Was bedeutet Gästin?

Die Gästin ist der weibliche Gast – und viele meinen, das Wort sei eine Neuschöpfung. Tatsächlich erwähnen es auch die Gebrüder Grimm in ihrem Wörterbuch:

GÄSTIN, gastin, f. weiblicher gast, wenig gebraucht, doch schon ahd. kestîn hospita Graff 4, 269, ziemlich oft mhd. gestinne, gestîn; s. dazu gast 11 in weiblichem gebrauch….

gastin ohne umlaut wird neuerdings gebraucht von schauspielerinnen u. ä. die auf gastspiel kommen.

Auch in älteren Texten und nicht einmal so alten Texten findet man die Gästin manchmal, so beginnt Kurt Tucholskys Text „Klavierspiel nach dem Essen“ aus dem Jahr 1927 mit dem Satz: „Manchmal, nach dem Essen, setzt sich ein Gast oder eine Gästin hin und spielt etwas auf dem Pianino.

Und Daniel Caspar von Lohenstein schreibt 1690 in „Großmütiger Feldherr Arminius“: „Was für übele Nachrede wirst du nicht nur dir / sondern allen deutschen Frauenzimmern auf den Hals ziehen / wenn die Ausländer erfahren werden: daß die tugendhafte Ismene ihrer Gästin keuscher Liebe Eintrag gethan habe?

Das nachweislich über 330 Jahre alte Wort erlebt nunmehr also allenfalls eine Renaissance im Zuge des Trends zu einer geschlechterbetonteren Sprache.

Gedicht: Spanische Krankheit

Spanische Krankheit?

Was schleicht durch alle kriegführenden Länder?
Welches Ding schleift die infizierten Gewänder
vom Schützengraben zur Residenz?
Wer hat es gesehn? Wer nennts? Wer erkennts?
Schmerzen im Hals, Schmerzen im Ohr –
die Sache kommt mir spanisch vor.

Aber wenn ichs genau betrachte
und hübsch auf alle Symptome achte,
bemerke ich es mit einem Mal:
das ist nicht international.
Und seh ich das ganze Krankenkorps:
kommts mir gar nicht mehr spanisch vor.

Ein bißchen Gefieber, ein bißchen Beschwerden,
Onkel Doktor sagt: »Morgen wirds besser werden!«
Nachts im Dunkel Transpirieren,
Herzangst, Schwindel und Phantasieren,
mittags Erhitzen, abends Erkalten,
morgen ist alles wieder beim Alten –

Das ist keine Grippe, kein Frost, keine Phtisis –
das ist eine deutsche politische Krisis.

Von Kurt Tucholsky (1918)

Tucholsky: Was darf die Satire?

Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel.

Satire scheint eine durchaus negative Sache. Sie sagt: „Nein!“ Eine Satire, die zur Zeichnung einer Kriegsanleihe auffordert, ist keine. Die Satire beißt, lacht, pfeift und trommelt die große, bunte Landsknechtstrommel gegen alles, was stockt und träge ist.

Satire ist eine durchaus positive Sache. Nirgends verrät sich der Charakterlose schneller als hier, nirgends zeigt sich fixer, was ein gewissenloser Hanswurst ist, einer, der heute den angreift und morgen den.

Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist: er will die Welt gut haben, sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an.

Die Satire eines charaktervollen Künstlers, der um des Guten willen kämpft, verdient also nicht diese bürgerliche Nichtachtung und das empörte Fauchen, mit dem hierzulande diese Kunst abgetan wird.

Vor allem macht der Deutsche einen Fehler: er verwechselt das Dargestellte mit dem Darstellenden. Wenn ich die Folgen der Trunksucht aufzeigen will, also dieses Laster bekämpfe, so kann ich das nicht mit frommen Bibelsprüchen, sondern ich werde es am wirksamsten durch die packende Darstellung eines Mannes tun, der hoffnungslos betrunken ist. Ich hebe den Vorhang auf, der schonend über die Fäulnis gebreitet war, und sage: „Seht!“ – In Deutschland nennt man dergleichen ‚Kraßheit‘. Aber Trunksucht ist ein böses Ding, sie schädigt das Volk, und nur schonungslose Wahrheit kann da helfen. Und so ist das damals mit dem Weberelend gewesen, und mit der Prostitution ist es noch heute so.

Der Einfluß Krähwinkels hat die deutsche Satire in ihren so dürftigen Grenzen gehalten. Große Themen scheiden nahezu völlig aus. Der einzige ‚Simplicissimus‘ hat damals, als er noch die große, rote Bulldogge rechtens im Wappen führte, an all die deutschen Heiligtümer zu rühren gewagt: an den prügelnden Unteroffizier, an den stockfleckigen Bürokraten, an den Rohrstockpauker und an das Straßenmädchen, an den fettherzigen Unternehmer und an den näselnden Offizier. Nun kann man gewiß über all diese Themen denken wie man mag, und es ist jedem unbenommen, einen Angriff für ungerechtfertigt und einen anderen für übertrieben zu halten, aber die Berechtigung eines ehrlichen Mannes, die Zeit zu peitschen, darf nicht mit dicken Worten zunichte gemacht werden.

Übertreibt die Satire? Die Satire muß übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird, und sie kann gar nicht anders arbeiten als nach dem Bibelwort: Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten.

Aber nun sitzt zutiefst im Deutschen die leidige Angewohnheit, nicht in Individuen, sondern in Ständen, in Korporationen zu denken und aufzutreten, und wehe, wenn du einer dieser zu nahe trittst. Warum sind unsere Witzblätter, unsere Lustspiele, unsere Komödien und unsere Filme so mager? Weil keiner wagt, dem dicken Kraken an den Leib zu gehen, der das ganze Land bedrückt und dahockt: fett, faul und lebenstötend.

Nicht einmal dem Landesfeind gegenüber hat sich die deutsche Satire herausgetraut. Wir sollten gewiß nicht den scheußlichen unter den französischen Kriegskarikaturen nacheifern, aber welche Kraft lag in denen, welch elementare Wut, welcher Wurf und welche Wirkung! Freilich: sie scheuten vor gar nichts zurück. Daneben hingen unsere [44] bescheidenen Rechentafeln über U-Boot-Zahlen, taten niemandem etwas zuleide und wurden von keinem Menschen gelesen.

Wir sollten nicht so kleinlich sein. Wir alle – Volksschullehrer und Kaufleute und Professoren und Redakteure und Musiker und Ärzte und Beamte und Frauen und Volksbeauftragte – wir alle haben Fehler und komische Seiten und kleine und große Schwächen. Und wir müssen nun nicht immer gleich aufbegehren (‚Schlächtermeister, wahret eure heiligsten Güter!‘), wenn einer wirklich einmal einen guten Witz über uns reißt. Boshaft kann er sein, aber ehrlich soll er sein. Das ist kein rechter Mann und kein rechter Stand, der nicht einen ordentlichen Puff vertragen kann. Er mag sich mit denselben Mitteln dagegen wehren, er mag widerschlagen – aber er wende nicht verletzt, empört, gekränkt das Haupt. Es wehte bei uns im öffentlichen Leben ein reinerer Wind, wenn nicht alle übel nähmen.

So aber schwillt ständischer Dünkel zum Größenwahn an. Der deutsche Satiriker tanzt zwischen Berufsständen, Klassen, Konfessionen und Lokaleinrichtungen einen ständigen Eiertanz. Das ist gewiß recht graziös, aber auf die Dauer etwas ermüdend. Die echte Satire ist blutreinigend: und wer gesundes Blut hat, der hat auch einen reinen Teint.

Was darf die Satire?

Alles.

Diesen Text schrieb Kurt Tucholsky unter dem Pseudonym Ignaz Wrobel im Berliner Tageblatt Nr. 36 am 27. Januar 1919.

Aktuell ist er immer noch.

10 Bücher, die man am „Tag des freien Buches“ lesen sollte

Am 10 Mai ist der Tag des freien Buches, an dem der Bücherverbrennungen durch die Nazis gedacht wird, die hauptsächlich an diesem Tag im Jahr 1933 stattfanden.

Anders als 1933 finde ich, dass man diese Bücher in seinem Schrank stehen haben sollte:

  1. Der Untertan (Heinrich Mann)
    …zeigt, durch welche Geisteshaltung es in Deutschland überhaupt erst so weit kommen konnte (Taschenbuch). Mann wird ausdrücklich in den 9 Feuersprüchen erwähnt und seine Werke sollten daher verbindlich verbrannt werden.
  2. Die Konferenz der Tiere (Erich Kästner)
    …ist Erich Kästners erster Roman nach dem Zweiten Weltkrieg und eine deutliche Kritik an der Menschheit (Bibliothekseinband). Auch Kästner wird in den 9 Feuersprüchen erwähnt.
  3. Deutschland, Deutschland über Alles (Kurt Tucholsky)
    …ein kritischer Blick auf die Weimarer Republik. (Taschenbuch). Auch Tucholsky kommt in den Feuersprüchen vor.
  4. Im Westen nichts Neues (Erich Maria Remarque)
    …einer der klassischen Antikriegs-Romane (Kindle Ausgabe). Remarque ist einer der Autoren aus den Feuersprüchen.
  5. Des Teufels General (Carl Zuckmayer)
    …wirft die Frage auf, wie man sich in einer unmenschlichen Welt verhalten soll. (Taschenbuch). Zuckmayers Werke wurden von der Universität Halle-Wittenberg auf die Verbrennungsliste gesetzt.
  6. Die Buddenbrooks (Thomas Mann)
    …ist der erste große deutsche Gesellschaftsroman. (Kindle Ausgabe). Manns Bücher wurden unter anderem in Köln verbrannt.
  7. Die Dreigroschenoper (Bertolt Brecht)
    …ist eines der erfolgreichsten Theaterstücke des 20. Jahrhunderts. (Taschenbuch). Die Nazis verboten die Aufführung ab 1933.
  8. Berlin Alexanderplatz (Alfred Döblin)
    …der Roman gibt Tiefe in das Großstadtleben während der Weimarer Republik. (Taschenbuch). Döblins Werke wurden auch aus allen Bibliotheken entfernt.
  9. In einem andern Land (Ernest Hemingway)
    …ist wohl Hemingways berühmtester Roman und spielt in Italien während des Ersten Weltkriegs (Taschenbuch). Hemingway zählte zu den nicht-deutschsprachigen Autoren, deren Bücher verbrannt wurden.
  10. Ich bin so knallvergnügt erwacht (Joachim Ringelnatz)
    …die Gedichte von Joachim Ringelnatz waren den Nazis wohl einfach zu fröhlich (Taschenbuch).

Bild: Von Flugblatt – Eigenhändige Fotographie, PD-Schöpfungshöhe, Link

10 Fakten zum 9. Januar

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  1. Adrian und Julian haben heute Namenstag.
  2. In Basel wird 1349 ein Großteil der jüdischen Bevölkerung verbrannt, da ihr die Schuld an der Pestepidemie sowie Brunnenvergiftungen vorgeworfen werden.
  3. Joseph Ben Issachar Süßkind Oppenheimer (kurz Joseph Süß Oppenheimer), ehemaliger Geheimer Finanzrat und politischer Ratgeber von Herzog Karl Alexander von Württemberg, wird 1738 wegen angeblichen Hochverrats, Majestätsbeleidigung, Beraubung der staatlichen Kassen, Amtshandel, Bestechlichkeit, Schändung der protestantischen Religion und sexuellen Umgangs mit Christinnen zum Tode verurteilt, obwohl keinerlei Beweise für seine Schuld vorliegen. Der Stoff wird häufig verarbeitet, u.a. von Lion Feuchtwanger mit dem Roman „Jud Süß„.
  4. Heute im Jahr 1794 richten einige deutsche Einwanderer in den USA eine Petition an den US-Kongress, dass Gesetzestexte auch in deutscher Sprache veröffentlicht werden sollen. Der Antrag wird mit 42:41 Stimmen abgelehnt. Hieraus entsteht die sog. Muhlenberg-Legende, der zufolge es eine Abstimmung über Deutsch als (zweite) Amtssprache in den USA gegeben habe, die an der Stimme des deutsch-Amerikaners Frederick Muhlenberg gescheitert sei – solch eine Abstimmung hat es aber nie gegeben und Muhlenberg hat auch an der Abstimmung über die Petition nicht teilgenommen. Er soll aber in diesem Zusammenhang gesagt haben: „Je eher die Deutschen Amerikaner werden, desto besser.“ Die USA sind übrigens einer der wenigen Staaten der Welt, die keine festgeschriebene Amtssprache haben.
  5. Das „Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie“ wird 1907 in Deutschland erlassen.
  6. 1951 wird das Hauptquartier der UN in New York offiziell eröffnet.
  7. Die serbische Minderheit in Bosnien-Herzegowina ruft 1992 die Republik Srpska aus; dies wird maßgeblich für die Entwicklung des Bosnien-Kriegs sein.
  8. Das iPhone wird 2007 von Steve Jobs vorgestellt. Es hat eine 2 MP Kamera, einen 480*320 Pixel Touchscreen, je nach Version 4, 8 oder 16GB Speicher, iOS 1.0 und 2G Konnektivität. Gekauft werden kann es aber erst rund 6 Monate später.
  9. Kurt Tucholsky wird 1890 geboren.
  10. Richard Nixon kommt 1913 auf die Welt.

Hier sind weitere Infos rund um den 9. Januar.