Gastbeitrag: Das unheilvolle Geheimtreffen – Warum die Potsdamer Konferenz alles andere als harmlos ist

Seit einigen Tagen geht vor allem eine Meldung durch die Medien. In einem Landhotel bei Potsdam fand eine private Veranstaltung statt, zu der gut ein Dutzend Unternehmer, Politiker und prominente Vertreter der neuen Rechten eingeladen waren. Das Thema: Abschiebungen. Mit dabei waren szenebekannte Neonazis, führende Köpfe rechtsextremer Bewegungen und Politiker der AfD.

Man muss fairerweise dazu sagen, dass das keine Parteiveranstaltung war und nur sehr wenige AfD Politiker dort anwesend waren. Dennoch ist es extrem beunruhigend, dass extremistische Kräfte auf diese Weise Zugang zum parlamentarischen System erhalten. Wenn ein enger Vertrauter, der angeblich „gemäßigten“ AfD Chefin, sich an Treffen mit ausgewiesenen Rechtsextremisten beteiligt, zeigt das, wie groß die Einflusskanäle von extrem Rechten in der AfD sind.

Dabei geht es hier nicht darum, dass die Abschiebungen das Problem sind, wie einige aktivistische Linke versuchen zu suggerieren. Die politische Mitte muss sich unbedingt mit der Frage beschäftigen, wie man die mehreren hunderttausend abgelehnten Asylbewerber, die teilweise seit Jahren ausreisepflichtig sind, möglichst schnell, effizient und human zurückführt. Oder wie Jens Spahn sagt: „Entweder die politische Mitte löst die Migration oder die Migration löst die Mitte [auf]“. Doch das war nicht das einzige Thema bei dem Treffen. Wenn man den Berichten Glauben schenken möchte, dann ging es auch um die konkrete Ausgestaltung von Plänen, um unter Umständen auch deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund auszubürgern und abzuschieben. Das wäre evident verfassungswidrig. Als wenn das nicht schon schlimm genug wäre, soll es den Berichten zufolge auch um die gezielte Diskriminierung und Ungleichbehandlung von Deutschen mit Migrationshintergrund sowie um das massenhafte Anzweifeln von Wahlergebnissen– ein demokratietheoretischer Tabubruch – gegangen sein.

All dies entlarvt die gefährliche Geistesart der radialen (neuen) Rechten. Wenn es dem höheren Ziel dient, die „ethnische Eigenständigkeit“ (Höcke) aufrechtzuerhalten, werden Abstriche bei Law and Order gemacht.


Die Rechtsstaatlichkeit wird immer wieder zum Sündenfall der Rechten. 


Dort entscheidet sich, ob die Rechten legitimer Teil des politischen Systems und Wettbewerber im demokratischen Diskurs sind oder demokratiezersetzende Systemfeine an denen die liberale westliche Zivilisation letzten Endes zu Grunde geht.

Hier liegt auch der entscheidende Unterschied, zwischen Rechten und klassisch Liberalen sowie liberalen Konservativen. Der Liberale will einen Staat dessen Macht klar begrenzt ist. Durch Gewaltenteilung und unantastbare Freiheitsrechte soll sichergestellt werden, dass die Macht in den falschen Händen nicht missbraucht werden kann. Die Rechtsstaatlichkeit und die Abwehrrechte der Bürger gegen einen übergriffigen Staat sind im Liberalismus heilig. Und auch den Konservativen zeichnet eine gesunde Skepsis gegen vermeintliche Gewissheiten, und radikale Maßnahmen aus. Nicht wenige Rechte aber wollen einen starken Staat. Einen Staat, der ihre Ordnung durchsetzt und dazu teilweise auch drastische Maßnahmen und drakonische Eingriffe in die Freiheit Einzelner ausüben darf.

Die Idee, dass das Recht in Ausnahmefällen hinter einem größeren Ziel zurücktreten muss, ist nicht neu. Als Vorbild für etwaige Gedanken gilt die Rechte in den 1920er Jahren, allen voran der Jurist Carl Schmitt. Carl Schmitt war ein bedeutender Staatsrechtler und politischer Philosoph im 20 Jahrhundert. Er war jedoch auch überzeugtes NSDAP Mitglied, glühender Antisemit und half auf intellektueller Ebene dabei, die brutalen Morde der Nationalsozialisten, im Zuge des angeblichen Röhm-Putsches, zu legitimieren. Anhänger hat Carl Schmitt seit einigen Jahren wieder vermehrt in den Reihen der neuen Rechten, auch Höcke und der österreichische Rechte Martin Sellner verweisen in ihren Werken auf Carl Schmitt. Sellner – Chef der rechtsextremen Identitären Bewegung – war es, der auf dem Potsdamer Treffen den „Masterplan“ für massenhafte Abschiebungen vorgestellt hatte.

Neben seinem starken Freund/Feind-Denken ist Schmitt auch für seine Gedanken zum Ausnahmezustand und zur Diktatur als ordnungssichernde Maßnahme bekannt. So könne laut Schmitt, der häufig als „Kronjurist des Dritten Reiches“ rezipiert wird, der Erhalt der einer bestimmten Ordnung unter Umständen Vorrang vor der jeweiligen Verfassung haben. Dies beinhalte auch die Möglichkeit einer Diktatur als legitimes Mittel, um eine bedrohte Ordnung oder „Normalität“ wiederherzustellen – ein Gedanke der Tür und Tor zu Tyrannei und Totalitarismus öffnet. Ist die Rechtsstaatlichkeit einmal aus der Hand gegeben, wer garantiert, dass die Regierung auch so freundlich sein wird, ihre Macht wieder abzugeben? Die jüngere Geschichte ist voller Beispiele von Machthaben, die ihre Sondervollmachten nie wieder von sich aus abgegeben haben.

Der Höcke-Mann und Spitzenkandidat für die Europawahl Maximilian Krah zeigt auch unabhängig von dem Potsdamer Treffen, wie tief diese Gedanken in der Mitte der AfD angekommen sind. In seinem Buch schreibt das Bundesvorstandsmitglied:

Wenn sich die Verfassung in ihrer Rechtspraxis gegen ihre Voraussetzung wendet, dann muß die politische Rechte grundlegend argumentieren und sich auf das Volkssouverän berufen und darf sich nicht auf verfassungsrechtliche Spitzfindigkeiten reduzieren.“
(Seite 79/80)

Ja Höcke ist sogar, der Ansicht, um „wieder zu einem vollwertigen, eigenständigen und differenzierten Volk zu werden“ brauche es „eine fordernde und fördernde Elite, die unsere Volksgeister wieder weckt.“

Liberale Eigenverantwortung und das konservative Prinzip der Subsidiarität? Fehlanzeige! In der politischen Philosophie Höckes muss der Staat eingreifen und die Eliten müssen den Deutschen auf die Spur helfen. Höcke und Krah machen ihre Verachtung des Liberalismus an vielen Stellen deutlich. Als ausgewiesener Feind des Liberalismus galt auch der eben erwähnte Carl Schmitt. Nun, der Liberalismus hatte es in Deutschland immer schon schwer. Ein deutscher Javier Milei lässt leider noch auf sich warten.

Diese rechte Abkehr von dem unbedingten Primat der Rechtsstaatlichkeit ist auch in anderen Teilen der Welt zu beobachten. Donald Trumps Äußerung, er wolle nach seiner Wahl nur für einen Tag lang Diktator sein zeigt ebenjenen Tabubruch, der gezielt mit dem Autoritären spielt.

Auch die aktivistische Linke sympathisiert derzeit mit dem Notstand. So macht sich in einem Teil der Klimabewegung die Überzeugung breit, dass die ökologische Transformation – verbunden mit Verzicht und Herausforderungen für große Teile der Bevölkerung – zur Not eben ohne demokratische Mehrheiten vollzogen werden muss. Die Argumentation, die vielfach auch von Vertretern der Letzten Generation verwendet wird, ist ähnlich wie die von Carl Schmitt oder Maximilian Krah. Um die derzeitige Ordnung – Demokratie, Rechtsstaat, Verfassung – zu retten, muss zwischenzeitlich auf „verfassungsrechtliche Spitzfindigkeiten“ (Krah) verzichtet werden. Immer wieder argumentieren die Aktivisten, man müsse jetzt handeln, um Demokratie und Rechtsstaat für die zukünftigen Generationen zu garantieren, auch wenn das bedeute, die Einhaltung von geltendem Recht in der Gegenwart nicht so genau zu nehmen.

Aus liberal-staatstheoretischer Sicht muss die rechte, ebenso wie die linke Einmischung in die Privatsphäre des Individuums auf ein absolutes Minimum gehalten werden. Wer nicht möchte, dass ihm Linke oder Grüne in der Regierung vorschreiben, was er zu sagen, zu essen oder zu tanken hat, wie er zu heizen und wie viele Stunden am Tag er höchstens zu arbeiten hat, dann muss er sich für einen Staat einsetzten, der in seiner Einflusssphäre klare Grenzen hat. Dazu gehört aber auch, dass der Staat dann nicht die Macht haben kann und darf, zu entscheiden, wer ein richtiger Deutscher ist und wer nicht. Wie mein Politikprofessor sagte „Sie können den Keks nicht essen und behalten“.

Einen übergriffigen linken Staat zu beklagen und gleichzeitig für einen Staat einzustehen, der seine Staatsbürger – unter Androhung von Ausbürgerung und Umsiedlung – zur Assimilation zwingt, wirkt geradezu schizophren.

Gastbeitrag von „NΞO„.
Das Bild wurde von der Midjourney AI erstellt.

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