Gastbeitrag: Wer die Wahl hat …

1978 hatte ich zwar noch nicht die Wahl, aber schon das Bedürfnis, mich in den politischen Prozeß einzubringen. Damals fand die Wahl zur Hamburger Bürgerschaft statt und bereits in 1977 – ich war damals zarte 15 Jahre alt – fanden sich tausende zusammen, um eine Wahlalternative auf die Beine zu stellen.

Es war das erste Mal, daß die alternative Wahlbewegung landesweit auftrat und dementsprechend hektisch und unübersichtlich ging sich die Sache an. Die verschiedensten Bürgerinitiativen, Schwulen- und Lesbengruppen, aber auch politische Kleingruppen, versuchten, ein Bein ins Boot zu bekommen. Dankenswerterweise spielte hinter den Kulissen der Kommunistische Bund (KB) eine entscheidende Rolle, der erfreulicherweise die Zeit für eine Revolution noch nicht gekommen sah und zuerst einmal eine demokratische Opposition zu schaffen gedachte. Zu einem solchen Prozeß braucht es vor allem eins: Eine Führung, die verhindert, daß der gärige Teig zerläuft oder Blasen wirft. Wie nun aber macht man aus einem Sammelsurium von Kleinstgruppen eine schlagkräftige, politische Formation? Während die politischen Forderungen in einem Plenum, formal einer Delegiertenkonferenz mit nach Mitgliederzahl gestaffelten Stimmrechten, verhandelt und bestimmt wurden, ebenso die Kandidaten, die letztlich in die Bürgerschaft geschickt werden sollten (nur den Fairness halber seit erwähnt, das gewiß viel hinter den Kulissen entschieden wurde), mußte die formale Struktur dem strengen Wahlrecht nachempfunden werden. Und dies kennt keine Plena sondern nur sehr klare Strukturen, denen schwer nachzukommen ist. Dieses Problem wurde damals kongenial gelöst: Die Wählerinitiative bestand de jure nur aus den etwa 30 Kandidaten, der gesamte Unterbau fand einfach nicht statt. Die Kandidaten erklärten sich als dem demokratischen Prozeß unterworfen und anerkannten die Beschlüsse der Basis. Einfach so.

Was lehrt uns das für die heutige Zeit? Wer mit Blick auf die Bundestagswahl ein Bündnis kleiner, liberaler Gruppen schmieden möchte, der kommt formal an einer Parteistruktur und einem echten Wahlprogramm nicht vorbei, da Listenverbindungen in Deutschland nicht zulässig sind. Daraus folgt nun aber eben nicht, daß jede Kleingruppe verdammt ist, unter der 5%-Hürde zu verrecken. Es liesse sich durchaus ein Weg finden, Voltianer, Humanisten, Piraten oder Tierschützer zusammenzubringen.

Es wäre vielleicht sogar leichter, da es heute viel weniger zusammenzuführende Kräfte gab, als in meiner Jugend. Nur auf die ordnende Hand einer kommunistischen Kadergruppe wird man heute verzichten müssen.

Wenn das keine Chance ist, dann habt ihr es nicht verdient.

Dieser Gastbeitrag wurde von Alexander Virchow verfasst. Auf twitter diskutierte ich mit ihm darüber, wie Kleinstparteien ihre Chancen auf den Einzug in den Bundestag verbessern können; dies ist sein Vorschlag dazu. Er bloggt auch unter alexander.virchow.de; Auf twitter findet man ihn unter @virchow_de.

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