Bleibt doch alle bei den Fakten

bild-belogen-koeln

Tage wie diese lassen mich langsam an Politik, Medien und „dem Netz“ verzweifeln. Aber der Reihe nach.

Unstrittig dürfte zunächst sein: in Köln kam es in der Silvesternacht zu Übergriffen auf junge Frauen, die es in dieser Dimension in jüngerer Zeit noch nicht gegeben hat.

Das Versagen der klassischen Medien

Berichtet wird darüber zunächst kaum. Die wenigen Meldungen finden sich einerseits sehr zurückhaltend in lokalen Medien einerseits und sehr reißerisch andererseits auf eher strammrechts zu verorteten Nachrichtenseiten und Blogs. Die überregionalen Medien schweigen.

Mutmaßlicher Grund für diese Situation: Bei den Tätern hat es sich nach übereinstimmenden Berichten um arabisch und nordafrikanisch aussehende Männer gehandelt. Möglicherweise Flüchtlinge? Was bei den besorgten Bürgern zu geifernder klammheimlicher Freude führt („Haben wir es nicht schon immer gesagt?“) begründet bei den klassischen Medien betretenes Schweigen („Was nicht sein darf, findet nicht statt.“).

Irgendwann ist der Druck aus den sozialen Netzwerken und den Blogs aber so groß, dass ab dem 4. Januar eine breite Berichterstattung stattfindet. Einen Tag später zieht dann auch das ZDF nach.

Das Versagen des twitter-Feminismus und über die Instrumentalisierung sexueller Gewalt

Um diese Zeit herum habe ich geschrieben, dass es gefährlich ist, wenn in Sachen Köln der #Aufschrei der Pegida Fraktion überlassen wird, die diesen in erster Linie für pauschale Hetze gegen Ausländer, Flüchtlinge und Muslime missbraucht. Denn von den üblichen twitter Feministinnen war zunächst nichts und dann nur eher beschwichtigendes zu lesen.

Hier zeigt sich ein weiteres Versagen: die Instrumentalisierung sexueller Gewalt und deren Opfer. Empört wird sich nur dann, wenn es den eigenen politischen Zielen dient und ins Weltbild passt.

Einerseits: Brüderle beleidigt mit einem Altherrenkompliment – Aufschrei. Flüchtlinge gehen junge Frauen an – lieber mal ruhig sein.

Andererseits: Flüchtlinge gehen junge Frauen an – Grenzen dicht und kastrieren! Der Huber Toni hat auf dem Oktoberfest der Marie untern Rock gegriffen – Mei, so ist es halt auf der Wiesn, die soll sich nicht so anstellen.

Sexuelle Gewalt ist sexuelle Gewalt. Völlig gleich, von wem sie begangen wird. Und sexuelle Gewalt muss thematisiert werden, ob es einem gerade ins Weltbild passt oder nicht. Da gibt es in keiner Richtung etwas zu relativieren oder aufzubauschen. Punkt.

Zynisch finde ich auch, wenn der von mir ansonsten sehr geschätzte Heinrich Schmitz im Tagesspiegel und bei den Kolumnisten zu Köln schreibt:

Gleichwohl wurden hier sexuelle Handlungen ganz offenkundig von Trickdieben eiskalt genutzt, um die Opfer zu bestehlen – und nicht in erster Linie um sie zu „erniedrigen“.

Sorry Heinrich, zum einen weißt Du nicht, ob es den Tätern nicht um Handys und sexuelle Erniedrigung ging (wovon die Polizei inzwischen ausgeht). Zum anderen ist das auch völlig egal – den betroffenen Frauen wird es wohl kein Trost sein, dass sie nicht aus sexuellen Motiven heraus massiv sexuell belästigt wurden.

Natürlich hat sich in den letzten Jahrzehnten und Jahren in Deutschland viel geändert. Kaum mehr vorstellbar, dass sich heutzutage noch ein Gericht äußern würde wie der Bundesgerichtshof 1966 (Urteil des BGH vom 2. November 1966, Az. IV ZR 239/65):

Die Frau genügt ihren ehelichen Pflichten nicht schon damit, dass sie die Beiwohnung teilnahmslos geschehen lässt. Wenn es ihr … versagt bleibt, im ehelichen Verkehr Befriedigung zu finden, so fordert die Ehe von ihr doch eine Gewährung in ehelicher Zuneigung und Opferbereitschaft und verbietet es, Gleichgültigkeit oder Widerwillen zur Schau zu tragen.

Ich möchte aber nicht wissen, in wie vielen Ehen und Beziehungen das und schlimmeres Realität ist. Unter diesem Aspekt ist das aktuelle Interview mit der Aufschrei Initiatorin Anne Wizorek zu den Vorfällen in Köln durchaus lesenswert.

Wünschenswert wäre jedenfalls, wenn über alle Fälle sexueller Gewalt sachlich und ohne politische Vereinnahmung diskutiert werden könnte.

Das Versagen der Politik

Dazu gehört aber auch, nichts zu verschweigen und die Augen nicht vor den Ursachen zu verschließen.

Es ist nicht nachvollziehbar, dass sich der Kölner Polizeipräsident Albers am 5. Januar hinstellt und sagt, er hätte keine Informationen über die mutmaßlichen Täter, wenn in einem Einsatzbericht vom 2. Januar zu lesen ist, dass es 71 Personalienfeststellungen, 11 Ingewahrsamnahmen und 4 Festnahmen gab – darunter waren einige syrische Flüchtlinge.

Entweder hat der Kölner Polizeipräsident seinen Laden nicht im Griff oder es sollten wieder nicht in die politische Lage passenden Informationen zurückgehalten werden. Vielleicht ist sogar beides der Fall.

Über die weiteren Versäumnisse, Fehleinschätzungen und Fehler der Polizeiführung und des Innenministers von NRW in der Kölner Silvesternacht wird man jedenfalls noch einiges lesen können.

Die Konsequenzen

All diese Ungereimtheiten und Vereinnahmungen führt zu einem weiteren Entfremden zwischen großen Teilen der ehemals meinungsführenden Medien und Politik einerseits und großen Teilen der Bevölkerung andererseits.

Nachdem am 7. Januar die Polizeiberichte veröffentlicht wurden, die viele der Aussagen aus Politik und Medien als unrichtig entlarvten, habe ich Begriffe wie Lügenpresse und Verräter von Menschen gehört und gelesen, von denen ich dies nie erwartet hätte.

Eine weiterer Vertrauensverlust in Politik und Medien wäre angesichts der zahlreichen bevorstehenden Herausforderungen mehr als bedenklich.

Und Vertrauen gewinnt man durch Ehrlichkeit.

Lesenswertes 15

lesenswertes-15

Hier ist die 15. Ausgabe meiner lesenswerten Links.

  1. Girl who lost parents in fire wants Christmas Cards
    So, lesen und dann eine nette Weihnachtskarte abschicken!
  2. Wie man die AfD mit einer Spende ärgern kann
    …und das wird nicht nur bei der AfD funktionieren, sondern bei allen, für die man online spenden kann.
  3. Zwei lebendige Puppen in London
    Gut gemacht – ich bekäme aber ein bisschen Angst.
  4. Live Writer wird Open Source
    Früher habe ich den Live Writer von Microsoft tatsächlich zum Bloggen genutzt. Jetzt wird der Veteran Open Source.
  5. Wortakrobatik
    Die Talk-Show Kritiken in der FAZ sind immer lesenswert, weswegen ich mir gar keine Talk Shows mehr ansehe. Hier geht es um Terror und Flüchtlinge.
  6. Exklusiv: Apple iPhone 8
    Sascha Pallenberg macht sich mal wieder gekonnt über die deutsche Techblogger Szene lustig.
  7. Photo 282
    Mit diesem Link möchte ich auf einen ansehenswerten Bonner Blog Aufmerksam machen.
  8. Wendelstein 7 erzeugt erstes Plasma
    Der Stellerator hat seinen Betrieb aufgenommen. Ich kann mich noch erinnern, wie ich als 14-Jähriger den damaligen Forschungsminister Riesenhuber fragte, ob wir 2020 unsere Energie aus Fusionsreaktoren gewinnen werden. Wird wohl länger dauern…
  9. Große Weihnachtsverlosung
    …bei Sandras Kochblog. Und da ich gerne koche und gerne regionale Blogs unterstütze, mache ich mal darauf aufmerksam.
  10. Neuseelands neue Flagge
    Neuseeland hat über eine mögliche neue Flagge abgestimmt. Nächstes Jahr wird dann entschieden, ob die bestehende Flagge tatsächlich ausgewechselt werden soll.

Bild: Hausnummer 15 in der Bonngasse in Bonn.

 

Deutschland und die Flüchtlinge: Allein in Europa

valls-fluechtlinge

Nachtrag 1: In ersten Berichten hieß es, Valls habe einen komplette Schließung der Grenzen gefordert habe; dies war wohl ein Übersetzungsfehler. Stattdessen habe er sich für eine Begrenzung der Migration ausgesprochen. An der Interpretation seiner Aussagen ändert das mE jedoch grundsätzlich nichts. Nötige Änderungen habe ich korrigiert.

Nachtrag 2: Inzwischen beharrt die Süddeutsche Zeitung auf ihrer ursprünglichen Darstellung. Dass Valls zurück rudert, erkläre ich mir damit, dass ihm durch verschiedene Reaktionen die Tragweite seiner Äußerungen erst nachträglich klar geworden ist.

Am 24. November 2015 stellt Vizekanzler Gabriel noch fest, dass eine Entlastung Deutschlands in der momentanen Flüchtlingssituation „absolut erforderlich“ sei und prompt bekommt die Bundesregierung am Tag drauf die Absage:

Der französische Premierminister Valls fordert, dass Europa seine Grenzen für Flüchtlinge aus dem nahen Osten schließen müsse die Zahl der Flüchtlinge begrenzen müsse.

Die Aussage fällt in einem Interview Hintergrundgespräch, das er führenden Zeitungen Europas gegeben hat. Und der Zeitpunkt dieser Aussage dürfte wohl kalkuliert sein, besucht doch Angela Merkel ausgerechnet am Tag der Veröffentlichung Frankreich.

Sollte die Bundesregierung auf europäische Solidarität in der Flüchtlingsfrage gehofft haben, so muss ihr spätestens seit heute klar sein, dass es diese nicht gibt und auch nicht geben wird. Deutschland wird mit der Situation selbst zurechtkommen müssen. An sich war dies schon lange klar – nur aussprechen wollte es keiner der anderen europäischen Regierungschefs so deutlich. Und es mag sein, dass Merkel und Gabriel immer noch darauf gehofft haben, dass der größte und wichtigste Partner in der EU auf ihren Kurs umschwenken würden.

Diese Hoffnung hat sich zerschlagen. Und noch viel mehr.

Ich wage die Prognose, dass der 25. November 2015 als ein Wendepunkt in der europäischen Geschichte gesehen wird. Ob als der Tag, an dem der Anfang vom Ende der Union eingeleitet wurde oder als der, als sie zu sich selbst fand, wird sich erst in den nächsten Monaten und Jahren zeigen.

Valls‘ Aussage ist für Merkel in zweifacher Hinsicht problematisch.

Denn für die anderen – insbesondere osteuropäischen – Mitgliedsländer der Union wird es jetzt noch einfacher, ihren ohnehin auf Abschottung ausgerichteten Kurs fortzusetzen. Sie können sich jetzt hinter dem Rücken Frankreichs verstecken und mit dem Finger auf Merkel zeigen – sie hat schließlich die Flüchtlinge gerufen und soll nun zusehen, wie sie die Situation löst.

Aber auch innenpolitisch wird es für Merkel nun schwieriger: Der französische Premierminister hat auf den Tisch gebracht, worüber es in Deutschland ein faktisches Diskussionsverbot gab: Den in zweifacher Hinsicht bestehenden Zusammenhang zwischen Flüchtlingen und Terrorismus:

  1. Zum einen ist es klar, dass die Fluchtrouten auch von Menschen genutzt werden, die mit nicht so lauteren Absichten nach Europa kommen. Natürlich ist es genau so unsinnig deswegen Flüchtlinge mit Terroristen gleichzusetzen, wie zu sagen Touristen seien Terroristen, nur weil diese auch die gleichen Wege und Verkehrsmittel nutzen. Aber es ist ein fataler Irrtum, aus falsch verstandener Political Correctness die Fluchtrouten und Grenzen nicht hinreichend zu kontrollieren.
  2. Der zweite Punkt ist viel gravierender und wird uns viel länger beschäftigen: Wie integriert man hunderdtausende Menschen, die für den europäischen Arbeitsmarkt ganz überwiegend nicht vorbereitet sind? In Belgien, Schweden und Frankreich sehen wir, was passiert, wenn diese Integration nicht gelingt und frustrierte und perspektivlose Parallelgesellschaften entstehen.

Spätestens jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, in dem Merkel ihr Mantra „Wir schaffen das“ inhaltlich untermauern muss. Die Frage ist eben, „wie wir das schaffen wollen“. Wirkliche Bemühungen dazu sieht man auf Regierungsebene nämlich leider nicht.

Auf die europäische Solidarität kann Deutschland jedenfalls nicht mehr setzen.

Lesenswertes 7

lesenswertes-7

Die siebte Ausgabe der Lesenswertes Link:

  1. Mark Zuckerbergs Plans for Facebook
    Facebook wird viel mehr als ein soziales Netzwerk sein.
  2. Wenn Müller nur Müllerchen rekrutiert – Die Seilschaften-Politik der Deutschland AG #NEO15 @th_sattelberger @Breitenbach
    Der Titel sagt eigentlich schon alles…
  3. Der trübe Blick
    Gibt es einen Zusammenhang zwischen Flüchtlingen und Terrorismus?
  4. Der Niedergang der Blogger-Szene
    In der Fashion Blogger Szene scheint es Streit zu geben…
  5. Luna Love als DoggyBi
    Kennen Sie Daggi B.? DoggyBi hat einiges mehr drauf.
  6. Future Visions: Original Science Fiction Inspired by Microsoft
    Kostenlose Science Fiction als eBook von Microsoft; andere Formate gibt es hier.
  7. The World of Tim Burton
    Beitrag zur Ausstellung in Brühl
  8. Zwei facebook Seiten zusammenführen
    Gute Anleitung für eine Frage, die ich mir auch schon gestellt habe.
  9. Why Rdio died
    The Verge über das Ende des Musikdienstes
  10. Von Terror, Trauer und Social Media Reflexen
    Kommentar von Carsten Drees, ob man sich nach Terroranschlägen in sozialen Netzen äußern sollte.

Bild: Ziffer Sieben auf dem Nummernschild eines Wagens der Bundespolizei.

Fluggäste, Flüchtlinge und Terrorismus – oder: wie man die AfD auf mehr als 10% bringt

nach-der-sicherheitskontrolle

Touristen und Terroristen

Am 17. Juli 1948 fand die erste Flugzeugentführung statt – und sollten daraufhin in Mode kommen. Flugzeugentführer tarnten sich als Geschäftsleute und Touristen und mischten sich unter diese. Bis durch immer strengere Sicherheitskontrollen an den Flughäfen Entführungen immer seltener wurden.

Niemand käme auf die Idee, die Sicherheitskontrollen als eine Diskriminierung der normalen Flugreisenden zu sehen und Diskussionen darüber für unzulässig zu erklären.

Anders derzeit: Es deutet einiges darauf hin, dass sich Terroristen, ISIS-Heimkehrer und andere kriminelle Elemente unter die Flüchtlinge mischen und so nach Europa gelangen. Eine effektive Kontrolle der Flüchtlinge findet nicht statt.

Wer sich für mehr Kontrollen an den Grenzen einsetzt, wird mundtot gemacht, eine Diskussion darüber ist unerwünscht. Flüchtlinge und Terrorismus hätten nichts miteinander zu tun. Über solche Kontrollen zu diskutieren oder diese gar einzuführen bedeutet aber doch nicht, dass man die Flüchtlinge mit Terroristen gleichsetzt. Mit dem Argument, Touristen seien keine Terroristen, könnte man aber auch gleich die Sicherheitskontrollen an den Flughäfen abschaffen.

Und dass man die Flüchtlinge nicht in einen Topf mit den Terroristen werfen dürfe, das diese doch gerade vor dem Terroristen fliehen würden, wird weiter als Argument gegen diese Diskussion vorgebracht. Dass gerade das doch dafür spricht, an Europas Außengrenzen und an den Grenzen der Zielländer verstärkt zu kontrollieren, wird dabei geflissentlich übersehen.

Glaubwürdigkeitsverlust von Politik und Medien

Übrigens, vor den Anschlägen von Paris hat kaum ein Medienvertreter oder Politiker die Behauptung aufgestellt, die Menschen würden vor islamistischem Terror fliehen. Tatsächlich ist z.B. bei den syrischen Migranten die Angst vor Assads Fassbomben der wichtigste Fluchtgrund. Das aber nur als Detail am Rande.

Es ist ein echtes Problem, wenn Diskussionen direkt abgewürgt werden und alles auf „Refugees Welcome“ und „Wir schaffen das“ verkürzt wird. Die Fragen liegen nämlich auf dem Tisch. Spricht man nicht offen über diese, überlässt man die Diskussion darüber dem rechten Rand.

Dass die – zumindest von mir zwischenzeitlich totgeglaubte – AfD plötzlich in Umfragen bei mehr als 10% der Stimmen liegt, darf dann nicht verwundern.

Wir müssen auch auf den ersten Blick problematische Diskussionen offen in der Mitte der Gesellschaft führen. Denn natürlich stellt sich auch die Herausforderung, die Menschen, die jetzt zu uns kommen und bleiben werden, zu integrieren und zu verhindern, dass es zu Parallelgesellschaften wie z.B. in Frankreich und Belgien kommt, die Brutstätten für Terrorismus sind.

Es geht eben nicht nur um das „Wir schaffen das“ sondern auch um die Frage, wie wir es schaffen.

Wie Stefan Kuzmany dafür sorgt, dass sie am Montag wieder „Lügenpresse, halt die Fresse“ rufen werden

denkverbot

Diskussionsverbote

Es mag zur Hybris eines „DER SPIEGEL“ Redakteuers gehören, dass man sich für einen der großen Weltversteher und Erklärer berufen fühlt. Und dass man davon überzeugt ist, dass das Publikum nur simple plakative Botschaften versteht.

Anders lässt sich Stefan Kuzmanys Kommentar über die „Die Früchte des Terrors“ nicht erklären, in dem er Diskussionen über einen Zusammenhang mit der Flüchtlingsdiskussion und den Terroranschlägen von Paris abtut:

Ausgerechnet jene des Terrors zu verdächtigen und deshalb aussperren zu wollen, die vor genau diesem Terror zu uns fliehen, kann man dabei nur mit viel Nachsicht als offensichtlichen Denkfehler bezeichnen.

Über Einwanderung, Flüchtlinge und einen eventuellen Zusammenhang mit Terror zu sprechen, ist also mindestens ein offensichtlicher Denkfehler und daher unzulässig. Beschlossen und Verkündet. Gezeichnet Kuzmany (DER SPIEGEL).

Diese Diskussion muss aber geführt werden. Allein schon deswegen, weil sie ohnehin schon geführt wird und man sie daher nicht den radikalen Köpfen beider Seiten überlassen darf. Einerseits Denkverbote und „Refugees welcome, jetzt erst recht“ und andererseits „Macht die Grenzen dicht“ und – schlimmer noch – Anschläge auf Unterkünfte oder gar Menschen. Ich habe dazu gestern schon etwas zu dem Thema geschrieben (bitte alle lesen, die jetzt schon hyperventilieren und mich jetzt in eine Ecke stecken wollen).

Es mag richtig sein: ein Großteil der Flüchtlinge flieht vor diesem Terror (oder waren bis Freitag Abend nicht bei über 70% der Syrer Assads Fassbomben Motiv für die Flucht?). Ein anderer Teil vielleicht auch nur aus wirtschaftlichen Erwägungen. Einzelne nutzen die Balkanroute auch mit nicht so hehren Motiven.

So oder so: wir müssen darüber diskutieren können, wie wir die Flüchtlingsbewegung steuern (ich habe nicht Ströme oder Lawine geschrieben…), welchen Schutzstatus wir gewähren, wie wir den Familiennachzug regeln, welche Menschen dauerhaft hier bleiben dürfen und wie wir diese integrieren und verhindern können, dass Parallelgesellschaften frustrierter, sich abgelehnt fühlender Menschen entstehen, die eine Brutstätte für radikale Ansichten und in letzter extremer Konsequenz Gewalt sein können. Wie man es nicht machen sollte, sehen wie in den französischen Banlieues.

Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass, Hass führt zu unermesslichem Leid.

Yoda

Die Fragen nach dem Zusammenhang zwischen Flüchtlingen und Terror in der Bevölkerung sind da. Einige Menschen haben vielleicht sogar Ängste.

Wenn sich die Politik und die Medien differenzierten Diskussionen aber verweigern und denen, die Fragen stellen, Denkfehler vorwerfen, fühlen sich viele Menschen nicht mehr ernstgenommen. Einige wenden sich einfach nur von der Politik ab, andere gehen auf die Straße – „Lügenpresse, halt die Fresse!“

Aus Furcht wird Wut.

Wir dürfen nicht zulassen, dass durch solche herablassenden Kommentare notwendige Diskussionen nur noch in Kreisen geführt werden, in denen die Antworten ohnehin schon vorher klar werden. Und aus Wut Hass und schlimmeres wird.

Wir brauchen einen breiten, auf Fakten basierenden, differenzierten gesellschaftlichen Diskurs, der den Menschen die Furcht nimmt und Lösungen findet. Für alle.

Meinung: Terror in Paris, Flüchtlinge und sieben Gedanken dazu

grautoene-terror-fluechtlinge

Ist es nicht zynisch, wenige Stunden nach den Anschlägen von Paris „Flüchtlinge“ und „Terror“ in einer Überschrift zusammenzubringen?

Nein, ein sachlicher Debattenbeitrag dazu ist notwendig, denn die reflexhaften Reaktionen von beiden extremen Polen sind schon da. Einerseits „Macht die Grenzen dicht“ und andererseits „Refugees welcome – jetzt erst recht“. Dazwischen gibt es anscheinend – nichts. Und Begrenzungen auf 140 Zeichen begünstigen Vereinfachungen und Missverständnisse.

Wie immer liegt die Wahrheit aber in der Mitte. 7 Gedanken zum Thema:

  1. Die meisten Flüchtlinge fliehen gerade vor dem islamistischen Terror
    …dem ist eigentlich nicht viel hinzuzufügen. Und wahrscheinlich 97%+x der islamischen Flüchtlinge lehnen einen radikalen Islam in den Ausprägungen von Wahabismus und Salafismus ab.
  2. Kontrolle der Flüchtenden ist aber notwendig
    Matthias Matussek erhielt viel Gegenwind für einen Post, in dem er schrieb, dass ihm schlecht bei dem Gedanken wird, „dass wir rund 250 000 unregistrierte Personen im Lande haben“. Damit richtet er sich aber nicht gegen Flüchtlinge an sich, sondern weist nur auf ein tatsächliches Problem hin. Allein schon, um die Verteilung zu planen und um (möglichst) auszuschließen, dass z.B. ehemalige Syrien-Kämpfer unerkannt nach Deutschland kommen, wären Kontrollen und Registrierungen an den Grenzen notwendig. Wer jetzt sagt, das sei nicht machbar: An einem mittelgroßen Flughafen wie Köln/Bonn werden am Tag rund 12.500 abfliegende Menschen überprüft, in Frankfurt über 80.000.
    Solche Kontrollen richten sich nicht gegen die Flüchtlinge, sondern gegen das, wovor sie fliehen (siehe 1.).
    Und wie wichtig solche Kontrollen anscheinend sind, zeigt wohl die Festnahme eines Mannes mit einem Wagen voller Waffen in Bayern – möglicherweise ein Komplize der Attentäter von Paris.
  3. Gewalt ist nie eine Lösung
    Die Anschläge können nie eine Rechtfertigung dafür sein, dass es zu Übergriffen gegen Flüchtlingsunterkünfte und Menschen kommt. Punkt. Keine Diskussion.
  4. Das Problem des islamische Antisemitismus
    Islamischer Antisemitismus in Deutschland ist ein Problem, das war auch schon 2013 so (bitte lesen). Und ich befürchte, wir werden mit diesem Phänomen in Zukunft stärker konfrontiert werden. Wer das nicht glaubt, schaue nach Frankreich, wo inzwischen viele Juden auswandern, da sie sich nicht mehr sicher fühlen. Gerade wir in Deutschland sind hier aber in einer besonderen Verantwortung, Antisemitismus keinen Raum zu geben und ungehindertes jüdisches Leben zu ermöglichen. Was dieser Punkt hier zu suchen hat? Erinnern Sie sich an die Anschläge auf jüdische Einrichtungen in Frankreich.
  5. Schnell integrieren
    Fakt ist: viele derer, die jetzt zu uns kommen, werden bleiben. Und diese Gruppe müssen wir schnell identifizieren und integrieren: Deutsch Unterricht, schnelle Integration in den Arbeitsmarkt, Vermittlung unserer Werte, offene Aufnahme vor Ort. Nur so kann verhindert werden, dass es zu islamischen Parallelgesellschaften wie in den französischen Banlieues kommt, die Brutstätten für Radikalismus und damit eben auch Terror wie nun in Paris sind.
  6. Werte verteidigen
    Es gibt in Deutschland viele Werte und Errungenschaften, auf die wir stolz sein können: Gleichberechtigung, Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit. Für diese Werte sollten wir selbstbewusst eintreten. Egal, ob Bedrohungen für diese Werte aus dem braunen Sumpf oder von radikal Religiösen kommen.
  7. Mehr Yoda wagen
    Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass, Hass führt zu unermesslichem Leid.
    Sorgen wir dafür, dass auf allen Seiten weniger Furcht ist.

Ich könnte jetzt noch viel mehr schreiben, wie z.B. hier.

Außerdem empfehle ich die Lektüre meines Artikels „Der Islam und Deutschland„.

Mit dem Bild zum Artikel will ich verdeutlichen, dass eben nicht alles schwarz/weiß ist.

Die Lawine

lawine-schaeuble

Lawinen kann man auslösen, wenn irgendein etwas unvorsichtiger Skifahrer an den Hang geht und ein bisschen Schnee bewegt.

Ob wir schon in dem Stadium sind, wo die Lawine im Tal unten angekommen ist, oder ob wir in dem Stadium im oberen Ende des Hanges sind, weiß ich nicht.

Ja, Wolfgang Schäuble hat Lawine gesagt. In Zusammenhang mit Flüchtlingen.

Und schon gibt es von beiden Lagern die gewohnten reflexhaften Reaktionen. Einerseits die „Gutmenschen“, die sich über die menschenverachtende Rhetorik ereifern, andererseits das „Pack“, dem diese Aussagen noch nicht weit genug gehen. Und das Team von Heiko Maas twittert besorgt:

Die Lawine ist nicht neu

Auch wenn einige den Eindruck erwecken wollen – zunächst einmal ist der Begriff „Lawine“ in Zusammenhang mit Flüchtlingen nicht neu:

Kön­nen wir die La­wi­ne auf­hal­ten?
Mitarbeiter der deutschen Botschaft im Kosovo im Februar 2015.

Flüchtlingskrise: Eine Lawine rollt auf uns zu.
Mohammad Moshiri im Mai 2015.

Schein-Asylanten-Lawine
BaWü Ministerpräsident Lothar Späth im Februar 1980 (der auch eine Verfassungsklage ankündigte, History repeating…)

Gut, dass von der „Lawine“ in diesem Kontext schon seit über 35 Jahren gesprochen wird (mindestens) macht die Sache jetzt zunächst nicht besser oder schlechter. Wolfgang Schäuble war aber jedenfalls nicht erste, der das Wort in die Diskussion einbrachte.

-lawine…

…drückt in Bildungen mit Substantiven aus, dass etwas immer mehr wird, nicht mehr einzudämmen ist.
(Duden online)

Der Duden nennt dann als Beispiele auch die Schuldenlawine, Antragslawine, Ausgabenlawine. Sicher, das Wort ist „emotional verstärkend“. Aber Schäuble hat hier die Lawine nicht im Sinne von „Naturkatastrophe“ benutzt, sondern damit eben den zitierten Effekt beschrieben. Und damit hat er auch die einzelnen Menschen nicht in der Form herabgesetzt, wie es viele seiner Kritiker nun meinen.

Welche Worte wurden und werden sonst noch im Zusammenhang mit der aktuellen Situation benutzt? Auf die schnelle finde ich den „Strom“, die „Flut“, den „Ansturm“, die „Masse“, die „Invasion“, „Krise“, „Chaos“, „Drama“, „Debatte“, „Frage“ – einige davon sind moderater, andere wiederum deutlich negativer besetzt als die Lawine.

Provozierend, aber nicht menschenverachtend

Ja, der Begriff der Lawine war sicher provozierend gemeint. Provoziert und angegriffen werden sollten aber nicht die Flüchtlinge, sondern Angela Merkel eine Schifahrerin.

Menschenverachtend in Bezug auf die Flüchtlinge ist er aber nicht. Allenfalls emotional verstärkend.

 

 

 

Lesenswertes 3

lesenswertes-3

Hier wieder die aktuellen 10 Links aus der Rubrik lesenswertes.

  1. Die Deutschen sind in der Pubertät
    Sehr lesenswertes Interview über die derzeitige Lage in Deutschland.
  2. Schreiben, um ein Mensch zu bleiben
    Sehr einfühlsamer Artikel über Guido Westerwelle und sein neues Buch „Zwischen zwei Leben: Von Liebe, Tod und Zuversicht„.
  3. Windows 10 Mobile als Self Service
    Dr. Windows spekuliert über die Update Strategie Microsofts bei Windows 10 für Smartphones.
  4. What to eat? Mein Menüplan für KW 46
    Ich finde einfach die Idee gut, sich vorher für die Woche einen Menüplan zu erstellen und diesen auch noch öffentlich zu machen. Tun sicher viele, ist mir aber heute zum ersten mal so untergekommen.
  5. The Verge Review of Animals: The Dog
    An sich erwartet man bei The Verge eher Reviews von iPhones, Surface Tablets oder Betriebssystemen. Die können aber auch Tiere.
  6. Bonn leuchtet im Dunkeln
    Irgendwie ist „Bonn leuchtet“ im Vorfeld an mir vorbeigegangen. Wie gut, dass es hier zumindest Bilder davon gibt.
  7. 10 Prozent werden straffällig
    Zu Kriminalität bei Flüchtlingen – differenzierter, als man es nach der Überschrift erwarten könnte.
  8. Kann ein Reichsbürger ehrenamtlicher Richter sein?
    Die Frage beantwortet sich eigentlich von selbst…
  9. Deutschlands heißer Herbst
    Über die Gewalt von Links und Rechts.
  10. Geschäftsmäßige Sterbehilfe verboten: Fast-Food-Ketten droht Schließung
    Ohne weitere Worte.

Bild: Seitenzahl 3 der legendären Seite 3 der „The Sun“.

Lesenswertes 2

lesenswertes-2

Hier die nächsten 10 „lesenswertes“ Links.

  1. Eine Nacht im Notlager
    Seltene Einblicke aus einem Notlager für Flüchtlinge bietet dieser Artikel. Must Read!
  2. Schickt VW in die Insolvenz
    Wie gemein – an einem ziemlich ähnlichem Artikel schreibe ich auch gerade.
  3. Die Züchtigung der barbusigen Sirene
    Nein, nicht was Sie wahrscheinlich denken – sondern ein Artikel über Seattle. Ich muss da jetzt unbedingt hin…
  4. Surprise new Star Wars: The Force Awakens trailer may be the most revealing yet
    Anschauen. Jetzt.
  5. Was für eine sicke Welt, die alles bewertet
    Schnell gelesen, macht nachdenklich.
  6. How Uber’s Autonomous Cars Will Destroy 10 Million Jobs and Reshape the Economy by 2025
    Gut, dass es so schnell geht mit dem autonomen Fahren glaube ich nicht, aber in die Richtung geht es.
  7. It’s time for Google to build it’s own Hardware
    Apple hat es vorgemacht, Microsoft ist nachgezogen – und das sollte auch Google tun meint Walt Mossberg: eigene Hardware bauen.
  8. Sonnenausbrüche entreißen dem Mars die Atmosphäre
    Warum es auf dem Mars (wahrscheinlich) kein Leben mehr gibt.
  9. Frau von Maus gefressen, da sie nicht sofort kreischend auf einen Stuhl gesprungen ist
    …der Postillon eben. Am Freitag muss so ein Link dabei sein.
  10. Gegen arabische Zahlen und lateinische Schrift
    Wenn es eigentlich nicht so traurig wäre…

Bild: hochskalierte „2“ aus der Workbench des Amiga OS. Der Amiga 500 war der zweite Computer, den ich hatte.