Angela Merkel CCXL

Angela Merkel CCXL.

Am 10. Juni 2014 befindet sich Angela Merkel auf in Schweden, sie reiste am Vortag an. Sie ist Teilnehmerin an informellen Gesprächen mit dem schwedischen Ministerpräsidenten Fredrik Reinfeldt, dem britischen Premierminister David Cameron und dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte im Gästehaus der schwedischen Regierung in Harpsund.

Karikatur mit Midjourney erstellt.

Dokumentiert: Rede des Premierministers am 12. Februar 2016 in Hamburg

Herr Bürgermeister Scholz, es ist eine große Ehre, hier in Hamburg zu sein bei diesem ältesten Festmahl der Welt.

Und es ist ein riesiges Vergnügen, zusammen mit meiner guten Freundin Bundeskanzlerin Merkel hier zu sein.

Als Angela sagte, sie wolle mich in der Stadt, in der sie geboren ist, zum Essen ausführen, hatte ich keine Ahnung, dass sie sich so viel Mühe machen würde.

Bei meinem ersten Besuch in dieser historischen Stadt möchte ich auch einem großen Sohn Hamburgs meinen Respekt erweisen.

Bundeskanzler Helmut Schmidt war der hanseatischen Tradition des Diensts für andere zutiefst verbunden. Sein Engagement ist ein Vorbild für uns alle. Er wird immer für seine Führungsstärke in einer entscheidenden Zeit für Deutschland und Europa in Erinnerung bleiben.

Mein erster Besuch in Hamburg gibt mir auch Gelegenheit, die vielen historischen Verbindungen zwischen Großbritannien und dieser wunderbaren Stadt zu würdigen.

Hamburg hat den Ruf, die britischste aller deutschen Städte zu sein. Und Großbritannien hat hier sicherlich seine Spuren hinterlassen.

Schon als diese Bankette vor 600 Jahren erstmals veranstaltet wurden, war der offizielle Vertreter der britischen Kaufleute hier Ehrengast.

Und jetzt genießen die Hamburger zur alljährlichen Queen’s Birthday Party britische Lebensmittel, britische Musik und – meistens – britisches Wetter.

Dies ist aber nur ein Aspekt des viel breiteren kulturellen Austauschs zwischen unseren beiden Ländern.

Wir verdanken Ihnen Goethe, Händel und den Weihnachtsbaum, Sie uns Shakespeare, die Beatles und – offen gesagt – viel zu viele WM-Siege.

Sie überlassen uns einen Deutschen als Leiter des British Museum. Und wir Ihnen seinen Vorgänger für das Humboldt-Forum.

Und hier in diesem Saal nimmt ein britisches Geschenk, der Pokal König Edwards VII., immer noch einen Ehrenplatz ein.

Wobei man argumentieren könnte, dass eigentlich Sie es waren, die uns König Edward VII. gebracht haben – nämlich mit dem Einzug des Hauses Hannover in Großbritannien 1714!

Der stärkste Bindeglied zwischen uns sind unsere gemeinsamen Werte und Überzeugungen.

Wir alle messen dem Handel große Bedeutung bei. Und das seit Jahrhunderten.

Denken Sie an die Zeiten der Hanse. Hamburger Kaufleute waren es, die 1266 von König Heinrich III. das Privileg erhielten, ihre Waren in ganz England zu verkaufen.

Sie schlossen sozusagen eines der ersten Freihandelsabkommen der Welt.

Und es ist kein Zufall, dass 750 Jahre später ausgerechnet Großbritannien und Deutschland sich in besonderem Maße für den Abschluss des größten Handelsabkommens der Welt – zwischen Europa und Amerika – einsetzen.

Und ebenso wie dieser Saal vor vielen Jahren auch dank des Handels mit Großbritannien errichtet wurde, haben wir heute auf der anderen Seite der Elbe die Airbus-Fabrik, in der deutsche Ingenieure Flugzeuge mit Tragflächen made in Britain bauen.

Unserem gemeinsamen Bekenntnis zum Unternehmertum ist es zu verdanken, dass Großbritannien und Deutschland bei Tagungen des Europäischen Rates sich immer wieder gemeinsam stark machen für Bürokratieabbau, für Wachstum und für Arbeitsplätze.

Und überzeugt von der Notwendigkeit solider Finanzhaushalte, machen Großbritannien und Deutschland am Verhandlungstisch auch immer wieder darauf aufmerksam, dass man Probleme nicht aus der Welt schafft, indem man immer mehr Geld ausgibt, und dass man sein Defizit in den Griff bekommen muss.

Ich bin auch stolz auf die Zusammenarbeit mit Bundeskanzlerin Merkel, durch die wir den historischen Beschluss zustande gebracht haben, den europäischen Haushalt erstmals real zu kürzen.

Denn das bedeutet niedrigere Steuern für unsere Bürger und auch niedrigere Steuern für unsere Wirtschaft.

Auch die Zusammenarbeit in Europa zur Verbesserung unserer Sicherheit wird von Großbritannien und Deutschland vorangetrieben.

Dies gilt für die Sanktionen gegen Russland und Iran, bei denen wir beide eine Führungsrolle einnehmen, ebenso wie für die Reaktion auf die Krise in Syrien.

Erst letzte Woche waren Bundeskanzlerin Merkel und ich gemeinsame Gastgeber der Syrien-Konferenz in London, bei der über 11 Mrd. Dollar zusammengekommen sind – die größte Summe, die jemals an einem Tag zur Bewältigung einer humanitären Krise aufgebracht wurde.

Und durch die Arbeit zur Einbindung der Türkei, die maßgeblich von Bundeskanzlerin Merkel geleistet wurde, sowie durch all unsere Anstrengungen zur Förderung von Unternehmen und Arbeitsplätzen in der Region haben wir erreicht, dass Millionen von syrischen Flüchtlingen eine wirkliche Alternative zu der gefährlichen Reise nach Europa haben.

Großbritannien ist auch bereit, die Bemühungen des Schengen-Raums zur Verstärkung seiner Außengrenzen zu unterstützen.

Sei es also durch Handel, unternehmerische Initiative oder sicherheitspolitische Zusammenarbeit, Großbritannien und Deutschland sind Vorreiter in Europa, womit wir unsere Werte propagieren und unser aller Wohlstand und Sicherheit fördern.

Wenn es nun um die Frage von Großbritanniens Platz in Europa geht, bin ich immer zuversichtlich gewesen, dass wir gemeinsam die Reformen erreichen können, die den britischen Anliegen Rechnung tragen und auch für Europa insgesamt funktionieren.

Gewiss, Großbritannien gilt manchmal als streitbar und ziemlich eigensinnig. Hierfür entschuldige ich mich nicht. So sind wir nun einmal.

Unser Charakter ist geprägt von unserem Inselstatus – unabhängig, geradeheraus, leidenschaftlich auf unsere Souveränität bedacht –, und wir haben Institutionen, die uns über viele Jahrhunderte hinweg gute Dienste geleistet haben.

Als die sechs Gründungsstaaten 1957 den EWG-Vertrag unterzeichneten, standen wir abseits.

Der Schutz unserer Souveränität war für uns immer das oberste Gebot.

Aber wir sind auch eine offene Nation.

Diese Offenheit brachte uns 1973 letztlich dazu beizutreten.

Sie ist auch der Grund für unsere Haltung in so vielen anderen Fragen, etwa unserer Rolle bei der Öffnung des Eisernen Vorhangs und als Befürworter des EU-Beitritts von Ländern, die so viele Jahre an den Kommunismus verloren haben.

Wir waren immer ein Land, das Kontakte nach außen pflegt.

Und ich will keinesfalls, dass wir die Zugbrücke hochziehen und uns von der Welt verabschieden.

Wenn es also um die Frage von Großbritanniens Zukunft in Europa geht, habe ich ein klares Ziel: Ich will Großbritannien in einer reformierten Europäischen Union halten.

Ich habe also intensiv über die Reformen nachgedacht, die notwendig sind, um auf die Sorgen der britischen Bürger einzugehen, und ich kämpfe hart dafür, sie durchzusetzen.

Und ich denke auch, dass wir mit Hilfe der von mir propagierten Reformen das wettbewerbsfähigere, aufgeschlossenere und dynamischere Europa schaffen können, das Großbritannien und Deutschland sich wünschen.

Wenn Großbritannien darauf drängt, diese Handelsabkommen zu schließen, dann ist das nicht nur für Großbritannien gut, sondern auch für Deutschland.

Wenn wir klare Regeln fordern sowohl für die Euro-Länder wie auch für Länder wie Großbritannien, die ihn nicht einführen werden, dann sind auch diese Reformen in unserem gemeinsamen Interesse.

Wir brauchen den Erfolg der Eurozone – und auch den Erfolg der Länder, die sich gegen eine Teilnahme entscheiden.

Und wenn Großbritannien ein Europa fordert, das die Nationalstaaten respektiert, und wenn es das Recht einfordert, unsere Sozialsysteme selbst zu gestalten – dann sind das Forderungen, die meines Erachtens in ganz Europa Zuspruch finden.

Wenn wir also gemeinsam diese Reformen herbeiführen können, dann werde ich unmissverständlich empfehlen, dass Großbritannien zu diesen neuen Bedingungen in einer reformierten Europäischen Union bleiben sollte.

Wenn nicht, dann kann ich nichts ausschließen.

Aber ich denke, es wird uns gelingen, und wenn das der Fall ist, glaube ich, dass wir dieses Referendum gewinnen können, und das wäre gut für Großbritannien, für Deutschland und für Europa.

Ich glaube nämlich, dass es Großbritannien in einer reformierten Europäischen Union in puncto Sicherheit und Wohlstand besser gehen würde und dass es auch für Europa vorteilhaft ist, wenn es seine zweitstärkste Volkswirtschaft, seine größte Militärmacht, einen wichtigen Akteur in der internationalen Diplomatie und natürlich seinen zweitgrößten Beitragszahler behält.

Und zum Schluss möchte ich noch eines sagen.

Selbst wenn wir die Reformen durchsetzen, für die ich eintrete, ist die Arbeit noch nicht zu Ende.

Es wird auch dann noch viel Reformbedarf geben, und Großbritannien würde weiter an der Seite Deutschlands den Weg weisen.

Denn der Grund, warum es mir so wichtig ist, dass Großbritannien in einer reformierten Europäischen Union gehalten wird, ist letztlich, dass ich, wenn ich mir die Welt anschaue, wie sie heute ist und wohin sie steuert, mehr denn je überzeugt bin, dass wir die Zusammenarbeit Großbritanniens und Deutschlands brauchen, denn nur so können wir eine Europäische Union gestalten, die uns allen Wohlstand und Sicherheit geben kann.

In einer Welt, in der einige Länder uns glauben machen wollen, man könne eine erfolgreiche Wirtschaftsmacht sein, aber die Demokratie links liegen lassen, die Pressefreiheit einschränken und ohne Rechtsstaatlichkeit auskommen, müssen wir zusammenhalten und beweisen, dass diese Dinge – die Pressefreiheit, die Demokratie – unsere Länder keineswegs behindern, sondern uns noch stärker machen.

In einer Welt, in der Russland in die Ukraine einmarschiert und ein Schurkenstaat wie Nordkorea Atomwaffen testet, müssen wir uns gemeinsam gegen diese Aggression wehren – und unsere wirtschaftliche Macht gegen die Länder einsetzen, die die Regeln mit Füßen treten und die Sicherheit unserer Bürger bedrohen.

Und in einer Welt, in der manche auf die Bedrohung durch den islamistischen Extremismus schauen und der Armut oder der Außenpolitik des Westens die Schuld dafür geben, müssen wir sagen: nein, das ist eine Ideologie, die den Islam für ihre eigenen barbarischen Zwecke missbraucht und den Geist junger Menschen vergiftet.

Ebenso wie Europa in der Vergangenheit gefährliche und mörderische Ideologien bekämpft hat, müssen wir auch hier zusammenstehen in diesem Kampf unserer Generation.

Wir müssen dieses Übel bekämpfen – und besiegen.

Gemeinsam.

Für unsere Werte. Für unsere Sicherheit. Für unseren Wohlstand.

Das ist das Europa, das wir uns wünschen.

Und das ist das Europa, das Großbritannien und Deutschland schaffen können, gemeinsam.

Dokumentiert: Rede von Bundeskanzlerin Merkel beim Matthiae-Mahl am 12. Februar 2016

Sehr geehrter Herr Premierminister, lieber David Cameron,
sehr geehrter Herr Erster Bürgermeister, lieber Olaf Scholz,
sehr geehrte Mitglieder des Senats und der Hamburgischen Bürgerschaft,
meine Damen und Herren,

ich möchte mich für die Einladung zum diesjährigen Matthiae-Mahl herzlich bedanken. Als gebürtige Hamburgerin fühle ich mich besonders geehrt, an diesem traditionsreichen Mahl bereits zum zweiten Mal teilnehmen zu dürfen. Allerdings bleibt der Rekord unangefochten. Er wird mit vier Einladungen als Ehrengast von Helmut Schmidt gehalten, den wir alle schmerzlich vermissen.

Ich erinnere mich noch sehr gut an mein erstes Matthiae-Mahl im Jahr 2009. Dem festlichen Rahmen zum Trotz stand dieses Mahl unter dem Eindruck der weltweiten Finanzkrise. Es folgte die europäische Staatsschuldenkrise. Heute können wir feststellen, dass wir in Europa richtige Schlussfolgerungen aus diesen Krisen gezogen haben. Wir haben sie gemeinsam in den Griff bekommen. Unser Ziel war und ist es, aus Krisen stärker herauszukommen, als wir in solche Krisen hineingegangen sind. Es ging und geht jedes Mal um mehr als nur darum, eine Krise irgendwie zu überstehen, sondern letztlich immer auch darum, dass wir uns im harten globalen Wettbewerb auch in Zukunft mit unseren Werten und Interessen, mit unserer Art zu leben, behaupten können. Das ist, wie sich immer wieder zeigt, alles andere als ein leichtes Unterfangen.

Und doch: Gerade das unterstreicht sehr deutlich, wie grundlegend, ja, wie existenziell wichtig die Fähigkeit der Europäischen Union ist, immer wieder Kompromisse einzugehen und gemeinsame Antworten zu finden. Genau diese Fähigkeit hat die Stärke der Europäischen Union immer ausgemacht, mit welcher Herausforderung auch immer unsere Vorgänger oder wir uns konfrontiert sahen.

Diese Fähigkeit zum Kompromiss und zu gemeinsamen Antworten ist selbstverständlich auch heute gefragt – in einer Zeit, in der so viele Menschen auf der Flucht vor Krieg und Terror Schutz in Europa suchen; und zwar zumeist Menschen, die nicht unendlich weit von Europa entfernt, sondern vor der Haustür Europas, wie zum Beispiel die Menschen in Syrien, lebten. Um diesen Menschen zu helfen und gleichzeitig die Zahl der Flüchtlinge im Vergleich zum vergangenen Jahr spürbar zu reduzieren, gilt es – das kann gar nicht oft genug betont werden –, an den Ursachen der Flucht anzusetzen und diese zu bekämpfen.

Lieber David Cameron, ein Beitrag dazu hat die internationale Syrien-Geberkonferenz in London in der vergangenen Woche geleistet. Sie hat uns zu den notwendigen Mitteln verholfen, mit denen wenigstens die größte Not in Syrien und in den Flüchtlingslagern in den syrischen Nachbarländern gelindert werden kann. Wir haben dafür gesorgt, dass es in diesem Jahr wahrscheinlich und hoffentlich nicht wieder passiert, dass Lebensmittelrationen für eine Person von 30 Dollar auf 13 Dollar pro Monat gekürzt werden müssen, sondern dass wir voller Überzeugung sagen können: Für dieses Jahr sind die Lebensmittelrationen garantiert. Wir haben dafür gesorgt, dass die vielen Kinder unter den Flüchtlingen eine Chance auf Schulbildung haben. Wir haben auch dafür gesorgt, dass viele Flüchtlinge eine Chance auf Arbeit und ein eigenes Einkommen haben, was sie wiederum unabhängiger macht. Deshalb möchte ich dir, lieber David Cameron, noch einmal ganz herzlich für das Engagement für diese Konferenz danken. Ich denke, das Resultat war ein gutes.

Ich bin überzeugt, dass sich die Zahl der Flüchtlinge spürbar verringern lässt, wenn wir mit verschiedenen Maßnahmen – humanitär, entwicklungspolitisch, diplomatisch wie auch militärisch – gegen die Fluchtursachen vor Ort vorgehen. Inwieweit wir dieses Ziel erreichen, wird nicht nur für das weitere Schicksal so vieler leidgeprüfter Menschen entscheidend sein, sondern es wird auch ganz wesentlich bestimmen, ob wir die europäische Errungenschaft der offenen Binnengrenzen langfristig erhalten können oder nicht. Die Freiheit des Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs ist das Lebenselixier unseres Binnenmarktes und damit eine tragende Säule der Europäischen Union. In allen europäischen Ländern würde die Wirtschaft darunter leiden, wenn wir damit anfingen, unsere Grenzen immer undurchlässiger zu machen – schlimmer noch, das wäre ein Konjunkturprogramm für Schlepper- und Schleuserbanden.

Viele sagen mir in diesen Tagen: Es gab auch ein Leben vor Schengen. Ich antworte dann: Ich weiß; es gab auch ein Leben vor der Deutschen Einheit – da waren die Grenzen noch besser geschützt. Aber ob uns so etwas heute im weltweiten Wettbewerb stärken würde und ob wir unsere Vorteile einer Europäischen Union und eines Binnenmarktes kräftigen könnten, diese Frage steht im Raum. Ich beantworte sie ganz klar mit Nein.

Eine tragfähige Antwort auf die Flüchtlingsbewegungen zu finden, das ist und bleibt deshalb eine europäische und natürlich auch globale Aufgabe. Denn seit dem Zweiten Weltkrieg gab es nie so viele Flüchtlinge wie jetzt. Ich weiß, dass der Weg zur Bewältigung dieser Aufgabe mühselig ist. Aber es ist eine Frage der Humanität, eine Frage der ökonomischen Vernunft und eine Frage der Zukunft Europas – eines Europas, dessen Werte und Interessen sich im globalen Wettbewerb behaupten müssen. Unsere Antwort kann nur eine gesamteuropäische Antwort sein. Daran arbeiten wir mit ganzer Kraft.

Meine Damen und Herren, die Fähigkeit zum Kompromiss und zum Zusammenhalt in Europa wird auch in einer anderen, nicht minder wichtigen Frage auf die Probe gestellt – und zwar bei den Anliegen, die unser heutiger Ehrengast, David Cameron, im Namen Großbritanniens an die Europäische Union herangetragen hat. Damit werden wir uns in wenigen Tagen als EU-Staats- und -Regierungschefs befassen. Sie alle kennen meine Überzeugung. Ich wünsche mir, dass das Vereinigte Königreich auch in Zukunft aktives Mitglied in einer erfolgreichen Europäischen Union ist und bleibt. Das ist in unserem deutschen Interesse wie auch im britischen – das darf ich nur ganz leise sagen; denn die Briten werden natürlich selber entscheiden – und vor allen Dingen auch im gesamteuropäischen Interesse.

Denken wir an die Wirtschaftskraft der Europäischen Union, zu der Großbritannien Beträchtliches beiträgt und von der es auch selber profitiert. Denken wir auch an die Offenheit britischen Denkens. Denken wir an die Suche nach Wettbewerbsfähigkeit, an den Abbau von Bürokratie, an das Bekenntnis zum freien Handel. Das alles bringt Großbritannien immer und immer wieder in das Gedankengut der Europäischen Union ein. Denken wir auch an den Einfluss Europas in der Welt, der ohne das außen- und sicherheitspolitische Engagement Großbritanniens erheblich an Gewicht verlieren würde. Denken wir gerade in diesem Kreis nicht zuletzt an die Freundschaft und Verbundenheit zwischen unseren beiden Ländern.

Ganz besonders hier in Hamburg ist die deutsch-britische Verbundenheit zu spüren. Deshalb, Herr Erster Oberbürgermeister – Herr Erster Bürgermeister. Um Gottes Willen; auch das noch. Ich hatte schon den ganzen Abend geübt: Regierender Bürgermeister, Oberbürgermeister, Erster Bürgermeister. Aber na ja. (Heiterkeit) Also: Herr Erster Bürgermeister, herzlichen Dank für diese Einladung.

Hamburg als Hafenstadt und Deutschlands Tor zur Welt versteht sich seit jeher und schon allein aus naheliegenden geografischen Gründen als Brücke zu den britischen Inseln. Über diese Brücke findet ein reger wirtschaftlicher, kultureller und persönlicher Austausch statt. Die engen Beziehungen dürften auch der Grund dafür sein, weshalb sich klassische hanseatische Tugenden kaum von dem unterscheiden, was wir in Deutschland als typische britische Eigenschaften wahrnehmen: Weltoffenheit, Pragmatismus, Aufrichtigkeit und Fairness.

Weil diese hanseatischen Eigenschaften so herausragend sind, erlaube ich mir, am heutigen Abend auch im Einvernehmen mit dem Ersten Bürgermeister anzukündigen, dass Hamburg Gastgeberstadt für das 2017 in Deutschland stattfindende G20-Treffen sein wird. Ich denke, das trifft sich gut mit der Weltoffenheit Hamburgs.

Weil Deutschland und Großbritannien so vieles verbindet, gehört es auch dazu, dass viele Anliegen, die David Cameron an die Europäische Union herangetragen hat, nicht nur aus unserer Sicht nachvollziehbar sind, sondern von uns auch unterstützt werden. So sind wir einer Meinung, wenn es darum geht, in der Europäischen Union deutlich mehr für Wettbewerbsfähigkeit, Transparenz und Bürokratieabbau zu tun. Ich halte es auch für selbstverständlich, dass jeder Mitgliedstaat in der Lage sein muss – wir haben einen Binnenmarkt, aber keine Sozialunion –, seine Sozialsysteme, die eben in die nationale Zuständigkeit fallen, gegen Missbrauch zu schützen. Bei den Anliegen von David Cameron geht es also keineswegs nur um britische Einzelanliegen. Ganz im Gegenteil: Wenn es uns gelingt, diese Anliegen in eine – lassen Sie es mich so sagen – europäische Form zu gießen, dann kann das Europa insgesamt zugutekommen.

Der bisherige Verlauf der Gespräche stimmt mich zuversichtlich, ohne dass ich schon voraussagen könnte, wie viele Stunden ich in der Nacht von Donnerstag auf Freitag schlafen werde. Aber wir haben von Olaf Scholz ja Gutes darüber gehört, wie der Streit belebt und uns alle voranbringt. Wir sind lösungsorientiert. Ich darf im Übrigen auch darauf hinweisen, dass wir schon oft genug erlebt haben, dass sich die Mitglieder der Europäischen Union einigen konnten, auch wenn es wirklich kritisch war. Es wäre deshalb gar nicht voraussehbar, warum wir es dieses Mal nicht schaffen sollten. Deshalb meine ich, es kann gelingen. Europa braucht Großbritannien; und Großbritannien braucht vielleicht auch Europa – aber damit werden sich die Bürgerinnen und Bürger Großbritanniens beschäftigen –, damit wir im globalen Wettbewerb des 21. Jahrhunderts für das, was uns so viele Jahre stark gemacht hat, für unsere Werte und Interessen, gemeinsam eintreten können.

Lieber Herr Scholz, ich möchte mich für die Einladung zu genau dieser Zeit in genau diese Stadt ganz herzlich bedanken. Meine Damen und Herren, ich denke, die Tatsache, dass wir hier beim historischen Matthiae-Mahl gemeinsam über die europäische Zukunft in einer Stadt sprechen, die ein Tor zur Welt ist, könnte ein gutes Omen für die nächste Woche und vielleicht auch darüber hinaus sein. Herzlichen Dank.