„Ich war Bild“ – eine kurze Kritik

„Ich war ein Junkie – und Bild meine Droge“ – so steht es auf der Rückseite von Kai Diekmanns „Ich war Bild„.

Und auch ich war ein Junkie – und das Buch meine Droge. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, wann ich das letzte Mal ein Buch – und sogar eines mit 544 Seiten – an einem Tag durchgelesen habe.

Dass ich so gefesselt war, liegt zunächst an Diekmanns Schreibstil. Wer in Deutschland als intelligent gelten will, meint ja, dass es dazu einer möglichst abgehobenen Sprache bedürfe. Die große Kunst ist aber, die Dinge ohne möglichst kompliziert klingende – am besten noch lateinische – Fachausdrücke und komplexe Satzkonstruktionen verständlich und klar auf den Punkt zu bringen, ohne dann aber simpel oder langweilig zu wirken. Und diese Kunst beherrscht Kai Diekmann hervorragend. Man schwimmt so sehr mit dem Fluss seiner Schilderungen mit, dass man gar nicht mehr aufhören kann zu Lesen. Nur in einem Kapitel gelingt ihm das nicht ganz, doch dazu gleich mehr.

Die Affäre Wulff

Aber schöne Worte allein sind nichts, wenn man nichts zu erzählen hat. Davon hat Diekmann allerdings mehr als genug: Nach einem erfreulich kurzen Prolog, wie er zum Journalismus im Allgemeinen und zu Bild im Besonderen kam, widmet sich das erste Kapitel gleich der Wulff Affäre, bei der die Bild Zeitung und ihr Chefredakteur selbst eine doppelte Hauptrolle spielten: einmal dadurch, den Skandal rund um Christian Wulffs fragwürdige Eigenheimfinanzierung aufgedeckt zu haben, zum anderen durch den Fehler des Bundespräsidenten höchstselbst, durch eine Nachricht auf Diekmanns Mailbox zu versuchen, genau diese Berichterstattung zu verhindern.

Es gibt wenige politische Skandale, bei denen ich so sehr mit gefiebert habe, teilte und teile ich doch Diekmanns Ansicht, dass Wulff mit dem Amt ein viel zu groß geratener Anzug angezogen wurde. Jedenfalls hoffte ich darauf, dass der von mir als unerträglich empfundene Bundespräsident so schnell wie möglich aus dem Amt scheiden müsse. Und so wunderte ich mich jeden Tag, warum die Bild so lange mit der Veröffentlichung der fraglichen Mailboxnachricht zögerte. Hier im Blog, auf facebook und bei twitter forderte ich damals daher unentwegt „Mach es Kai„.

Nun, Diekmann schildert in seinem Buch die diesbezüglichen Diskussionen in der Bild-Redaktion und warum er sich zunächst gegen die Veröffentlichung entschied – und schon hier bekommt das Bild des skrupellosen Boulevard-Chefredakteurs Risse, das viele im Kopf haben dürften, wenn sie an ihn denken. Viel mehr erlebt man hier einen besonnen, differenzierten Journalisten, der sich seiner Verantwortung in alle Richtungen bewusst ist.

Was ist Bild, wer ist Diekmann?

Das wird auch – mit einer Ausnahme – in den elf weiteren Kapiteln deutlich, die übrigens alle für sich gelesen werden können: das ehrliche Bemühen um einen Dialog mit dem wohl größten und bekanntesten Bild-Kritiker Günther Wallraff, das von der Penis-Posse überschattete neckische Verhältnis zur taz oder ganz grundsätzlich die gegenseitige Instrumentalisierung von Boulevard-Prominenz wie Nina van Bellhuis einerseits und Deutschlands größter Boulevardzeitung andererseits.

Immer wird deutlich, dass sich Bild und besonders Diekmann nicht in eine Schublade packen lassen und dass zum Tango immer zwei gehören – mindestens.

Das Kapitel Kohl

Nur ein Kapitel fällt für mich aus dem Rahmen: das über Diekmanns Verhältnis zu Helmut Kohl. An anderer Stelle zitiert er – in einem Buch über Journalismus in Deutschland wohl wirklich unvermeidbar – Hajo Friedrichs mit seiner Aussage, dass sich ein Journalist mit keiner Sache gemein machen dürfe, dass man immer Distanz wahren solle. Doch in Hinblick auf Kohl ist Diekmann völlig unkritisch, ja glorifizierend und rutscht so sehr in eine fast schon pilchereske Sprache ab, dass ich mich schon fragte, ob bei diesem Kapitel nicht eine andere Hand die Tasten drückte.

Nun handelt es sich gerade hier um äußerst persönliche Erinnerungen, man spürt, was für ein enges Verhältnis zwischen den beiden Familien geherrscht haben muss. Und ich kann verstehen, dass es Diekmann ein Anliegen war und ist, den verstorbenen Altkanzler, dessen historische Rolle in Bezug auf die Wiedervereinigung und die europäische Union in Deutschland ja oft zu wenig und zu kritisch wahrgenommen wird, zu würdigen – aber aus meiner Sicht schießt er hier übers Ziel hinaus. Manchmal ist etwas weniger eben doch mehr.

#RefugeesWelcome – auch privat

Doch dieses Kapitel bleibt, wie gesagt, eine für mich dazu noch nachvollziehbare Ausnahme. Differenziert sind dann wieder die Schilderungen des Verhältnisses zu Angela Merkel. Hier nimmt natürlich deren Flüchtlingspolitik breiten Raum ein, die von der Bild sogar mit einer breit angelegten #RefugeesWelcome Kampagne begleitet wurde. Dass das für Diekmann und seine Frau Katja nicht nur Lippenbekenntnisse waren, zeigt sich auch darin, dass sie selbst einen syrischen Flüchtling mit seinen Kindern bei sich in Potsdam aufnahmen – und dadurch einen ganz unmittelbaren Blick auf das individuelle Leid, deutsche Bürokratie, kulturelle Differenzen und deren Herausforderung für die Integration erhielten.

Brücken in die Gegenwart

Besonders aktuell sind die drei Kapitel, die sich mit Erdogan und den Entwicklungen der Türkei besonders in Bezug auf das Verhältnis zu Europa, der SPD und Altkanzler Schröder sowie natürlich Putin und Russland  befassen. Gerade letzteres kann wertvolle Denkanstöße für das Selbstverständnis Russlands und die Ursachen des Krieges gegen die Ukraine liefern.

So ist „Ich war Bild“ nicht nur ein Blick in die Vergangenheit, sondern auch ein Buch der Stunde.

Was bleibt, was kommt?

Diekmann zitiert nicht nur Hajo Friedrichs, sondern auch Gabor Steingart, der immer wieder sagt, Aufgabe des Journalismus sei „to tell bad things even about the good guys.“ Und auch Rudolf Augstein kommt mit der Aussage, dass Journalisten für die andere Seite der Medaille zuständig seien, zu Wort.

Dieser Aufgabe kommt die deutsche Presse aus meiner Sicht in weiten Teilen inzwischen aber nicht mehr hinreichend nach.

Und die Zeiten, in denen man Deutschland „mit Bild, BamS und Glotze“ regieren und dazu dann vielleicht allenfalls noch FAZ, taz und Spiegel brauchte, um es ganz zu verstehen, sind lange vorbei. Inwieweit und in welcher Form es Journalisten als große Welterklärer noch braucht, wird die Zukunft zeigen. Diekmann geht in seinem Epilog jedenfalls davon aus, dass sie unverzichtbar sind. Persönlich bin ich mir da nicht so sicher.

Wenn Journalismus aber relevant bleiben will, muss er sich neu erfinden. Und das gilt auch und besonders für die Bild. Kai Diekmann war sicher der letzte große Chefredakteur und Herausgeber der Zeitung, wahrscheinlich sogar einer der letzten großen Chefredakteure und Herausgeber überhaupt in Deutschland. Mit seinem Abgang bei Springer im Jahr 2017 endete also auch ein Teil deutscher Pressegeschichte.

Ein Fazit

„Ich war Bild“ erzählt einen Teil dieser Geschichte. Dass es noch lange nicht die ganze Geschichte ist und sein Material sicher noch für mehrere Bände reichen würde, ist offensichtlich, ja Diekmann schreibt am Ende sogar, dass das nicht sein letztes Buch gewesen sein wird. Auch hier in meiner kurzen Kritik könnte ich noch auf viele weitere Aspekte eingehen, aber lesen Sie Diekmann lieber selbst, es lohnt sich.

In einer anderen Rezension heißt es, das Buch sei ein Schrei nach Liebe. Diesen Schrei höre ich nicht. Aber ich höre die Stimme eines Mannes, der sich im Laufe der Zeit vom unsicheren Schülerredakteur mit Aktenköfferchen, über den pomadigen Selbstdarsteller und den Silicon-Valley-Hipster zu Kai Diekmann entwickelt hat. Einem Mann, der sich selbst gefunden hat, der mit sich selbst im reinen ist und es auch sein darf.

Ein Mann, der nicht nur Geschichte und Geschichten erzählen, sondern der Welt auch mitteilen will:

Ich war Bild. Jetzt bin ich ich.

Eine Antwort auf „„Ich war Bild“ – eine kurze Kritik“

  1. Hallo Severin,
    vielen Dank für diese sehr gute Rezension. Ich habe einige am Wochenende gelesen und bin teilweise hin und her gerissen gewesen ob ich so viel Geld für ein Buch für einen „Bild“ „Schreiberling“ bezahlen möchte. Habe mich nun dafür entschieden, mit gleich 3 anderen Büchern dazu, da ich ja in Urlaub gehe :-).

    Kann gesagt werden, das Diekmann der letzte CR war bei Bild der so bezeichnet werden sollte? Der letzte fällt ja eher anders auf :-)

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