Wahlplakate Europawahl 2019: Wer Neuland nicht liebt… (Die PARTEI)

Wer Neuland nicht liebt, soll Neuland verlassen.

…meint „Die PARTEI“ anlässlich der Europawahl 2019.

Offener Brief: Liebe Netzgemeinde, Ihr seid betriebslind. Ein Beitrag zur Neuland Debatte.

Liebe Netzgemeinde,

die Neuland-Diskussion hat wieder einmal schön gezeigt, dass Ihr betriebsblind und selbstgefällig seid und von der Welt da draußen wenig Ahnung habt. Ihr Digital Natives geriert Euch als die einzigen Netz-Versteher und macht Euch über „die Anderen“ lustig.

Doch das Internet und die Digitalisierung sind schon lange in Deutschlands Alltag angekommen – nur anders als Ihr denkt und wollt.

Sicher, einige sind nach wie vor nicht online. Doch die sind entweder zu jung, zu alt, haben vielleicht Angst vor Barcodes oder nehmen auch so kein Buch in die Hand und schauen stattdessen lieber den ganzen Tag RTL2.

Doch die anderen nutzen online Banking, buchen Ihre Reisen auf Preisvergleichsportalen, lesen Nachrichten im Web, bestellen bei Zalando und Amazon, schließen Ihre Stromverträge papierlos ab, schauen sich Videos auf Youtube an und sind bei facebook und halten dort Kontakt zu ihren Freunden in aller Welt.

Sitze ich im morgens im Zug sehe ich nicht wie noch vor wenigen Jahren Zeitungs- und Bücherleser. Nein, fast alle Mitfahrer sind in ihre Smartphones, Tablets, Notebooks oder Kindles vertieft. Diese Menschen benutzen das Netz und die neuen Medien ganz einfach, so wie Sie es für sie sinnvoll ist und wie sie wollen. twitter, google+, app.net brauchen und möchten sie einfach nicht, Whatsapp, Angry Birds und facebook reichen ihnen aus. Von facebook sind viele inzwischen schon genervt und wandern ab – aber nicht zu Google + wie Ihr, sondern ganz weg von den „sozialen Medien“. Viele Jugendliche fangen damit inzwischen erst gar nicht mehr an.

Oder gerade das Thema twitter – für mich ist es als Informationsmedium nicht mehr wegzudenken und hin und wieder bin ich dort auch aktiv. Aber wisst Ihr, wie viele Menschen ihre ersten Gehversuche auf twitter entnervt abgebrochen haben, da sie von Euch nicht „aufgenommen“ wurden? Ein des deutschen mächtiger Brite meinte zu mir, er hätte noch kein Land erlebt, in dem die die twitter Gemeinde so abweisend zu Neulingen wäre, wie in Deutschland. Kein Wunder, dass hierzulande nur 6% der Internetnutzer auf twitter sind. Ihr macht Euch lustig über neue User, die die Regeln dort noch nicht direkt verstanden haben? Aber ist Euch eigentlich klar, wie lächerlich Ihr auf manche aus der Distanz mit Euren Flauschs, Hachs und Selbstgesprächen mit Euren Zweitaccounts wirkt?

Wenn Ihr vom digitalen Graben sprecht, ist es der großen Mehrheit ganz egal, weil sie gar nicht auf die andere Seite des Grabens will. Das Netz ist für sie nämlich anders als für Euch nicht Selbstzweck, sondern ganz einfach Mittel zum Zweck. So manches Forum über die Zucht von Kleinkanichen und belgischen Riesenrammlern hat mehr Traffic als 24 von Euren gehypten Social-Media-Internet-Apple-SEO-Medien-Experten-Blogs zusammen.

Mit der gleichen Berechtigung, mit der Ihr vom digitalen Graben sprecht, können Menschen, die sich mit gesunder Ernährung gut auskennen vom Ernährungs-Graben sprechen, Autobastler über den Tuning-Graben in der Gesellschaft klagen und Experten für Medizinethik bedauern, wie wenig Gedanken sich die Menschen über das Klonen machen.

Versteht mich nicht falsch, Netzpolitik ist wichtig. Aber muss deswegen jeder ein Experte für Acta, Prism, Netzneutralität, Urheberrecht und das Bundesdatenschutzgesetz sein? Ist doch super, wenn Ihr das macht. Denn das ist fast so gut und wichtig, wie wenn sich andere Menschen gegen die Patentierung von Saatgut engagieren, für den Erhalt von Streuobstwiesen einsetzen oder in der freiwilligen Feuerwehr aktiv sind.

Und in einer Sache könnt Ihr Euch auch sicher sein – sobald die Netzpolitik den eigenen Geldbeutel betrifft, interessieren sich die Deutschen dafür. Ansatzweise hat man das bei der „Drosselkom“-Debatte gesehen. Wie sagte schon mein alter Geschichtslehrer: „In Deutschland gibt es nur Revolution, wenn man unzulässigerweise die Bierpreise erhöht.“ Inzwischen würde er wohl die Breitbandkosten ergänzen.

Ihr habt Euch eine Parallelwelt mit Euren MacBooks, iPhones, google+, Instagram, tumblrs und Amen geschaffen und so oftmals den Blick auf das verloren, was wirklich zählt.

Die Digitalisierung der Gesellschaft wird immer weitergehen. Doch wie die Gesellschaft das aufnimmt, entscheidet immer noch sie. Und nicht Ihr allein.

Geht lieber einfach offen auf die Menschen in Neuland zu, macht Euch nicht über sie lustig und akzeptiert, dass sie andere Erwartungen an das Netz stellen als Ihr.

Nichts für ungut,

severin

Offener Brief: nochmal an Angela Merkel zu #Neuland

Star Trek: The Original Series, Captain Kirk, Spock, Uhura and Dr. McCoyNein, ich wollte eigentlich nichts zur #Neuland Diskussion auf twitter, facebook und im Rest des Netzes schreiben. Warum auch. Machen ja schon genug andere, wobei das Spektrum hier von Häme (sogar Sixt stimmt schon ein) bis zur mehr oder weniger weitgehenden Zustimmung reicht.

Ibrahim Evsan hat einen offenen Brief an die Bundeskanzlerin geschrieben, den ich als inhaltsleer bezeichnete. Zu recht fragten dann Claudia Hilker und Ibrahim selbst, was ich denn Frau Merkel schreiben würde. Nun, eigentlich gar nichts (s.o.) – aber wenn es denn sein muss… Ansonsten empfehle ich zur Lektüre noch dringend meine Beschimpfung der Netzgemeinde.

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel,

Ihr Ausspruch, dass das Internet „Neuland“ für uns sei, hat ich bei Teilen der „Netzgemeinde“ hohe Wellen geschlagen. So hohe Wellen, dass sich Ihr Regierungssprecher zu dem klarstellenden tweet genötigt sah, dass Sie damit die rechtlichen Herausforderungen des Internets meinten.

Mir scheint es, als hätten Sie sich von diesen lauten Teilen der „Netzgemeinde“ zu der Verwendung des Begriffs „Neuland“ treiben lassen. Also wollten Sie sich damit entschuldigen, dass Sie vermeintlich nicht genug auf diese eingehen.

Besser hätten Sie aber von Alltag gesprochen.

Denn für die meisten Menschen in Deutschland ist das Internet Alltag. Ob online-Banking, die digitale Ausgabe der Bild-Zeitung, die online-FAZ, das Spiegel Archiv, Kaninchen-Foren, Youtube, Partnerbörsen und natürlich Wikipedia. twitter, Google+ und tumblr werden von diesen wahrscheinlich nicht genutzt. Und Prism, Acta und Netzneutralität interessieren Otto Normalverbraucher auch nicht. Und einige sind sogar gar nicht dabei bei diesem Internet. Ob einem das jetzt gefällt oder nicht – aber es lesen auch nicht alle Bundesbürger Bücher oder haben eine Kreditkarte.

Daher, liebe Frau Dr. Merkel, lassen Sie sich nicht treiben und verrückt machen. Denn die neue digitale Gesellschaft ist schon da. Dass deren Möglichkeiten von den Bürgern unterschiedlich intensiv genutzt werden, ist verständlich, auch wenn Teile der „Netzgemeinde“ das anscheinend nur schwer akzeptieren können und vom „digitalen Graben“ sprechen. Es steht aber jedem weitgehend frei für sich zu entscheiden, ob und wie weit er diesen Graben zu überschreiten will. Entscheidend ist gleichwohl, dass er die Möglichkeit hat, dies zu tun, wenn er denn will, doch sehe ich das derzeit nicht als Problem an.

Mit dem „Graben-Argument“ könnte man ebenso argumentieren, dass sich jeder zum Experten in Sachen gesunder Ernährung machen sollte. Oder sich umfassend mit dem CO2 Kreislauf beschäftigt, um profunde Beiträge zur Energiepolitik liefern zu können.

Richtig ist, dass uns das Internet auch politisch und rechtlich vor neue Herausforderungen. stellt. Aber das machen auch andere Entwicklungen und Technologien. Oft werfen diese Fragestellungen von sogar noch größerer Tragweite auf – man denke nur an die Gentechnik.

Den meisten Herausforderungen, die sich ergeben, kann mit unseren bestehenden Gesetzen begegnet werden. Meine Rechte, die durch PRISM verletzt werden, schützen das Grundgesetz und andere Regelungen an sich schon – es muss nur gehandelt werden. Und wenn es dann doch noch Regelungsbedarf gibt, sollen sich Experten damit befassen. So wie sich auch Experten um das Arzneimittelrecht, Deichhöhen oder die Krümmung von Gurken kümmern. Dass dabei auch die Bedenken aller Beteiligten gehört werden müssen, sollte eine Selbstverständlichkeit sein, ist es aber leider nicht. Aber auch das ist ein generelles Problem.

Und so wünsche ich mir „Neuland“ auf allen Ebenen: eine Politik, die sich am Menschen orientiert. Eine Politik, die sich an der Interessen der Gemeinschaft und nicht einzelner Lobbygruppen ausrichtet. Eine Politik, die aber auch an die Minderheiten denkt und versucht, alle mitzunehmen. Eine Politik, die es leichter macht, Dinge hier in Deutschland zu verändern und nach vorne zu bringen. In allen Bereichen.

So gesehen ist überall Neuland. Nicht nur im Internet.

Vielen herzlichen Dank!

Ihr Severin Tatarczyk

Bild: (c) Allposters