Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur 3% Hürde bei der Europawahl

Man mag nun schon darüber streiten, ob das Europäische Parlament aufgrund des extremen Disproportionalitätsfaktors – ein Abgeordneter aus Malta repräsentiert knapp 69 Malteser, ein französischer 874 Franzosen – überhaupt den Anforderungen eines demokratischen Parlaments entspricht. An dieser Stelle geschenkt.

Zumindest müssen aber die Abgeordnetenblöcke der einzelnen Staaten nach demokratischen Grundsätzen gewählt werden, worunter die Stimmengleichheit einen besonders hohen Wert hat. Eine Sperrklausel wie die 3% Hürde bei der Europawahl stellt eine massive Einschränkung der Stimmengleichheit dar, da die Stimmen für Parteien, die die Hürde nicht erreichen, eben „verloren“ sind. Für solch eine Einschränkung muss es dementsprechend gewichtige Gründe geben.

Die herrschende Meinung akzeptiert die 5% Klausel bei der Bundestagswahl nur, da es ein übergeordnetes Ziel sei, stabile Mehrheiten für eine Regierung zu erreichen, was durch ein zersplittertes Parlament erschwert würde.

Dieses Argument ist aber bei der Wahl zum Europaparlament aber nicht einschlägig. Das Ziel, eine Zersplitterung an sich zu verhindern, ist als Rechtfertigung für die 3% nicht ausreichend und argumentativ angesichts einer Versammlung, in der schon über 160 Parteien vertreten sind, zudem lächerlich.

Kritik am Urteil des Bundesverfassungsgerichts verbietet sich von selbst – Karlsruhe konnte hier objektiv gesehen nicht anders entscheiden. Anders mag es aussehen, wenn in Zukunft das Europäische Parlament tatsächlich einmal insgesamt nach demokratischen Grundsätzen gewählt wird und eine europäische Regierung trägt. Aber da ist Art. 146 GG vor.

Dass das ganze nun zu unliebsamen Ergebnissen führen kann, ist eine andere Frage. Aber eben keine rechtliche.

Zwei Gründe, warum die große Koalition eine Gefahr für die Demokratie ist (2013)

grundgesetz-beckJetzt kommt sie wohl, die große Koalition. Und ja, sie wird zu mehr politischer Faulheit und Politikverdrossenheit führen. Das soll jetzt aber gar nicht das Thema sein.

Denn anders als die letzte große Koalition halte ich diese für eine Gefahr für die Demokratie. Sicher, eine 2/3-Mehrheit, um das Grundgesetz zu ändern, hatten Union und SPD auch schon zwischen 2005 und 2009.

Diesmal gibt es jedoch sogar eine 3/4-Mehrheit. Und das hat zwei ganz gravierende Folgen.

Denn „der Bundestag hat das Recht und auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder die Pflicht, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen, der in öffentlicher Verhandlung die erforderlichen Beweise erhebt.“ Untersuchungsausschüsse sind ein wichtiges Mittel des Parlaments, problematische Handlungen der Exekutive zu durchleuchten und zu untersuchen. NSU, Gorleben, Kunduz oder Hypo-Real-Estate sind gute Beispiele, wie wichtig und sinnvoll Untersuchungsausschüsse sein können.

Doch käme es nun zur großen Koalition, gäbe es keine Opposition, die stark genug wäre, einen Untersuchungsausschuss zwingend einzufordern. Die Regierung hätte ja mehr als 75% der Stimmen auf ihrer Seite.

Das zweite Problem ist die abstrakte Normenkontrolle. Ebenfalls mindestens ein Viertel der Mitglieder des Bundestages kann die Überprüfung der grundsätzlichen Verfassungsgemäßheit eines Bundesgetzes beim Bundesverfassungsgericht beantragen (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 Grundgesetz in Verbindung mit § 13 Nr. 6 BVerfGG. Und auch wenn gerade die abstrakte Normenkontrolle nur selten zum Einsatz kommt, halte ich diese für ein wichtiges Merkmal in der Demokratie – gerade in Bereichen, in denen der einzelne Bürger oder andere Gruppen wegen oft tatsächlicher und manchmal aber auch nur wegen angeblicher mangelnder unmittelbarer Betroffenheit Rechte nicht durchsetzen können.

Doch bei dieser dräuenden großen Koaltion hätte die Opposition keine Möglichkeit, gegen den Willen der regierenden Mehrheit eine abstrakte Normenkontrolle zu beantragen.

Sicher, der Wähler hat die gr uoße Koalition so gewollt und Demokratie ist immer die Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit. Aber Demokratie bedingt auch, dass die Rechte der Minderheit zu wahren sind und dass es entsprechende Kontrollmöglichkeiten gibt.

Doch das wird jetzt schwieriger.

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Herr, lass Hirn vom Himmel fallen – ein Beitrag zur LSR Debatte

grundgesetz-dtvOb das Leistungsschutzrecht (LSR) jetzt kommt oder nicht ist mir aus vielen Gründen offen gesagt scheißegal. Es gibt viele Gründe dafür und viele dagegen, ausführlicher dazu hier.

Was mich aber wirklich aufregt ist das reflexhafte Lamentieren auf twitter, dass der Bundesrat das LSR stoppen solle.

Kann er nämlich gar nicht. Erstes Semester Jura.

Beim entsprechenden Gesetz zur Änderung des Urheberrechtgesetzes handelt es sich um ein nicht zustimmungspflichtiges Bundesgesetz. Dazu kann der Bundesrat allenfalls den Vermittlungsausschuss anrufen. Dieser Einspruch wäre aber vollkommen aussichtslos, denn er würde  „durch Beschluß der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages zurückgewiesen werden“ (Art. 77 Abs. 4 Satz 1 GG). Das wurde durch die Regierungsparteien im übrigen für den Fall des Einspruchs bereits angekündigt. Ein Einspruch des Bundesrats würde also nichts bringen.

Und wenn jetzt herumgeheult werden sollte, der Einspruch wäre aber zumindest ein symbolischer Akt, so ist dem zu entgegen, dass es allenfalls ein Symbol für Dummheit wäre.

Denn wir haben weiß Gott wichtigere Probleme.

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10 Fakten über das Bundesverfassungsgericht

  1. Das Bundesverfassungsgericht ist das Verfassungsgericht der Bundesrepublik Deutschland. Es ist gleichzeitig Verfassungsorgan und Teil der Rechtsprechung im Bereich des Staats- und Völkerrechts.
  2. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wurde bereits 1949 im Grundgesetz vorgesehen, nahm aber erst 1951 seine Arbeit auf. Auch wenn es bereits am 7. September errichtet war, die ersten internen Beschlüsse am 8. September fasste und die erste einstweilige Anordnung (betreffend die Errichtung Baden-Württembergs) bereits am 9. September erließ, gilt als Geburtstag des Gerichts die feierliche Eröffnung am 28. September 1951.
  3. Es hat seinen Sitz in Karlsruhe und liegt wie alle Verfassungsorgane in einem befriedeten Bezirk. Die Anschrift lautet „Schloßbezirk 3, 76131 Karlsruhe“.
  4. Das Gericht besteht aus zwei Senaten, mit je 8 Richtern, die ihrerseits wieder in je drei Kammern aufgeteilt sind, wobei jede Kammer aus drei Richtern besteht. Die Kammern entscheiden insbesondere bei Verfassungsbeschwerden, wenn der zugrundeliegende Rechtslage bereits vom Senat entschieden wurde. Der erste Senat ist der „Grundrechtssenat“, der zweite Senat der „Staatsrechtssenat“. Will ein Senat von der Rechtsprechung des anderen Senats abweichen, tritt das Plenum aus allen Richtern zusammen, was bisher erst viermal geschah.
  5. Besteht ein Senat des BVerfG aus einer Frau und sieben Richtern, spricht man von einem Schneewittchensenat.
  6. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts steht protokollarisch nach Bundespräsident, Bundestagspräsident, Bundeskanzler und Bundesratspräsident an fünfter Stelle des Staates.
  7. Anders als oft dargestellt ist das Bundesverfassungsgericht kein oberstes Gericht im Instanzzug der Gerichte. Diese Fehleinschätzung rührt daher, dass die Verfassungsbeschwerden am bekanntesten sind, die von „jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 enthaltenen Rechte verletzt zu sein.“ Das BVerfG entscheidet  also über verfassungsrechtliche Streitigkeiten. Neben den Verfassungsbeschwerden z.B. über die Verwirkung von Grundrechten, die Verfassungswidrigkeit von Parteien, Anklagen gegen den Bundespräsidenten, die Auslegung des Grundgesetzes bei Streitigkeiten zwischen Bundesorganen, die Vereinbarkeit von Bundes- und Landesrecht mit dem Grundgesetz, die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen auf Antrag von Gerichten, Richteranklagen gegen Bundes- und Landesrichter und viele weitere Spezialfälle, die im Grundgesetz und im BVerfGG (Bundesverfassungsgerichtsgesetz) aufgeführt sind.
  8. Die roten Roben der Bundesverfassungsrichter lehnen sich an Richterroben aus Florenz des 15. Jahrhunderts an. Sie sind so schwierig anzuziehen, dass die Richter die Hilfe eines Gerichtsdieners benötigen.
  9. 2021 wurden 5.188 Verfassungsbeschwerden erledigt, davon waren 67 erfolgreich. Neu eingegangen sind 5.059 Verfassungsbeschwerden, 237 Anträge auf einstweilige Anordnungen, 22 Normenkontrollverfahren und 34 andere Verfahren, insgesamt waren es 2021 also 5.352 Verfahren. Zum 31. 12.2021 waren 2.997 Verfahren anhängig, 2020 waren es an diesem Tag noch 3.214.
  10. Der Etat des BVerfG im Jahr 2021 betrug rund 38 Millionen Euro. Im Jahr 2010 waren es noch rund 18,5 Millionen Euro.

Europa – jetzt ganz oder gar nicht

Damit ich mich nicht immer rechtfertigen muss, erläutere ich hier kurz meinen Standpunkt zur aktuellen Diskussion rund um den Euro und die daraus resultierende Reformnotwendigkeit der EU.

Ich bin kein Gegner des Euro – ich bin aber ein Gegner des derzeitigen Herumwurstelns. Es muss durch die Politik klipp und klar gesagt werden, dass eine Euro-Rettung nur funktioniert, wenn die Staaten, die dies wünschen, viel enger zusammenwachsen. Ohne eine EU-Fiskal- und Wirtschafts-Regierung wird das langfristig kaum möglich sein. Eine so weitgehende Kompetenzabtretung und damit verbundene Aufgabe der Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland ist mE aber mit dem Grundgesetz, das wir haben, nicht vereinbar.

Und daher sollte eine neue europafreundliche Verfassung beschlossen werden, die auf die geänderten Gegebenheiten eingestellt ist. Und um der Legitimation willen sollte dies auf dem Wege des Art 146 GG geschehen:

Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.

Der andere konsequente Weg: schafft den Euro ab und macht aus der EU wieder eine einfache Freihandelszone.

Meinung: Schafft die Hauptstadt ab

Die Berlinisierung der Politik

Vor einigen Tagen war ich zum ersten mal seit fast 10 Jahren wieder in Berlin. Man mag die Stadt nun mögen oder nicht, sie zieht einen in ihren Bann.

Einer meiner ersten Gedanken war, dass auch die letzten in Bonn verbliebenen Ministerien nach Berlin umziehen sollten – natürlich nicht ohne entsprechende Ausgleichsmaßnahmen für die Bundesstadt am Rhein. Anmerken sollte ich vielleicht noch, dass ich selber in Bonn lebe und selbst hoffentlich nicht mehr umziehen muss – ich will damit nur sagen, dass ich Bonn mag.

Je mehr ich darüber nachdachte, desto falscher fand ich den Gedanken. Denn eine Stadt prägt die Menschen, die in ihr leben mehr als dass die Menschen die Stadt prägen. Und damit prägt die Stadt auch die Denkweise der Menschen. „Meinung: Schafft die Hauptstadt ab“ weiterlesen

10 Fakten zum Grundgesetz

tag-des-grundgesetzes

  1. Das „Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland“ ist die Verfassung Deutschlands und wurde am 23.05.1949 durch den Präsidenten und Vizepräsidenten des Parlamentarischen Rats ausgefertigt und verkündet. Der 23. Mai ist daher auch der „Tag des Grundgesetzes“.
  2. Es ist juristisch umstritten, ob es am 23.05.1949 24:00h oder 24.05.1949 0:00h in Kraft getreten ist.
  3. Das Grundgesetz wurde auf Seite 1 der ersten Ausgabe des Bundesgesetzblattes veröffentlicht.
  4. Die CSU lehnte das Grundgesetz 1949 ab. Zum einen stimmten die Vertreter der bayerischen Partei in der Sitzung des Parlamentarischen Rates vom 08.05.1949 dagegen, zum anderen lehnte der von der CSU dominierte Bayerische Landtag es ab. Da aber die Ratifizierung durch 2/3 der Länder ausreichte und Bayern gleichzeitig erklärte, bei Erfüllen dieser Voraussetzung der Bundesrepublik Deutschland beitreten zu wollen, gilt es auch im Freistaat.
  5. Das Grundgesetz besteht aus der Präambel, den Grundrechten (Art. 1 bis 19), den grundrechtsgleichen Rechten (Art. 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103, 104) und dem Staatsorganisationsrecht.
  6. Entgegen der verbreiteten Ansicht gilt das Grundgesetz nur im Verhältnis zwischen Bürger und Staat und nicht zwischen Bürgern untereinander. Es „strahlt“ jedoch auf die anderen Gesetze aus und ist bei deren Auslegung zu berücksichtigen.
  7. Ursprünglich hatte das Grundgesetz 146 Artikel, Stand 2011 sind es aber schon 191. Dennoch endet es nach wie vor mit Artikel 146. Aufgehoben wurden die Artikel 49, 59a, 74a, 75 und 142a.
  8. Umfangreiche Änderungen gab es zur Vollendung der deutschen Einheit 1990. Seitdem gilt es für das gesamte deutsche Volk bis zum dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die vom deutschen Volk in freier Entscheidung beschlossen wurde (Art. 146).
  9. Entgegen verbreiteter Ansicht ist das Grundgesetz eine Verfassung. Dazu mehr hier.
  10. Der Gesetzestext kann hier online abgerufen werden. Es schadet aber auch nicht, eine Textausgabe im Bücherschrank zu haben.  Wahre Fans schmökern im hervorragend geschriebenen Grundgesetz Kommentar von von Münch/Kunig.