Dokumentiert: Der Anti-Schroeder tweet von Merve Gül

Kristina Schröder hat mit einem tweet zur Migrationsfrage eine breite Diskussion zum Thema angestossen – bei dem sich leider auch die ein oder andere auf twitter – wie Merve Gül – deutlich im Ton vergreift.

Nein, Carsten Linnemann fordert kein Grundschulverbot

Die üblichen Empörten auf twitter echauffieren sich wieder – der CDU Politiker Carsten Linnemann habe ein Grundschulverbot für Ausländer gefordert. Er würde ausgrenzen und sein Vorschlag wäre die Vorstufe für viel schlimmeres…

Doch was hat er wirklich gesagt:

Es reicht nicht nur, Sprachstandserhebungen bei Vierjährigen durchzuführen, sondern es müssen auch Konsequenzen gezogen werden. Um es auf den Punkt zu bringen: Ein Kind, das kaum deutsch spricht und versteht, hat auf einer Grundschule noch nichts zu suchen. Hier muss eine Vorschulpflicht greifen, notfalls muss seine Einschulung auch zurückgestellt werden. Das kostet Geld, aber fehlende Integration und unzureichende Bildung sind am Ende viel teurer.

Und dagegen ist nichts einzuwenden, ganz im Gegenteil – es ist ein Vorschlag, der der Integration hilft, was ich aufgrund meiner langjährigen Mitarbeit in Schulkonferenzen in Grundschulen und Gymnasien durchaus einschätzen kann. Natürlich gibt es immer wieder Kinder, die ohne Sprachkenntnisse in eine Klasse kommen und sich diese dann selbst erarbeiten, doch sind dies die Ausnahmen. Und wenn man in einer Grundschulklasse eine Handvoll Kinder ohne jegliche Deutschkenntnisse hat, geht dies zu Lasten aller.

Kurzum – kein Rassismus hier, ganz im Gegenteil.

Das ganze Interview können Sie übrigens hier lesen.

Nachtrag 7. August 2019:

Wie ich gerade feststellte, ist das Interview nun hinter einer Schranke verschwunden. Normalerweise verlinke ich nicht auf Paid Content, da man sich aber auch kostenlos anmelden kann, lasse ich den Link stehen.

Zum Thema Interviews hinter der Bezahlschranke hat Thomas Knüwer übrigens aus gegebenem Anlass die Linnemann-Regel aufgestellt…

Gepimpte Wahlplakate Europawahl 2019: Die SPD, die EU und Migration (SPD)

Was uns dieses veränderte Wahlplakat zur Europawahl 2019 mit Katarina Barley (SPD) sagen will, bleibt etwas unklar.

Ist der Sprayer jetzt für oder gegen mehr Migration?

Meinung: Boris Palmer und die Bahn

Worum geht es eigentlich bei Palmer vs. Bahn?

(Hinweis: Wer die ganze Vorgeschichte kennt, kann direkt ein bißchen nach unten scrollen…)

Ruft man die Webseite der Deutsche Bahn AG auf, sieht man obiges Bild. Boris Palmer – Grüner Oberbürgermeister von Tübingen – schrieb dazu auf facebook:

Der shitstorm wird nicht vermeidbar sein. Und dennoch: Ich finde es nicht nachvollziehbar, nach welchen Kriterien die „Deutsche Bahn“ die Personen auf dieser Eingangsseite ausgewählt hat. Welche Gesellschaft soll das abbilden?

PS: Eine Stunde später tobt der Shitstorm. Wie vorhergesehen. Alle, die mich jetzt fragen, warum ich dieses Thema aufgreife, frage ich zurück: Wenn die Auswahl dieser Bilder vollkommen belanglos, normal, unbedeutend ist, warum regt ihr euch dann so auf?

Was wir hier diskutieren, ist Identitätspolitik. Und zwar von Recht wie Links. Die einen sagen, man wisse nicht mehr, in welchem Land man lebt, die anderen bekämpfen alte weiße Männer. Und gemeinsam haben die Identitätspolitiker es ziemlich weit damit gebracht, uns zu spalten.

PPS: Nach vier Stunden sind es 1500 Kommentare. Schlicht zu viele. Ich werde das nicht lesen oder antworten.

Die Pressestelle der Bahn antwortete auf twitter:

Herr #Palmer hat offenbar Probleme mit einer offenen und bunten Gesellschaft. Solch eine Haltung lehnen wir ab. Nico Rosberg, Nazan Eckes und Nelson Müller sind positive und repräsentative Identifikationsfiguren. Die DB freut sich, mit ihnen zusammenzuarbeiten.

Worauf Palmer schrieb:

Liebe Deutsche Bahn AG,

danke für deine Antwort auf Twitter. Leider beginnt diese jedoch mit einer Unterstellung. Ich habe kein Problem mit einer offenen und bunten Gesellschaft. In meiner Aussage, dass ich die Kriterien der Bildauswahl nicht verstehe, steckt auch keine Haltung, die es zu bekämpfen gilt.

Für mich als Betrachter sind diese fünf Bilder von Personen, die ich nicht kenne, in der Auswahl erklärungsbedürftig. Nur eine der fünf Personen scheint keinen Migrationshintergrund zu haben. Das ist ungewöhnlich und ich würde gerne die Absicht dahinter verstehen.

Wenn die Bahn aktuell eine offiziell erklärte Kampagne für Toleranz, Migration und Vielfalt durchführt, ist die Auswahl nachvollziehbar. Dann hat die Bahn entschieden, ein bestimmtes Gesellschaftsbild zu propagieren. Das kann sie tun, aber eine gesellschaftliche Debatte darüber sollte dann auch fair geführt werden.

Wenn die Bilder nicht im Zusammenhang mit einer Kampagne stehen – ich habe leider keinen entsprechenden Hinweis gefunden, vielleicht geben Sie mir den noch? – frage ich mich einfach, warum Menschen ohne erkennbaren Migrationshintergrund auf der Seite der Deutschen Bahn nur noch als Minderheit dargestellt werden.

Es gibt ihm Rahmen der Debatte über Identitätspolitik und alte weiße Männer die These, man müsse denen, die bisher nicht aufgrund ihrer Identität diskriminiert wurden, eine eigene Diskriminierungserfahrung zuteil werden lassen, um sie sensibler für Diskriminierung zu machen. So könnte man es deuten, wenn alte weiße Männer in der Bildauswahl der Deutschen Bahn nicht mehr vorkommen.

Für meine Begriffe ist das präzise die Trennlinie zwischen Antidiskriminierungspolitik, die von den meisten Menschen in Deutschland vollständig unterstützt wird, auch von mir, und einer neuen Form der Spaltung der Gesellschaft anhand von Merkmalen, für die niemand etwas kann, diesmal aber unter der Fahne der Antidiskriminierung. Benachteiligungen abbauen, ist immer und überall richtig. Neue Benachteiligungen für andere als Ausgleich für bestehende Benachteiligungen aufbauen, das ist nicht zielführend.
Und sollte diese Form der Identitätspolitik der Sinn Ihrer Bildauswahl gewesen sein, dann stört mich keines der Bilder, aber der Gedanke hinter der Auswahl.

Zur Vertiefung der Diskussion empfehle ich Texte von Sandra Kostner oder Bernd Stegmann.

Soweit der wesentliche Stand – und dass der Hashtag #Palmer auf twitter am Morgen des 24. April 2019 der beliebteste ist, ist nicht verwunderlich. Ebenso wenig verwunderlich dürfte sein, dass Palmer hier von den einen üblichen Verdächtigen Rassismus vorgeworfen wird, von den anderen üblichen ebenso verdächtigen wird vom großen Austausch fantasiert, den die Bahn hier werblich begleiten will.

Ein kurze Recherche auf den Seiten der Bahn führt übrigens schnell dazu, dass die Fotos zu der neuen Kampagne „Diese Zeit gehört Dir“ der Bahn gehören. Und deren Gesichter sind Nazan Eckes, Nelson Müller sowie Nico Rosberg – die ich auf den obigen Bildern übrigens ohne den Hintergrund zu kennen, nicht erkannt hätte. Der zugehörige Song „We are“ kommt von der Sängerin Hanna Batka, die allerdings nicht abgebildet ist. Das sei nur zur Abrundung des Bildes angemerkt.

Die übliche Schwarz-Weiß-Malerei

Leider haben wir es hier in der Diskussion wieder mit der üblichen Schwarz/Weiß-Malerei zu tun.

Tatsächlich hat Boris Palmer – anders als ihm von der Pressestelle der Bahn unterstellt – nie behauptet, eine offene und bunte Gesellschaft abzulehnen.

Er hat nur gefragt, nach welchen Kriterien die Bildauswahl erfolgte.

Diese Frage halte ich für durchaus berechtigt, hat sich doch die deutsche Bahn dabei ganz bewusst gegen die Darstellung einer bunten und offenen Gesellschaft entschieden. Lediglich eine von sechs abgebildeten Personen auf fünf Fotos sieht auf den ersten Blick nicht nach Migrationshintergrund aus. Und wenn man diese dann als Nico Rosberg erkennt, stellt sich diese als halber Finne heraus. Letztlich ist kein normaler Deutscher auf dem Bild zu sehen.

Soweit so gut. Oder auch nicht.

Denn den normalen Deutschen an sich gibt es nicht. Der normale Deutsche kann reinen oder teilweise griechischen, türkischen, syrischen oder italienischen Hintergrund haben. Man kann ihm seinen Migrationshintergrund ansehen oder wie bei Nico Rosberg und mir – als halber Pole und Österreicher – eben nicht. Deutschland ist dabei, ganz schön bunt zu werden. Aber zu bunt gehört eben auch – und das auch noch überwiegend – weiß. Genau so falsch wäre es im übrigen auch, auf den Bildern nur die inzwischen viel genannten „alten weißen Männer“ zu zeigen.

Die Agentur hinter der Kampagne – Ogilvy – und die DB AG wollten sicher zeigen, wie modern, offen und tolerant sie doch sind, dass sie (fast) nur Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund abbilden.

Bewirkt wird dadurch aber bei vielen der weißen Mehrheitsgesellschaft genau das Gegenteil. Sie finden sich in der Kampagne nicht wieder, fühlen sich ausgeschlossen. Man kann das kritisch sehen, aber es ist eben so und eine menschlische Reaktion.

Und die entstandene Diskussion zeigt auch, dass die Bahn mit der sicher positiv gemeinten Kampagne Öl ins Feuer der gesellschaftlichen Diskussion über Migration gegossen hat.

Boris Palmer hat das angesprochen. Ein Rassist ist er deswegen noch lange nicht.

Und noch eine Anmerkung zum Schluss: Als nahezu täglicher Bahnfahrer fände ich es besser, die Bahn würde Geld in Infrastruktur und Service statt in Werbung investieren.

Nachtrag

Boris Palmer hat am 24. April 2019 weiter auf die Kritik reagiert. Auch dies möchte ich gerne dokumentieren:

Rassismus andersherum
Nehmen wir einfach mal an, die Deutsche Bahn würde auf der Startseite fünf Bilder mit sechs Menschen zeigen, die allesamt weiß und in der Mehrheit männlich wären. Würde es dann nicht ganz automatisch eine Diskussion über Rassismus und Machos bei der Bahn geben? Etwa so:
„Haben die alten weißen Männer im Vorstand der Bahn immer noch nicht begriffen, dass wir ein buntes Land sind, in dem Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund dazu gehören?“
Wenn die Bahn dann antworten würden, man sei stolz darauf, drei Prominente als Werbepartner gewonnen zu haben, nämlich Vincent Klink, Markus Lanz und Sebastian Vettel, der einer sei ja Italiener und der andere fahre für einen italienischen Rennstal, wären dann alle mit der Erklärung einverstanden und würde Michel Kellner sagen: „Wir streiten lieber für pünktliche Züge und billigere Tickts. Wer in den Zug steigt, ist uns herzlich egal.“
Ganz sicher nicht. Es ist also heute geradezu eine Pflicht für jedes relevante Unternehmen, Gender und Diversity bei der Auswahl von Bildmotiven in der Werbung zu beachten. Wer darüber nicht nachdenkt, und einfach mal weiße Männer in die Werbung stellt, hat ein Problem.
Zwischenfazit: Es ist nicht rassistisch, die Frage nach der Hautfarbe zu beachten, sondern ein geforderter Standard.
Ich habe übrigens die Themen Herkunft und Hautfarbe gar nicht angesprochen. Das waren meine empörten Kritiker. Sie waren sich aufgrund der Bilder so sicher, dass es darum gehen muss, dass Sie danach gar nicht gefragt haben. Race und Gender hat die Linke in die Debatte eingeführt.
Nun hat die Deutsche Bahn auf ihrer Startseite soweit ich das den Erklärungen entnehmen und auf den Bildern erkennen kann, sechs Menschen (fünf Erwachsene und ein Kind) abgebildet, die nach dem Kriterium „Diversity“ allesamt nicht der Kategorie „Deutscher ohne Migrationshintergrund“ entsprechen. Das gilt für die drei Prominenten – sorry, ich habe keinen erkannt – nach der Darstellung der Bahn. Für die anderen zwei Bilder sieht es so aus. So wie man alte weiße Männer erkennt, sieht man halt auch, wenn jemand kein alter weißer Mann ist.
Sechs Bilder von Personen, die einen Migrationshintergrund haben, sind so wenig ein Abbild unserer Gesellschaft wie sechs Bilder von alten weißen Männern. So wie eine Frau oder ein Mensch dunkler Hautfarbe den Eindruck gewinnen kann, er gehöre nicht zu unserer Gesellschaft, wenn nur alte weiße Männer für die Bahn werben, so kann man auch als Angehöriger der Mehrheit der Deutschen ohne Migrationshintergrund – offiziell 60% – den Eindruck bekommen, dass man selbst bei der Auswahl der Bilder nicht mehr angesprochen werden soll.
Anders gesagt: Wenn zwei oder drei von sechs Personen ganz bewusst Menschen sind, deren Anblick einen Migrationshintergrund vermuten lässt, dann handelt es sich um Diversity. Wenn aber gar kein Mensch ohne Migrationshintergrund mehr vorkommt, sollte man zumindest mal in Ruhe darüber diskutieren, ob das angemessen und beabsichtigt ist. Im Rahmen einer Kampagne für Respekt und Toleranz in öffentlichen Verkehrsmitteln würde ich das bejahen. Ohne einen solchen Kontext finde ich es befremdlich.
Die linke Identitätspolitik wendet hier ein, es bestehe ein fundamentaler Unterschied zwischen den alten weißen Männern und allen anderen. Die einen würden aufgrund ihrer Identität privilegiert, die anderen diskriminiert. Daher müssten die einen es hinnehmen, auch mal unberücksichtigt zu bleiben, die anderen aber könnten sich dagegen immer zu recht wehren.
Diese These halte ich aus zwei Gründen für grundfalsch.
Erstens ignoriert sie, dass es vielfältige Ursachen von Diskriminierung gibt. Identität ist nur eine. Identitätspolitik blendet sehr viel existenziellere Konflikte und Probleme wie Armut und Krankheit aus. Man kann auch als alter weißer Mann in unserer Gesellschaft ein ausgegrenztes armes Schwein sein, halt nur nicht wegen der Identität.
Zweitens treibt die These, Diskriminierte verdienten sich eine Privilegierung und Privilegierte müssten Diskriminierung aushalten einen Keil in die Gesellschaft. Menschen sind sehr sensibel für Benachteiligungen, die sie als grundlos ansehen. Francis Fukuyama hat darüber einen sehr lesenswerten Aufsatz im Spiegel veröffentlicht. Er erklärt Trump als Ergebnis von 30 Jahren linker Identitätspolitik in den USA, die als Reaktion eine rechte Identitätspolitik hervorgebracht. Wer Menschen aufgrund ihrer Identität diskriminiert oder benachteiligt, der verursacht Gegenwehr. Genau das ist das Phänomen des wütenden weißen Mannes.
Also, liebe Freunde von Vielfalt, Toleranz und Offenheit, denkt mal drüber nach, ob die tausenden von empörten, herabwürdigenden und niederträchtigen Kommentare, die ihr in den letzten 24h über mich geschrieben habt, wirklich dazu beitragen, die Gesellschaft so zu formen, wie ihr sie gerne sehen wollt. Ich fürchte, das Gegenteil ist der Fall.

Interessante Frage: Warum gibt es kaum Schwarze im Arabischen Raum?

In einer Diskussion kam die Frage auf, warum es im arabischen Raum so gut wie keine Menschen schwarzafrikanischen Ursprungs gibt.

Trotz Sklaverei – kaum Schwarze

An sich müsste dies – so die These – doch so sein, allein schon, da es dort eine lange Tradition des Sklavenhandels gab.

Diese begann bereits 652, als der General und Emir Abdallah ben Said dem nubischen König Khalidurat Tributzahlungen aufzwang, die die jährliche Lieferung von „dreihundertsechzig Sklaven beiderlei Geschlechts“ vorsahen. Die Geschichte des Sklavenhandels von Schwarzafrikanern in den arabischen Raum reicht bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts.

Warum es aber – anders als in den USA, wo Sklaverei nur vergleichsbare kurz üblich war – kaum Nachkommen im arabischen Raum keine nennenswerte schwarze Bevölkerung gibt, dürfte in erster Linie damit zusammenhängen, dass ein Großteil der männlichen Sklaven kastriert wurde und sich schlicht nicht fortpflanzen konnte.

Inwieweit weitere kulturelle Gründe einen Unterschied machen, habe ich auf die Schnelle noch nicht untersucht, dürften aber nur eine kleinere Rolle spielen.

Wer sich für das Thema interessiert, dem sei das Buch „Der verschleierte Völkermord: Die Geschichte des muslimischen Sklavenhandels in Afrika“ empfohlen, das es vereinzelt noch hier gebraucht gibt – und natürlich in Büchereien und Bibliotheken.

Und heute?

Was die aktuelle Entwicklung angeht, so laufen die Fluchtströme von Schwarzafrika eben nach Europa und nicht in den arabischen Raum, der entweder selbst unattraktiv für Flüchtlinge ist oder sich eben auch gegen Immigration aus diesem Gebiet abschottet.

Meinung: Die Irre unserer Zeit, Dr. Andreas Püttmann und ich

Irre Zeiten

Wir leben in disruptiven Zeiten. Die fortschreitende Digitalisierung und die Migrationspolitik z.B. werden in vielen Bereichen große Auswirkungen auf die Art und Weise haben, wie wir in Zukunft leben. Besonders die Technologie entwickelt sich so irre schnell, dass man kaum noch mithalten kann.

Beiden Themenkomplexen aber ist gemein, dass sie weitgehend auf sich selbst bezogen isoliert diskutiert werden und Zusammenhänge und Einflüsse auf andere Bereiche, allen voran die Sozialpolitik, nicht gesehen oder zumindest nicht die notwendigen Schlüsse gezogen werden. Und während in Sachen Digitalisierung eine nur auf wenige Randbereiche – Stichwort 5G – oberflächliche Scheindebatte geführt wird, die die breite Öffentlichkeit aber kaum erreicht, wird über das Thema Einwanderung vehement gestritten. Irre, oder?

Das Problem: die Migrationsdebatte wird von nahezu allen Beteiligten ideologisch gefärbt geführt. Es gibt nur „Ja“ oder „Nein“, „Schwarz“ oder „Weiß“. Und wenn jemand versucht, auch die Grautöne zu sehen, wird dies geflissentlich ignoriert und in der öffentlichen Darstellung gleich die zwanghafte Einordnung in eines der beiden Lager versucht. Wer sich kritisch zu Migrationsfragen äußert, ist gleich rechts. Deswegen habe ich auch so viel zu Merz‘ Aussagen zum Asylrecht getwitter, da ihm unterstellt wurde, er habe es abschaffen wollen – was er allerdings nie gesagt hat. Aber so irre Unterstellungen sind heute eher die Regel denn die Ausnahme.

Symptomatisch für diese mangelnde Diskussionkultur sind jetzt auch die Vorgänge, die wir aktuell rund um die drei Bewerber um den CDU Vorsitz erleben. Die öffentliche Berichterstattung um die drei dreht sich fast nur um ihren Standpunkt zur Einwanderungspolitk und das Verhältnis zur AfD. Gab es 2015 eine Grenzöffnung oder nicht? Wie halten Sie es mit dem Asylrecht? Soll nach Syrien abgeschoben werden? Dass die Standpunkte der drei Bewerber – Kramp-Karrenbauer, Merz und Spahn – hier durchaus differenziert sind, geht dabei unter. Und noch mehr unter gehen andere Fragestellungen. Kramp-Karrenbauers Weltbild in Sachen Ehe für alle. Merz Einstellung zum Euro-System und zur Vergemeinschaftung von Schulden. Und was hat der Bundesgesundheitsminister als möglicher CDU Vorsitzender eigentlich in Sachen Gesundheitspolitik vor? Irre, dass hier nicht mehr nachgefragt wird.

Stattdessen – wie inzwischen fast immer – nur holzschnittartige Vereinfachungen.

Ein tweet von Dr. Andreas Püttmann brachte für mich das Fass nun zum Überlaufen und ich bezeichnete ihn als „irre“:

Klarstellen möchte ich zunächst, dass ich mit „irre“ keine psychische Erkrankung meine. Anders als von Püttmann angenommen hat das Wort diese Bedeutung medizinisch schon sehr lange nicht mehr. Sollte der Eindruck entstanden sein, dass ich ihm dies unterstelle, so ist dies nicht zutreffend und ich möchte dafür ehrlich um Entschuldigung bitten.

Tatsächlich habe ich auf diesen tweet hin einen kleinen Shitstorm erhalten, Püttmann hat mich inzwischen blockiert und ich wurde natürlich als „Rechter“ bezeichnet. Mich einfach in eine politische Schublade – insbesondere diese – einzuordnen, dürfte sehr schwer fallen. Aber das ist ein anderes Thema.

Was aber habe ich also gemeint?

Dem Account @Puettmann_Bonn folge ich schon lange und kann ihm jeden grundsätzlich nur empfehlen. Püttmann ist unbestritten intelligenter als ich es bin und sorgt immer wieder für interessante Beiträge, auch wenn ich persönlich oft anderer Meinung bin als er. Aber gerade das halte ich für wichtig, auch anderen Ansichten zuzuhören und aufgrund dieser seine eigenen Standpunkte andauernd zu überdenken.

Was mich jedoch bei Püttmann zusehends gestört hat ist eben eine auch bei ihm immer stärker werdende vereinfachende Sicht auf die Dinge, oftmals unter Auslassung oder Verkennung von Fakten. Vereinfachend könnte man sein Weltbild derzeit so zusammenfassen: Merkel und Kramp-Karrenbauer sind die Guten, Merz und Spahn die bösen Rechten, die sich der AfD anbiedern und ein in Hinblick auf die Migrationsfrage unchristliches Weltbild haben. Einige seiner tweets zum Thema habe ich weiter unten zusammengefasst. Anmerken darf ich noch, dass er ansonsten bei seiner Wortwahl auch nicht unbedingt zimperlich ist und sich in Hinblick auf andersdenkende durchaus auch schon Formulierungen wie „Dummheit“ oder „Abschaum“ zu eigen gemacht hat. Aber auch das ist ein anderes Thema.

Der Duden definiert „irre“ u.a. als „merkwürdig“. Und auch sonst hat es – ich habe es ja schon einige male in diesem Text untergebracht – verschiedene Bedeutungen. Dem Wort schwingt immer auch ein „irren“ im Sinne von falsch einschätzen oder sich vertun (irren) bei. Auch „verwirren“, also in eine bestimmte (falsche?) Richtung führen steckt darin. Und genau so sehe ich angesichts vieler seiner Tweets Püttmann: Sachverhalte stark vereinfachend, undifferenziert, einseitig, Fakten verkennend. Das allein ist für mich schon irre.

Irre ist auch, dass ein so intelligenter Mensch so vereinfachend argumentiert.

Weiter kann man mal als irre auch eine gewisse „Besessenheit“ bezeichnen. Und diese sehe ich bei Püttmann eben auch – in seinen undifferenzierten reflexhaften Reaktionen auf Merz, Spahn und fast alles, was rechts von seinem Weltbild ist.

Würde ich Püttmann immer noch als irre bezeichnen? Vielleicht eher als irrend, um Missverständnisse zu vermeiden.

Eine kleine Auswahl an tweets von @Puettmann_Bonn

Wenn #Merz weiterhin auf eine Mischung aus Lucke/Henkel und Dobrindt/Seehofer macht, dann wird das Ergebnis entsprechend ausfallen. Für ihn und – wenn sie sich falsch entscheidet – für seine Partei.

Außerdem dürfte jetzt klar sein, dass jeder, der wie die breite Mehrheit der Deutschen will, dass Merkel bis zum Ende der Legislaturperiode Kanzlerin bleibt, nicht für Merz als Parteichef stimmen kann. Er würde die Partei spalten und binnen weniger Monate unter 20% drücken.

Übrigens kommt nur höchstens ein Drittel der AfD-Anhänger von der Union, und dieses hat sich großenteils so radikalisiert, dass es heute gar nicht mehr zur Union passt. Auf deren Heimholung kann man, jedenfalls ohne vorherige Detoxifikation, getrost verzichten.

Pardon, dieses 40%-#WirSchaffenDas erinnert an Möllemanns „Projekt 18“. Aus der Zeit gefallen! Ins gelobte Land so satter Weidegründe wird kein Messias die #CDU mehr führen. Mit AfD-Vernagelten schon gar nicht. Von Spitzenpolitikern erwarte ich, dass sie auf dem Teppich bleiben.

Für mich auch. Das hätte ihm nicht passieren dürfen. In Rechtsfragen muss ein CDU-Chef und Kanzler-Aspirant, der auch noch Jurist ist, präzise sein. Stattdessen delegitimiert er das Regierungshandeln der eigenen Partei und gibt dem AfD-Klientel Futter. Spahn-Syndrom. Bleibt: AKK.

Man muss schon weit rechts stehen, um @_A_K_K_ als „links“ oder im „linken CDU-Spektrum“ zu verorten. Aber das ist ja der neue Volkssport verwirrter Konservativer, den sie von Rechtsradikalen adaptiert haben: Alles was sich politisch in der Mitte bewegt, als links zu verschreien.

JU-Chef @PaulZiemiak redet gerade bei #Illner von Wählern, die „aus Verzweiflung“ über seine Partei glauben, AfD wählen zu „müssen“. Was für ein Bild der Anhänger einer rechtsradikalen Partei wird hier gezeichnet? Prompt beruft sich #Gauland auf diese „Analyse“. #SchussInDenOfen

So setzt man AfD-Wähler ins Recht und die eigene Partei ins Unrecht. So gewinnt man keinen Wähler zurück, sondern macht AfD-Wählern auch noch ein gutes Gewissen. Spahn auf dem erratischen Kurs der CSU. Weder als Vorsitzender einer christlichen Partei noch als Staatsmann geeignet.

#Spahns Sympathiewerte ähneln denen #Seehofers. Der steht kurz vorm Rücktritt. Der andere will damit Parteichef und nächster Kanzler werden. Das nennt man wohl #Hybris.

Quelle: @Puetmmann_Bonn

Screenshot oben zur Verfügung gestellt von @medienprolet.

Mehr zum Thema

Wer sich weiter für meine Meinung zum Thema Diskussionskultur und Internet interessiert, lese hier.

Kommentar: Warum die Migrationsfrage wirklich die Mutter aller politischen Probleme ist

Erst mal runterkommen, bitte

So, bevor Sie das Lesen kommen Sie alle ein bisschen runter und stellen die Schnappatmung ein. Und zwar bitte sowohl die Linken, die jetzt reflexhaft die Nazi-Keule schwingen, und die Rechten, die jetzt ebenso reflexhaft in Triumphgeschrei verfallen wollen.

Das Leben ist nämlich nicht schwarz weiß und Politik ist mehr als aus dem Zusammenhang gerissene falsche Zitate.

Das Seehofer Zitat

Konkret geht es natürlich um das aktuelle Seehofer Zitat. Verkürzt wird immer behauptet, der Bundesinnenminister habe gesagt, Migration sei die Mutter aller Probleme. Gerade in den sozialen Netzen wird dies so dargestellt, als habe er behauptet, dass die Migration an sich, also damit auch der einzelne Migrant, das grundlegende Problem in Deutschland sei.

Doch was sagte Seehofer im Interview mit der RP wirklich? Der Kernsatz lautet: „Kommentar: Warum die Migrationsfrage wirklich die Mutter aller politischen Probleme ist“ weiterlesen

Deutschland und die Flüchtlinge: Allein in Europa

valls-fluechtlinge

Nachtrag 1: In ersten Berichten hieß es, Valls habe einen komplette Schließung der Grenzen gefordert habe; dies war wohl ein Übersetzungsfehler. Stattdessen habe er sich für eine Begrenzung der Migration ausgesprochen. An der Interpretation seiner Aussagen ändert das mE jedoch grundsätzlich nichts. Nötige Änderungen habe ich korrigiert.

Nachtrag 2: Inzwischen beharrt die Süddeutsche Zeitung auf ihrer ursprünglichen Darstellung. Dass Valls zurück rudert, erkläre ich mir damit, dass ihm durch verschiedene Reaktionen die Tragweite seiner Äußerungen erst nachträglich klar geworden ist.

Am 24. November 2015 stellt Vizekanzler Gabriel noch fest, dass eine Entlastung Deutschlands in der momentanen Flüchtlingssituation „absolut erforderlich“ sei und prompt bekommt die Bundesregierung am Tag drauf die Absage:

Der französische Premierminister Valls fordert, dass Europa seine Grenzen für Flüchtlinge aus dem nahen Osten schließen müsse die Zahl der Flüchtlinge begrenzen müsse.

Die Aussage fällt in einem Interview Hintergrundgespräch, das er führenden Zeitungen Europas gegeben hat. Und der Zeitpunkt dieser Aussage dürfte wohl kalkuliert sein, besucht doch Angela Merkel ausgerechnet am Tag der Veröffentlichung Frankreich.

Sollte die Bundesregierung auf europäische Solidarität in der Flüchtlingsfrage gehofft haben, so muss ihr spätestens seit heute klar sein, dass es diese nicht gibt und auch nicht geben wird. Deutschland wird mit der Situation selbst zurechtkommen müssen. An sich war dies schon lange klar – nur aussprechen wollte es keiner der anderen europäischen Regierungschefs so deutlich. Und es mag sein, dass Merkel und Gabriel immer noch darauf gehofft haben, dass der größte und wichtigste Partner in der EU auf ihren Kurs umschwenken würden.

Diese Hoffnung hat sich zerschlagen. Und noch viel mehr.

Ich wage die Prognose, dass der 25. November 2015 als ein Wendepunkt in der europäischen Geschichte gesehen wird. Ob als der Tag, an dem der Anfang vom Ende der Union eingeleitet wurde oder als der, als sie zu sich selbst fand, wird sich erst in den nächsten Monaten und Jahren zeigen.

Valls‘ Aussage ist für Merkel in zweifacher Hinsicht problematisch.

Denn für die anderen – insbesondere osteuropäischen – Mitgliedsländer der Union wird es jetzt noch einfacher, ihren ohnehin auf Abschottung ausgerichteten Kurs fortzusetzen. Sie können sich jetzt hinter dem Rücken Frankreichs verstecken und mit dem Finger auf Merkel zeigen – sie hat schließlich die Flüchtlinge gerufen und soll nun zusehen, wie sie die Situation löst.

Aber auch innenpolitisch wird es für Merkel nun schwieriger: Der französische Premierminister hat auf den Tisch gebracht, worüber es in Deutschland ein faktisches Diskussionsverbot gab: Den in zweifacher Hinsicht bestehenden Zusammenhang zwischen Flüchtlingen und Terrorismus:

  1. Zum einen ist es klar, dass die Fluchtrouten auch von Menschen genutzt werden, die mit nicht so lauteren Absichten nach Europa kommen. Natürlich ist es genau so unsinnig deswegen Flüchtlinge mit Terroristen gleichzusetzen, wie zu sagen Touristen seien Terroristen, nur weil diese auch die gleichen Wege und Verkehrsmittel nutzen. Aber es ist ein fataler Irrtum, aus falsch verstandener Political Correctness die Fluchtrouten und Grenzen nicht hinreichend zu kontrollieren.
  2. Der zweite Punkt ist viel gravierender und wird uns viel länger beschäftigen: Wie integriert man hunderdtausende Menschen, die für den europäischen Arbeitsmarkt ganz überwiegend nicht vorbereitet sind? In Belgien, Schweden und Frankreich sehen wir, was passiert, wenn diese Integration nicht gelingt und frustrierte und perspektivlose Parallelgesellschaften entstehen.

Spätestens jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, in dem Merkel ihr Mantra „Wir schaffen das“ inhaltlich untermauern muss. Die Frage ist eben, „wie wir das schaffen wollen“. Wirkliche Bemühungen dazu sieht man auf Regierungsebene nämlich leider nicht.

Auf die europäische Solidarität kann Deutschland jedenfalls nicht mehr setzen.

Integrationsprobleme vor der Haustür

Der Bonner Kindergarten Pusteblume hat in seiner Selbstdarstellung geschrieben, dass es unter den Kindern dort nur wenige mit Migrationshintergrund und nur wenige mit alleinerziehenden Eltern gebe. Seit gut drei Jahre ist dieser Text in der Welt und war lange Zeit sogar im städtischen Kindergarteninformationssystem (KIGAN) online – bis ein Redakteur der Lokalzeitung meinte, diesen Satz problematisieren zu müssen. Zu dem vermeintlichen Kindergartenskandal habe ich mich hier im Blog geäußert. Daraus ergab sich in der Folge ein kurzer Mailwechsel mit der Bonner Gleichstellungsbeauftragten Coletta Manemann, aus dem ich sie kurz zitieren darf:

Zu oft erlebe ich, dass einerseits Kitas keine Kinder mit Migrationshintergrund möchten (und Eltern Kitas mit wenig Migranten suchen), andererseits die städtischen Kitas oft kaum noch Kinder ohne Migrationshintergrund haben. Beides ist nicht in Ordnung. Eine gute Zusammensetzung hinzubekommen, daran müssen alle mitwirken.

Grundsätzlich stimme ich dem letzten Satz zu.

Nun muss man aber das Einzugsgebiet der „Pusteblume“ kennen – die Bonner Stadtteile Röttgen und Ückesdorf. Früher lebten hier Roman Herzog und Hans-Jochen Vogel, Franz Müntefering traf man in der Dorfkneipe und heutzutage ist zumindest gefühlt jedes zweite Auto ein 5er BMW, der von der Telekom als Dienstwagen gestellt wird. Klar, es leben auch andere Menschen hier. Darunter auch die ein oder andere Familie mit Migrationshintergrund – das sind dann aber überwiegend iranische Herzchirurgen.

Um einmal kurz auf den Anfang der Diskussion zurückzukommen: Es ist hier also nicht so, als würde sich die „Pusteblume“ von den benachbarten Kindergärten abgrenzen und um die Gunst konservativer Bildungsbürger mit dem Bonus der Migrantenfreiheit buhlen. Ganz im Gegenteil – wenn hier jemand einen Migrationshintergrund hat, geht sein Kind eher in die Pusteblume und nicht in den katholischen, den evangelischen oder den von einer privaten Initiative getragenen Kindergarten.

Es mag einem nun gefallen oder nicht, solche Gegenden gibt es in vielen Städten Deutschlands. Im Gegenzug gibt es auch Gegenden mit einer ganz anderen Bevölkerungsstruktur. Und da sind dann die Kitas, wo „kaum noch Kinder ohne Migrationshintergrund“ sind – und das sind dann nicht die Kinder von persischen Akademikern. „Beides ist nicht in Ordnung“. Aber beides ist eben auch bundesdeutsche Realität. Und diese wird sich so schnell nicht ändern.

Was also tun um „eine gute Zusammensetzung hinzubekommen“? Morgendliche Kinderlandverschickung?

Auf Lösungen bin ich gespannt.