Meinung: Schnelle Anmerkungen zu Anne Spiegel und ihrem Rücktritt

Ich habe mich heute aufgrund des politischen Drucks entschieden, das Amt der Bundesfamilienministerin zur Verfügung zu stellen. Ich tue dies, um Schaden vom Amt abzuwenden, das vor großen politischen Herausforderungen steht.

Bundesfamilienministerin Anne Spiegel ist am 11. April 2022 zurückgetreten – und das ist gut so. Auch wenn sie ausweislich ihrer hier zitierten Rücktrittserklärung die Fehler immer noch nicht bei sich sieht, ist der Rücktritt ein wichtiges Signal. Denn politisch war er mehr als überfällig: Sie hat sich nicht nur während der Flut im Ahrtal 2021 – verharmlosende Pressemitteilung, Nichterreichbarkeit – und danach – vierwöchiger Urlaub – nicht ihrer Verantwortung gestellt, sondern über die Umstände nicht die Wahrheit gesagt: so hieß es zunächst von ihr, sie habe während Ihres Urlaubs an allen Kabinettsitzungen teilgenommen, doch die Protokolle zeigten, dass sie bei  keiner einzigen zugegen war.

Zu einzelnen Bereichen, die nun nach dem Rücktritt diskutiert werden, möchte ich kurz etwas anmerken, nicht zuletzt, da ich mich auf twitter auch deutlich für ihren Rücktritt ausgesprochen habe,

1. Rücktritt nur, weil sie eine grüne Frau ist?

Im Nachgang meinen nun viele, die ihr wohlgesonnen sind, dass sie nur zum Rücktritt gedrängt worden sei, weil sie eine grüne Frau sei, nicht wegen der Sache. Letztlich müsste man das nicht vertiefen, denn die objektiven Gründe, die einen Rücktritt zwingend machten, lagen vor.

Fehler sollten aber immer unabhängig von Geschlecht, Parteizugehörigkeit, persönlicher Sympathie und Ideologie beurteilt werden. Und so schrieb ich auch auf twitter:

Man kann übrigens auch der Meinung sein, dass einerseits #AnneSpiegel dringend zurücktreten sollte und dass andererseits Annalena Baerbock eine gute Außenministerin ist. Nennt man differenzierte unideologische Sichtweise.

Diese differenzierte Sichtweise würde ich mir auf allen Seiten wünschen: Dass Politiker nicht nur wegen ihres Geschlechts angegriffen, aber auch nicht nur wegen ihres Geschlechts verteidigt werden.

2. Mehr Verantwortungsgefühl tut not – auch um der politischen Diskussionskultur willen

Weiter wünsche ich mir, dass sich Politiker wieder vermehrt ihrer Verantwortung stellen. Das Festkleben am Amt auch bei größeren Verfehlungen führt dazu, dass die Angriffe in Medien und sozialen Netzwerken aus Unverständnis darüber immer härter und persönlicher wurden. Das Hinzauszögern eines unvermeidlichen Rücktritts vergiftet damit auch die politische Diskussionskultur.

3. Über die Vereinbarkeit von Privatleben und Politik

Auch über die Vereinbarkeit von Privatleben im allgemeinen bzw. Familie im besonderen und Politik wird jetzt viel diskutiert. So schrieb Inke Hummel auf twitter:

Worüber ich nachdenke: In Krisensituationen bei der Arbeit darf man die eigene Familie nicht über den Job stellen? Hab ich auch schon gemacht und wichtige Akutberatungen abgesagt.

Natürlich darf und soll man das – wichtig ist aber auch, dass man das dann offen kommuniziert. Hätte Anne Spiegel vor Ihrem Urlaub z.B. gesagt:

Ich befinde mich derzeit in einer privaten Ausnahmesituation, in der meine volle Aufmerksamkeit der Familie gelten muss. Daher kann ich mich den Herausforderungen, die sich durch die Flutkatastrophe im Ahrtal ergeben, nicht im erforderlichen Umfang stellen. Meine Staatssekretärin übernimmt für vier Wochen meine Aufgaben. Hierfür bitte ich Sie um Verständnis.

so wäre dies sicher mit viel Respekt aufgenommen worden – und es ist auch nicht beispiellos: viele Politikerinnen und Politiker haben sich aufgrund ihrer privaten Situation zeitweise aus der Politik zurückgezogen, um für ihre Familien oder für sich selbst dazu sein. Wenn das offen kommuniziert wird und die Aufgaben verteilt werden, ist das gar kein Problem.

Ganz im Gegenteil: es kann ein wichtiges Signal sein, dass Arbeit nicht alles im Leben ist.

4. An einen Bundesminister gelten aber auch hohe Anforderungen

Was ich aber auch sagen muss: ich kenne einige Menschen mit politischer Verantwortung privat. Und das was diese leisten, ist mit einem normalen 9to5 Job nicht vergleichbar, ja auch nicht mit vielen Führungspositionen in der Wirtschaft. Ein hohes politisches Amt fordert einen extrem stark und die Belastung geht auch weit ins Private hinein.

Nicht umsonst legen Kanzler und Minister folgenden Amtseid ab:

Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.“

Dies zeigt schon, dass es hier eben nicht um einen normalen Job, sondern um eine besondere, einen voll fordernde Aufgabe geht.

Wer sich dieser enormen Belastung und Verantwortung z.B. als Bundesminister stellt, sollte sich vorher fragen, ob er dieser gewachsen ist. Und das gilt für Männer und Frauen gleichermaßen.

5. Posten sollten nur nach Qualifikation besetzt werden

Zuletzt wünsche ich mir, dass verantwortungsvolle politische Positionen vornehmlich aufgrund der Qualifikation und nicht aufgrund sachfremder Erwägungen besetzt werden.

6. Raus aus den Echokammern

Ricarda Lang hielt eine Rücktritt Spiegels am Montag für eine Weile für nicht mehr notwendig, da es auf twitter doch so viel Rückhalt für ihr emotionales Statement gegeben habe. Ja, das gab es – in einer kleinen grünen Bubble, die ganz überwiegende auch wohlwollende Meinung sah keine Alternative zum Rückzug.

Wenn man sich eigene unkritische Echokammern schafft, indem man Accounts mit abweichenden Meinungen blockt, wie Frau Lang es übrigens recht konsequent tut, so unterliegt man schnell fatalen Fehleinschätzungen.

7. Die Diskussionskultur muss besser werden

Politik ist ein schweres und oft noch schmutziges Geschäft.  Schwer wird es es immer bleiben. Aber wir alle sollten daran arbeiten, dass sie weniger schmutzig wird.

Durch Fairness, Anstand und Ehrlichkeit. Auf allen Seiten.

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