Die Twitter Files und die Sperre von Donald Trump – kompakt zusammengefasst

Unabhängig davon, wie man zu der Entscheidung steht, dass Trump auf twitter gesperrt wurde, haben der Vorgang an sich und die diesbezügliche interne Kommunikation bei Twitter historische Bedeutung und große Auswirkungen über Twitter an sich hinaus.

Eine Gruppe von Journalisten durfte mit Genehmigung des neuen Twitter Eigentümers Elon Musk die internen Akten sichten und hat die Inhalte und Erkenntnisse in ausführlichen Threads auf twitter zusammengefasst. Es ergibt sich daraus ein detailliertes Bild, wie es zur Sperre Trumps auf der Plattform gekommen ist . Wir haben diese Threads auch in deutscher Sprache dokumentiert. Für alle, die sich ausführlich mit dem Vorgang auseinandersetzen wollen, sind diese eine absolute Leseempfehlung.

Da die Threads und darin offengelegten internen Dokumente aber sehr komplex und detailliert sind, haben wir hier eine kompakte Zusammenfassung der Hintergründe, wie es zur Sperre von Donald Trump auf twitter kam.

Die Führungsebene auf einer Mission

Die Twitter Files zeigen zunächst im Zusammenhang mit der Entscheidung, den New-York Post Artikel über Hunter Bidens Laptop auf der Plattform nicht zuzulassen, dass die entscheidenden Führungskräfte, allen voran Vijaya Gadde und Yoel Roth, sich in einer Verantwortung für die Standards des demokratischen Diskurses auf der Plattform – und darüber hinaus – sahen.

Dabei waren sie aber nicht objektiv und neutral, sondern zogen im Zweifel ihre eigenen politischen und moralischen Überzeugungen einem unabhängigen Standpunkt und sogar den twitter internen Regeln vor. Und diese eigenen Standpunkte standen im Zweifel denen der demokratischen Partei deutlich näher als denen der Republikaner.  Die Journalisten, die die Twitter Files ausgewertet haben, weisen auch darauf hin, dass sie bei der Sichtung der Akten „keinen einzigen Hinweis auf Moderationsanfragen von der Trump-Kampagne, dem Weißen Haus oder den Republikanern im Allgemeinen gefunden“ haben.

Dazu gab es einen engen Austausch des inneren Twitter Zirkels mit US-Bundesbehörden, z.B. dem FBI, die wohl auch versuchten, Twitter in ihrem Sinne zu beeinflussen und zu instrumentalisieren.

Gadde, Roth und andere waren jedenfalls sichtlich von ihrem Einfluss euphorisiert und fühlten sich auf einer Mission, die von ihnen gefühlte Wahrheit durchzusetzen. Die Methoden, diese subjektive Wahrheit durchzusetzen, stand jedoch häufig im Gegensatz zu den möglichst objektiv gefassten Twitter Regeln, die den amerikanischen Free Speech Grundsatz respektieren.

Vereinfacht gesagt wurden missliebige Meinungen und Personen an den objektiven Twitter-Regeln vorbei mit teils intransparenten Methoden in ihrer Reichweite beschränkt oder ganz von Twitter verbannt.

Im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahlen 2020 wurde dieser Widerspruch immer deutlicher und es wurden interne Regeln und Richtlinien größtmöglich strapaziert oder gleich ganz umgangen, um gewünschte Ziele zu erreichen. Zudem wurden inoffizielle Tools und Methoden eingesetzt, um die Reichweite unerwünschter Meinungen und Personen zu unterdrücken. Gaddes Aussage „We do not shadowban!“ hatte jedenfalls mit der Realität nichts zu tun.

Es entwickelten sich diesbezüglich zwar Spannungen zwischen der Abteilung „Safety Operations“, die eigentlich für die Einhaltung der Regeln zuständig war, und dem „kleineren, mächtigeren Kader von leitenden politisch denkenden Köpfen wie Roth und Gadde“, aber der Führungszirkel setzte sich hier durch.

Die letztgenannte Gruppe war eine Art Oberster Gerichtshof der Moderation, der im Eiltempo Entscheidungen über Inhalte fällte, oft innerhalb von Minuten und auf der Grundlage von Vermutungen, Bauchgefühlen und sogar Google-Suchen, sogar in Fällen, in denen der Präsident involviert war.

Der Weg zu Trumps Sperre – an Regeln vorbei

Und nahezu immer wurde in diesen Fällen so entschieden, wie es den Vorstellungen von Gadde und Roth entsprach, die sich übrigens weitgehend mit denen des linken Flügels der Demokraten decken. In Teil 3 der Twitter Files wird ausführlich und konkret dargelegt, wie dies alles funktionierte: Die Führungsebene von Twitter hat „eine breite Palette von sichtbaren und unsichtbaren Werkzeugen eingesetzt hat, um Trumps Engagement einzudämmen, lange vor J6“ und damit die Sperre von langer Hand vorbereitet.

Denn eigentlich liegt es in der DNA von twitter, unabhängig zu sein:

„Hochrangige Politiker zu sperren“, schrieb das Twitter Policy Team im Jahr 2018, „würde wichtige Informationen verbergen… [und] die notwendige Diskussion über ihre Worte und Taten behindern.“ Und noch am am 7. Januar 2021, einen Tag vor Trumps Sperre, schrieb @Jack Dorsey, einer der Gründer und damals noch CEO von twitter, eine E-Mail an die Mitarbeiter, in der er darauf hinwies, dass Twitter seine Richtlinien konsequent beibehalten muss. Damit stand er im Widerspruch zu seinen beiden wichtigsten politischen Köpfen Gadde und Roth, die daher oft an ihm vorbei anders agierten.

Im Zusammenhang mit der von Trump und den Republikanern unter dem Hashtag #StopTheSteal verbreiteten Behauptung, die für  Trump verlorene Wahl sei „gestohlen“ gewesen, sahen Gadde und Roth ab November 2020 die Möglichkeit, Trump dauerhaft von der Plattform zu verbannen und setzten immer weitere Sanktionen gegen den noch amtierenden Präsidenten durch.

Dass dies größtenteils an den eigentlichen geschriebenen Regeln vorbei geschah, blieb freilich nicht unverborgen. So schrieb ein Twitter-Mitarbeiter an Roth: „Ich habe das Gefühl, dass viele Debatten über Ausnahmen daher rühren, dass Trumps Konto sich technisch nicht von anderen unterscheidet und dennoch aufgrund seines persönlichen Status anders behandelt wird, ohne dass es entsprechende _Twitter-Regeln_ gibt…“.

Solche Reaktionen führten dann wohl auch zu Roths späterer Aussage, „die Regeln sind ein Teil des Systems, wie Twitter funktioniert… wir merken aber, dass sich die Welt schneller verändert als wir in der Lage sind, entweder das Produkt oder die Richtlinien anzupassen.“ Durch diese Einstellung war dann willkürlichen Entscheidungen weiter Tür und Tor geöffnet.

Auch ein anderer Mitarbeiter erkannte das Risiko und warnte darauf Roth, dass dies die Verschwörungstheorie befeure „dass alle… Internet-Mogule… wie Könige herumsitzen und lässig entscheiden, was die Leute sehen können und was nicht“. An der Linie von Gadde und Roth, Trump auch an Richtlinien vorbei zu sperren, änderte solche Kritik freilich nichts mehr.

Vielmehr war für sie Trumps – natürlich zumindest zeitweise unklare – öffentliche Positionierung in Hinblick auf den Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 der willkommene Pearl Harbor Moment, um ihn endgültig von Twitter zu verbannen.

Trumps dauerhafte Sperre kam

Am Morgen des 8. Januar 2021 setzt Trump nach der Veröffentlichung eines um Mäßigung bemühten Videos um 6:46 Uhr: folgenden tweet ab:

The 75,000,000 great American Patriots who voted for me, AMERICA FIRST, and MAKE AMERICA GREAT AGAIN, will have a GIANT VOICE long into the future. They will not be disrespected or treated unfairly in any way, shape or form!!!

Und um 7:44 Uhr:

To all of those who have asked, I will not be going to the Inauguration on January 20th.

Am frühen Nachmittag des 8. Januar veröffentlicht die Washington Post einen von über 300 Twitter-Mitarbeitern unterzeichneten offenen Brief an CEO Jack Dorsey, in dem die Sperre von Trump gefordert wird:

Wir müssen Twitters Komplizenschaft bei dem untersuchen, was der designierte Präsident Biden zu Recht als Aufruhr bezeichnet hat.

Doch die mit der Bewertung der letzten Trump-Tweets beauftragten Twitter-Mitarbeiter kommen schnell zu dem Schluss, dass Trump nicht gegen die Twitter-Richtlinien verstoßen hat:

  • Ich denke, es würde uns schwer fallen zu sagen, dass dies eine Aufwiegelung ist.
  • Es ist ziemlich klar, dass er sagt, dass die ‚amerikanischen Patrioten‘ diejenigen sind, die für ihn gestimmt haben, und nicht die Terroristen (wir können sie doch so nennen, oder?) vom Mittwoch.
  • Ich sehe hier keine Aufwiegelung.
  • Ich sehe auch keine klare oder kodierte Aufhetzung in dem DJT-Tweet. Ich werde im Wahlkanal antworten und sagen, dass unser Team den DJT-Tweet bewertet und keine Vios“ – oder Verstöße – „gefunden hat.“
  • Es ist ein klares No-Vio. Er besagt nur, dass er nicht an der Einweihung teilnimmt.

Doch weniger als 90 Minuten, nachdem eigentlich festgestellt wurde, dass Trumps Tweets nicht gegen die Twitter-Richtlinien verstießen, fragte Vijaya Gadde, ob es sich nicht doch um eine „verschlüsselte Aufforderung zu weiterer Gewalt“ handele – mit Erfolg: Wenige Minuten später wiesen Twitter-Mitarbeiter des „skalierten Durchsetzungsteams“ daher darauf hin, dass Trumps Tweet möglicherweise gegen die Twitter-Richtlinie zur Verherrlichung von Gewalt verstoßen hat – wenn man den Ausdruck „amerikanische Patrioten“ so interpretiert, dass er sich auf die Demonstranten bezieht, die das Kapitol gestürmt hatten und nicht auf Trumps Wähler.

Bari Weiss beschreibt in Teil 5 der Twitter Files, wie die Dinge von da an eskalierten.

Die Mitglieder dieses Teams kamen zu dem Schluss, „dass er der Anführer einer terroristischen Gruppe ist, die für Gewalttaten/Todesfälle verantwortlich ist, die mit denen des Amokläufers von Christchurch oder Hitlers vergleichbar sind, und dass er auf dieser Grundlage und aufgrund der Gesamtheit seiner Tweets von der Plattform genommen werden sollte.“

Im Nachgang dazu hielten die Führungskräfte von Twitter eine Besprechung mit allen Mitarbeitern ab. Auch Jack Dorsey nimmt daran teil und muss sich den Vorwurf anhören, dass die Mitarbeiter „die unsere Richtlinien umsetzen, wie Nazis sind, die Befehle befolgen“.  Dies scheint der Moment zu sein, in dem Dorsey kippt. Er forderte im Nachgang eine einfachere Erklärung, um Trumps Suspendierung von Twitter zu erklären. Roth schrieb: „Gott helfe uns, [das] lässt mich glauben, dass er es öffentlich teilen will.“

Und nur eine Stunde später verkündete Twitter die dauerhafte Suspendierung Trumps „wegen des Risikos weiterer Aufstachelung zur Gewalt“. Wir haben das öffentliche Statement hier dokumentiert.

Die Auswirkungen auf die Plattform

„Die längste Zeit war Twitters Haltung, dass wir nicht die Schiedsrichter der Wahrheit sind“, schreibt ein Mitarbeiter zu der Entscheidung. Das habe er respektiert, es habe ihm aber nie ein gutes Gefühl gegeben. Und so schienen es viele bei twitter zu sehen. Gadde und Roth jedenfalls hatten sich mit ihrem Kurs durchgesetzt.

Bari Weiss schreibt dazu in ihrem Resümee zu Teil 5 der Twitter Files, dass der entscheidende und problematische Punkt dabei ist, wie weitgehend eine Handvoll Menschen in einem privaten Unternehmen den öffentlichen Diskurs und die Demokratie beeinflussen können.

Twitters COO Parag Agrawal – der später Dorseys Nachfolge als CEO antreten wird – war dies wohl direkt bewusst. Er schrieb im Nachgang zur Trump Sperre an Sicherheitschef Mudge Zatko:

The future of public conversation feels uncertain to me.

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