Dokumentiert: Eckpunkte des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und des Bundesministeriums der Justiz zum Selbstbestimmungsgesetz

Hier dokumentieren wir die Eckpunkte des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und des Bundesministeriums der Justiz zum Selbstbestimmungsgesetz vom Juni 2022.

 Im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition ist unter Zeilen 4019 ff. vorgesehen

„Wir werden das Transsexuellengesetz abschaffen und durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzen. Dazu gehören ein Verfahren beim Standesamt, das Änderungen des Geschlechtseintrags im Personenstand grundsätzlich per Selbstauskunft möglich macht, ein erweitertes und sanktionsbewehrtes Offenbarungsverbot und eine Stärkung der Aufklärungs-und Beratungsangebote. Die Kosten geschlechtsangleichender Behandlungen müssen vollständig von der GKV übernommen werden. (…) Für Trans- und Inter-Personen, die aufgrund früherer Gesetzgebung von Körperverletzungen oder Zwangsscheidungen betroffen sind, richten wir einen Entschädigungsfonds ein.“

I. Aktuelle Situation:

Derzeit gilt für transgeschlechtliche und nicht-binäre Personen noch das Transsexuellengesetz von 1980 von dem weite Teile durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig und nicht anwendbar erklärt wurden. Gleichwohl stellt es noch immer hohe Hürden auf, um den
Geschlechtseintrag oder die Vornamen zu ändern. Nach der derzeitigen Regelung bedarf es eines Gerichtsverfahrens, in dem zwei Sachverständigengutachten eingeholt werden müssen.

Diese Gerichtsverfahren sind oft langwierig und kostenintensiv.

Anders ist die Regelung für Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung (umgangssprachlich „intersexuelle“ bzw. „intergeschlechtliche“ Menschen), sie können den Geschlechtseintrag und die Vornamen mit einer Erklärung beim Standesamt ändern. Dazu müssen sie ein ärztliches Attest vorlegen oder eine Versicherung an Eides statt abgeben.

II. Zielsetzung

Künftig soll es eine einheitliche Regelung für alle transgeschlechtlichen sowie nicht-binären und intergeschlechtlichen Menschen geben, die ihren Geschlechtseintrag oder ihre Vornamen ändern wollen.

Nach dem neuen Selbstbestimmungsgesetz wird eine Erklärung mit Eigenversicherung beim Standesamt reichen, dass die Geschlechtsidentität nicht mit dem Geschlechtseintrag übereinstimmt. Weder die Vorlage eines ärztlichen Attests noch eine Begutachtung sind nötig.

Wenn eine Person neben der Änderung des Geschlechtseintrags oder der Vornamen auch körperliche Veränderungen anstrebt, sind hingegen wie bisher medizinische Regelungen und Leitlinien einschlägig. Der Anwendungsbereich des neuen Selbstbestimmungsgesetzes umfasst keine Vorfestlegung hinsichtlich medizinischer Maßnahmen, da die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen hiervon unabhängig ist.

III. Eckpunkte des Selbstbestimmungsgesetzes

  • Das Transsexuellengesetz wird abgeschafft und durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzt. Statt in einem mitunter langwierigen und kostenintensiven Gerichtsverfahren können der Geschlechtseintrag und die Vornamen künftig in einem einfachen Verfahren vor dem Standesamt geändert werden.
  • Die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen wird für
    transgeschlechtliche sowie nicht-binäre und intergeschlechtliche Personen einheitlich geregelt, also nicht mehr wie bisher in zwei verschiedenen Gesetzen mit unterschiedlichen Voraussetzungen.
  • Nach der Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen sind in amtlichen Dokumenten (z.B. Reisepass) grundsätzlich der geänderte Geschlechtseintrag und die geänderten Vornamen aufzunehmen.
  • Der Regelungsbereich des neuen Selbstbestimmungsgesetzes umfasst keine Vorfestlegung hinsichtlich etwaiger körperlicher (somatischer) geschlechtsangleichender Maßnahmen.
  • Volljährige Personen können im Sinne einer echten Selbstbestimmung die Änderung ihres Geschlechtseintrags und ihrer Vornamen durch Erklärung mit Eigenversicherung veranlassen.
  • Für Minderjährige bis 14 Jahre oder bei Geschäftsunfähigkeit des Minderjährigen geben die Sorgeberechtigten die Änderungserklärung gegenüber dem Standesamt ab.
  • Ab 14 Jahren geben die Minderjährigen die Erklärung selbst mit Zustimmung der Sorgeberechtigten ab. Um die Persönlichkeitsrechte der jungen Menschen zu wahren, kann das Familiengericht in den Fällen, in denen die Sorgeberechtigten nicht zustimmen, orientiert am Kindeswohl – wie auch in anderen Konstellationen im Familienrecht – die Entscheidung der Eltern auf Antrag des Minderjährigen ersetzen.
  • Von zentraler Bedeutung ist eine sachkundige, ergebnisoffene und kostenlose
    Beratung. Minderjährige und ihre Eltern haben daher die Möglichkeit, sich beraten zu lassen. Diese Beratung werden wir stärken und sicherstellen, dass Eltern und Minderjährige vor der Entscheidung auf sie aktiv hingewiesen werden. Die Beratung umfasst u.a. die Familiensituation oder die persönliche Situation des jungen Menschen, Bedarfe, vorhandene Ressourcen sowie mögliche Hilfen, die Verwaltungsabläufe, mögliche Auswirkungen des Vornamens- und Personenstandswechsels, geschlechtliche Entwicklung, Geschlechtsidentität, Umgang mit Varianten der körperlichen Geschlechtsmerkmale, Schutz vor Ausgrenzung und Diskriminierungen sowie Hinweise auf andere Beratungsangebote im Sozialraum. Dabei soll auch auf Beratungsangebote einschlägiger Vereine und Verbände hingewiesen werden.
  • Nach einer erfolgten Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen gilt für eine erneute Änderung grundsätzlich eine Sperrfrist von einem Jahr. Dies dient dem Übereilungsschutz und soll die Ernsthaftigkeit des Änderungswunsches sicherstellen.
  • Die Frage, mit welcher Bezeichnung Eltern nach einer Änderung des Geschlechtseintrags in der Geburtsurkunde ihrer Kinder eingetragen werden, wird mit der Abstammungsrechtsreform geregelt, die ebenfalls in dieser Legislaturperiode vorgesehen ist. Für die Zwischenzeit wird die Bundesregierung für betroffene Personenkreise eine Interimslösung vorlegen, damit verhindert werden kann, dass der die Geburtsurkunde vorlegende transgeschlechtliche Elternteil (z.B. bei Schuleintritt oder Grenzübertritt) zur Erklärung der Urkunde der Transgeschlechtlichkeit offenbaren muss und damit sich selbst, aber insbesondere auch das Kind der Gefahr von Diskriminierungen oder Anfeindungen aussetzt
  • Die Änderung eines geschlechtsspezifischen Familiennamens wird mit der Namensrechtsreform geregelt, die nach dem Koalitionsvertrag ebenfalls in dieser Legislaturperiode erfolgen wird.
  • Das Gesetz wird ein bußgeldbewehrtes Offenbarungsverbot enthalten.
  • Ergänzend zu den neuen Regelungen werden Anerkennungsleistungen für trans- und intergeschlechtliche Personen, die aufgrund früherer Gesetzgebung von Körperverletzungen oder Zwangsscheidungen betroffen sind, geregelt.
  • Es wird weiterhin darauf geachtet werden, dass Schutzbereiche für vulnerable und von Gewalt betroffene Personen nicht missbräuchlich in Anspruch genommen werden. Gewalttätige Personen gleich welchen Geschlechts haben z.B. wie bisher keinen Zugang zu Frauenhäusern. Zugangsrechte zu Frauenhäusern richten sich weiterhin nach dem jeweiligen Satzungszweck der privatrechtlich organisierten Vereine.
  • Entscheidungen zur Frage der Teilnahme z.B. von transgeschlechtlichen Sportler:innen trifft der autonom organisierte Sport in eigener Zuständigkeit.

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