Buchkritik: Das Ende des Kapitalismus: Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden

„Das Ende des Kapitalismus: Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden“ ist ein neues Buch von Ulrike Herrmann, ihres Zeichens taz Journalistin. Der Titel hat mich neugierig gemacht, streift er doch viele gerade aktuelle Fragen, mit denen ich mich hier auch im Blog befasse, so dass ich es kurzerhand gelesen habe.

Das Buch im Überblick

Das Buch gliedert sich in drei Teile und beginnt mit „Der Aufstieg des Kapitalismus. Herrmann erläutert hier aus meiner Sicht recht eingängig, wie der Kapitalismus entstand, wie das kapitalistische System heute funktioniert und wieso der Kapitalismus aus ihrer Sicht unbedingt Wachstum benötigt. Eigentlich rechnete ich hier schon mit Kapitalismuskritik und wunderte mich dann, als sie das System lobte, da es dem Einzelnen individuelle Chancen und Wohlstand ermögliche.

Grundthese des zweiten Teils mit dem schönen Titel „Grünes Wachstum gibt es nicht“ ist, dass wir die planetaren Grenzen nicht überschreiten dürften. Wir verbrauchten jetzt schon viel mehr Ressourcen, insbesondere fossile Energie, als es der Umwelt gut tue, der Klimawandel sei ein Zeuge dafür und es sei überlebensnotwendig, diesen zu stoppen. Grünes Wachstum hingegen könne es nicht geben, da wir Stand der Dinge nur mit Wind, Sonne und den verfügbaren Speichern einfach nicht genug Energie bereitstellen können, die dafür vonnöten wäre. Für sie ist also grüner Degrowth unausweichlich, der z.B. duch weniger bis keine Flügen, weniger Individualverkehr mit (E-)Autos und generell viel weniger Konsum und damit Produktion gekennzeichnet ist, was dann natürlich wieder zu einer schrumpfenden Wirtschaft führt. Darauf sei der Kapitalismus dauerhaft nicht ausgelegt und werde im Chaos auseinanderbrechen. Jeglicher Green Degrowth im Rahmen des Kapitalismus sei also eine irreale Utopie.

Ihren Lösungsansatz stellt sie dann im dritten Teil vor, einen geordneten Green Degrowth: Energie wird durch Sonne und Wind erzeugt, als Speicher dienen z.B. Pumpspeicherkraftwerke und hauptsächlich Wasserstoff. Norwegische Wasserkraft kaufen wir zur Netzstabilisierung dazu. Das Smart Grid soll helfen, Energie effizienter zu nutzen, die Waschmaschine startet erst, wenn genug Sonne scheint. Es gibt kein Eigentum an Autos mehr, generell wird die Sharing Community immer wichtiger. Statt Bräune und Ballermann auf Mallorca gibt es Wandern im Harz, fliegen ist ja praktisch unbezahlbar.

Und wie soll das ganze umgesetzt werden? Hier Verweist Herrmann auf die britische Kriegswirtschaft im Zweiten Weltkrieg, die ja strenge Vorgaben gemacht habe, eigentlich eine Planwirtschaft war, aber Großbritannien blieb dennoch eine Demokratie.

Und? Was soll man dazu sagen?

Das erste Kapitel hat mir gut gefallen – ein guter Überblick über den Kapitalismus, sogar recht unideologisch vorgetragen. Dazu kommen – wie generell im Buch – viele fundierte Quellen, die zum weiterlesen einladen.

Die ersten Erkenntnisse im zweiten Teil, dass wir über unsere Verhältnisse leben und das nur mit klassischen EE und den derzeit vorstellbaren und realisierbaren Speichertechnologien auch nicht retten können, teile ich auch noch.

An dieser Stelle scheiden sich unsere Wege dann aber: Herrmann übersieht aus meiner Sicht, dass es auch ganz andere Möglichkeiten der Energieerzeugung und der Speicherung geben kann und zudem das Wachstum in Bereichen erfolgen kann, die eben nicht belastend für die Ressourcen sind. Auch Kernkraft – für mich derzeit einer der besten Lösungen für die Lösung unserer Energieversorgung – lehnt sie pauschal ab. Ein weiteres ressourcenverträgliches Wachstum ist aber aus meiner Sicht gerade durch Umbau der Grundlagen unserer Wirtschaft möglich.

Überhaupt bleibt sie seltsam vage, wie „Das Ende des Kapitalismus“ aussehen soll. Von den rund 260 Inhaltsseiten macht dieses eigentlich spannendste Kapitel nur 60 Seiten aus. Einige Ansätze sind gut und verdienen Beachtung – z.B. mehr Sharing-Economy, Smart Grid – aber sie verschließt sich komplett neuen Ansätzen. Doch wie das System nach dem Kapitalismus funktionieren und durchgesetzt werden soll, bleibt letztlich offen, sie verweist immer nur auf Großbritannien im zweiten Weltkrieg. Auch das greift m.E. viel zu kurz: Allein schon, da anders als damals – die Deutsche Luftwaffe über den Köpfen – die Gefahren durch den Klimawandel für sehr viele viel zu abstrakt ist. Und damit ist auch die Bereitschaft der Bevölkerung, bei solch massiven Einschränkungen mitzuziehen, viel geringer als damals. Einen möglichen gesellschaftlichen Konsens für solch einen postkapitalistischen Degrowth sehe ich also einfach nicht.

Fast schon naiv finde ich dann, wie sehr eurozentristisch sie an das Thema geht. Wie soll das alles in Asien und Afrika funktionieren und umgesetzt werden? Und was passiert, wenn massive Wanderbewegungen aus dem Süden in den Norden einsetzen, da Landstriche dort unbewohnbar werden etc. etc.? Überhaupt steht der Elefant Bevölkerungswachstum immer wieder zwischen den Zeilen, ohne angesprochen zu werden.

Grundsätzlich bleibt Herrmann hier in einem Kapitalismusbild des 19. und mittleren 20. Jahrhunderts gefangen, dass wir uns auf dem Weg in eine Wissens- und Informationsgesellschaft befinden, bleibt zu sehr auf der Strecke.

Und, Lesen?

Soll man Herrmanns Buch nun lesen? Wenn Sie sich fürs Thema interessieren, kann es nicht schaden, es bringt einen auf viele interessante Gedanken. Auch die vielen fundierten Belege machen es zu einer wertvollen Quelle.

„Das Ende des Kapitalismus“ gibt es natürlich bei Amazon – auch im Kindle Format und als Hörbuch – sowie in jeder Buchhandlung.

Mehr

Mehr über Ulrike Herrmann haben wir hier.

2 Antworten auf „Buchkritik: Das Ende des Kapitalismus: Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden“

  1. Die notwendigen Ressourcen für Kernenergie sind global sehr begrenzt und könnten uns bestenfalls etwas Zeit einräumen, aber wollen wir wirklich hunderte neue AKWs bauen?
    Energiespeicherung geht in allen bekannten Varianten mit großen Kosten und kleinen Wirkungsgraden daher, ich empfehle dazu: https://youtu.be/Q8xsg9iK5yo
    Man kann das ganze Buch kritisieren, aber die Energieproblematik ist hier prägnant auf den Punkt gebracht und jeder ernstzunehmende Lösungsansatz muss darauf eine Antwort haben.
    Vielen Dank für Ihre Rezension!

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