Bundesverfassungsgericht lehnt Gauweilers Eilantrag ab. Nicht.

Wie berichtet wird, wird das Bundesverfassungsgericht seine Urteilsverkündung in Sachen „ESM/Fiskalpakt – Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung“ nicht wie von Peter Gauweiler ebenfalls im Eilverfahren beantragt, verschieben. Die Entscheidung wird also wie geplant am 12. September 2012 verkündet werden. Hier geht es zur entsprechenden Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts.

Wenn jetzt aber behauptet wird, dies sei eine Ablehnung und dementsprechend Niederlage Gauweilers, so ist das nicht korrekt. Das Gericht hat nämlich inzwischen klargestellt, dass die Entscheidung am 12. September nicht verschoben wird und im Zuge dieser dann auch über Gauweilers neuen Hilfsantrag entscheiden wird.

Kann man daraus dennoch etwas für das morgige Urteil interpretieren? Ja – ein bisschen schon.

Das Bundesverfassungsgericht wird den ESM und den Fiskalpakt wahrscheinlich nicht komplett stoppen, sonst wäre die überraschende Beratung am 10. September so nicht notwendig geworden. Man kann also davon ausgehen, dass der ESM und der Fiskalpakt vom BVerfG zunächst „durchgewunken“ werden, freilich möglicherweise mit Auflagen.

 

Meinung: Das verfassungswidrige Wahlrecht

Wie erwartet hat das Bundesverfassungsgericht das von der Schwarz-Gelben Koalition verabschiedete Wahlrecht für verfassungswidrig erklärt. Überraschen kann das niemanden, der sich mit dem Gesetz auseinandergesetzt hat und erst recht niemanden, der die mündliche Verhandlung verfolgt hat.

Anstatt viel zu schreiben stelle ich mir einfach nur die Frage, was von einem Parlament zu halten ist,

  • das ein so offensichtlich verfassungswidriges Gesetz verabschiedet,
  • das ein neues Melderecht durchpeitscht, ohne das hinterher gewollt zu wollen
  • und das über milliardenschwere Rettungsschirme entscheidet, ohne zu verstehen, was da eigentlich beschlossen wird (von wenigen Ausnahmen abgesehen).

Vielleicht öffnet das nun dem ein oder anderen Abgeordneten die Augen – denn die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Bismarck, Würste und der ESM

Je weniger die Leute wissen, wie Würste und Gesetze gemacht werden, desto besser schlafen sie!

(Otto von Bismarck)

Das Melderecht

Wie wahr dieser Ausspruch immer noch ist, konnte man gerade wieder einmal daran erkennen, wie das aktuelle Melderecht durch den Bundestag gerutscht ist. Obwohl es eine gravierende Änderung die Datenweitergabe durch die Ämter an Dritte betreffend enthielt, stimmte der Bundestag dem Gesetz zu:

Jetzt will es keiner gewesen sein und es wird eilig zurückgerudert. Dieses Beispiel zeigt aber schön, dass die Bundestagsabgeordneten hier gar nicht verstanden haben, worüber sie eigentlich abgestimmt haben. Eine ausführliche Zusammenfassung dazu gibt es bei Abgeordnetenwatch.

Immerhin fiel dieser eklatante Eingriff der Öffentlichkeit auf.

Das Telekommunikationsgesetz

Anders bei einem Randthema, einer kleinen Änderung im Telekommunikationsgesetz. Hier  sollte eine generelle Preisansagepflicht bei Call-by-Call Verbindungen eingeführt werden, was für sich ja eine mehr als sinnvolle Sache ist. Allein wurde vergessen, hierfür eine technische Übergangsfrist einzuräumen, was bei allen Gesetzen, die technische Änderungen für Anbieter bedingen, üblich ist.

Als ich in Berlin mit einigen Abgeordneten darüber sprach, reichten die Redaktionen von „Da haben die Anbieter halt Pech gehabt.“ über „Verstehe ich nicht.“ bis „Stimmt, das haben wir übersehen, aber das Fass können wir nicht mehr aufmachen.“

Das Gesetz passierte dann den Bundestag und den Bundesrat. Erst das Bundesverfassungsgericht korrigierte den Fehler (1 BvR 367/12).

Was ich hier noch bedenklicher finde: zahlreiche Bundestagsabgeordnete wussten, dass sie hier etwas beschließen, was so nicht rechtmäßig ist und tun es trotzdem.

ESM und Fiskalpakt

Bei den beiden vorgenannten Beispielen ging es um sehr simple Sachverhalte, die jeder halbwegs gebildete Mensch nach wenigen Minuten Einarbeitungszeit verstehen kann. Warum die Bundestagsabgeordneten das nicht gesehen haben, will ich jetzt nicht weiter kommentieren.

Kommen wir aber zu anderen Beschlüssen, deren Tragweite und Komplexität ungleich größer sind: ESM und Fiskalpakt. Auch hier haben die Abgeordneten mit überwältigender Mehrheit zugestimmt.

Ich will und kann hier nicht beurteilen, ob ESM und Fiskalpakt zur Lösung der Euro-Krise wirksam beitragen können, ich bezweifele dies zumindest sehr.

Große Zweifel habe ich allerdings, ob die – meisten – Abgeordneten überhaupt verstanden haben, worum es hier geht. Hierzu möchte ich aus einer Pressemitteilung des FDP-Abgeordneten Frank Schäffler zitieren:

Die Bundesregierung hat wesentliche Vorarbeiten über die beabsichtigte Handhabung dieser Verträge in der ökonomischen Wirklichkeit erst in den letzten Tagen dem Bundestag zugeleitet, obwohl diese wesentlichen Entscheidungsunterlagen schon vor Wochen fertiggestellt und zwischen den zukünftigen Vertragspartner verabredet worden waren. Die Mehrzahl der Abgeordneten hatte keine Möglichkeit, diese z. T. erst in englischer Sprache übermittelten Unterlagen zu prüfen und zu bewerten. Das widerspricht den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an eine ordnungsgemäße Gesetzgebung.

(zur vollständigen Pressemitteilung vom 29.06.2012)

Ich denke, dem ist nicht viel hinzuzufügen. Bedenklich finde ich hier, dass viele Abgeordnete Gesetzen zugestimmt haben, obwohl sie nicht wissen konnten, was sie hier eigentlich verabschieden.

Epilog 1 – Falsche Gerichtsschelte

Wenn nun die Zustimmungsgesetze zu ESM und Fiskalpakt vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt werden, finde ich ich es bedenklich, dass in diesem Zusammenhang der FDP Politiker Alexander Graf Lambsdorff an der Kompetenz des Gerichts zweifelt, hierüber entscheiden zu können.

Ihm ist zu entgegnen, dass

  • …das Bundesverfassungsgericht eben nicht darüber entscheidet, ob die Maßnahmen ökonomisch sinnvoll sind, sondern darüber, ob die Zustimmungsgesetze verfassungsgemäß sind.
  • …wohl eher zu fragen ist, ob die Abgeordneten wirklich wussten, worüber sie hier entschieden haben.

Ich persönlich habe mehr Vertrauen in die in akademischer Ruhe getroffene Entscheidung aus Karlsruhe als in die von Kadavergehorsam getriebenen und im Schweinsgalopp verabschiedeten Zustimmungsbeschlüsse der Abgeordneten.

Epilog 2 – es geht um die Wurst

Wenn Sie nun schon wegen der Gesetze nicht mehr ruhig schlafen können, sollten Sie wenigstens Ihre Wurst selber machen.

Guten Appetit.

Nachträgliche Leseempfehlung: Einige Gedanken über den Euro

10 Fakten über das Bundesverfassungsgericht

  1. Das Bundesverfassungsgericht ist das Verfassungsgericht der Bundesrepublik Deutschland. Es ist gleichzeitig Verfassungsorgan und Teil der Rechtsprechung im Bereich des Staats- und Völkerrechts.
  2. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wurde bereits 1949 im Grundgesetz vorgesehen, nahm aber erst 1951 seine Arbeit auf. Auch wenn es bereits am 7. September errichtet war, die ersten internen Beschlüsse am 8. September fasste und die erste einstweilige Anordnung (betreffend die Errichtung Baden-Württembergs) bereits am 9. September erließ, gilt als Geburtstag des Gerichts die feierliche Eröffnung am 28. September 1951.
  3. Es hat seinen Sitz in Karlsruhe und liegt wie alle Verfassungsorgane in einem befriedeten Bezirk. Die Anschrift lautet „Schloßbezirk 3, 76131 Karlsruhe“.
  4. Das Gericht besteht aus zwei Senaten, mit je 8 Richtern, die ihrerseits wieder in je drei Kammern aufgeteilt sind, wobei jede Kammer aus drei Richtern besteht. Die Kammern entscheiden insbesondere bei Verfassungsbeschwerden, wenn der zugrundeliegende Rechtslage bereits vom Senat entschieden wurde. Der erste Senat ist der „Grundrechtssenat“, der zweite Senat der „Staatsrechtssenat“. Will ein Senat von der Rechtsprechung des anderen Senats abweichen, tritt das Plenum aus allen Richtern zusammen, was bisher erst viermal geschah.
  5. Besteht ein Senat des BVerfG aus einer Frau und sieben Richtern, spricht man von einem Schneewittchensenat.
  6. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts steht protokollarisch nach Bundespräsident, Bundestagspräsident, Bundeskanzler und Bundesratspräsident an fünfter Stelle des Staates.
  7. Anders als oft dargestellt ist das Bundesverfassungsgericht kein oberstes Gericht im Instanzzug der Gerichte. Diese Fehleinschätzung rührt daher, dass die Verfassungsbeschwerden am bekanntesten sind, die von „jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 enthaltenen Rechte verletzt zu sein.“ Das BVerfG entscheidet  also über verfassungsrechtliche Streitigkeiten. Neben den Verfassungsbeschwerden z.B. über die Verwirkung von Grundrechten, die Verfassungswidrigkeit von Parteien, Anklagen gegen den Bundespräsidenten, die Auslegung des Grundgesetzes bei Streitigkeiten zwischen Bundesorganen, die Vereinbarkeit von Bundes- und Landesrecht mit dem Grundgesetz, die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen auf Antrag von Gerichten, Richteranklagen gegen Bundes- und Landesrichter und viele weitere Spezialfälle, die im Grundgesetz und im BVerfGG (Bundesverfassungsgerichtsgesetz) aufgeführt sind.
  8. Die roten Roben der Bundesverfassungsrichter lehnen sich an Richterroben aus Florenz des 15. Jahrhunderts an. Sie sind so schwierig anzuziehen, dass die Richter die Hilfe eines Gerichtsdieners benötigen.
  9. 2021 wurden 5.188 Verfassungsbeschwerden erledigt, davon waren 67 erfolgreich. Neu eingegangen sind 5.059 Verfassungsbeschwerden, 237 Anträge auf einstweilige Anordnungen, 22 Normenkontrollverfahren und 34 andere Verfahren, insgesamt waren es 2021 also 5.352 Verfahren. Zum 31. 12.2021 waren 2.997 Verfahren anhängig, 2020 waren es an diesem Tag noch 3.214.
  10. Der Etat des BVerfG im Jahr 2021 betrug rund 38 Millionen Euro. Im Jahr 2010 waren es noch rund 18,5 Millionen Euro.