Pflichtlektüre: Die Target Falle

Die Target-Falle: Gefahren für unser Geld und unsere Kinder

Warum ich mich von der Politik nicht ernst genommen fühle

Ruprecht Polenz jubelt auf facebook:

Nach dem Spruch der Richter steht es Bundespräsident Joachim Gauck nun frei, den ESM-Vertrag zu unterschreiben. Nur mit seiner Signatur kann der Mechanismus in Gang gesetzt werden, den der Bundestag Ende Juni verabschiedet hatte.“ – Ein klares Urteil. Ich bin gespannt, ob alle, die hierauf Facebook von „Abschaffung der Demokratie“, „Verfassungsbruch“, „Staatsstreich“ und ähnlichem gesprochen haben, jetzt akzeptieren, dass diese ungeheurerlichen Vorwürfe keinerlei rechtliche Grundlage hatten.

Polenz erweckt den Eindruck, das Bundesverfassungsgericht habe damit einschränkungslos grünes Licht für den ESM gegeben.

Er unterschlägt dabei aber, dass das Gericht durchaus ein „ABER“ vor die Zustimmung gesetzt hat. Die Beschränkung der Haftung Deutschlands auf gut 190 Milliarden Euro und die Stärkung der Informations- und Mitwirkungsrechte des Bundestages ist nicht unerheblich. Insbesondere bleibt auch die Frage, inwieweit diese Vorbehalte völkerrechtlich verbindend gestaltet werden können – und ob es z.B. reicht, dass der Bundespräsident diese Vorbehalte abgibt oder ob dies der Bundestag tun muss. Über viele Problempunkte – Stichwort Anleihenkauf der EZB – wurde inhaltlich eigentlich noch gar nichts gesagt.

Ich fühle mich jedenfalls angesichts solcher Äußerungen von Herrn Polenz nicht ernst genommen – oder auf gut Deutsch „verarscht“.

Polenz äußert sich hier, ohne dass ihm die Urteilsbegründung vorliegt und sogar, während der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Voßkuhle noch spricht. Und auf die Einschränkungen geht Polenz erst gar nicht ein. Zudem lassen sich aus dem Urteil gewichtige Einschränkungen für weitere Rettungsmaßnahmen lesen (BVerfG, 2 BvR 1390/12 vom 12.9.2012).

Alles in allem klingt aber in Polenz‘ Statement durch: „Lasst uns nur machen, Ihr habt alle eh keine Ahnung…“. Mein Vertrauen in Volksvertreter wie Herrn Polenz wird durch solche simplifizierenden vorschnellen Lobeshymnen jedenfalls nicht gerade gestärkt.

Viel gewichtiger ist aber:

Letztlich sind Fiskalpakt, ESM und EZB-Anleihenkauf nur einzelne Schritte auf dem Weg zur Rettung des Euro. Zudem Schritte, die für sich genommen nicht ausreichend sein werden.

Schauen wir doch der Wahrheit ins Gesicht: Der Euro wird nur dann überleben, wenn die politische Integration Europas massiv vertieft wird. Und selbst dann ist m.E. fraglich, ob die Währung überleben wird, da die einzelnen Volkswirtschaften einfach zu unterschiedlich sind, wie ich in meiner Euro-Parabel dargelegt habe.

Just heute spricht Barroso davon, dass er einen EU-Staatenbund wünscht.

Das sind die Herausforderungen, von denen wir stehen. Und hier möchte ich von der Politik ernst genommen werden.

Bundesverfassungsgericht lehnt Gauweilers Eilantrag ab. Nicht.

Wie berichtet wird, wird das Bundesverfassungsgericht seine Urteilsverkündung in Sachen „ESM/Fiskalpakt – Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung“ nicht wie von Peter Gauweiler ebenfalls im Eilverfahren beantragt, verschieben. Die Entscheidung wird also wie geplant am 12. September 2012 verkündet werden. Hier geht es zur entsprechenden Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts.

Wenn jetzt aber behauptet wird, dies sei eine Ablehnung und dementsprechend Niederlage Gauweilers, so ist das nicht korrekt. Das Gericht hat nämlich inzwischen klargestellt, dass die Entscheidung am 12. September nicht verschoben wird und im Zuge dieser dann auch über Gauweilers neuen Hilfsantrag entscheiden wird.

Kann man daraus dennoch etwas für das morgige Urteil interpretieren? Ja – ein bisschen schon.

Das Bundesverfassungsgericht wird den ESM und den Fiskalpakt wahrscheinlich nicht komplett stoppen, sonst wäre die überraschende Beratung am 10. September so nicht notwendig geworden. Man kann also davon ausgehen, dass der ESM und der Fiskalpakt vom BVerfG zunächst „durchgewunken“ werden, freilich möglicherweise mit Auflagen.

 

Meinung: Die Großmütter und die Marmelade – eine Euro-Parabel

Oma Meier, Oma Huber und Oma Jensen waren Nachbarinnen. Nicht nur das, sie waren auch begeisterte Marmeladenköchinnen. Jedes Jahr, wenn die Erdbeeren die richtige Reife hatten, begannen sie, in vielen kleinen Töpfen Erdbeermarmelade zu kochen. Leider dauerte das immer sehr lange und das Hantieren mit den vielen kleinen Töpfen war sehr umständlich. Längst waren sie nicht so schnell wie ihre Cousine, Grandma Washington.

Daher beschlossen die drei, sich einen Schnellkochtopf zu kaufen. Keinen zu großen. Sondern einen, den sie gut im Griff hatten und bei dem Sie den Druck gut regulieren konnten. Und sollte doch etwas schief gehen, war es nicht schlimm – sooo viele Erdbeeren passten nun auch nicht hinein, so dass sich der Verlust in Grenzen hielt. Und es war kein Problem, sich untereinander mit Erdbeeren auszuhelfen. Das Marmeladekochen fiel ihnen viel leichter und die drei Großmütter waren glücklich. Auch als sich Ihnen noch Oma Schultze anschloss, ging alles gut.

Eines Tages jedoch kamen Grand-Mère Dubois und Nonna Antonelli bei den Marmeladenköchinnen vorbei. Sie brachten vor, dass ja alles schön und gut sei, wie es ist, doch Grandma Washington sei immer noch die größte Marmeladenköchin der Welt und das müsse doch nicht sein. Solle man sich nicht mit weiteren Großmüttern zusammentun und einen riesigen gemeinsamen Schnellkochtopf kaufen? Man könne dann genau so gut Marmelade machen wie Grandma.

Gesagt getan, man rief viele weitere Großmütter dazu und beschloss, sich zusammen zu tun. Fast alle waren begeistert. Nur wenige wie Granny Major und Bedstemor Høeg hatten Bedenken und blieben bei ihren eigenen Schnellkochtöpfen.

Die anderen kauften sich einen riesigen Schnellkochtopf, groß genug, um die Erdbeerernte von allen Großmüttern an einem Tag auf einmal zu Marmelade zu verkochen.

Und so kamen Sie eines Tages im Mai zusammen, und jeder hatte seine Erdbeeren dabei. Was sie dabei in ihrer Begeisterung nicht merken wollten: die Erdbeeren, die die Großmütter aus ihren verschiedenen Gärten zusammenbrachten, waren unterschiedlich reif. Die einen waren gerade richtig, andere setzten schon Schimmel an, während wieder andere noch grün waren. Man munkelt sogar, dass einige Großmütter schöne reife Erdbeeren oben in ihre Körbchen legten und darunter nur Holzwolle und schlechte Früchte. Aber so genau sah niemand hin.

So landeten alle Erdbeeren (und Holzwolle?) in dem riesigen Schnellkochtopf. Doch schon bald begannen die Probleme. Die verschiedenen Früchte passten einfach nicht zusammen. Im Topf rumpelte es und brodelte es und es baute sich ein gewaltiger Druck auf. Doch die Großmütter kannten sich mit so einem großen Schnellkochtopf nicht aus und waren sich nicht einig, was sie machen sollten – mehr Hitze oder weniger? Druck ablassen oder mehr Druck aufbauen? Und während Sie so diskutierten, die einen am Temperaturregler zerrten und die anderen am Druckventil, die einen nach links, die anderen nach rechts, gab es eine gewaltige Detonation…

Ich habe immer nach dem passenden Bild gesucht, die beiden wesentlichen Grundprobleme des Euro zu veranschaulichen: die unterschiedlich weit entwickelten nationalen Wirtschaften (Erdbeeren) und die Unmöglichkeit, diese nationalen Wirtschaften durch Wechselkursanpassungen zu steuern (riesiger Schnellkochtopf). Wenn nun – wie 2012 – gesagt wird, wir hätten eine Schuldenkrise und keine Euro-Krise, ist das zwar im Grundsatz richtig. Doch die gemeinsame Währung hat Europa zahlreiche Regelungsinstrumente genommen, auf nationale Wirtschaftsprobleme zu reagieren. Vielmehr wirken sich durch die gemeinsame Währung  nationale wirtschaftliche Probleme direkt auf den gesamten Euro-Raum aus. Insoweit war die Schuldenkrise 2012 sehr wohl eine Euro-Krise.

Auch in Hinblick auf die Wirtschaftslage im Italien des Jahres 2019 ist diese Parabel wieder aktuell.

Bismarck, Würste und der ESM

Je weniger die Leute wissen, wie Würste und Gesetze gemacht werden, desto besser schlafen sie!

(Otto von Bismarck)

Das Melderecht

Wie wahr dieser Ausspruch immer noch ist, konnte man gerade wieder einmal daran erkennen, wie das aktuelle Melderecht durch den Bundestag gerutscht ist. Obwohl es eine gravierende Änderung die Datenweitergabe durch die Ämter an Dritte betreffend enthielt, stimmte der Bundestag dem Gesetz zu:

Jetzt will es keiner gewesen sein und es wird eilig zurückgerudert. Dieses Beispiel zeigt aber schön, dass die Bundestagsabgeordneten hier gar nicht verstanden haben, worüber sie eigentlich abgestimmt haben. Eine ausführliche Zusammenfassung dazu gibt es bei Abgeordnetenwatch.

Immerhin fiel dieser eklatante Eingriff der Öffentlichkeit auf.

Das Telekommunikationsgesetz

Anders bei einem Randthema, einer kleinen Änderung im Telekommunikationsgesetz. Hier  sollte eine generelle Preisansagepflicht bei Call-by-Call Verbindungen eingeführt werden, was für sich ja eine mehr als sinnvolle Sache ist. Allein wurde vergessen, hierfür eine technische Übergangsfrist einzuräumen, was bei allen Gesetzen, die technische Änderungen für Anbieter bedingen, üblich ist.

Als ich in Berlin mit einigen Abgeordneten darüber sprach, reichten die Redaktionen von „Da haben die Anbieter halt Pech gehabt.“ über „Verstehe ich nicht.“ bis „Stimmt, das haben wir übersehen, aber das Fass können wir nicht mehr aufmachen.“

Das Gesetz passierte dann den Bundestag und den Bundesrat. Erst das Bundesverfassungsgericht korrigierte den Fehler (1 BvR 367/12).

Was ich hier noch bedenklicher finde: zahlreiche Bundestagsabgeordnete wussten, dass sie hier etwas beschließen, was so nicht rechtmäßig ist und tun es trotzdem.

ESM und Fiskalpakt

Bei den beiden vorgenannten Beispielen ging es um sehr simple Sachverhalte, die jeder halbwegs gebildete Mensch nach wenigen Minuten Einarbeitungszeit verstehen kann. Warum die Bundestagsabgeordneten das nicht gesehen haben, will ich jetzt nicht weiter kommentieren.

Kommen wir aber zu anderen Beschlüssen, deren Tragweite und Komplexität ungleich größer sind: ESM und Fiskalpakt. Auch hier haben die Abgeordneten mit überwältigender Mehrheit zugestimmt.

Ich will und kann hier nicht beurteilen, ob ESM und Fiskalpakt zur Lösung der Euro-Krise wirksam beitragen können, ich bezweifele dies zumindest sehr.

Große Zweifel habe ich allerdings, ob die – meisten – Abgeordneten überhaupt verstanden haben, worum es hier geht. Hierzu möchte ich aus einer Pressemitteilung des FDP-Abgeordneten Frank Schäffler zitieren:

Die Bundesregierung hat wesentliche Vorarbeiten über die beabsichtigte Handhabung dieser Verträge in der ökonomischen Wirklichkeit erst in den letzten Tagen dem Bundestag zugeleitet, obwohl diese wesentlichen Entscheidungsunterlagen schon vor Wochen fertiggestellt und zwischen den zukünftigen Vertragspartner verabredet worden waren. Die Mehrzahl der Abgeordneten hatte keine Möglichkeit, diese z. T. erst in englischer Sprache übermittelten Unterlagen zu prüfen und zu bewerten. Das widerspricht den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an eine ordnungsgemäße Gesetzgebung.

(zur vollständigen Pressemitteilung vom 29.06.2012)

Ich denke, dem ist nicht viel hinzuzufügen. Bedenklich finde ich hier, dass viele Abgeordnete Gesetzen zugestimmt haben, obwohl sie nicht wissen konnten, was sie hier eigentlich verabschieden.

Epilog 1 – Falsche Gerichtsschelte

Wenn nun die Zustimmungsgesetze zu ESM und Fiskalpakt vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt werden, finde ich ich es bedenklich, dass in diesem Zusammenhang der FDP Politiker Alexander Graf Lambsdorff an der Kompetenz des Gerichts zweifelt, hierüber entscheiden zu können.

Ihm ist zu entgegnen, dass

  • …das Bundesverfassungsgericht eben nicht darüber entscheidet, ob die Maßnahmen ökonomisch sinnvoll sind, sondern darüber, ob die Zustimmungsgesetze verfassungsgemäß sind.
  • …wohl eher zu fragen ist, ob die Abgeordneten wirklich wussten, worüber sie hier entschieden haben.

Ich persönlich habe mehr Vertrauen in die in akademischer Ruhe getroffene Entscheidung aus Karlsruhe als in die von Kadavergehorsam getriebenen und im Schweinsgalopp verabschiedeten Zustimmungsbeschlüsse der Abgeordneten.

Epilog 2 – es geht um die Wurst

Wenn Sie nun schon wegen der Gesetze nicht mehr ruhig schlafen können, sollten Sie wenigstens Ihre Wurst selber machen.

Guten Appetit.

Nachträgliche Leseempfehlung: Einige Gedanken über den Euro

Lasst den Euro sterben

Es gehört zu den Unsitten unserer Zeit, dass wir nicht akzeptieren wollen, was nicht sein sein darf, weil es für uns unvorstellbar ist. Dazu gehört das Sterben. Menschen werden quälend lange am Leben gehalten, das Leiden sinnlos verlängert bis dann doch der unvermeidliche Tod eintritt.

Auch der Euro ist so ein Koma-Patient, an dem hilflos herum gedoktort wird.

Lasst ihn endlich in Frieden sterben.

Heute stolperte ich über einen Blogbeitrag von mir mit „Gedanken über den Euro„. Und die sind immer noch aktuell – ziemlich genau sechs Monate, nachdem ich sie niedergeschrieben habe. Sechs Monate, in denen sich nicht viel geändert hat, außer dass die Krise noch schlimmer wurde. Die Argumente aus dem alten doch immer noch aktuellen Artikel muss ich hier nicht wiederholen.

Die Euro Krise ist inzwischen so komplex, dass sie wohl kaum mehr jemand komplett versteht, geschweige denn die Politiker, die darüber zu entscheiden haben. Und gerade das ist fatal, ist die Krise daher nicht mehr beherrschbar. Doch da das unvermeidliche nicht sein darf, wird der Komapatient Euro immer länger am Leben gehalten.

Vielleicht geschieht ein Wunder und die bisherigen Maßnahmen helfen. Das halte ich für sehr unwahrscheinlich.

Fraglich ist für mich inzwischen sogar, ob faktische „Vereinigte Staaten von Europa“ den Euro jetzt noch retten könnten. Von deren Vereinbarkeit mit den Verfassungen vieler Staaten einmal abgesehen.

Letztlich wäre ein Euro Zusammenbruch zwar disruptiv, aber keine Katastrophe. In den letzten 100 Jahren hat die deutsche Wirtschaft oft genug Währungsumbrüche und schlimmere Turbulenzen überlebt.

Und jedem Ende wohnt ein neuer Anfang inne.

Versailles 2.0

Lesenswert dazu: Bis Deutschland die Nerven verliert (Jan Fleischhauer in SPON).

Start the engines, Angela…

Europa braucht den Euro nicht

Das neue Buch von Thilo Sarrazin „Europa braucht den Euro nicht: Wie uns politisches Wunschdenken in die Krise geführt hat“ erscheint am 22. Mai 2012 und wird auch zum günstigeren Preis in einer Amazon Kindle Ausgabe erscheinen.

Dinner for One in einer aktuellen Version