Dokumentiert: Offener Brief von PEN-Präsidentin Regula Venske an das Team des HarbourFront Literaturfestivals

Wir dokumentieren den offenen Brief des PEN Deutschland an die Organisatoren des Harbour Front Literaturfestival in Hinblick auf die Ausladung von Lisa Eckhart.

Liebe Verantwortliche von Nochtspeicher und Harbour Front Literaturfestival,

im Pressestatement des Nochtspeichers zur Ausladung der österreichischen Kabarettistin Lisa Eckhart durch das HarbourFront Festival heißt es: „Wir begrüßen, daß die Ausladung Lisa Eckharts vom Harbour Front Literaturfestival zu einer öffentlichen Debatte führt, diese gesellschaftliche Debatte ist überaus wichtig, um der bedrohlich um sich greifenden ‚Cancel Culture‘ Einhalt zu gebieten. Es ist alarmierend, wenn Künstler unter dem Damoklesschwert der sozialen Ächtung arbeiten oder sogar eine ‚Kontaktschuld‘ durch einen gemeinsamen Auftritt mit einer unliebsamen Person befürchten müssen; wenn Auftritte gesprengt oder gewaltsam verhindert werden.“

Nikolaus Hansen hat darüber hinaus die „verflucht komplexe Gemengelage für alle“, die zu dieser Entscheidung geführt habe, auf DLF Kultur erläutert. Wir kennen und schätzen uns in Hamburg nun schon seit vielen Jahren, und ich weiß, dass Euch die Literatur und die Meinungsfreiheit am Herzen liegen. Wie viele andere aber bin ich ob der Ausladung Lisa Eckharts bestürzt. Das kann und darf nicht die Ultima Ratio in dieser Angelegenheit sein! Ob die Gewalt von rechten oder linken Extremisten, von religiösen Eiferern oder Psychopathen angedroht wird: Wir dürfen uns ihr nicht in vorauseilendem Gehorsam beugen. Es mag sein, dass der Nochtspeicher unter den gegebenen Umständen nicht der geeignete Ort für diese Veranstaltung ist, es mag auch sein, dass man jetzt nicht alle geplanten Tandem-Lesungen verschieben kann. Aber wir haben, zumal in den vergangenen Monaten, gelernt, dass es auch ein Internet gibt und dass man die Kandidatin zum Beispiel per Online-Schalte einbeziehen könnte.

Übrigens geht es auch nicht an, dass sich für einen Preis Nominierte ihre Konkurrenten selbst aussuchen. Wer mit einem Kollegen, einer Kollegin nicht auftreten will, muss selbst zu Hause bleiben und kann nicht dem Veranstalter vorschreiben, mit wem er oder sie zu lesen bereit ist oder wer weiter im Rennen bleiben darf.

Die Beschwichtigung, es handle sich hier nicht um Zensur, Frau Eckhart könne ja an anderen Veranstaltungsorten oder auch im Fernsehen auftreten, greift – pardon, lieber Niko – zu kurz.
Es gibt vielfältige Formen von Zensur, klassisch durch staatliche Obrigkeit, moderner (aber vielleicht nicht einmal das) durch organisierte Kriminalität und/oder politischen Terror, verschärft in beiden Fällen durch die Duldung und Straflosigkeit seitens eines handlungsunfähigen Staates. Und, noch moderner, durch ‚Volksabstimmung‘ im Internet.

Im Dezember 1930 wurde die Premiere von „Im Westen nichts Neues“ nach dem Roman von Erich Maria Remarque derart massiv gestört, dass die Vorstellung schließlich abgebrochen werden musste. Verantwortlich waren damals nationalsozialistische Schlägertrupps. Am Ende machte sich die Oberprüfstelle die nationalsozialistische Argumentation zu eigen und verhängte ein Aufführungsverbot. Übrigens beklagte Heinrich Mann, der in den 1920er Jahren in mehreren Essays gegen Zensur Stellung bezog, dass sich das wilhelminische liberale Bürgertum viel stärker dagegen zur Wehr gesetzt hätte als es das Publikum der Weimarer Republik tat.

Wo wollen wir uns heute verorten?

Nun ist Lisa Eckhart nicht Erich Maria Remarque, aber darum geht es auch nicht. Gerade am Umgang mit ‚trivialeren‘ Kunsterzeugnissen zeigt sich, wie es um Demokratie und Meinungsfreiheit steht. Sie sind der Testfall, und das Publikum braucht auch sie, um sich in Kritik zu üben und Kategorien der Beurteilung auszubilden. Derzeit geistert das Wort ‚Figurenrede‘ durchs Internet. Das Bewusstsein dafür scheint in der Tat verloren zu gehen. Gut wäre z. B. ein Vergleich mit einem Vorgänger Lisa Eckharts, der für diese Gruppe jüngerer Comedians, zu denen sie gehört, Maßstab sein könnte: Serdar Somuncu. Wenn Somuncu den Fascho gibt und aus Hitlers ‚Mein Kampf‘ liest, so gelingt es ihm, die Bühnenfigur, die er abgibt, gleichzeitig zu dekonstruieren. Eine solche Dekonstruktion sehe ich bei Eckhart nicht. Darüber könnte man diskutieren.

Wer von den acht Nominierten am Ende mit einem Preis ausgezeichnet wird, entscheidet die Jury, nach Diskussion, so hoffe ich, und nicht im Faustkampf. Und auch das Publikum muss sich mit Argumenten, d.h. mit Worten auseinandersetzen. Gewaltandrohungen zählen nicht dazu. Im Übrigen sind für den Straftatbestand der Volksverhetzung, die manche hier vermuten, unsere Justiz und für jugendgefährdende Medien die Bundesprüfstelle zuständig. Traurig genug, dass an den Rändern unserer Gesellschaft kein Vertrauen in den demokratischen Rechtsstaat besteht. Wir aber sollten ihn verteidigen.

Ich begrüße daher, dass Ihr Lisa Eckhart nunmehr einen Vorschlag unterbreitet habt, wie sie weiter im Wettbewerb um den Klaus-Michael Kühne-Preis bleiben kann, und hoffe, Ihr findet eine für alle Beteiligten akzeptable Lösung.

Für das PEN-Zentrum Deutschland

Herzlich, Eure
Regula Venske
Präsidentin

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