Köpfe: Dr. Franz Richter

Der falsche Abgeordnete Dr. Franz Richter

Schaut man in die Angaben des Bundestags, findet man dort einen „Dr. Franz Richter (Niedersachsen)“, der angeblich am 06.06.1911 in Izmir geboren wurde.

Am 07.09.1949 wurde Richter Mitglied des deutschen Bundestages (MdB) für die WAV. Als Beruf vermerkt die Bundestagsverwaltung Lehrer, als Religion ohne Angaben und als Familienstand verheiratet. Am 11.10.1987 verstarb Richter.

Allerdings: Richter hat es nie gegeben: Es handelte sich um die falsche Identität von Fritz Rößler, der am 17. Januar 1912 in Gottleuba, Amtshauptmannschaft Pirna, Königreich Sachsen geboren und dann tatsächlich am 11. Oktober 1987 in Radstadt, Land Salzburg, Österreich verstarb.

Am 1. Oktober 1930 trat Rößler in die NSDAP ein und erhielt die Mitgliedsnummer 319.948. Er war zunächst Propagandaleiter bzw. Ortsgruppenleiter, ab 1935 Schulungsleiter der Gauschulungsburg Augustusburg, dann Gauhauptstellenleiter der NSDAP und deren Fachberater für Ostlandfragen im agrarpolitischen Apparat in Sachsen. 1945 war er in der Reichspropagandaleitung der NSDAP tätig.

Am 30. Mai 1936 heiratete er auf dem Standesamt Gottleuba Ruth Rößler, geborene von Schönberg-Pötting.

Der Identitätsbetrug

Nach 1945 galt Rößler zunächst als verschollen. Um seine Frau erneut heiraten zu können, diesmal unter dem neuen Namen Dr. Franz Richter, gab er am 21. Oktober 1946 vor dem Standesamt in Luthe bei Hannover an Eides statt an, Zeuge des Todes des Hauptmanns Dr. jur. Fritz Rößler gewesen zu sein. Er selbst sei ledig und wolle dessen Witwe heiraten und die Kinder adoptieren. Ferner machte er Angaben zu seiner Person: Dr. Franz Richter, geboren am 6. Juni 1911 in Smyrna (İzmir) in der Türkei, Studium der Philologie in Prag, Studienrat für Geschichte im Sudetenland, von 1940 bis 1945 Soldat und außerdem nie Mitglied der NSDAP gewesen zu sein.

Diese Angaben waren schwer zu überprüfen, da die Unterlagen des Standesamtes von İzmir während des Griechisch-Türkischen Krieges 1922 verbrannt waren und auch die meisten Akten der deutschen Verwaltung im Sudetenland kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges vernichtet worden waren.

So konnte Rößler am 7. November 1946 vor dem Standesamt in Luthe seine – angeblich verwitwete – Frau unter seinem neuen Namen erneut heiraten. Die Kinder behielten den Namen Rößler.

Mit den gefälschten Personalien trat Rößler am 2. April in Idensen und ab 5. Oktober 1946 in Luthe als Volksschullehrer in den niedersächsischen Schuldienst ein. Nach rechtsradikalen und antisemitischen Äußerungen wurde er jedoch am 20. Mai 1949 entlassen.

Karriere als Abgeordneter

Als Mitglied der Deutschen Konservativen Partei – Deutsche Rechtspartei (DKP-DRP) kandidierte er – unterstützt von der Sudetendeutschen Landsmannschaft, die ihn aufgrund seiner Lügengeschichte für einen der ihren hielt – bei der Bundestagswahl 1949 erfolgreich für den Deutschen Bundestag und wurde einer von fünf Abgeordneten der Partei.

Am 28. August 1949 setzte er sich gegen Adolf von Thadden als neuer Landesvorsitzender der DKP-DRP in Niedersachsen durch und wurde auch Mitglied des Bundesvorstandes. Bereits 1949 setzte er sich für eine Generalamnestie für alle NS-Verbrechen ein. Rößler war 1950 auch an der Vereinigung von DKP-DRP und NDP zur Deutschen Reichspartei beteiligt. Er wurde Vorstandsmitglied der neuen Partei, musste dieses Amt aber am 30. April 1950 wegen seiner Kontakte zur SRP-Führung niederlegen.

Im September 1950 wurde er deshalb auch aus der DRP ausgeschlossen und trat der Sozialistischen Reichspartei bei, die er fortan gemeinsam mit dem Bundesvorsitzenden Fritz Dorls im Parlament vertrat.

Vom 13. Dezember 1950 bis zum 26. September 1951 gehörten beide der WAV-Fraktion an, ohne ihre eigene Partei zu verlassen, weshalb er auch als Mitglied der WAV-Fraktion geführt wird – siehe oben.

Im Mai 1951 beteiligte sich Rößler in Malmö (Schweden) an der Gründung der faschistischen Europäischen Sozialen Bewegung. Unter Führung der italienischen MSI schlossen sich Organisationen aus Deutschland, Italien, Österreich, Schweden und der Schweiz zusammen.

Als Abgeordneter „Richter“ fiel er im Bundestag durch seine aggressive Wortwahl auf:

  • Wegen Beleidigung von vier Ministern der niedersächsischen Landesregierung wurde er am 20. Juli 1951 zu vier Monaten Gefängnis verurteilt, wogegen er Berufung einlegte.
  • Während der Debatte über ein erstes Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel hielt er Mitte November 1951 eine antisemitische Rede, die ihm einen Ordnungsruf des Bundestagspräsidenten Hermann Ehlers einbrachte. Am 10. Januar 1952 schloss ihn Bundestagsvizepräsident Hermann Schäfer wegen unparlamentarischen Verhaltens für drei Sitzungstage aus.

Die Enttarnung

Anfang 1952 wurde Richters wahre Identität den Behörden bekannt.

Er wurde am 20. Februar 1952 in der Wandelhalle des Bundestages verhaftet. Dies war trotz seiner parlamentarischen Immunität möglich, da er auf frischer Tat bei einer Urkundenfälschung ertappt wurde, als er sich als „Dr. Richter“ in die Anwesenheitsliste eintrug.

Bundestagspräsident Ehlers hatte daraufhin kurzfristig eine Dringlichkeitssitzung des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunitätsangelegenheiten einberufen, in der dieser nach Kenntnisnahme des Sachverhalts einstimmig die Aufhebung der Immunität Richters für den Deutschen Bundestag beantragte.

Noch am selben Tag, dem 20. Februar 1952, folgte der Bundestag einstimmig der Beschlussempfehlung des Ausschusses und machte damit den Weg für eine Verhaftung und Strafverfolgung frei.

Bereits am nächsten Tag legte Rößler sein Bundestagsmandat nieder.

Am 2. Mai 1952 verurteilte ihn das Landgericht Bonn wegen Urkundenfälschung und anderer Delikte zu 18 Monaten Gefängnis.

Späteres Leben

Nach seiner Haftentlassung zog er zunächst nach Kairo, wo er erneut unter falschen Namen wie Achmed Rössle lebte. Von 1953 bis 1957 trat Rößler auch auf internationalen rechtsextremen Kongressen auf.

1966 kehrte er nach Deutschland zurück und wurde Geschäftsmann in Essen.

Am 11. Oktober 1987 verstarb Richter bei Salzburg.

Bild: Wie sich die Midjourney AI seine Festnahme vorstellt.

Der Text wurde unter Zuhilfenahme von Wikipedia Informationen geschrieben.

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