Warum man den Satz „Im Nationalsozialismus war nicht alles schlecht“ akzeptieren muss, um die deutsche Geschichte zu verstehen

Immer wieder sorgt die Aussage, dass im Nationalsozialismus nicht alles schlecht gewesen sei, für Entsetzen. Das erlebt z.B. im Mai 2023 der jüdische Publizist und Sohn von Holocaust Überlebenden Henryk M. Broder, dem für genau diesen Satz die Verharmlosung des NS-Regimes vorgeworfen wird.

Und er ist nicht der erste, der damit ein Problem hat:

Die Jahre von 1933 bis 1938 sind selbst aus der distanzierten Rückschau und in Kenntnis des Folgenden noch heute ein Faszinosum insofern, als es in der Geschichte kaum eine Parallele zu dem politischen Triumphzug Hitlers während jener ersten Jahre gibt.

Wiedereingliederung der Saar, Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, massive Aufrüstung, Abschluß des deutsch-britischen Flottenabkommens, Besetzung des Rheinlandes, Olympische Sommerspiele in Berlin, „Anschluß“ Österreichs und „Großdeutsches Reich“ und schließlich, nur wenige Wochen vor den Novemberpogromen, Münchener Abkommen, Zerstückelung der Tschechoslowakei …

Für die Deutschen, die die Weimarer Republik überwiegend als eine Abfolge außenpolitischer Demütigungen empfunden hatten, mußte dies alles wie ein Wunder erscheinen. Und nicht genug damit: aus Massenarbeitslosigkeit war Vollbeschäftigung, aus Massenelend so etwas wie Wohlstand für breiteste Schichten geworden. Statt Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit herrschten Optimismus und Selbstvertrauen. Machte nicht Hitler wahr, was Wilhelm II. nur versprochen hatte, nämlich die Deutschen herrlichen Zeiten entgegenzuführen? War er nicht wirklich von der Vorsehung auserwählt, ein Führer, wie er einem Volk nur einmal in tausend Jahren geschenkt wird?

Dieser Abschnitt ist aus einer Rede des ehemaligen Bundestagspräsidenten Philipp Jenninger zum Jahrestag der Novemberpogrome im Jahr 1988. Und Jenninger musste – nicht nur, aber auch wegen seines missverständlichen Vortragsstils – dann zurücktreten. Aber seine Aussagen und die daraus zu schließenden Erkenntnisse sind wichtig, um den Nationalsozialismus in Deutschland in all seiner Komplexität und Vielschichtigkeit zu verstehen.

Denn aus Sicht der Mehrheitsgesellschaft war das NS-Regime kein System der Unterdrückung und Gewalt, sondern in erste Linie ein eingelöstes Versprechen von Stabilität, Prosperität und nationaler Erneuerung.

Es handelte sich bei Hitler eben nicht um den österreichischen Gefreiten, der mit seinen Getreuen die Macht in Deutschland an sich riss, ihnen ein Zwangssystem aufdrückte und von dem sie dann 1945 befreit wurden und keiner war frei von Schuld. Das Dritte Reich funktionierte nur, weil es eine zusehends breite von der Mitte der Gesellschaft getragene Zustimmung erfuhr. Der Wille des Führers setzte sich ja nicht von selbst um. Und das alles funktionierte nur, da es der Masse besser ging als vorher, eben nicht alles schlecht war. Dass es einer Minderheit da anders erging, wurde da nur zu gerne übersehen, ja im Extremfall begrüßt.

Wer diese Wahrheit aus vermeintlicher politischer Korrektheit leugnet, wird den Nationalsozialismus nie verstehen können.

Schlimmer noch, er wird auch nicht erkennen, was in seiner Zeit zu einem neuen totalitären System führen kann.

Bild: Menschen  sitzen „Unter den Linden“, lesen die Zeitung und freuen sich über die Erfolge Adolf Hitlers. Midjourney AI.

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