Meinung: Nein, Musks twitter Amnestie ist kein Dammbruch – sondern eine dringend erforderliche Maßnahme.

Nachdem Elon Musk in einer Umfrage auf twitter darüber entscheiden ließ, ob der Account von Donald Trump wieder freigeschaltet werden solle und sich eine knappe Mehrheit der abstimmenden User dafür entschied, war der Aufschrei in der deutschen Presse groß. Wie konnte er nur. Nun, der Account von Trump ist wieder da, Trump selbst aber nicht. Er treibt sich lieber weiter auf seinem eigenen sozialen Netzwerk Truth Social herum.

Nicht ganz so viel mediale Aufmerksamkeit erhielt im Vorfeld eine andere Umfrage Musks, ob bislang gesperrte Accounts wieder freigeschaltet werden sollten oder nicht. Diesmal sprachen sich 72,4% der 3.162.112 Nutzer, die an der Abstimmung teilgenommen hatten, dafür aus. Und so kündigte Musk jetzt an:

The people have spoken. Amnesty begins next week. Vox Populi, Vox Dei.

Der Aufschrei in einigen deutschen Bubbles ist wieder groß. Nicole Diekmann wittert schon den „Beginn eines Dammbruchs“  und ihre Follower sekundieren.

Bei aller wohlfeilen Empörung wird aber folgendes übersehen: Musk hatte die Amnestie vorher deutlich eingeschränkt, Voraussetzung ist:

that they have not broken the law or engaged in egregious spam.

Und auch die wieder freigeschalteten Accounts haben danach ja keine Narrenfreiheit sondern müssen sich an die twitter Regeln und natürlich die jeweils nationalen Gesetze halten. Der Dammbruch bleibt also aus.

Ganz im Gegenteil, die Amnestie, um mit Musk zu sprechen, war dringend überfällig, Denn die bisherige Sperrpraxis bei twitter war von viel Willkür geprägt, was übrigens rechte wie linke Accounts betraf.

Und so ist die Freischaltung der oft ohne belastbaren Grund gesperrten Nutzerkonten ein wichtiger Teil eines glaubwürdigen Teils der Plattform twitter.

Nachtrag vom 2. Dezember 2022

Inzwischen hat sich auch gezeigt, dass die Mechanismen weitgehend funktionieren. Der zunächst freigeschaltete Account von Ye, bekannt auch als Kayne West, wurde wieder gesperrt, nachdem dieser das Symbol der Raelianer Sekte, ein Hakenkreuz in einem Davidstern, gepostet hatte.

Die Illustration wurde mit Midjourney AI erstellt,

 

 

 

Warum ich die #NazisRaus Kampagne auf twitter kritisch sehe

Am 1. Januar 2019 twitterte Nicole Diekmann, Mitglied der Hautpstadtredaktion des ZDF, „Nazis Raus“ und erhielt daraufhin viel Zustimmung, aber erwartungsgemäß auch sehr viel Kritik, nicht selten unter der Gürtellinie und per Privatnachrichten, die von Diekmann teilweise auch öffentlich gemacht wurde. Der eigentliche Shitstorm setzte aber erst ein, als Diekmann ebenfalls auf twitter gefragt wurde, was denn für sie ein Nazi sei und sie antwortete  – wohl ironisch gemeint – „Jede/r, der/die nicht die Grünen wählt.“ Viele sahen durch den tweet – in dem wahrscheinlich bei aller Ironie auch ein Fünkchen Wahrheit steckt – eben ihr Weltbild vom „grünversifften Staatsfunk“ bestätigt.

Mit etwas zeitlicher Verzögerung entwickelte sich insbesondere wieder auf twitter eine Solidaritätskampagne mit Diekmann, deren vorläufiger Höhepunkt am 7. Januar 2019 erreicht wurde: 10.000e schrieben einfach „Nazis Raus“ oder tweets mit dem Hashtag „#Nazisraus„.

So sehr jegliche verbalen Angriffe und Gewaltandrohungen auf Nicole Diekmann abzulehnen sind, so kritisch sehe ich aber auch die Art und Weise der Solidaritätskampagne.

Man könnte nun lange Diskussionen führen, ob es überhaupt noch Nazis gibt oder schon fast alle gestorben sind. Und ob man nicht korrekt – wie noch bis vor gar nicht allzulanger Zeit bei entsprechenden Diskussionen- von Neo-Nazis sprechen müsste. An dieser Stelle geschenkt. Und auch semantisch und juristisch möchte ich auf „Nazis raus“ hier nicht weiter eingehen, wobei es dazu auch genug zu schreiben gäbe.

Der Kern des Problems ist für mich ein ganz anderer:

Der Begriff „Nazi“ wird heute inflationär gebraucht.

Überspitzt ausgedrückt im journalistischen Mainstream in der Tat für fast alles, was politisch rechts von den Grünen steht. Und nicht nur das: inzwischen bezeichnen sogar rechte und konservative Kreise Teile der Antifa als die neuen Nazis.

All das wird dem Begriff nicht gerecht. Die Nazis und ihre Verbrechen sind einzigartig. Jemanden, der z.B. „Refugees welcome“ nicht uneingeschränkt zustimmt, als Nazi zu bezeichnen, relativiert die Tragweite dessen, was im Dritten Reich passiert ist, für mich in einer nicht angemessenen Art und Weise und beleidigt die Millionen Opfer des Nationalsozialismus. Mehr dazu gibt es bei jetzt.de.

Und wenn dann noch Massenmedien wie „Spiegel Online“ oder das „ZDF“ ohne den entsprechenden Kontext herzustellen einfach „Nazis raus“ twittern, ist für mich eine Grenze überschritten.

Solidarität mit Nicole Diekmann ist wichtig. Aber eben nicht so.