Jenseits des Niveaus – ein Blick auf die Wulffs

Als Christian Wulff am 30. Juni 2010 zum Bundespräsidenten gewählt wurde, war ich entsetzt, da ihm Format und Intellekt für das Amt des Bundespräsidenten fehlten. Hier können Sie meine später geäußerten Gedanken zu Christian Wulff nachlesen.

Bettina Wulff belegt mit ihrer Biographie nun eindrucksvoll, dass alles noch viel schlimmer war.

Da wird geschildert, wie der damalige Ministerpräsident von Niedersachsen ihr nachstieg wie ein Stelzbock – obgleich noch verheiratet. Gar nicht erst wissen will ich, dass man in Schloss Bellevue nachts „ja verdammt leise sein [muss], bei allem, was man so tut“, da „die Wände ja doch nicht so dick“ sein könnten. Der Rücktritt ihres Mannes ist für sie ein „Event“, bei dem „der Drops schnell gelutscht“ sein sollte. In diesem Stil ist das ganze Buch geschrieben.

Solche Sätze erwartet man vielleicht in den bei Großburgwedeler Friseuren ausliegenden Klatsch-Zeitschriften – nicht in der Biographie der Ehefrau eines ehemaligen Staatsoberhaupts.

Das allein ist aber nicht ausreichend, die nahezu allgemeine Empörung über Bettina Wulffs Geschreibe zu erklären.

Unstreitig dürfte sein, dass sich die Wulffs nicht so moralisch integer verhalten haben, wie man es von ihnen hätte erwarten dürfen. Für viele Menschen stehen sie für „Geiz-ist-Geil“, Mitnahme-Mentalität, Gier und Geltungssucht. Allein schon, dass Christian Wulff nicht auf den Ehrensold verzichtet hat.

Auch die jetzige PR-Kampagne passt in dieses Bild: Medienwirksame Klagen gegen Google und Jauch, gut vorbereitete Interviews und das plötzliche Erscheinen der Biographie – das wirkt doch alles sehr geplant.

Auch dass Sie gerade die Gerüchte um ihre angebliche Vergangenheit als Prostituierte als Aufhänger für diese PR-Kampagne nutzt, ist mehr als zweifelhaft. Dann die Gründung ihrer PR-Agentur. Ihren ersten Kunden hat sie natürlich über Beziehungen aus der Zeit ihres Mannes als niedersächsischer Ministerpräsident. Von dem distanziert sie sich dann aber gleich wieder in Interviews.

Die Empörung kann ich also verstehen. Denn all das ist nicht nur jenseits des Protokolls, sondern jenseits des Niveaus.

Liebe Wulffs – kassieren Sie von mir aus den Ehrensold. Aber bitte bleiben Sie in Großburgwedel und lassen Sie uns in Ruhe. Danke.

Über Reue, Vergebung und Wulff

Nachdem Wulff vom Amt des Bundespräsidenten zurückgetreten war, wurden von verschiedener Seite Stimmen laut, es müsse nun einmal Schluss sein mit der Diskussion über ihn und ihm müsse vergeben werden.

Doch vor dem Vergeben kommen Reue und Buße.

Seinen Ursprung hat dieses Verständnis sicherlich in den Religion. Besonders ausgeprägt ist dies z.B. bei der katholischen Beichte, aber aber auch Luther stellte in der ersten seiner 95 Thesen fest, „dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sein soll“. Im Islam ist „An-Nadam“, die Reue für die begangenen Sünden, wichtigste Voraussetzung für deren Vergebung. Und auch im Judentum findet der reuige Sünder diese Vergebung, was in der Teschuwa, der jährlichen 10 Tage der Umkehr, deutlich wird. Das gleiche Verständnis finden wir auch bei Religionen, die weiter von unserem Kulturkreis entfernt sind: so z.B. beim Hoʻoponopono, einem komplexen Buß- und Vergebungsritual südpazifischer Religionen. Ebenso im Buddhismus sind „Reue“, „Buße“ und „Umkehr“ wichtige Elemente auf dem Weg zur vollkommenen Befreiung.

Die Idee ist also so universell, dass sie sich von der Religion gelöst hat und Grundlage moderner Zivilgesellschaften geworden ist, was sich z.B. in unserem Strafrecht wiederspiegelt.

Ob die Fakten, die letztlich zu Wulffs Rücktritt führten, strafrechtlich relevant sind oder nicht, ist zwar zunächst unerheblich. Denn ein so kreativer Umgang mit der Wahrheit, das Brechen öffentlicher Versprechen und Gier sind zumindest moralisch verwerflich.

Doch dafür fehlt Wulff die Einsicht. Hätte nicht die Hannoveraner Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen ihn eingeleitet – wir müssten uns noch heute für den Präsidenten fremdschämen.

Kein Verzicht auf den Ehrensold, Bestehen auf eine Verabschiedung mit dem großen Zapfenstreich, Einfordern von Büro und Mitarbeitern – Einsicht, Reue oder gar Buße sehen anders aus. Um so verwunderlicher ist dies, als dass doch Wulff Katholik ist und ihm der Mechanismus von Reue und Vergebung geläufig sein sollte.

Aber wer weiß, vielleicht überrascht er uns nach seinem Aufenthalt im Kloster, wird einen Teil seines Ehrensoldes spenden, sein Büro für gemeinnützige Zwecke spenden und sich entschuldigen. Besser spät als nie.

Andererseits machen Psychologen darauf aufmerksam, dass es Menschen gibt, die zu Reue nicht fähig sind. Wünschen würde ich mir, dass Christian Wulff sich und uns beweist, dass dies bei ihm nicht der Fall ist.

Vom gierigen Wulff und der Politikverdrossenheit

Es hätte alles gut sein können – Christian Wulff tritt zurück, zieht sich nach Großburgwedel zurück und sorgt noch für eine schöne Schlagzeile: z.B., dass er den Ehrensold zumindest teilweise an gemeinnützige Organisationen spendet – vielleicht an den Blindenverband, als kleinen Ausgleich dafür, dass seinerzeit Niedersachsen als einziges Bundesland unter seiner Führung das Blindengeld gestrichen hat. Das Strafverfahren wird gegen eine Geldzahlung eingestellt, das Gras des Vergessens wächst und alles ist gut.

Leider schönes Wunschdenken.

Vom Ehrensold hört man nur noch, dass er ihn annimmt – entgegen seiner früheren Verzichtappelle. Sein Advokat reagiert auf entsprechende Anfragen erst gar nicht. Stattdessen hört man, dass Wulff auch Anspruch auf Büro, Fahrer, Referent etc. erhebt – für weitere geschätzte 280.000 Euro im Jahr.

Nun gut mag man einwenden, gegen diese Privilegien vorzugehen ist juristisch zumindest nicht ganz einfach. Stimmt. Und vielleicht sollten wir hier tatsächlich etwas Großmut zeigen und den Kleingeist aus Hannover in Ruhe lassen.

Mich widert jedoch an, dass ein sonst integerer Politiker wie Thomas de Maizière Wulff den großen Zapfenstreich andient und dieser das Angebot zum Hohne aller billig und gerecht denkenden Menschen noch annimmt. Dass der sich dann noch statt der üblichen drei Lieder vier wünscht, ist eigentlich nur eine lächerliche Randnotiz lässt aber tief blicken.

Sicher, Teile der Politik sind nicht bereit, bei diesem Theater mitzuspielen. Den Hut ziehen muss man insbesondere vor den vier noch lebenden Altbundespräsidenten Walter Scheel, Richard von Weizsäcker, Roman Herzog und Horst Köhler, die an diesem Zapfenstreich nicht teilnehmen werden.

Doch alle, die an der Veranstaltung teilnehmen – allen voran die Kanzlerin – treiben einen weiteren Keil zwischen Bevölkerung und herrschende Klasse und zeigen, dass sie nicht erkannt haben, worum es jetzt eigentlich geht.

Und das ist auf Dauer fatal.