Gedicht: Dunkel wars, der Mond schien helle (Variante 1)

Dunkel war’s der Mond schien helle,
schneebedeckt die grüne Flur,
als ein Wagen blitzeschnelle
langsam um die Ecke fuhr.

Drinnen saßen stehend Leute,
schweigend im Gespräch vertieft,
als ein totgeschossner Hase
auf dem Sande Schlittschuh lief.

Und als der Wagen fuhr im Trabe
rueckwärts einen Berg hinauf.
Droben zog ein alter Rabe
grade eine Turmuhr auf.

Ringsumher herrscht tiefes Schweigen,
und mit fürchterlichem Krach
spielen in des Grases Zweigen
zwei Kamele lautlos Schach.

Und zwei Fische liefen munter
durch das blaue Kornfeld hin.
Endlich ging die Sonne unter,
und der graue Tag erschien.

Bild: Mit Midjourney AI erstellt.

Liedtext: Das Rheinlied

Sie sollen ihn nicht haben,
Den freien deutschen Rhein,
Ob sie wie gier’ge Raben
Sich heiser danach schrein,

Solang er ruhig wallend
Sein grünes Kleid noch trägt,
Solang ein Ruder schallend
In seine Woge schlägt!

Sie sollen ihn nicht haben,
Den freien deutschen Rhein,
Solang sich Herzen laben
An seinem Feuerwein;

Solang in seinem Strome
Noch fest die Felsen stehn,
Solang sich hohe Dome
In seinem Spiegel sehn!

Sie sollen ihn nicht haben,
Den freien deutschen Rhein,
Solang dort kühne Knaben
Um schlanke Dirnen frei’n;

Solang die Flosse hebet
Ein Fisch auf seinem Grund,
Solang ein Lied noch lebet
In seiner Sänger Mund!

Sie sollen ihn nicht haben,
Den freien deutschen Rhein,
Bis seine Flut begraben
Des letzten Manns Gebein.

Der Text „Rheinlied“ wurde von Nikolaus Becker gedichtet, der 1809 in Bonn (Sternstraße 64) geboren wurde und 1845 starb. Es wurde über 200 mal vertont.

Gedicht: Ball der Tiere

Mich dünkt, wir geben einen Ball!
Sprach Frau Nachtigall.

So?
Sprach der Floh.

Was werden wir essen?
Sprachen die Wespen.

Nudeln!
Sprachen die Pudeln.

Was werden wir trinken?
Sprachen die Finken.

Bier!
Sprach der Stier.

Nein, nein!
Sprach das Schwein.

Wo werden wir tanzen?
Sprachen die Wanzen.

Im Haus!
Sprach die Maus.

Der Verfasser dieses Kindergedichts ist unbekannt.

Gedicht: Bonn

Wenn sich auch das Stück am Rheine
Nicht ganz rein gehalten hat,
So ist Bonn doch eine feine,
Ziemlich angenehme Stadt.

Enge Häuser, krumme Gassen,
Eine Kirche dann und wann;
Mitten ist ein Platz gelassen,
Wo man freier athmen kann.

Menschen wohnen hier in Schaaren,
Mann und Weib und Kind und Greis,
In den Armen und — den Haaren
Liegen sie sich wechselweis‘.

Bonn hab‘ ich mir auch erkoren.
Schön ist’s hier zur Sommerfrist,
Ganz besonders, wenn den — Thoren
Glücklich man entronnen ist.

Gärten, schattige Alleen, Rheinland,
Rheinluft allzumal,
Und die schönsten Berge sehen
Nieder in das schönste Thal.

Drachenfels, wie schaut in’s Weite
Seine Zinne stolz und keck,
Lieblicher auf dieser Seite
Ragt das treue Rolandseck.

Und von Godesberg hernieder
Kommt das Vorgebirg‘ und spannt
Seine sanftgeformten Glieder
Anmuthreich um Stadt und Land.

Zwischen Berg‘ und Stadt im Thale
Lebt sich’s wie im Paradies,
Und hier war’s, in diesem Thale,
Wo ich fand mein Paradies.

Karl Hermann Schauenburg

Gedicht: An sich

An sich (Paul Fleming)

Sei dennoch unverzagt! Gib dennoch unverloren!
Weich keinem Glücke nicht, steh höher als der Neid,
Vergnüge dich an dir, und acht es für kein Leid,
Hat sich gleich wider dich Glück, Ort und Zeit verschworen.

Was dich betrübt und labt, halt alles für erkoren,
Nimm dein Verhängnis an, lass alles unbereut.
Tu, was getan sein muss, und eh man dirs gebeut.
Was du noch hoffen kannst das wird noch stets geboren.

Was klagt, was lobt man doch? Sein Unglück und sein Glücke
Ist sich ein jeder selbst. Schau alle Sachen an:
Dies alles ist in dir. Lass deinen eitlen Wahn,

Und eh du fürder gehst, so geh in dich zurücke.
Wer sein selbst Meister ist, und sich beherrschen kann,
Dem ist die weite Welt und alles untertan.

Paul Fleming gilt als einer der wichtigsten Dichter der barocken Lyrik. Er wurde am 5. Oktober 1609 in Hartenstein geboren und starb viel zu früh am 2. April 1640 in Hamburg. Er war Arzt und Schriftsteller; dabei gilt er als einer der wichtigsten Vertreter der barocken Lyrik.

Sein Gedicht „An sich“ schätze ich besonders und finde, dass man es sich auch heutzutage als Leitlinie nehmen kann.

Gedicht: 1. August 1914 (Paul Haller)

Auf, Schweizer! Hört den Völkerföhn
Europas Tal durchstürmen!
Schon glüht’s und sprüht’s aus banger Nacht.
Nun stürmt’s und ruft zur Feuerwacht
Für’s Land von allen Türmen.

Nun kreißt der Erde Mutterschoß,
Armeen zu gebären.
Laut stöhnt im Weh der alte Grund.
Nun Schweizer, auf! uns ruft sein Mund
Zum Starksein und Bewähren.

Ringsum erblüht die rote Schlacht,
Ein Rosenfeld von Leichen.
Uns sei der grause Völkertod
Zur Lebenspflicht ein Aufgebot
Und mahnend Feuerzeichen!

Am Himmel schwingt ein neuer Gott
Die donnernden Gewalten.
Ein Todesleuchten fern und nah. –
Nun Schweizer, auf! der Sturm ist da,
Nun betet zu dem alten!

Paul Haller

Gedicht: Hymnus an die Sonne

Gedicht von Frederic Mistral, Literaturnobelpreisträger von 1904.

Goldne Sonne der Provence,
Wie der Mistral stark und froh,
Die erschöpfet die Durance
Wie ein Glas des Weins der Crau.

Lass dein goldnes Feuer glühen,
Dass die Sorg’, die Schatten fliehen.
Glüh in deines Glanzes Wonne,
Lächle uns, o schöne Sonne!

Bräunt dein Strahl uns auch die Wangen,
Wie vor einer Göttin Thron
Beugt vor deines Glanzes Prangen
Arles sich und Avignon.

Lass dein goldnes Feuer glühen,
Dass die Sorg’, die Schatten fliehen.
Glüh in deines Glanzes Wonne,
Lächle uns, o schöne Sonne!

Selbst die Pappeln, dich zu grüßen
Richten sie sich grader auf
Und der Schwamm zu ihren Füßen
Bei der Distel wächst hinauf.

Lass dein goldnes Feuer glühen,
Dass die Sorg’, die Schatten fliehen.
Glüh in deines Glanzes Wonne,
Lächle uns, o schöne Sonne!

Ist es doch dein strahlend Feuer,
Das in unsern Liedern glüht,
Das die Heimat uns macht teuer,
Aus der Fremd’ uns heimwärts zieht.

Lass dein goldnes Feuer glühen,
Dass die Sorg’, die Schatten fliehen.
Glüh in deines Glanzes Wonne,
Lächle uns, o schöne Sonne!

Denn du bist’s, die lässt erstehen
Jed’ Gedeihn. Du hältst das All.
Wollt’ die Sonn’ uns untergehen,
Käm’ die Welt auch in Verfall.

Lass dein goldnes Feuer glühen,
Dass die Sorg’, die Schatten fliehen.
Glüh in deines Glanzes Wonne,
Lächle uns, o schöne Sonne!
Frederic Mistral

Gedicht: Heisterbach – der Moench

Euch ward wodurch ihr bisher galtet: türme
Gesänge sagen siege durchs Gebet.
Die welt die sein enträt · die nun entsteht
Ist spreu vorm Herrn und ihr vor ihm gewürme.

(Stefan George)

Gedicht: Prolog (Klabund)

Ich sitze hier am Schreibetisch
Und schreibe ein Gedichte,
Indem ich in die Tinte wisch
Und mein Gebet verrichte.

So giebt sich spiegelnd Vers an Vers
In ölgemuter Glätte.
Nur selten fragt man sich: Wie wärs,
Wenn es mehr Seele hätte?

Die Seele tut mir garnicht weh,
Sie ist ganz unbeteiligt.
Nackt liegt sie auf dem Kanapee
Und durch sich selbst geheiligt.

Des Abends geh ich mit ihr aus,
Im Knopfloch eine Dalie.
Ich selber heiße Stanislaus,
Sie aber heißt Amalie.

Dieses Gedicht ist der Prolog zu Klabunds Gedichtband „Morgenrot! Klabund! Die Tage dämmern“.

Gedicht: Drachenfels

Wo hoch empor die sieben Kuppen ragen –
Die das Gebirg auf festem Scheitel trug,
Gleich Kronen, die sie auf den Häuptern tragen,
Und die der Sturm der Zeit herunterschlug –
Ruinen stehn von Schlössern und Kapellen,
Die sich bespiegeln in des Rheines Wellen,
Dem Schiffer kündend von vergangner Zeit,
Entschwundner und versunkner Herrlichkeit:

Da hebt der Drachenfels sich majestätisch,
Der vorderste, dicht an des Rheines Flut,
Es ist als spräch‘ er warnend und prophetisch
Zu einer Welt die scheinbar friedlich ruht:
Auch Du hast noch zu kämpfen mit den Drachen,
Die an der Zukunft Paradies bewachen
Den Eingang in der Liebe schönes Reich,
Wo Alle Brüder sind in Liebe gleich. –

Von einem Drachen kündet hier die Sage,
Der Menschenopfer heischte lange Zeit –
Davon kein Fluch, kein Schwert und keine Klage,
Die Stämme, die hier wohnten, je befreit,
Verbrecher, die an ihnen sich vergangen,
Und Feinde, die sie in der Schlacht gefangen
Die stieß man zu des Drachen Höhle fort,
Er würgte sie im schauerlichen Mord. –

Einst aus dem Krieg mit einem fremden Stamme
Fiel eine Jungfrau in der Heiden Hand,
Von deren Schöne eine Liebesflamme
In zweier Helden Brust zugleich entbrannt.
Zwei Häuptlinge sich um die Beute stritten –
Da lautete der Richterspruch des dritten:
Daß fürder nicht bestehe solcher Streit,
Die Jungfrau sei dem Drachentod geweiht,

Und schön geschmückt, im weißen Opferkleide
Bräutliche Blumen in dem goldnen Haar,
Am Hals ein reiches goldenes Geschmeide,
Das schon daheim dort prangte immerdar,
Und das man ihr zum Opfertod gelassen –
So schritt sie hin – es malte kein Erblassen.
Kein bleicher Schrecken ihre Wangen weiß,
Gefaßt und mutig stand sie in dem Kreis.

Und da sie nahe zu der Höhle kamen,
Und schon der Drache ihr entgegen sprüht‘,
Da sprach sie fromm und leis ein heilig Amen
Und sang – gleich wie im höhern Chor – ein Lied.
Aus ihrer Brust zog sie am Goldgeschmeide
Hervor ein Kreuz – ihr höchstes Gut im Leide!
Und hielt es – als geweihten Talisman
Dem Drachen hin – er starrt es wütend an –

Er starrt es an – und plötzlich wie vernichtet
Erbebt in sich sein grimmer Panzerleib,
Den Rachen schließt er, kehrt sich um und flüchtet,
Und flüchtet vor dem unbewehrten Weib,

Und stürzt sich jähling in des Rheines Wellen
Man hört die Schuppen das Gestein zerschellen –
Vernichtet ist mit eins die Schlangenbrut –
Der Himmel flammt in roter Opferglut.

Da scheint verklärt zum goldnen Strahlenkranze
Die Blumenkrone in der Jungfrau Haar,
Ihr Antlitz leuchtet auf im Himmelsglanze
Da sie bezwang die drohende Gefahr.
Und alle Heiden die das Wunder schauen,
Ergreift alsbald ein niegekanntes Grauen,
Anbetend sinken vor dem Kreuz sie hin
Und vor der Jungfrau gottentflammtem Sinn.

Durch sie zum Glauben reiner Menschenliebe
Durch sie zum milden Christengott bekehrt! –
O daß die Sage doch lebendig bliebe
In unsrer Zeit, die noch vom Wahn bethört!
O läg noch heut in einer Jungfrau Händen
Die Macht die Menschenopfer zu beenden;
Wie schön sich einen solchem Tod zu weihn –
O Gott der Lieb‘ dürft ich das Opfer sein!

Gedicht von Luise Otto.