Dokumentiert: Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel anlässlich der Besprechung mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder zum Coronavirus

 

PRESSEKONFERENZ von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel anlässlich der Besprechung mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder zum Coronavirus

 

Sonntag, 22. März 2020, 17.33 Uhr, Berlin

Guten Tag, meine Damen und Herren,

ich habe mich heute Nachmittag ausführlich mit den Regierungschefs und -chefinnen der Bundesländer telefonisch beraten. Wir alle sind uns des Ernstes der Situation bewusst. Das Coronavirus breitet sich weiter mit besorgniserregender Geschwindigkeit in unserem Land aus.

Wir haben heute darüber gesprochen, wie unsere Gegenmittel greifen. An Gegenmitteln haben wir eben noch keinen Impfstoff und keine Medikamente, sondern nur erstens die

Anstrengungen, die wir unternehmen, um unser Gesundheitssystem, vor allem die Krankenhäuser, auf den zu erwartenden weiteren hohen Anstieg der Fallzahlen vorzubereiten, und zweitens unser eigenes Verhalten. Das ist das derzeit wirksamste Mittel, das wir haben. Das bedeutet, das öffentliche Leben so weit herunterzufahren, wie es vertretbar ist, die Begegnungen der Menschen, bei denen das Virus weitergegeben werden könnte, so weit zu reduzieren wie möglich.

Sie wissen, dass sich Bund und Länder zu diesem Zweck am Montag bereits auf einschneidende Maßnahmen geeinigt hatten. Wir hatten vereinbart, dass wir an diesem Wochenende eine Zwischenbilanz ziehen werden.

Heute, am Sonntag, stellen wir überall in Deutschland fest: Unsere Städte, unser Verkehr, unser wirtschaftliches und privates Leben sehen vollkommen anders aus als noch vor einer Woche. Die überwältigende Mehrheit der Menschen hat verstanden, dass es jetzt auf jeden und jede ankommt und dass jeder und jede seinen und ihren Teil dazu beitragen kann, aber auch muss, das Virus aufzuhalten.

Bevor ich Ihnen gleich im Einzelnen die erweiterten Leitlinien erläutere, auf die sich Bund und Länder heute geeinigt haben, ist es mir wichtig, mich direkt an all diejenigen zu wenden, die sich jetzt an die notwendigen Verhaltensregeln halten. Ich danke Ihnen dafür. Ich weiß, dass es Verzicht und Opfer bedeutet, wirtschaftlich wie menschlich, wenn Geschäfte schließen müssen, wenn man nicht mehr so einfach unter Leute gehen kann und, was noch viel schmerzhafter ist, nicht mehr so einfach die Großeltern besuchen oder Freunde treffen darf. Wir alle müssen darauf eine Zeitlang verzichten.

Dass sich so viele an diese Verhaltensregeln halten, berührt mich sehr. So zeigen wir Fürsorge für ältere und vorerkrankte Menschen. Denn denen würde das Virus am gefährlichsten. Kurz gesagt: So retten wir Leben.

Ich habe Ihnen bereits am Mittwoch gesagt: So dynamisch die Ausbreitung des Virus ist, so flexibel müssen wir unsere Maßnahmen auch immer wieder angehen. Wir müssen sozusagen in der Lage lernen, von den Experten, die der Epidemie immer neue Erkenntnisse abgewinnen, und von der Beobachtung der Wirklichkeit. Welche Maßnahmen werden reibungslos umgesetzt und wo hakt es noch und warum?

In diesem Sinn haben sich die Bundesregierung und die Bundesländer heute darauf verständigt, die Leitlinien für das Verhalten und für die Bewegungsfreiheit und Mobilität, an die sich alle zu halten haben, noch einmal zu erweitern. So reduzieren wir weiter konsequent öffentliches Leben und die sozialen Kontakte und sorgen dafür, dass in ganz Deutschland im Grundsatz die gleichen Regeln gelten. Viele Bürger haben uns ja deutlich wissen lassen, dass sie sich diese Klarheit auch im föderalen Staat wünschen. Jeder soll wissen: Alle staatlichen Ebenen in Deutschland – der Bund, die Länder und die Kommunen – arbeiten an dem einen großen, ja lebenswichtigen Ziel: Zeit zu gewinnen im Kampf gegen das Virus.

Deshalb haben wir uns heute auf folgende ergänzende Leitlinien verständigt, die ich Ihnen vortragen möchte.

Erstens. Die Bürgerinnen und Bürger werden angehalten, die Kontakte zu anderen Menschen außerhalb der Angehörigen des eigenen Hausstands auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren.

Zweitens. In der Öffentlichkeit ist, wo immer möglich, zu anderen als den unter eins genannten Personen ein Mindestabstand von mindestens 1,5 Metern, besser noch von zwei Metern einzuhalten.

Drittens. Der Aufenthalt im öffentlichen Raum ist nur alleine, mit einer weiteren [nicht]* im Haushalt lebenden Person oder im Kreis der Angehörigen des eigenen Hausstands gestattet.

Viertens. Der Weg zur Arbeit, zur Notbetreuung, Einkäufe, Arztbesuche, Teilnahme an Sitzungen, erforderlichen Terminen und Prüfungen, Hilfe für andere oder individueller Sport und Bewegung an der frischen Luft sowie andere notwendige Tätigkeiten bleiben selbstverständlich weiterhin möglich.

Fünftens. Gruppen feiernder Menschen auf öffentlichen Plätzen, in Wohnungen sowie privaten Einrichtungen sind angesichts der ernsten Lage in unserem Land inakzeptabel. Verstöße gegen die Kontaktbeschränkungen sollen von Ordnungsbehörden und der Polizei überwacht und bei Zuwiderhandlungen sanktioniert werden.

Sechstens. Gastronomiebetriebe werden geschossen. Davon ausgenommen ist die Lieferung und Abholung mitnahmefähiger Speisen für den Verzehr zu Hause.

Siebentens. Dienstleistungsbetriebe im Bereich der Körperpflege wie Friseure, Kosmetikstudios, Massagepraxen, Tattoostudios und ähnliche Betriebe werden geschlossen, weil man in diesem Bereich eine körperliche Nähe hat, die ja unabdingbar für die Berufsausübung ist, und sie deshalb nicht zu den Leitlinien, die wir uns gegeben haben, passen. Medizinisch notwendige Behandlungen bleiben weiterhin möglich.

Achtens. In allen Betrieben und insbesondere solchen mit Publikumsverkehr ist es wichtig, die Hygienevorschriften einzuhalten und wirksame Schutzmaßnahmen für Mitarbeiter und Besucher umzusetzen.

Neuntens. Diese Maßnahmen sollen eine Geltungsdauer von mindestens zwei Wochen haben.

Damit weiß jeder, wo immer er oder sie lebt, genau, woran er ist. Jeder soll seine Bewegungen und sein Leben für die nächsten Wochen nach diesen klaren Vorgaben organisieren.

Niemand von uns, die wir in der Demokratie politische Verantwortung tragen, hat sich gewünscht, je mit solchen Regelungen vor die Bürger treten zu müssen. Ich sage aber auch: Dies sind nicht einfach irgendwelche Empfehlungen des Staates. Es sind Regeln, die in unser aller Interesse einzuhalten sind. Die Ordnungskräfte werden das überprüfen, und wo sie Verstöße feststellen, wird es Folgen haben und Strafen geben.

Ich wiederhole daher meinen dringlichen Appell an Sie alle, gerade auch an die wenigen, die sich mit der Einhaltung der Regeln in den letzten Tagen noch schwergetan haben:

Bitte ziehen Sie alle mit. Tun Sie jetzt das, was richtig ist für unser Land. Zeigen Sie Vernunft und Herz. Unzählige Mitbürger arbeiten im Gesundheitssystem oder halten unsere tägliche Versorgung aufrecht. Wir sollten ihnen dafür immer danken. Vor allem aber schulden wir ihnen, dass wir dem Virus so wenig Möglichkeit geben, sich auszubreiten, wie wir irgend können.

Es ist an diesem Tag eine große Ermutigung, zu sehen, dass Millionen und Abermillionen von Menschen diesen Verzicht aus Gemeinsinn und Fürsorge für die Gefährdeten auch ganz praktisch leisten. Ich bin überzeugt: Dieser Gemeinsinn, dieses „Wir treten füreinander ein“ wird uns alle gemeinsam durch diese schwere Zeit tragen.

Herzlichen Dank.

  • An dieser Stelle gab es einen Versprecher, den die Bundeskanzlerin anschließend korrigiert hat. Zur Vermeidung von Missverständnissen haben wir die Korrektur hier in Klammer gesetzt.

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