der Libanon sahen viele Elemente des Plans positiv.
  • Eine Initiative von Kushner führte dazu, dass es im August 2020 zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den Vereinigten Arabischen Emiraten und Israel kam. Es folgte das ersten Abraham-Abkommen, das erste Normalisierungsabkommen zwischen Israel und einem arabischen Land seit der Normalisierung der Beziehungen zu Jordanien im Jahr 1994. Der erste kommerzielle Flug von Israel in die Vereinigten Arabischen Emirate landete später in Abu Dhabi mit einer US-amerikanischen israelischen Delegation unter Leitung von Kushner.
  • Stunden nach der Bekanntgabe der von den USA vermittelten Normalisierungsabkommen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten am 13. August riefen hohe bahrainische Beamte Kushner an und teilten ihm mit: „Wir wollen die nächsten sein.“. Auch dies endete mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen und weiteren Abkommen.
  • Am 4. September 2020 kündigte der Kosovo an, dass er beabsichtige, seine Beziehungen zu Israel im Rahmen eines Wirtschaftsabkommens zu normalisieren, das die Vereinigten Staaten zwischen ihm und Serbien vermittelt hatten. Die Verhandlungen wurden mit Unterstützung von Kushner geführt.
  • Am 23. Oktober 2020 vereinbarten Israel und der Sudan die Normalisierung ihrer Beziehungen. Auch hier führte Kushner die Verhandlungen.
  • Am 10. Dezember 2020 gab Trump bekannt, dass Israel und das Königreich Marokko vereinbart haben, volle diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Auch dieses Abkommen hatte Kushner maßgeblich ausgehandelt.
  • Ende 2020 war Kushner ebenfalls federführend an der Lösung der die diplomatische Krise in Katar beteiligt; mehr dazu z.B. hier.
  • Für seine Bemühungen im Nahen Osten wurde Kushner zweimal für den Friedensnobelpreis nominiert.
  • Kushner überzeugte Trump davon, nicht aus dem Handelsabkommen NAFTA auszusteigen. Das folgende US–Mexico–Canada Agreement wäre ohne Kushners Bemühungen nicht zustande gekommen. In Anerkennung dieser Bemühungen verlieh der mexikanische Präsident Peña Nieto Kushner den Orden des Aztekenadlers, die höchste Auszeichnung Mexikos, die einem nicht-mexikanischen Staatsbürger verliehen wird, und nannte Kushner einen „großen Verbündeten“ Mexikos und einen „wichtigen Akteur“ in den Beziehungen zwischen den USA und Mexiko.
  • Kushner beteiligte sich nicht an den Versuchen der Trump-Administration, die Präsidentschaftswahlen 2020 in den Vereinigten Staaten zu kippen. Vielmehr traf er sich schon früh mit Vertretern der Biden-Administration, z.B. Jake Sullivan und Jeffrey Zients, um den Machtwechsel vorzubereiten.

Soweit einige Fakten, die man in Deutschland vielleicht weniger kennt.

Und wenn man schon das familiäre Umfeld wegen der angeheirateten Trump Verwandtschaft kritischen sehen will, sollte man auch auf die andere Seite seiner Familie schauen: Sein Vater war mit Bill Clinton und Hillary Clinton befreundet und unterstützte Clintons Wahlkampf nicht nur finanziell. Und Jareds Großeltern väterlicherseits, Reichel und Joseph Kushner, waren Holocaust-Überlebende, die 1949 aus Navahrudak (heute Weißrussland) in die USA kamen. Während des Holocausts war Reichel führend an der Flucht aus dem Ghetto Navahrudak beteiligt, indem er an einem Tunnel aus dem Ghetto heraus mitarbeitete ; später war er Mitglied der Bielski-Partisanen. Morris Stadtmauer war Jareds Großvater mütterlicherseits.

Jared Kushner ist jedenfalls sicher eine komplexe Persönlichkeit, die nicht nur auf negative oder positive Aspekte reduziert werden kann.

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