Meinung: Über das Gendern

Die ewige Genderdiskussion

Das Thema Gendern ist immer wieder in der Diskussion, als ich die erste Fassung dieses Artikels durch eine Umfrage im Auftrag des WDR, in der die Mehrheit der Befragten das Gendern kritisch sieht, oder im Frühjahr durch die sog. Genderverbote in Bayern und Hessen oder Bayern. Ich habe die Umfrage des WDR zum Anlass genommen, einige Worte zum Gendern zu schreiben, die ich schon länger loswerden wollte.

Mit Gendern bin ich irgendwie schon großgeworden. Wenn man sich in den 1980er Jahren politisch interessierte, stieß man immer mal wieder auf das Binnen-I, z.B. bei LeserInnen der taz. Irgendwie war das aber auch eine Sache, die es nur in links-ökologisch angehauchten Kreisen gab.

Dass aber eigentlich schon viel mehr und immer schon gegendert wurde, war mir lange nicht klar: Ob Ärztinnen und Ärzte, Politiker-/innen oder Lehrer/innen – das sind alles Formen des Genderns, die wir halt gewohnt sind. Und strenggenommen ist sogar das generische Maskulinum gendern, meint der Begriff „Forscher“ doch beide Geschlechter. Das ist aber den wenigsten klar, es fällt hält halt nicht so auf. Daher meinen viele, das generische Maskulinum sei gar nicht generisch, sondern schließe Frauen aus.

Darüber mag man trefflich streiten. Die angeblich abschreckende Wirkung des generischen Maskulinums auf Mädchen und junge Frauen bei der Studien- und Berufswahl dürfte jedenfalls nicht so groß sein, wie von den Befürwortern auffälliger Formen des Genderns immer wieder behauptet:

  • Schon über 48% der Ärzte sind Frauen und schaut man auf die Zahl der Medizinstudenten sind rund 2/3 weiblich.
  • Auch bei den Juristen sieht es nicht anders aus: Etwa 60% der Jurastudenten sind weiblichen Geschlechts.
  • Fast 90% der Grundschullehrerinnen sind weiblich und auch an Gymnasien und Gesamtschulen sind es inzwischen ca. 70% weibliche Lehrer.

All das wurde ganz weitgehend ohne Gendern und Quoren erreicht. Auch Studien, ob die Verwendung von Gendersprache jetzt die Bereitschaft von Mädchen erhöht bestimmte Fächer zu studieren oder Berufe zu erreichen, liefern je nach Auftraggeber unterschiedliche Ergebnisse.

Aber es ist mehr als verständlich, dass Frauen sich über das generische Maskulinum hinaus sprachlich mehr repräsentiert werden wollen. Und dass viele Berufe jetzt weiblich dominiert sind, kann auch eher als ein Argument für geschlechtergerechte Sprache als dagegen aufgefasst werden – schließlich würde es den Status quo besser darstellen. Und so frage ich inzwischen oft, ob eine Ärztin zu sprechen ist, wenn ich im Krankenhaus anrufe und weiß, dass fast alle Ärzte auf der Station Frauen sind.

Auf das Wie kommt es an

Auf der anderen Seite kann ich sehr gut verstehen, dass Gendersprache abgelehnt wird, insbesondere wenn sie oberlehrerhaft, ideologisch, schreiend und konstruiert daherkommt. Ein Negativbeispiel ist für mich die „Wahlhelfenden-E-Mail“ der Stadt Bonn, die mich so abgeschreckt hat, dass ich fast nicht mehr bei Wahlen geholfen hätte, so grauselig war sie formuliert. Dabei hätte man es ganz leicht besser machen können, wie hier gezeigt wird.

Schlimm zu lesen finde ich auch diesen Blogbeitrag von Google zum Chatbot Bard:  Das häufige Vorkommen von Ärzt:innen (was ist ein Ärzt?), Stürmer:innen, Anfänger:in, Entwickler:innen, Forscher:innen und Expert:innen (was ist ein Expert?) im Fließtext stört den Lesefluss doch erheblich. Auch das könnte man schöner regeln.

Das Buch „Creep“ von Philipp Winkler habe ich nach wenigen Seiten weggelegt, da dort andauernd Kund_innen, Freund_innen und Programmierer_innen vorkommen.

Ja ich gebe es zu: Doppelpunkte, Unterstriche und Gendersternchen stören für mich den Lesefluss so sehr, dass ich Texte, in denen so gegendert wird nur noch lese, wenn es denn unbedingt sein muss. Das Binnen-I finde ich da schon etwas geschmeidiger und je nach Textart kann ich mich sogar gut mit dem nach Phettberg entgenderten Arzty abfinden – jedenfalls liest es sich flüssig. Und dass es sich flüssig liest, ist auch für Menschen, die Deutsch als Fremdsprache lesen, die auf einfache Sprache angewiesen sind oder die mit LRS zu kämpfen haben, wichtig. Für die ist Gendern nämlich ganz schnell exklusiv statt inklusiv, dazu hier die Meinung eines von LRS betroffenen.

Es gibt jedenfalls viele Möglichkeiten, wie man geschlechtersensibel formulieren kann, ohne dass solche Leser ausgeschlossen werden oder dass es einfach nur gewollt, belehrend oder im schlimmsten Fall gar lächerlich wirkt. Das Gendern mit Stern, Doppelpunkt etc. ist nach meiner Erfahrung ein politisches Statement, das mit dem berechtigten Anliegen an sich nur wenig zu tun hat.

Stefan Brandenburg bringt in einem lesenswerten Kommentar zum Gendern für den WDR auf den Punkt, dass es einen unverkrampften Mittelweg brauche. Das sehe ich auch so.

Und um diesen Mittelweg sollten sich die, die Texte erstellen, bemühen.

Genderverbote

Zum Schluss noch ein Nachtrag zu den sog. Genderverboten:

Auch hier sollte man mE entspannter sein. Denn echte Genderverbote sind diese nicht, es werden lediglich bestimmte Formen des Genderns, die den Lesefluss stören, die Menschen mit LRS Probleme bereiten und die kompliziert für Menschen mit Deutsch als Fremdsprache sind, in bestimmten Situationen untersagt – und das ist letztlich eine sinnvolle Sache.

Mehr zum Thema

Hier gibt es übrigens einige Hintergrundinfos rund um Gendersprache und Gendernativen.

Illustration: Midjourney AI.

 

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