Warum ein Importstopp für russisches Öl und Gas sinnvoll ist – von Prof. Jan Schnellenbach

Hier dokumentieren wir die Begründung von Prof. Jan Schnellenbach, warum er einen Importstopp für russisches Öl und Gas unterstützt. Die Argumentation wurde zuerst von ihm in einem Thread auf twitter veröffentlicht.

Warum habe ich den Aufruf für einen Importstopp für russisches Öl und Gas unterschrieben? Mehrere Punkte waren ausschlaggebend.

1) Die Behauptung, dass dieses keinerlei Auswirkungen auf den Krieg hätte, erscheint mir wenig plausibel. Natürlich, Putin kann seine Armee in Rubeln bezahlen, die er selbst druckt. Was bedeutet es für die Moral der Soldaten, wenn sie sich von diesen Rubeln praktisch nichts mehr kaufen können? Wenn sie hören, dass die Versorgungslage ihrer Familien schlecht ist? Und noch wichtiger: Russland hat zwar eine eigene Rüstungsindustrie, aber sobald es um Technologie geht, ist auch diese auf Importe angewiesen. Nimmt man Putin die finanziellen Mittel, die er für solche Importe braucht, dann wird das einen Effekt auf die Ausrüstung des russischen Militärs haben.

2) Kann man das auch mit gezielteren Sanktionen, z.B. Exportverboten für Dual-Use-Güter erreichen? Die sind zwar nicht wirkungslos, aber am Ende wird zahlungskräftige Nachfrage auch ein Angebot finden. Je gezielter die Sanktionen, desto eher finden sich auch Wege drumherum. Putin die Devisen zu nehmen, die er braucht, um im Ausland einzukaufen, erscheint als der effektivste Weg um etwas zu erreichen. Solange die für seinen Energieexport relevanten Banken wie die Gazprombank von den Sanktionen ausgenommen sind, wird er an frische Devisen kommen.

3) Dazu kommt noch ein polit-ökonomisches Argument. Solange Mrd. EUR und $ im Gegenzug für unsere Energieimporte nach Russland fließen, hat Putin nach innen Verteilungsmasse. Loyalität seiner politischen Machtbasis erkauft er sich nicht mit Rubeln, sondern mit Hartwährung. Mag sein, dass es den Oligarchen und der die Regierung tragenden Oberschicht derzeit wegen der schon existierenden Sanktionen schwerer fällt, das Geld für westlichen Statuskonsum auszugeben. Aber Rücklagen für bessere Zeiten können sie sich schaffen. Ohne Devisenzuflüsse aus dem Energieexport kann Putin ein Loyalitätsproblem im Innern bekommen. Putin sucht, als Reaktion auf die bisherigen westlichen Sanktionen, nach Wegen, uns zu schaden. Könnte er gut ohne die Deviseneinnahmen aus seinen Energieexporten leben, hätte er uns längst seinerseits den Hahn zugedreht. Dass er das nicht macht, zeigt: Er braucht das Geld. Dazu auch in Der Spiegel und in der New York Times.

4) Kann irgendwer versprechen, dass nach einem Energieembargo der Krieg schnell aufhört? Natürlich nicht. Aber ein Einlenken Putins wird wahrscheinlicher. Garantien gibt es in internationalen Konflikten nicht. Aber was ist die Alternative? Haben sich die Gegner eines Embargos schonmal Gedanken gemacht, wie teuer es für die Weltwirtschaft wird, wenn der Krieg sich noch Jahre hinzieht? Welche humanitären Opfer das kosten würde? Wir sollten die Instrumente, die wir haben, auch nutzen, um das zu verhindern. 13/

5) Aber wird es für uns nicht wahnsinnig teuer? Neun Kolleginnen und Kollegen haben sich das in einem quantitativen Modell angeschaut. Das ist nicht einfach nur eine theoretische Überlegung, dazu mehr hier. Das Modell wird mit den Parametern und Daten gefüttert, die sich empirisch aktuell finden. Es werden Sicherheitslinien eingezogen, um nicht optimistisch zu rechnen. Dies führt das Forscherteam zur Prognose eines BIP-Rückgangs von schlimmstenfalls 3% bei einem Lieferstopp. Dieser Rückgang ist schwächer als die Rezession in der Corona-Krise. Und es ist ein Worst-Case-Szenario. Wahrscheinlich wird es weniger schlimm. Die Autoren haben auch nachgelegt. Es gibt konkrete Vorschläge, wie die Substitution aus russischem Öl heraus funktionieren kann, vergleiche dazu folgenden Thread. Es wurde ein anderes Modell (Konjunktur- statt Handelsmodell) berechnet, das quantitativ ähnliche Ergebnisse zeigt. Die Prognose von max. 3% ist wirklich sehr robust, dazu dieser Thread. Ein Energieembargo wird für uns also durchaus teuer. So teuer wie eine mittelschwere Rezession, die immer wieder vorkommt. Sie wird aber nicht zu einer ökonomischen Katastrophe führen. Man liest hier bei Twitter gerade von Laien oft Horrorszenarien. Diese sind unbegründet. 19/
Selbst die Pessimisten unter den Ökonomen, die eher gegen ein Embargo sind, gehen, wenn sie ihre Prognose quantifizieren, von rund 5% BIP-Rückgang aus.

6) Noch ein Punkt: Wir würden mit dem Embargo sehr beschleunigt etwas tun, was wir ohnehin tun müssen, nämlich von russischem Gas und Öl unabhängig werden. Beim Öl kein Problem, da haben wir einen Weltmarkt. Beim Gas wird es Engpässe geben. Das bestreitet niemand. Aber: es sind beherrschbare Engpässe. Das zeigen die o.g. Studien. Das Argument, dass dieses Embargo nicht durchhaltbar sei, geht fehl. Je schneller wir mit der Substitution russischen Gases vorankommen, desto leichter fällt es uns, das Embargo weiter durchzuhalten. Und Russland? Wird Russland seine Energie nicht einfach irgendwo anders los? Nein. Russisches Öl wird heute mit einem Preisabschlag von über 30% gegenüber Brent gehandelt. Die Sanktionen wirken. Und Öl ist Putins kleinstes Problem. Um ähnliche Mengen seines Gases an China oder Indien zu exportieren wie nach Europa braucht er Infrastruktur, die er noch lange nicht hat. Weder zum Verflüssigen des Gases, noch in Form von Pipelines. Er bleibt darauf weitgehend sitzen.

7) Und zum Schluss, ja, auch noch ein moralisches Argument. Während ich das hier schreibe verhungern in Mariupol Menschen unter russischer Belagerung. Also, die Menschen, die nicht schon von Bomben getötet wurden, die Putins Armee auf zivile Bunker und Krankenhäuser warf. In Irpin setzte Russland Phosphorbomben ein. Diese führen zu Bränden, die mit Wasser nicht vollständig zu löschen sind. Menschen verbrennen bis auf ihre Knochen. 26/
Wollen wir mit diesem Regime noch Handel treiben? Was muss Russland noch tun, damit wir die Verschärfung von Sanktionen, die wir bisher im Köcher lassen, endlich einsetzen? Warten wir auf Atomaffeneinsätze? Oder darauf, dass er Polen und das Baltikum angreift? 27/

Zwei Disclaimer zum Schluss:

1) Der Autor dieses Threads heizt mit Gas.

2) Putin-Trolle werden geblockt und ihre Antworten ausgeblendet, versucht es erst gar nicht.

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