Kurzkritik: Tausend Zeilen Lüge – Das System Relotius und der deutsche Journalismus (Juan Moreno)

Die Relotius-Affäre erschütterte nicht nur „Der Spiegel“ sondern den gesamten deutschen Journalismus. Wie konnte es nur passieren, dass im einst renommiertesten Nachrichtenmagazin der Republik gefälschte Reportagen erschienen?

Juan Moreno kann darüber berichten, war er doch Co-Autor des Artikels „Jaegers Grenze“ von Claas Relotius, über den dieser dann stolperte. Und es ist Morenos Verdienst, dass dieser sagenhafte Betrug aufgeflogen ist. Dementsprechend steht besagte Reportage im Mittelpunkt des Buches von Moreno und liefert mit seinen 1000 Zeilen auch gleich den Titel.

Ohne Frage – wer sich für Journalismus interessiert kommt an der Lektüre von „1000 Zeile Lüge“ nicht vorbei. Moreno schreibt so, dass man das Buch kaum zur Seite legen kann. Daran ändern auch die vielen Sprünge und Verweise – „darauf werde ich später zurückkommen“ – nichts, vielleicht sogar im Gegenteil. Ebenfalls nicht sonderlich störend sind die kleinen Schwächen, die der kurzen Zeit geschuldet sind, in der das Buch entstanden ist; will sagen: ein ausführlicheres Lektorat hätte sicher nicht geschadet, auch wenn wir hier wirklich nur über Kleinigkeiten reden.

Zwei Dinge haben mich mehr gestört: Zum einen, dass der Fokus ganz klar auf der Reportage „Jaegers Grenze“ liegt. Etwas mehr Einblicke in andere Lügengeschichten Relotius‘ wie z.B. die über Fergus Falls wären durchaus wünschenswert gewesen. Zur Verteidigung Morenos sei aber gesagt, dass der Haupttitel ja eigentlich nichts anderes verspricht und er aus erster Hand eben nur von diesem Vorfall berichten kann.

Der zweite Kritikpunkt setzt etwas tiefer an. Auch aufgrund des Untertitels „Das System Reolutius und der deutsche Journalismus“ hätte ich mir mehr Kritik an letzterem gewünscht, meinetwegen auch Verteidigunng und Lob. Klar, man erfährt viel über die Denke bei „Der Spiegel“ und oft fühlte ich mich bei der Lektüre hinsichtlich meiner Wahrnehmung, dass man als Spiegel Journalist Selbstverliebtheit als Einstellungsvoraussetzung mitbringen muss, bestätigt. Stellenweise bringt einen Moreno auch zum Nachdenken, z.B., ob es den Journalismus, wie wir ihn kennen, überhaupt noch braucht. Letztlich ist es genau diese Frage, die wie der rosa Elefant im Raum steht über die aber keiner sprechen will und Moreno fehlt – als Teil der Branche – der letzte Funken Mut, um das umfassend zu thematisieren. Er kratzt das Thema an, bleibt damit aber zu sehr an der Oberfläche.

Diese Kritikpunkte sollten aber niemanden davon abhalten, das Buch zu kaufen und zu lesen, dazu ist es einfach im Kern zu interessant und spanend.

Und von Juan Moreno möchte ich in Zukunft mehr über Journalismus reden.

„1000 Zeilen Lüge“ gibt es z.B. bei Amazon dort auch für den Kindle.