Dokumentiert: Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel, Bundesgesundheitsminister Spahn und RKI-Chef Wieler

BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, wir hatten in der Tat gestern Abend beziehungsweise am späteren Nachmittag eine Videokonferenz mit den Staats- und Regierungschefs, zusammen mit der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, dem Ratspräsidenten Charles Michel sowie der Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde. Ich möchte Sie, als wäre es ein Europäischer Rat gewesen, über diese Konferenz informieren. Diese Videokonferenz hat sich natürlich um die Fragen zum Coronavirus gedreht. Es war, nebenbei bemerkt, die erste Videokonferenz der Staats- und Regierungschefs. Man sieht also, dass die Digitalisierung und die neuen Formen der Kommunikation überall einziehen.

Wir haben entlang von vier Themen diskutiert:

Das erste war das Thema der Eindämmung der Gefahr, die von dem Coronavirus ausgeht. Das Virus ist in Europa angelangt. Es ist da. Das müssen wir verstehen. Die Maßstäbe für unser politisches Handeln, wie wir auf ein Virus reagieren, das wir noch nicht ausreichend kennen, für das wir keine Therapie und für das wir keinen Impfstoff haben, ergeben sich aus dem, was uns Wissenschaftler und Experten sagen. Deshalb ist es mir sehr wichtig, dass heute nicht nur der Bundesgesundheitsminister hier bei mir sitzt, sondern auch das Institut, das zusammen mit vielen ausgewiesenen Fachleuten für diese Expertise steht, nämlich das Robert-Koch-Institut und sein Chef, Herr Professor Wieler.

Sie wissen, dass Sie der Bundesgesundheitsminister gemeinsam mit diesen Wissenschaftlern jetzt regelmäßig informiert. Sie werden an dem Verlauf der Pressekonferenzen von Woche zu Woche sehen, dass sich der Wissensstand verändert und dass die Einschätzungen klarer werden, aber eben auch neue Einschätzungen hinzutreten können.

Weiter muss man verstehen: Wenn das Virus da ist und noch keine Immunität der Bevölkerung gegenüber diesem Virus vorliegt, keine Impfmöglichkeiten existieren, auch noch keine Therapiemöglichkeiten, dann wird ein hoher Prozentsatz der Bevölkerung – Experten gehen von 60 Prozent bis 70 Prozent aus – infiziert, solange dieser Zustand so bleibt. Deshalb wird ja auch – darauf komme ich noch zu sprechen – so intensiv an Therapiemöglichkeiten und Impfstoffen gearbeitet.

Wenn wiederum das so ist und man weiß, dass es besondere Gruppen in der Bevölkerung gibt, nämlich Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen, bei denen diese Viruserkrankung einen schwereren Verlauf nehmen kann, dann bedeutet das, dass das Vorgehen davon bestimmt sein muss, dass wir unser Gesundheitssystem nicht überlasten, sondern mit den Möglichkeiten des Gesundheitssystems so umgehen, dass wir die Ausbreitung des Virus und der Infizierungen verlangsamen. Deshalb sind alle Maßnahmen, die wir unternehmen, von allergrößter Bedeutung, weil sie uns Zeit geben. Es ist eben nicht egal, was wir tun. Es ist nicht vergeblich und nicht umsonst, auch wenn sich die Ratschläge verändern. Denn die Ratschläge und Empfehlungen, wie man vorgehen soll, orientieren sich immer an der Frage, wie wir sicherstellen, dass unser Gesundheitssystem in der Zeit, in der wir uns mit diesem Virus auseinandersetzen müssen, nicht überlastet wird. Es geht also darum, Zeit zu gewinnen.

Wir werden dann natürlich auch Prioritäten setzen müssen. Wichtig ist, dass alle staatlichen Ebenen arbeiten können. Das gilt für die Polizei, für die Bundeswehr, die kritische Infrastruktur, für politische Entscheidungen und dafür, dass die medizinischen Möglichkeiten genutzt werden können und das medizinische Personal arbeiten kann. Ich will an dieser Stelle übrigens ein riesen Dankeschön an die vielen sagen, die heute schon sehr, sehr hart belastet sind. Dann geht es darum, dass wir das wirtschaftliche Leben einigermaßen aufrechterhalten können. Deshalb gibt es bei der Frage, was wir denn zur Verlangsamung beitragen können, natürlich eine Priorisierung und eine Nachrangigkeit. Deshalb ist es eben nicht das zentrale Problem, ob ein Fußballspiel, wenn ich das so hart sagen darf, mit oder ohne Publikum stattfindet. Wenn man dadurch einen Beitrag dazu leisten kann, dass Menschen, die krank sind, und Menschen, die alt sind, nicht in eine Situation kommen, in der man vielleicht nicht mehr die richtige medizinische Behandlung durchführen kann, dann ist das genau das Verhalten, das wir jetzt brauchen. Und so gibt es viele Dinge.

Deshalb gibt es die Empfehlung, die der Bundesgesundheitsminister ausgesprochen hat, dass Veranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern abgesagt werden sollten. Aber man kann auch unterhalb dieser Schwelle etwas tun und damit einen guten Beitrag leisten.

Wir wissen, dass ganz Europa von diesem Virus erfasst ist. Jedes europäische Land ist betroffen, zum Teil in unterschiedlicher Art und Weise; das hat die Videokonferenz gestern ergeben.

Ich möchte etwas in Richtung unserer italienischen Freunde sagen, die in Europa zurzeit am schwersten betroffen sind. Die Berichte von dort, die Aussagen, auch von Medizinern und medizinischem Personal, das am Rande der Überforderung arbeitet, bedrücken uns sehr. Wir denken auch mit großer Sympathie an die Menschen, auch an die politisch Verantwortlichen in Italien und wünschen Ihnen von Herzen, dass die harten Maßnahmen, die sie jetzt für das Land gewählt haben, dort eine Wende zum Besseren bringen.

Die Videokonferenz hat herausgebracht, dass wir uns eng abstimmen müssen. Das sollen die Gesundheitsminister machen, die auf Minister- oder aber Staatssekretärsebene täglich miteinander im Kontakt sein sollten.

Die Europäische Kommission wird renommierte Virologen in einem Expertenkreis zusammenstellen, um mit ihnen immer zu beraten, wie ein einheitliches, möglichst abgestimmtes Vorgehen in Europa stattfinden kann. Es geht jetzt nicht darum, dass wir uns in Europa voneinander abschotten, sondern es geht darum, dass wir einen Modus finden, in dem möglichst kein Gesundheitssystem in der Europäischen Union überfordert wird.

Das führt natürlich auch zu der Frage der medizinischen Ausstattung. Wir haben eine ganze Reihe von Nachfragen, weil wir eine Exporterlaubnis für medizinische Güter eingeführt haben. Ich habe den Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Rat erklärt: das heißt nicht, dass wir nichts mehr exportieren. Aber wir wollen wissen, dass es in die richtigen Hände und an die richtigen Stellen kommt. Denn das ist jetzt von entscheidender Bedeutung. Das ist, glaube ich, auch so verstanden worden.

Wir müssen einen Fokus auf die Forschung richten. Ich habe dafür geworben, dass wir die Allianz CEPI, die sich mit der Erforschung von Impfstoffen befasst, unterstützen und dass wir alle europäischen Fähigkeiten und Möglichkeiten koordinieren. Deutschland hat ja jetzt sehr schnell – dafür danken wir auch dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages – Mittel in Höhe von 140 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um dieses Impfprogramm schnell voranzubringen.

Der vierte Punkt sind die wirtschaftlichen Folgen. Das alles, was jetzt passiert – Sie wissen das von Hotels, Messebetreibern, Gaststätten und vielen anderen -, geht an der Wirtschaft nicht spurlos vorüber. Deshalb geht es hier in Europa um ein koordiniertes Vorgehen, bei dem jeder Mitgliedstaat seinen Beitrag leisten muss. Ich darf sagen, dass die Bundesregierung hier sehr schnell gehandelt hat. Sie haben gestern von der Einführung des Kurzarbeitergeldes gehört, wie wir es auch in Zeiten der Finanz- und Bankenkrise hatten. Wir haben gute soziale Sicherungssysteme, die als automatische Stabilisatoren wirken. Wir haben das Infektionsschutzgesetz, das Erstattungen im Zusammenhang mit solchen Infektionskrankheiten möglich macht. Wir haben das Instrument der Lohnfortzahlung, das nicht überall auf der Welt existiert. Wir werden noch in dieser Woche Liquiditätshilfen zur Verfügung stellen, insbesondere auch über die Kreditanstalt für Wiederaufbau. Das heißt, wir werden uns rüsten und auch mit der Wirtschaft den Dialog suchen.

Wir werden auf der europäischen Ebene den Stabilitäts- und Wachstumspakt flexibel handhaben. Das war gestern eine wichtige Schlussfolgerung. Wir werden die Beihilfe regeln und flexibel handhaben. Es wird eine sogenannte Corona Response Investment Initiative auf der europäischen Ebene in Höhe von 25 Milliarden Euro für Investitionen geben.

Die deutsche Situation ist dadurch gekennzeichnet, dass wir ein föderales Land sind. Das heißt, dies erlaubt ein dezentrales und am Problem angepasstes Handeln. Es ist ein Vorteil, dass nicht alles an einer Stelle konzentriert ist. Deshalb möchte ich auch an die jetzt vor völlig neue Herausforderungen gestellten Gesundheitsämter, Landratsämter und Oberbürgermeister ein herzliches Dankeschön formulieren.

Aber wir müssen natürlich auch sagen: Föderalismus ist nicht dafür da, dass man Verantwortung wegschiebt, sondern Föderalismus ist dafür da, dass jeder an seiner Stelle Verantwortung wahrnimmt.

Wir werden morgen eine Ministerpräsidentenkonferenz haben. Wir müssen auf allen staatlichen Ebenen abgestimmt miteinander handeln, bei gleicher Situation auch möglichst gleich, egal in welchem Bundesland sich die Situation abspielt.

Ich glaube, wir tun wirklich gut daran, dass wir den Empfehlungen, die uns auch vom Robert-Koch-Institut gemacht werden, von der Bundesebene bis zur lokalen Ebene nachkommen und uns danach richten.

Wir sind in einer Situation, in der wir vieles noch nicht wissen. Das, was wir wissen, müssen wir sehr ernst nehmen. Wir müssen alle Kräfte einsetzen. Wir müssen alle notwendigen Maßnahmen ergreifen. Das gilt für die Bundesregierung und für alle politisch Verantwortlichen. Aber das gilt auch für die Bürgerinnen und Bürger, die 83 Millionen Menschen, die in unserem Land leben. Es geht um den Schutz gerade auch älterer Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen, um sogenannte vulnerable Gruppen, wie man heute sagt. Da sind unsere Solidarität, unsere Vernunft und unser Herz füreinander schon auf eine Probe gestellt, von der ich mir wünsche, dass wir sie auch bestehen können.

BM Spahn: Frau Bundeskanzlerin, meine Damen und Herren, unser oberstes Ziel ist und bleibt, die Ausbreitung des Virus in Deutschland und in Europa einzudämmen, zu verlangsamen, um das Gesundheitssystem zuvörderst funktionsfähig zu halten. Das habe ich am Montag und auch in meiner Regierungserklärung am Mittwoch gesagt. Das ist das, was uns seit vielen Wochen in dem, was wir in der Gesundheitspolitik und in der Arbeit mit dem Robert-Koch-Institut zusammen mit den Bundesländern und den Institutionen sowie den Krankenhäusern vor Ort tun, leitet.

Es ist wichtig, dass wir diese Botschaft gemeinsam immer wieder auch an jeden und in die Gesellschaft tragen: Je langsamer sich das Virus in Deutschland ausbreitet, desto besser kann das Gesundheitssystem damit umgehen. Das ist genau das, worum es geht. Das Virus ist da. Wir werden damit umgehen müssen. Die Frage, wie schnell es sich verbreitet, wird maßgeblich darüber entscheiden, wie gut wir im Gesundheitssystem damit umgehen können; denn je weniger Menschen sich gleichzeitig anstecken, desto besser können die Ärztinnen und Ärzte sowie die Pflegekräfte in den Krankenhäusern dann tatsächlich auch angemessen und gut behandeln.

Wichtig ist, dass die Symptome, die mit dieser Atemwegserkrankung verbunden sind, ja bekannt sind. Das sind keine Symptome, mit denen das Gesundheitswesen nicht jeden Tag vielfach umgehen würde. Aber gerade bei schwereren Verläufen, etwa einer Lungenentzündung und dem, was dann auch an Intensivmedizin und Beatmungsnotwendigkeiten daraus resultieren kann, gibt es einen Engpass in der Versorgung.

Ich will sagen, dass wir mit 28 000 Intensivbetten, davon etwa 25 000 mit Beatmungsgeräten, in Relation zur Bevölkerungsgröße schon ein vergleichsweise gut bis sehr gut ausgestattetes Gesundheitssystem haben. Gleichwohl werden diese Betten im Moment auch an vielen Stellen genutzt; sie sind ja nicht leer. Insofern ist es die große Aufgabe, dort zu verlangsamen, um diese Kapazitäten zu erhalten.

Deshalb haben wir dazu aufgerufen, Großveranstaltungen abzusagen und unseren Alltag zu ändern, jeder Einzelne für sich, aber auch die Gesellschaft insgesamt. Das gilt auch für Unternehmen und für Behörden. Das gilt für uns alle und für jeden an seiner und ihrer Stelle.

Insofern ist es gut – das möchte ich ausdrücklich sagen -, dass sich auch Berlin entschlossen hat, das Fußballspiel ohne Zuschauer stattfinden zu lassen.

Ich bin sehr dankbar, dass viele Bundesländer schon gestern mit Kabinettsbeschlüssen und auch durch entsprechende polizeirechtliche Verfügungen die Grenze von 1000 Teilnehmern bei Großveranstaltungen umgesetzt haben. Ich nehme wahr, dass die Bürgerinnen und Bürger, aber auch die Verantwortlichen vor Ort mit einem solchen klaren Maßstab deutlich leichter umgehen können, wenn wir ihn gemeinsam durchtragen. Ich bin dankbar dafür, dass wir genau auf dem Weg dahin sind.

Ich will aber dazusagen, dass das nicht heißt, dass alles unter 1000 Teilnehmer per se stattfinden sollte, sondern das hängt natürlich auch von der Intensität, der Teilnehmerzahl und anderen Parametern ab. Die Tanzveranstaltung, das Rockkonzert ist etwas anderes als die Semesterprüfung, bei der man 1 Meter auseinandersitzt. Auch das bleibt weiterhin natürlich im Einzelfall zu beurteilen.

Ich weiß etwa beim Fußball, dass da vielen Fans das Herz blutet. Aber ich vertraue auf die Solidarität gerade der Fußballfans und der Fußballbegeisterten mit denjenigen in der Gesellschaft, die wir besonders schützen müssen und wollen. Das sind die chronisch Kranken und die Älteren, für die es ein besonders hohes Risiko für einen schweren Verlauf gibt.

Ich will auch sagen: Wenn man die Zahl hört, nämlich 80 Prozent milde bis keine Symptome – insbesondere für die Jüngeren, wenn sie sonst keine Vorerkrankungen haben, ein eher sehr geringes Risiko – könnte ja jemand Jüngerer denken: Ich bin gar nicht betroffen. Was habe ich denn damit zu tun? Ich kann einfach weitermachen wie bisher.

Ich finde es wichtig, dass wir in die Gesellschaft, in die Familien tragen müssen, dass es hier um den Schutz der anderen geht, innerhalb der Familie, um die Eltern, die Großeltern, und innerhalb der Gesellschaft, und dass wir alle auf ein Stück Alltag verzichten, um andere zu schützen – um uns selbst, aber vor allem auch andere zu schützen.

Wenn jeder für sich in der Familie und im Alltag entscheidet und wenn wir eben auch für uns als Gesellschaft entscheiden, ob wir das mit Blick auf Großveranstaltungen, auf die Familienfeier und bezüglich der Frage, ob Konzerte oder Kinobesuche anstehen, besonnen und verantwortungsvoll machen, dann können wir tatsächlich einen Unterschied machen, um die Verbreitung dieses Virus einzudämmen.

Ich bin sehr dankbar, dass sich auch im öffentlichen Leben viele Unternehmen entschieden haben, zu Heimarbeit, zu Homeoffice überzugehen, wo dies möglich ist. Das ist nicht überall möglich. Aber da, wo dies möglich ist, ist es auch möglich zu machen.

Die Krankschreibung wird jetzt vorübergehend deutlich erleichtert. Diese ist nun auch telefonisch möglich, damit niemand in eine Praxis gehen muss.

Viele Firmen haben Pläne, was Hygieneregeln und anderes angeht. Auch das macht natürlich dann einen Unterschied.

All das sind kluge Entscheidungen im Interesse der Firma, der Mitarbeiter, aber eben auch der Gesellschaft insgesamt. Wir als Bundesregierung arbeiten daran, diese Entscheidungen zu unterstützen, indem wir Rahmenbedingungen schaffen, die dieses Entscheiden leichter machen.

Auch die Frage, wie wir wirtschaftliche Rahmenbedingungen schaffen, wird in den nächsten Tagen noch ein Thema sein, um die Entscheider vor Ort bei wirtschaftlich schwierigen Entscheidungen zu bestärken. Die Gesundheit geht vor ökonomische Fragen. Gleichwohl müssen wir natürlich auch ökonomische Fragen und die Folge der Entscheidungen im Blick behalten.

Klar ist: Unser Zusammenleben muss trotz dieser Epidemie funktionieren, muss und wird weitergehen. Deswegen ist es wichtig, immer die Balance zu halten und zu schaffen zwischen Einschnitten, Einschränkungen sowie Verzicht und einem Alltag, der weitergeht.

Prof. Wieler: Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, sehr geehrter Herr Minister, meine Damen und Herren, lassen Sie mich diese Epidemie aus wissenschaftlicher Sicht einordnen.

Wir sind seit dem 6. Januar im Institut dabei, diese weltweite Situation intensiv zu analysieren, und zwar mit zunehmender Intensität. Wir sind deshalb in der Lage, eine Einschätzung darüber abzugeben, wie sich diese Krankheit ausbreitet. Wir wissen – das hat die Frau Bundeskanzlerin eben zu Recht gesagt -, dass es sich um ein pandemisches Virus handelt, also ein Virus, das 60 bis 70 Prozent der Menschen infizieren wird. Was wir nicht wissen, ist, in welcher Geschwindigkeit das geschieht. Aber jeder von Ihnen kann sich überlegen: Je länger dies dauert, desto besser ist dies – zum einen, weil dann die Chance wächst, dass ein Impfstoff im nächsten Jahr zur Verfügung steht, und zum anderen, weil die Chance besteht, dass Therapeutika verfügbar sind. Ein großer Aspekt ist auch, dass auch die Anzahl der betroffenen Menschen weniger wird, die das Gesundheitssystem dann versorgen kann; das ist ganz klar. Das alles sind Maßnahmen und Rahmenbedingungen, die wir im Kopf haben müssen.

Schauen wir uns einmal die Rahmenbedingungen an. Es ist sehr wichtig, dass wir bei der Methodik, eine Verlangsamung der Verbreitung des Virus zu erreichen, systematisch vorgehen. Wir müssen also die Ausbreitung verlangsamen.

Ein solches Virus verbreitet sich nicht wie eine Welle durch Deutschland, sondern in bestimmten Regionen. Das sehen Sie zurzeit in Europa. Ich werde oft gefragt: Warum sind in Italien schon so viele Menschen verstorben? Warum sind es in Deutschland erst zwei? Was macht ihr Deutschen anders als die italienischen Kollegen? – Der Punkt ist einfach der, dass wir unsere Ärzte von vornherein sehr systematisch dazu aufgerufen haben, Personen zu testen. Wir haben in Deutschland glücklicherweise ein System, in dem wir Testungen in einem hohen Maße zur Verfügung stellen können, sodass wir in einer frühen Phase in diese beginnende Epidemie hineinschauen können.

Wenn Sie sich eine Epidemie wie eine Kurve vorstellen – egal, wie hoch oder flach die auch immer ist -, dann sehen Sie, dass es Länder in Europa gibt, die in der Kurve schon weiter rechts sind. Die sind in dieser Epidemie schon weiter. Wir sind noch sehr weit links. Aber auch wir werden weiter in diese Epidemie hineinkommen. Das heißt, auch bei uns werden natürlich die Fallzahlen steigen. Natürlich werden auch bei uns noch mehr Menschen sterben. Wir werden auch viele schwere Krankheitsverläufe haben.

Was müssen wir tun? – Das haben wir uns natürlich nicht nur überlegt, sondern das sind Analysen und vor allen Dingen auch Austausche mit anderen Ländern, die bereits stärker oder weniger stark betroffen sind. Das geschieht auf der Ebene der Gesundheitsminister und natürlich auch auf der Ebene der nationalen Gesundheitsinstitute wie dem Robert-Koch-Institut. Wir lernen sehr viel voneinander. Wir tauschen uns aus und erarbeiten gemeinsam Konzepte.

Sie sehen auf der Website des Robert-Koch-Instituts Empfehlungen, die auch angepasst werden. Das ist der zweite Schritt. Diese Empfehlungen werden natürlich auch den Gegebenheiten angepasst, wenn es darum geht, wie Kontaktpersonen untersucht werden sollen und wie das Gesundheitssystem mit diesen Kontaktpersonen umzugehen hat.

Das sind systematische Vorgehensweisen, die auf Analysen beruhen, die wir im eigenen Land erheben, und auf Analysen, die in anderen Ländern erhoben werden. Diese Daten und Konzepte werden ausgetauscht und miteinander besprochen.

Ein Aspekt ist die Verlangsamung, wie wir es seit vielen Wochen wirklich immer wieder betonen. Das wird auch immer so bleiben. Wie lange diese Epidemie auch über unser Land geht – es wird sicher Monate, vielleicht auch Jahre dauern. Je länger dies dauert – ich sage es noch einmal -, desto besser ist dies.

Wir haben nun eine Gruppe, von der wir wissen, dass sie besonders schwere Erkrankungen haben wird, wenn sie infiziert wird. Diejenigen, die besonders schwere Erkrankungen haben werden, sind chronisch Kranke, Alte und Hochaltrige. Das heißt, es muss unser Ziel sein, diese Gruppe besonders zu schützen. Wie kann man sie schützen? – Man kann sie natürlich am leichtesten dadurch schützen, dass man sie keiner Infektionsgefahr aussetzt.

Denken Sie einmal darüber nach, dass man zum Beispiel bestimmte Veranstaltungen nicht mehr besucht. Wohl jedem ist klar, dass bei einer Großveranstaltung infizierte Personen natürlich viel mehr andere infizieren können, als wenn diese Großveranstaltung nicht stattfindet. Das gilt natürlich genauso für das Zusammenkommen von älteren Menschen. Wir erarbeiten gerade auch mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausland bestimmte Empfehlungen, wie wir diese Gruppe besonders schützen können.

Der dritte Aspekt nach der Verlangsamung und dem Schutz der sogenannten besonders vulnerablen Gruppen ist der Aspekt, auf den wir seit langer Zeit immer wieder hinweisen, nämlich dass sich die Krankenhäuser darauf vorbereiten müssen, dass die Klientel, die Patienten, die zu ihnen kommen, andere sein werden. Es wird mehr Patienten mit schweren Atemwegserkrankungen und Lungenentzündungen geben. Diese Patienten müssen intensiver versorgt werden. Ein Teil dieser Patienten muss auch intensivmedizinisch versorgt und beatmet werden. Darum ist es so wichtig, dass wir den Anteil dieser Patienten so gering wie möglich halten, damit das Gesundheitssystem, damit die Krankenhäuser in der Lage sind, die Patienten zu versorgen. Das ist unsere Aufforderung.

Alle Entscheidungsträger, die Landräte, die Bürgermeister, die Krankenhäuser, müssen sich darauf vorbereiten, dass mehr Patienten da sein werden – wir sind am Anfang einer Epidemie – und dass sie ihre Geschäftspläne, ihre Strategien so einrichten, dass sie mit möglichst vielen dieser Patienten umgehen können, um so möglichst vielen Patienten eine gute medizinische Versorgung zur Verfügung zu stellen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, wie ist es aus Ihrer Sicht um die Verantwortlichkeit und das Verantwortungsbewusstsein der Fußballbundesligisten bestellt, wenn sowohl die Vereine als auch die Deutsche Fußball Liga nur unter äußerstem Druck bereit sind, Spiele ohne Zuschauer auszutragen? Würden Sie sich in solchen außerordentlichen Lagen mehr Durchgriffsrechte des Bundes auf Länder und Kommunen wünschen?

BK’in Merkel: Wir arbeiten jetzt mit der Rechtslage, die wir haben. Alles andere kann man später einmal diskutieren, wie die Dinge sind. Jetzt arbeiten wir mit dieser Rechtslage.

Ich habe auch in anderen Situationen die Erfahrung gemacht, zum Beispiel in der großen Banken- und Wirtschaftskrise, die wir 2008/2009 hatten, dass wir immer miteinander klargekommen sind. Wir hatten auch eine exzellente Zusammenarbeit bei der großen Herausforderung mit den Flüchtlingen.

Es gibt viel Verantwortungsbewusstsein auf allen Ebenen. Ich kann mich der pauschalen Kritik, die Sie jetzt geäußert haben, nicht anschließen. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Wenn jetzt ein Fußballspiel ohne Zuschauer stattfinden soll, dann kann das polizeirechtlich angeordnet werden. Ich habe nicht gehört, dass sich die Bundesliga dem widersetzt, überhaupt nicht.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, ich möchte ganz gern zu der Videoschalte gestern noch etwas fragen. Es gibt ja den Vorschlag von Frau von der Leyen, dass die Staaten, damit man schnell Liquidität bekommt, bei dem 25-Milliarden-Paket auf die Rückzahlung der nicht genutzten EU-Mittel verzichten. Das würde heißen, dass auch Deutschland darauf verzichtet, einige Milliarden in diesem Jahr zurückzubekommen. Wären Sie dazu bereit, dass Deutschland dieser Regelung zustimmt?

Was bedeutet die von Ihnen genannte Flexibilität beim Stabilitätspakt? Heißt das, dass neue Regelungen nötig sind, um zum Beispiel Defizitgrenzen zu überschreiten, oder glauben Sie, dass die EU und die Mitgliedstaaten diese Krise mit den derzeitigen Regelungen in den Griff bekommen?

BK’in Merkel: Ich glaube, dass der Stabilitätspakt auch für außergewöhnliche Situationen ausreichend Flexibilität hat. Das bedeutet, dass wir einem Land wie Italien, in dem ja das Thema Stabilitätspakt auch immer eine Rolle spielt, selbstverständlich nicht sagen, dass es jetzt nicht in sein Gesundheitssystem investieren kann, weil wir eine Schuldenregel beim Stabilitätspakt haben.

Das ist eine außergewöhnliche Situation. Unser Grundgesetz, unsere Schuldenbremse, alle rechtlichen Instrumente haben für solche Situationen Vorkehrungen getroffen. Das soll auch beim Stabilitätspakt so sein.

Was die Nichtrückzahlung der übrig gebliebenen Mittel an die Mitgliedstaaten anbelangt: Das müssen wir uns natürlich genau angucken. Man kann beispielsweise die Mitgliedstaaten bitten, schneller etwas zu überweisen und trotzdem die Rückzahlung einzubehalten.

Wir müssen jetzt gucken, dass in einer Notsituation Dinge, die schon immer gewünscht wurden, weil man sie gerne hätte, zum Beispiel seitens des Europäisches Parlaments, nicht zur Gewohnheit werden, sondern wir müssen auf die außergewöhnliche Situation mit außergewöhnlichen Mitteln reagieren. Da werden wir das Notwendige tun. Das haben wir alle gesagt. Wir werden jetzt keine Dinge machen, die dann wieder in den normalen Verlauf gehen. Es wird keine Probleme geben, das von der Kommission vorgeschlagene Investitionsprogramm auch zu realisieren. Das wird an Deutschland nicht scheitern.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, was die Finanzen betrifft: Sie haben gerade von einer Notsituation gesprochen. Wäre es dann in dieser Situation möglich, nicht so stark an der schwarzen Null festzuhalten?

An Sie beide als CDU-Politiker die Frage: Wäre es ein Drama, wenn am 25. April kein CDU-Vorsitzender gewählt, sondern dieser Parteitag, weil er ja auch über 1000 Gäste, Delegierte usw. hat, verschoben werden würde?

BK’in Merkel: Ich bin ja nicht mehr CDU-Vorsitzende. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die CDU nicht an die Regeln, die wir uns im gesellschaftlichen Leben auferlegen, halten wird. Deshalb wird man das zum entsprechenden Zeitpunkt entscheiden. Wir haben jetzt den 11. März. Bis zum 25. April ist ja noch eine Weile hin. Wir werden Sie zeitgerecht informieren.

Zu dem anderen: Wir tun jetzt das, was notwendig ist. Der Haushaltsausschuss hat schon bis zu einer Milliarde Euro mehr freigegeben, um in das Gesundheitssystem zu investieren, bei der Frage der Unterstützung der Impfentwicklung und bei anderen Fragen. Da werden wir nicht jeden Tag fragen: Was bedeutet das jetzt für unser Defizit?

Das ist eine besondere Situation. Wir werden das, was notwendig ist, tun. Glücklicherweise ist Deutschland auch relativ robust aufgestellt. Die Bundesagentur für Arbeit hat hohe Rücklagen. Sie kann beim Kurzarbeitergeld agieren, auch wenn Bürgschaften oder Ähnliches zu geben sind. Wir werden das tun, damit wir gut durch diese Situation kommen. Dann werden wir uns am Ende anschauen, was das für unseren Haushalt bedeutet hat. Das andere geht jetzt erst einmal vor.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, in der Bankenkrise 2008 haben Sie eine Garantie für die Spareinlagen ausgesprochen. Das geht heute natürlich nicht; es ist eine ganz andere Situation. Sie haben aber selbst gesagt, das Herz der Menschen, die Solidarität, sei auf die Probe gestellt.

Welches Mittel haben die Bundesregierung und vielleicht auch Sie persönlich mit solch einem Auftritt, um dieses Herz zu stärken und die Solidarität unter den Menschen, die zum Teil schon Desinfektionsmittel in Krankenhäusern klauen, zu stärken? Welchen Appell haben Sie heute?

BK’in Merkel: Über negative Vorfälle wird nun einmal oft etwas stärker berichtet als über positive. Es gibt viele, viele positive Erfahrungen, und diese werden wir hervorheben und stärken. Ich finde, der Beitrag, den der Staat und die Akteure des Staates leisten können, unter anderem auch die Politiker, ist, dass wir das Notwendige tun, dass wir es schnell und besonnen tun, dass wir entschlossen sind und dass wir uns vor allen Dingen auch an den Rat halten, wenn nicht wir die Experten sind, sondern andere. Ich denke, das ist ein Beitrag dazu, dass auch andere sagen: Ich möchte meine Verantwortung auch wahrnehmen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben die Wichtigkeit der europäischen Solidarität und Koordination angesprochen. Aber wenn man sich die Maßnahmen der letzten Tage und Wochen anschaut, dann stellt man fest, dass das teilweise sehr unsolidarisch und unkoordiniert ist. Man denke beispielsweise an die Schließung der Grenzen Österreichs zu Italien oder die Tatsache, dass Deutschland einen diplomatischen Eklat mit der Schweiz durch die Aufhaltung eines Lastwagens ohne Vorwarnung provoziert hat.

Wie können Sie jetzt in dieser Krise die europäische Solidarität aufrechterhalten?

Haben Sie Italien konkrete Hilfe angeboten, etwa in Form von medizinischem Personal oder Material?

BK’in Merkel: Ich habe aus meiner Perspektive schon gesagt, wie unsere Exportgenehmigung zu verstehen ist. Denn da gab es auch Missverständnisse. Jens Spahn kann gleich noch ein Wort zu dem sagen, was Sie eben mit Blick auf die Schweiz erwähnt haben.

Ansonsten ist es, denke ich, wichtig, dass wir uns unter den europäischen Regierungschefs darüber austauschen, was gute und wirksame Maßnahmen sind und was nicht. Wir in Deutschland sind jedenfalls der Meinung, dass Grenzschließungen keine adäquate Antwort auf die Herausforderung sind, wohl aber natürlich Maßnahmen, sodass sich Menschen, die aus einer als Krisenregion eingestuften Region kommen, so verhalten, dass sie sich nicht als nächstes in eine Veranstaltung von 955 Menschen hineinbewegen, sondern vielleicht Hausquarantäne oder Ähnliches machen. Das sind angepasste Maßnahmen.

Zu der anderen Frage sagt Jens Spahn etwas.

BM Spahn: Zur ersten Frage noch ergänzend: Aufgrund der Entwicklung haben wir gestern oder vorgestern Italien insgesamt zum Risikogebiet erklärt und damit den Aufruf an alle Bürgerinnen und Bürger, die aus Italien zurückkommen, verbunden, in den nächsten zwei Wochen alle Kontakte zu anderen auf das dringend Notwendige zu reduzieren, im Zweifel zu Hause zu bleiben, von zu Hause zu arbeiten, über diese zwei Wochen auch die Kinder zu Hause zu lassen und, falls sich Symptome ergeben, den Arzt oder das Gesundheitsamt anzurufen. Die Bürgerinnen und Bürger also in dem, was sie tun und wie sie damit umgehen, sehr gezielt zu bekräftigen, das ist doch die Botschaft.

Die Grenzen pauschal zu schließen verhindert im Übrigen nicht, was da passiert. Es ist im Land, und in dem Moment, in dem man Grenzmaßnahmen wieder reduziert, fängt es auch wieder an. Ich verstehe, dass im Moment an der norditalienischen Grenze eine besondere Situation besteht, und ich verstehe, dass man dort dann vorübergehend zu Kontrollen kommt. Das ist aber etwas anderes als grundsätzliche Grenzmaßnahmen. Das finde ich sehr, sehr wichtig. Das war auch das Verständnis, das wir in Europa auf Seiten der Gesundheitsminister jedenfalls über mehrere Räte und Treffen immer gehabt haben, dass nämlich pauschale Grenzmaßnahmen und Einschränkungen des Reiseverkehrs, unbenommen von einzelnen situationsbezogenen Maßnahmen, nicht angezeigt sind.

Zu den Masken und den Exportbeschränkungen: Es ist eine Exportbeschränkung. Das heißt aber nicht, dass keine Exporte mehr möglich sind. Es war nur bis dahin so, dass teilweise Händler mit Geldkoffer und Bargeld bei den Unternehmen aufgetaucht sind und angefangen haben, Masken zu kaufen. Das ist seit der Exportbeschränkung vorbei. Denn am Ende ging es nicht mehr danach, wo der Bedarf ist, sondern danach, wer am meisten zahlt.

Natürlich wollen wir unseren europäischen Nachbarn und Partnerländern auch in der Versorgung helfen. Wir sind andersherum ja auch in Lieferketten eingebunden. Es ist ja nicht so, als wenn eine Exportbeschränkung in Deutschland nicht auch reziprok für Lieferketten Folgen hätte. Deswegen sind wir gerade dabei, sehr zügig und noch in dieser Woche ein Verfahren aufzusetzen, mit dem wir im Einzelfall und schon in dieser Woche zu Entscheidungen kommen, wodurch die Lkw, die mit den Masken teilweise an der Grenze stehen – ein Beispiel wurde angesprochen -, ihr Ziel natürlich auch erreichen sollen. Aber wir wollen schon, dass das, was vorher war – der Bargeldkoffer entscheidet darüber, wohin die Masken gehen -, nicht mehr stattfindet.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, zur Telefonschalte letzten Abend: Offenbar hat die EZB-Chefin Lagarde ein ziemlich dramatisches Bild gezeichnet und unter anderem auch davor gewarnt, dass diese Krise Auswirkungen ähnlich wie die Finanzkrise 2008 haben könnte. Stimmen Sie mit dieser Einschätzung überein?

Sie sind ja nun erfahrene Krisenmanagerin auch schon der Finanzkrise. Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus für Ihre jetzige Arbeit? Wo sehen Sie Ähnlichkeiten, und wo sehen Sie Unterschiede?

BK’in Merkel: Bei der Frage der Banken, die ja dramatisch genug war, weil sie auch die Grundlage für ein funktionierendes Wirtschaftssystem sind, hat man gewisse Vorstellungen über die Kreditportfolios. Man hat also eingrenzbare Dinge, die man kennt, und bei denen man auch weiß, wie viel es kostet, wie viel Kapital man einsetzen muss, um eine Bank zu rekapitalisieren, und ähnliche Dinge. Man kann also die Werte sehr viel besser bestimmen.

Nun hat man es mit einer Sache zu tun, die man in ihrer Wirkung gar nicht von vornherein einschätzen kann. Wir wissen nicht, welche Immunitäten aufgebaut werden und wie lange diese Immunitäten halten. Wir wissen nicht genau – man weiß jetzt schon etwas mehr -, wie schnell die Infizierungen verlaufen. Wir wissen zum Beispiel noch nicht richtig – das haben Sie hier auch an dem, was Professor Drosten gesagt hat, nachverfolgen können -, wie temperaturabhängig die Infektionsrate ist. Auch das bekommt man jetzt erst langsam mit. Verhält sich das also wie in normalen Grippezeiten, sodass es im Sommer weniger wird, oder muss man doch davon ausgehen, dass es temperaturunabhängiger ist?

Wir müssen also noch mit viel mehr Unbekannten agieren. Deshalb ist die Situation schon noch eine andere. Aber wie in allen solchen Krisensituationen sind Besonnenheit und Entschlossenheit, das Notwendige zu tun, denke ich, wichtig.

Ich teile die Einschätzung von Christine Lagarde. Ich muss sie auch sehr ernst nehmen. Wir müssen aufpassen, dass wir erst einmal die Krise als solche, die Herausforderung durch das Virus, einigermaßen gut bewerkstelligen – dafür ist es eben auch wichtig, dass es zu keinen dramatischen Überforderungen des Gesundheitssystems kommt -, damit daraus nicht noch zusätzliche Verunsicherung in die Wirtschaft hineingetragen wird. Denn wir wissen, dass Verunsicherungen im Wirtschaftsbereich auch psychologische Folgen haben können. Deshalb ist es so wichtig, dass wir Liquiditätszusagen machen und sagen: Wir helfen insbesondere Kleinen und mittleren Unternehmen in dieser Situation.

Es gibt ja jetzt eine ganz andere Betroffenheit. Die Tourismusbranche ist betroffen, und das Hotel- und Gaststättengewerbe ist betroffen, während wir uns vorher eher mit den großen DAX-Unternehmen zusammengesetzt haben. Das mag auch alles noch kommen. Aber wir haben jetzt als Erstbetroffenheit ganz andere Bereiche auch in der Wirtschaft.

Aber ich nehme das sehr ernst. Denn unser ganzes globales Wirtschaftsleben ist sozusagen ein immer fragiles Konstrukt, das auf äußere Erschütterungen nicht so gern reagiert und dessen Reaktion wir vor allem nicht kennen. Wir müssen alles tun, damit es gut und überschaubar reagiert. Das kann nur durch koordiniertes internationales Handeln erfolgen. Eine Volkswirtschaft wie die deutsche, die extrem exportabhängig ist, ist natürlich von globalen Herausforderungen noch stärker betroffen als eine sehr auf sich konzentrierte Volkswirtschaft.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, warum melden Sie sich erst jetzt zu Wort? Hätten Sie das viel früher zur Chefsache machen müssen?

Herr Spahn, erwarten Sie eine Situation, in der ausgewählt werden muss, wer eine Behandlung erhält und wer nicht?

BK’in Merkel: Ich würde sagen, der Bundesgesundheitsminister weiß, dass ich mich nicht erst heute um die Sache kümmere. Die Entscheidung darüber, wann ich wo etwas dazu sage, treffe ich nach den Umständen und den Sachverhalten. Ich finde, dass die gestrige Videoschaltkonferenz eine wunderbare Gelegenheit ist, um auch mit der Bundespressekonferenz zu sprechen. Vorher haben viele, viele andere Gespräche stattgefunden, die auch wichtig sind und auch weiter stattfinden werden.

BM Spahn: Ich kann dem hinzufügen, dass die Frau Bundeskanzlerin und ich in den Gesprächen, die wir eigentlich von Januar an hatten, die Situation mit der nötigen Ernsthaftigkeit und Klarheit auch immer wieder besprochen haben, und zwar mit dem, was jeweils ist, aber auch mit dem, was sich entwickeln kann. Aber es ist eben eine sehr dynamische Lage, wie wir allein in den letzten zwei, drei Wochen gesehen haben. Der eigentliche Teil der Dynamik liegt, wenn ich das hinzufügen darf, wahrscheinlich noch vor uns mit dem, was sich in den nächsten Wochen und Monaten noch entwickeln wird.

Das bringt mich zum zweiten Teil Ihrer Frage. Das ist ja das unbedingte Ziel. Wir wollen Situationen, in denen man triagieren müsste, in denen man tatsächlich entscheiden müsste, wie das Gesundheitssystem mit seinen Ressourcen tatsächlich am besten helfen könnte, vermeiden. Dass wir alle nicht da hinkommen, hat etwas damit zu tun, wie wir jetzt agieren, um die Ausbreitung zu verlangsamen. Die Frage, ob jetzt Großveranstaltungen stattfinden oder nicht, hat etwas damit zu tun, welche Situation in den Kliniken für die, die am dringendsten Hilfe brauchen und die am schwächsten sind, entstehen kann. Es geht um die Frage, ob man bereit ist, auf bestimmte Dinge einmal zu verzichten, etwa auch den Clubbesuch. Ich sage es noch einmal: Der 20-Jährige mag sich sagen: Was stört es denn, wenn ich in den Club gehe? Ich gehöre ja eh nicht zur Risikogruppe. – Aber wer dann übermorgen Kontakt zur Familie hat – es mag auch in der Schule, der Uni oder wo auch immer sein -, hat dann eben auch andere, die möglicherweise ins Risiko kommen. Wenn das eben nicht nur eine Aufgabe der staatlichen Seite ist, sondern wenn wir gemeinsam es als unsere Aufgabe als Gesellschaft und als Aufgabe jedes Einzelnen begreifen, mitzuhelfen, dass wir in eine solche Lage, wie Sie von Ihnen beschrieben wurde, nicht kommen, dann kann das auch gelingen.

Ich lese manchmal die Frage, ob nicht das chinesische Zentralsystem im Umgang mit solch einer Epidemie besser wäre. Ja, dort mag man Maßnahmen zentral manchmal gleich härter durchsetzen können, aber die Chance, Bürgerinnen und Bürger zu bestärken, mitzumachen und mitmachen zu können und zu wollen, diese Chance haben wir jedenfalls in einer offenen, pluralen Gesellschaft doch mehr. Genau darauf setze ich, und das erlebe ich auch jeden Tag in den Rückmeldungen. Denn das eine ist es – das ist ja auch richtig -, Probleme zu beschreiben. Aber ich war gestern Abend noch kurz in der Charité, um mit Pflegekräften und Ärzten in der Notaufnahme zu sprechen, und ich erlebe dort einfach eine wahnsinnig hohe Bereitschaft, sich zu engagieren und mit uns gemeinsam diese Lage zu meistern.

Wenn wir das in dem Geiste tun, dann wird es gelingen, die ganz schwierigen Situationen bestmöglich zu vermeiden. Aber Garantien – das sage ich auch dazu – gibt es keine.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, heute wurde das Kurzarbeitergeld auf den Weg gebracht. Auch weitere Maßnahmen wurden im Koalitionsausschuss beschlossen. Am Freitag treffen Sie Wirtschaftsvertreter und Vertreter der Arbeitnehmerschaft. Welche Maßnahmen hätten Sie da noch anzubieten? Denn nach dem Koalitionsausschuss hieß es ja: Wenn nötig, können wir auch noch draufsatteln.

BK’in Merkel: Am Freitag wird es eine Bekanntmachung vom Bundeswirtschaftsminister und vom Bundesfinanzminister geben, also von Olaf Scholz und Peter Altmaier, in der der ganze Bereich der Liquiditätshilfen noch einmal aufgerufen wird. Dann haben wir jetzt erst einmal die Maßnahmen, die im Augenblick im Raume stehen.

Am Freitagabend werden wir mit den Wirtschaftsverbänden natürlich auch darüber diskutieren, was an Rückmeldungen aus deren Sicht da ist und ob gegebenenfalls noch neue Instrumente hinzugefügt werden müssen. Auch das wird also ein lernender Prozess sein. Man wird nicht sagen: So, das war es, und womit auch immer ihr jetzt kommt, das interessiert uns nicht. – Wenn im Wirtschaftsgeschehen Dinge auftreten, die wir alle ja gar nicht übersehen können – – – Was gibt es zum Beispiel auch an unterbrochenen Lieferketten? Es geht durchaus auch um Fälle in anderen Ländern, wenn zum Beispiel ganz Norditalien in einer schwierigen Situation ist. Da gibt es eine ganz enge Verflechtung der Wirtschaft zum Beispiel mit Süddeutschland. Das können wir nicht alles voraussehen, und darauf wird man adäquat reagieren müssen.

Aber wir werden am Freitag einen Instrumentenkasten haben, der erst einmal eine Reaktion auf das Vorhersehbare ist, im Übrigen auch sehr ähnlich dem, was andere Länder tun. Das Kurzarbeitergeld ist eine Sache, die sehr wirksam ist und sehr viel Beruhigung gibt. Das haben nicht alle Länder, aber insgesamt ist das Vorgehen unter den großen Volkswirtschaften der Europäischen Union sehr ähnlich.

Frage: Ich habe eine Frage an die Bundeskanzlerin. Wie geht es Ihnen, wenn Sie in diesen Raum hier blicken? Hier sitzen ja auch ein paar Menschen. Es ist zwar keine Großveranstaltung mit über 1000 Leuten, aber doch eine größere Veranstaltung.

Eine zweite Frage, wenn Sie erlauben, an Herrn Spahn und an Herrn Wieler. Gibt es schon Erkenntnisse darüber, wie hoch die Dunkelziffer sein könnte? Es gibt, wie Sie ja auch sagen, viele junge Menschen, die sich möglicherweise angesteckt haben und das gar nicht wissen.

BK’in Merkel: Wie es mir geht? Erstens habe ich zu den Fotografen gesagt: Ich trete ein Stück zurück, damit der Abstand von 1 bis 1,5 Metern gewahrt ist.

Nachdem man mich so oft darauf aufmerksam gemacht hat, schaue ich mir an, wie viele von Ihnen die Hand im Gesicht haben, was man ja nicht machen soll. Da fallen mir auch einige auf.

Dann sage ich: Noch schöner wäre es, Sie könnten hier alle mit einem Meter Abstand sitzen. Aber das können wir nicht überall gewährleisten.

So geht es mir. Ansonsten freue ich mich natürlich, Sie alle hier gesund zu sehen.

BM Spahn: Wenn wir bei den ganz praktischen Dingen sind – viele fragen ja, was Sie machen können -, so ist im Grunde das Verhalten zu empfehlen, dass man an den Tag legt, wenn man wüsste, dass derjenige neben einem oder derjenige, der sich mit einem in einem Raum befindet oder im selben Haushalt lebt, zum Beispiel die Grippe hat. Nicht weil es wie die Grippe ist, aber weil die Übertragungswege die gleichen wie bei anderen Erkältungskrankheiten sind.

Wenn ich weiß, dass mein Partner, mein Kind, meine Eltern Grippe haben und ich mit ihnen zusammen in einem Haushalt lebe, oder mein Kollege möglicherweise Symptome hat, dann weiß ich doch auch, wie ich mich verhalte, um mich selbst zu schützen und es nicht weiterzugeben. Diese einfachen Verhaltensweisen, die ja jeder aus dem Alltag kennt, sind genau die, die jetzt helfen, wenn wir sie konsequent durchhalten. Dazu gehört jetzt vielleicht auch einmal eine längere Phase – das fällt mir persönlich auch sehr schwer -, in der man sich etwas weniger per Handschlag begrüßt. Das sitzt bei uns kulturell tief drin. Das ist auch gut, und es ist eine schöne Geste. Aber vielleicht ist jetzt einmal der Zeitraum, wo wir das etwas reduzieren, bis wir damit durch sind.

BK’in Merkel: Dafür können wir uns eine Sekunde länger in die Augen gucken und lächeln – –

BM Spahn: Genau!

BK’in Merkel: – – und nicht schon mit der Hand beim Nächsten sein. Das ist auch eine gute Möglichkeit.

Vorsitzender Feldhoff: Herr Wieler, die Frage nach der Dunkelziffer ist noch offen.

Prof. Wieler: Die Dunkelziffer kennen wir nicht genau. Wir gehen aber davon aus, dass sie in Deutschland nicht sehr hoch ist. Der Grund ist ganz einfach – das hatte ich eben erläutert -: Wir haben ja schon Mitte Januar bestimmte Empfehlungen herausgegeben, wer getestet werden soll oder wer nicht getestet werden soll. Wir haben in Deutschland ein sehr systematisches Testverfahren möglich gemacht. Das ist auch der Grund, warum wir so früh in diese Epidemie hineinschauen.

Ich will es noch einmal betonen: Diese Epidemie ist am Anfang. Sie wird weitergehen, aber wir schauen früh hinein. Das heißt, wir haben das früh erkannt. Das ist der Grund, warum wir noch keine hohe Dunkelziffer haben. Das ist vielleicht der Unterschied zu dem einen oder anderen Land. Wir alle werden in die Phase kommen, dass dieser Berg von Fällen größer wird. Aber momentan gibt es noch wenig Fälle. Das ist ein großes Glück, weil es damit auch gelingt, wirklich den Krankenhäusern, Ärzten und allen anderen genügend Zeit zu geben, sich darauf vorzubereiten. Das ist ein ganz guter Zeitgewinn. Wir müssen jetzt nur den Entscheidern wirklich klarmachen, dass eine Krise auf uns zukommt, dass sie diese Pläne wirklich ernst nehmen, ihre entsprechenden Patientenströme so planen und die Krankenhäuser entsprechend darauf vorbereiten.

BK’in Merkel: Wenn ich es richtig verstanden habe, wird es einen Zeitpunkt geben, wo man einmal versuchen wird, eine repräsentative Studie durch Untersuchung der Antikörper im Blut zu erheben, um dann herauszufinden, wer es alles schon hatte, um dann daraus erkennen zu können, wie viele es vielleicht noch bekommen werden. Wir müssen aber natürlich noch ein paar Monate warten, um die Fallzahl zu erheben.

Prof. Wieler: Es gibt eine Reihe von Tests und Studien, die man sich natürlich ausgedacht hat und die Konzepte beinhalten. Hierbei ist es wichtig, dass das koordiniert funktioniert. Was das angeht, sind natürlich die Universitätskliniken ein ganz wichtiger Aspekt, die bestimmte Forschungskapazitäten haben. Es ist, wie gesagt, wichtig, dass das koordiniert geschieht, und dabei spielt das Robert-Koch-Institut eine wichtige Rolle. Teile der Planungen, die wir durchführen, sind Telefonkonferenzen und Absprachen, dass Studien synchronisiert werden. Wenn es Medikamente, Wirkstoffe gibt, die vielleicht dazu beitragen, dass eine Krankheit besser behandelt und der Schweregrad reduziert werden kann, dann muss das in Deutschland natürlich so geschehen, dass die Universitätsklinika gemeinsame Protokolle entwickeln. Dann ist es auch wichtig, dass ein Robert-Koch-Institut mit den Kliniken integriert ist und man versucht, das zu koordinieren. Das ist eine große Stärke in Deutschland. Wir haben ja 37 Universitätsklinika mit viel, viel Sachverstand.

Das alles gehört zu diesen Aufgaben, die im Hintergrund geschehen und bei denen Sie sicher sein können, dass wir versuchen, all das mit den besten Möglichkeiten und nach bestem Wissen und Gewissen in einem gemeinsamen Akt zu tun. Das sind solidarische Maßnahmen, die natürlich in der Wissenschaftswelt gefragt sind, wo es ja oft darum geht, dass man um bestimmte Wissenschaftsergebnisse konkurriert. Hierbei geht es darum, dass man gemeinsam Projekte ermittelt, um einen möglichst großen Benefit für die Patienten zu haben.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben schon das Thema Erstattung und Infektionsschutzgesetz angesprochen. Wenn ich die Juristen richtig verstehe, ist aber die Frage der Staatshaftung für Fälle, dass Behörden etwas verbieten, längst nicht so klar, wie es scheint.

Herr Spahn, Sie haben in Ihrer letzten Pressekonferenz dazu eine Bemerkung gemacht. Sie haben gesagt: Da muss müsste man vielleicht noch mal ran. – Was ist geplant?

BK’in Merkel: Ich will zu der letzten Frage Folgendes sagen: Morgen habe ich den Chef der Charité, Herrn Professor Kroemer, zur Ministerpräsidentenkonferenz eingeladen. Er wird einen Vorschlag machen, über was im Verbund der Universitätsklinika geforscht und was gemacht werden könnte. Hier wollen wir auch wirklich eng zusammenarbeiten.

Was die Haftungsfragen angeht, so haben wir heute früh noch einmal darüber gesprochen. Es gibt mehr Unklarheiten als man denkt. Ich habe die Justizministerin heute im Kabinett schon gebeten, dass wir die Fälle, die jetzt auftreten, analysieren und dann auch dafür klare Richtlinien herausgeben.

BM Spahn: Ich will das nur kurz ergänzen. Wir müssen es im Kern schaffen, dass wir diejenigen, die zum Teil wirtschaftlich folgenreiche Entscheidungen treffen müssen – Großveranstaltungen abzusagen, eine ITB abzusagen, ist ja wirtschaftlich gesehen eine folgenreiche Entscheidung -, nicht alleine lassen. Dafür braucht es erst einmal eine rechtliche Eindeutigkeit. Wenn man das Infektionsschutzgesetz liest, denkt man, die gäbe es. Wenn man dann tiefer einsteigt, dann – – – Deswegen glaube ich, dass es gut ist, morgen in der Ministerpräsidentenkonferenz das Thema noch einmal zu adressieren, dass Bund und Länder hier gemeinsam zu einer einheitlichen Herangehensweise kommen und – das ist das, was Peter Altmaier und Olaf Scholz in den Blick nehmen – dass wir insbesondere denen durch diese schwierige Zeit helfen, die von den wirtschaftlichen Folgen betroffen sind. Das sind Gastronomen, Handwerksbetriebe, die die Messestände bauen, und viele andere mehr. Für die geht es natürlich gerade richtig rein. Das abzufedern, macht am Ende dann auch Entscheidungen leichter, auf etwas zu verzichten.

Frage : Frau Bundeskanzlerin, wenn man in die Supermärkte und in die teilweise leeren Regale schaut, dann scheint es vor allem drei Warengruppen zu geben, die im Moment besonders nachgefragt werden. Das sind Toilettenpapier, Teigwaren/Nudeln und Desinfektionsmittel. Haben Sie ein gewisses Verständnis für diese Hamsterkäufe, wie man im Volksmund sagt?

Ich würde gern Herrn Spahn und Herrn Wieler fragen: Für wie sinnvoll halten Sie es, wenn sich Privatpersonen eine Art Vorrat an Desinfektionsmitteln zulegen?

BK’in Merkel: Wir haben ja schon die Situation gehabt, dass es fast Gelächter gab, als der damalige Innenminister Thomas de Maizière darüber gesprochen hat, dass es aus verschiedenen Gründen sinnvoll ist, dass man bestimmte Vorräte zu Hause hat. Das ist jetzt kein Aufruf zum Hamsterkauf.

Was man zum Teil sozusagen an Spitzen des Verhaltens sieht, finde ich auch etwas bedenklich. Aber eine bestimmte Bevorratung wird vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz durchaus empfohlen.

Dennoch finde ich, dass es genauso ist wie in anderen Bereichen. Man muss ja jetzt nicht alle Bereichen des öffentlichen Lebens einem Stresstest aussetzen und mal gucken, wie lange der Vorrat reicht, wenn man ungefähr zehn bis hundert Mal so viel wie normalerweise kauft. Ich glaube, auch hier ist Maß und Mitte die richtige Antwort.

BM Spahn: Zu den Desinfektionsschutzmitteln und übrigens auch zu den Masken: Alle Hygieniker und Experten sagen uns, dass es für den Hausgebrauch nicht notwendig ist, Desinfektionsmittel zu haben. Es reicht das intensive Händewaschen. „Intensiv“ heißt länger als zwei Sekunden intensiv mit Seife. Auch der klassische OP-Mundschutz, den viele tragen, schützt sehr überschaubar, um es so zu formulieren. Das ist auch gar nicht notwendig, wenn man sich an die Regeln hält, die ich vorhin mit Blick auf Atemwegserkrankungen beschrieben habe.

Das Gefährliche, was dann entstanden ist, ist, dass wegen nicht mehr vorhandener Desinfektionsmittel in den Kliniken für Ärzte und Pflegekräfte sowie in der Lebensmittelindustrie – also in den Bereichen, wo es tatsächlich gebraucht wird, weil dort ein Waschbecken nicht immer so intensiv genutzt werden kann – Engpässe entstanden sind. Bei den Desinfektionsmitteln haben wir es geschafft beziehungsweise sind noch dabei, dies in der Umsetzung ein Stück aufzulösen, weil wir eine Ausnahmeregelung mit Industriealkohol möglich gemacht haben. Das Virus ist alkoholsensibel. Das heißt also: Wir haben jetzt die Nutzung von Industriealkohol zur Herstellung von Desinfektionsmitteln möglich gemacht. Das ist eine Ausnahme aus der Biozid-Verordnung. Das bringt Entspannung, und damit können im Übrigen Apotheken vor Ort Desinfektionsmittel herstellen. Die chemische Industrie hat uns noch gestern berichtet, dass sie auch bereit und dabei ist, Kapazitäten umzustellen, um auch dort entsprechend zu produzieren.

Aber es bleibt dabei – auch das ist eine Frage von Solidarität und Miteinander -: Desinfektionsmittel und OP-Masken sollten vor allem für diejenigen da sein, die sie für ihre tägliche Arbeit zum Schutz für uns alle brauchen. Das sind zuvörderst Ärzte und Pflegekräfte.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, meine Frage bezieht sich auf die Investitionen in Bezug auf Forschung im medizinischen Bereich. Sie haben gerade von einer Milliarde Euro extra für das Gesundheitssystem gesprochen. Wird es mehr Investitionen für Forschungsinstitute geben, die zum Beispiel mit dem Robert-Koch-Institut vergleichbar sind?

Meine andere Frage richtet sich an Herrn Spahn. Wird es irgendwann wie in Italien zu einer kompletten Abriegelung des Bundesgebiets kommen oder ist die Situation hier eine andere?

BK’in Merkel: Was die Forschung anbelangt, so können wir erst mit der Forschung an einem Impfstoff beginnen, wenn man das Virus kennt. Gott sei Dank ist es sequenziert, und man kann darauf reagieren.

Wir haben glücklicherweise – Norwegen hat hierbei eine führende Rolle gespielt – seit 2016 eine Koalition von Akteuren – Unternehmen, die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung, Staaten -, die sich zusammengeschlossen haben, um in solchen Staaten auch bereit zu sein, zum Beispiel Impfstoffe zu entwickeln. Es ist jetzt ein Programm aufgelegt worden. Deutschland hat an dieser CEPI-Allianz einen Finanzierungsanteil von 13 Prozent. Die 140 Millionen Euro, die man dafür braucht, haben wir jetzt gegeben.

Die Milliarde fließt, glaube ich, nicht nur in die Forschung, sondern auch in die Ertüchtigung bestimmter Gesundheitssystemfähigkeiten. Aber dazu kann Jens Spahn mehr sagen.

BM Spahn: Neben der Forschung liegt der Fokus natürlich auf der Beschaffung von Masken. Wir haben uns darauf geeinigt, dass in einer Ausnahmesituation der Bund alles daransetzt – das mache ich auch persönlich -, diese zu beschaffen. Aber ich sage Ihnen auch: Es ist schwer, wenn gleichzeitig auf der ganzen Welt Staaten, Krankenhäuser und Privatpersonen so etwas benötigen. Die OP-Maske brauchen wir für das Coranavirus nicht originär, aber für die reguläre Aufrechterhaltung von einem OP-Betrieb brauchen wir in diesem Land OP-Masken. Wenn die knapp sind, dann hat das Folgen für die Versorgung. Das ist der eine Teil, also der finanzielle Teil. Der andere Teil sind Intensivkapazitäten.

Ich finde wichtig, dass wir für das Robert-Koch-Institut auch noch kurzfristig zusätzlich Geld bekommen haben, um gezielt für diese Lage Geld zu haben, was Studien und anderes angeht. Ich wünschte mir, dass wir in Europa noch stärker miteinander das ECDC, also sozusagen das europäische Robert-Koch-Institut, noch weiter stärkten. Wir haben heute Nachmittag eine Videokonferenz mit den Gesundheitsministern einiger Länder. Ich kann Ihnen sagen, dass es gerade in den Kleineren Mitgliedstaaten ein hohes Interesse gibt, an der Expertise des Robert-Koch-Instituts teilzuhaben. Deswegen werden wir das nachher intensiv besprechen. Das zeigt aber, dass wir auch diesbezüglich in Europa vielleicht Kräfte für die Zukunft in der Haushaltsplanung bündeln können.

Zur Frage der Abriegelung: Wissen Sie, das ist ja die Frage. Ich habe es vorhin schon einmal angedeutet: Wenn Sie einen Bereich total abriegeln und Sie diesen dann sozusagen wieder lüften, dann kommt das Virus hinein. Sie verhindern es nicht. Es kommt. Sie können das mit keiner Abriegelungsmaßnahme verhindern – außer, Sie sind ganz allein auf einer Insel und lassen niemanden mehr drauf; dann vielleicht. Deswegen ist die entscheidende Frage: Wie verlangsamen wir? Dass man einmal phasenweise in bestimmten Regionen zu Entscheidungen kommt und auch die Bürger bittet, zu Hause zu bleiben, ist okay. Aber nicht generell.

Wenn ich das noch kurz anfügen darf: Das gilt übrigens für Kindergärten und Schulen, weil ich die Debatte ja auch sehe. Ich finde, wir sollten in einer ersten Stufe da verzichten, wo es leichter ist, zu verzichten. Es ist leichter, auf Fußballspiele zu verzichten, so wichtig sie den Fans sind, was ich gut verstehe. Aber für uns als Gesellschaft und für jeden Einzelnen ist es leichter, auf Fußballspiele, Konzerte oder Clubbesuche zu verzichten, als die Frage: Habe ich eine Betreuung und eine Beschulung für meine Kinder? Weil das für Pflegekräfte, Polizisten, Ärzte, Busfahrer, für diejenigen, die das öffentliche Leben aufrechterhalten, eine Folge hat.

Zur Frage des Infektionsschutzes: Um es einmal wirklich so zu sagen: Wenn die Kinder bei der Oma sind, dann können wir jetzt länger darüber diskutieren, ob das nicht vielleicht sogar eher Folgen in die falsche Richtung hat; denn dann wird ja spontan etwas organisiert, sodass man die Kinder dann betreut weiß. Darüber, ob die Lösungen, die dann gefunden werden, tatsächlich diejenigen sind, die helfen, die Verbreitung des Virus zu reduzieren, kann man, glaube ich, zumindest einmal länger diskutieren.

Wenn ich dann sehe, dass manchmal von einigen so leichthändig die Forderung kommt, einfach mal alle Schulen und Kindergärten zu schließen, dann bin ich mir nicht ganz sicher, ob dann auch immer alle Folgen zu Ende gedacht werden. Dass man das regional einmal macht – siehe Heinsberg -, macht Sinn, aber was eine flächendeckende Anwendung solcher Maßnahmen betrifft, bin ich sehr zurückhaltend.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gesagt, Föderalismus sei nicht dafür da, dass man Verantwortung wegschiebt. Nun zeigt sich ja besonders der Berliner Senat sehr abwartend und zögerlich und verweist auf das morgige Treffen bei Ihnen. Müsste nicht gerade hier schneller gehandelt werden? Müssten mit Blick auf das kommende Wochenende nicht auch die Clubs geschlossen werden?

BK’in Merkel: Ich werde jetzt keine Einzelanordnungen machen. Ich habe gehört, dass ein Fußballspiel nun doch ohne Zuschauer stattfindet, obwohl die Ministerpräsidentenkonferenz noch nicht stattgefunden hat. Der Kultursenator hat hier sehr konsequent etwas zu Opern, Theatern und Kulturveranstaltungen gesagt. Insofern will ich hier jetzt überhaupt niemanden an den Pranger stellen.

Ich habe gesagt: Föderalismus hat Chancen. Wir können auch dezentral in bestimmten Regionen reagieren. Wir haben durch den Föderalismus eine in vielen Instanzen viel breiter in der Fläche aufgestellte Infrastruktur für bestimmte Dinge. Wir haben nicht nur eine Hauptstadt, noch zwei weitere Städte und an allen anderen Orten sind bestimmte Fähigkeiten gar nicht da; vielmehr haben wir zum Beispiel unser Universitätssystem mit 37 Universitätsklinika. Das bietet Chancen, aber es bedeutet auch, dass jeder an seiner Stelle eben auch Verantwortung übernimmt. Es kann eben nicht von Berlin aus verboten werden, etwas zu tun, aber es kann sehr wohl von Berlin aus empfohlen werden, etwas zu tun. Ich finde, dass die allermeisten das auch aufnehmen, annehmen und sogar sehr dankbar sind, wenn sie diese Empfehlungen bekommen.

BM Spahn: Wir bekommen in diesen Minuten die Meldung, dass Berlin alles über 1000 bis Ostern untersagt.

BK’in Merkel: Na bitte.

Zuruf: Das betrifft aber eben nicht unbedingt die Clubs.

BM Spahn: Nein, aber das zeigt doch, –

BK’in Merkel: Es wird doch reagiert.

BM Spahn: – dass wir in einem gemeinsamen Prozess sind. Ich habe gestern noch in einer Schalte mit den 16 Gesundheitsministern der Länder gesprochen und diskutiert. Das ist, jenseits der rechtlichen Zuständigkeit, ein echt gutes Miteinander und ein guter Austausch. Darin liegt dann auch eine Stärke, denn das, was in den Ländern, in den Krisenstäben und dann in den Strukturen gegenüber den Kommunen entsteht, kann, wenn wir gemeinsam agieren – und das tun wir in aller, aller Regel – eben auch Stärke bringen. Dass so eine Entscheidung und so eine Aussage wie die am Sonntag in einem föderalen Miteinander einmal ein, zwei Tage braucht, um sich abschließend zu sortieren, gehört dann vielleicht auch dazu. Aber entscheidend ist doch, dass wir am Ende im Ergebnis dahin kommen – und daran bestand bei den Gesundheitsministern übrigens auch kein Zweifel -, wo wir hin müssen; das ist doch dann auch gut.

Zu Clubbesuchen will ich einfach nur sagen: Das eine ist, die Dinge zu untersagen. Das andere ist aber, den Bürgern vielleicht auch zu sagen: Stellt euch einfach die Frage, ob in den nächsten drei Monaten unbedingt ein Clubbesuch sein muss. Ich finde, man kann die Frage ja auch einmal umdrehen. Muss man immer warten, ob etwas verboten ist, oder kann man auch selbst für sich sagen: Zum Schutz von anderen verzichte ich vielleicht auf das eine oder andere?

Frage: Frau Bundeskanzlerin, noch einmal zum Telefonat mit den EU-Partnern: Sie haben die europäische Solidarität angesprochen. In Italien zeichnet sich gerade ab, dass die Kapazitäten endlich sind. Gibt es Überlegungen, eventuell medizinisches Personal zu verschicken, auszuleihen oder vielleicht Patienten zu übernehmen, wenn sich die Lage noch verschlimmern sollte?

BK’in Merkel: Na ja, ich sage einmal: Medizinisches Personal einfach so von einem Land ins andere zu schicken – mit Sprachbarrieren usw. -, ist ja sowieso nicht ganz so einfach. Außerdem ist Italien natürlich nicht das einzige Land, das in einer Stresssituation ist. Ich kann Ihnen aber sagen: Wir werden mit unseren italienischen Kollegen sprechen; ich werde in den nächsten Tagen auch noch einmal mit Ministerpräsident Conte reden. Was wir tun und verantworten können, das werden wir tun.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gesagt, es gehe jetzt darum, das wirtschaftliche Leben einigermaßen aufrechterhalten zu können. Das klingt jetzt nicht nach einer Krise, die man mit ein bisschen Kurzarbeitergeld für ein paar Tage wieder in den Griff bekommt. Womit rechnen Sie da konkret, was die Konjunktur angeht?

Über die Frage zum CDU-Parteitag sind Sie ein bisschen schnell hinweggegangen. Herr Spahn, Sie haben gerade ja gesagt, man müsse nicht erst warten, bis etwas verboten ist. Müsste nicht gerade die CDU dort mit gutem Beispiel vorangehen und die Veranstaltung – das ist zwei Wochen nach Ostern – frühzeitig absagen, um ein Zeichen zu setzen?

BK’in Merkel: Wir können die wirtschaftlichen Folgen noch nicht absehen, und das hängt ja auch damit zusammen, dass wir nicht wissen: Ist jetzt einmal die ITB abgesagt worden und ist das jetzt eine Absagereihe von zwei Monaten, oder ist das eine Absagereihe von vier oder von sechs Monaten? Insofern kann ich jetzt noch nicht die Folgen abschätzen, das ist doch ganz klar. Wir müssen das beobachten und müssen schauen, wie sich die Dinge entwickeln. Wir sehen schon Betroffenheiten – wenn Sie sich einfach mal Hotelauslastungen, Stornierungen von Urlaubsreisen oder ähnliches anschauen -, aber wir können noch nicht sagen, ob das über die Osterzeit hinweggeht und was das für den Sommer bedeutet. Also müssen wir schon ein Stück weit die Dinge immer wieder neu bewerten. Jens Spahn hat gerade gesagt, dass Berlin zum Beispiel bis Ostern bestimmte Absagen gemacht hat. Das ist sicherlich ein Zeitraum, der jetzt an vielen Stellen gewählt wird, damit man nicht jeden Tag die Dinge neu entscheiden muss. Man kann jetzt aber auch nicht gleich bis Juli alles voraussagen.

Insofern weiß ich noch nicht und kann ich auch nicht wissen, wie groß die wirtschaftlichen Auswirkungen sind. Wir werden aber reagieren, und Kurzarbeitergeld ist ja nicht eine Sache für zwei Tage, sondern Kurzarbeitergeld ist etwas, was über Monate gilt. Wir haben die Verordnungsermächtigung zum Kurzarbeitergeld jetzt bis Ende 2021 auf den Weg gebracht, und die Gültigkeit, also dass man es anwenden kann, bis Ende des Jahres 2020. Das heißt, wir haben unsere Regelungen jetzt nicht für 14 Tage getroffen, sondern für eine längere Zeit. Das wird auch bei den Liquiditätsmaßnahmen am Freitag so sein.

BM Spahn: Ich habe aus vielen Gesprächen den Eindruck, dass sich alle der hohen Verantwortung und Vorbildfunktion bewusst sind, auch rund um den CDU-Parteitag. Deswegen sagen alle auch ausdrücklich, dass natürlich jede Option jenseits des „Es findet statt“ eine Option ist. Man sagt aber eben auch: Man schaut, was satzungsrechtlich und organisatorisch überhaupt möglich ist und ob es vielleicht möglich ist, anders damit umzugehen. Es geht ja auch nicht nur um 1001 Delegierte, sondern Sie und andere wollen im Zweifel auch etwas davon mitbekommen. Ich habe den Eindruck, dass alle mit der nötigen Ernsthaftigkeit und dem nötigen Verantwortungsbewusstsein dafür, dass das natürlich auch einen Vorbild- oder Symbolcharakter hat, da herangehen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, aus China werden derzeit tatsächlich Schutzmasken, wichtige medizinische Materialen und sogar ein Ärzteteam nach Italien geschickt. Sie schließen nicht aus, dass so etwas in den nächsten Wochen und Monaten auch aus Deutschland und anderen europäischen Ländern möglich ist? Es ist ja wirklich so, dass das italienische Gesundheitssystem schon überfordert ist, gerade in den wichtigen Städten wie zum Beispiel Mailand. Insofern wären das ja konkrete solidarische Maßnahmen, die auch Einfluss auf die öffentliche Meinung haben könnten.

BK’in Merkel: Ich kann jetzt nur sagen, was ich eben schon gesagt habe: Ich werde mit dem italienischen Ministerpräsidenten noch einmal sprechen; Jens Spahn ist mit dem italienischen Gesundheitsminister im Gespräch. Ich habe eben schon gesagt: Es lässt uns nicht etwa kalt, wenn in Italien eine solche Situation ist, und wir werden überlegen, was wir tun können, um zu helfen – wissend, dass auch unser Gesundheitssystem jetzt nicht vor keiner Herausforderung steht. Es ist ja nicht so wie bei einem Erdbeben, dass ein Land betroffen ist und ein anderes Land gar nicht betroffen ist, sondern wir sind ja alle in einer gewissen Weise in einer Stresssituation. Trotzdem sind wir uns freundschaftlich verbunden, und so wird man handeln, wie man unter Freunden handelt.

Frage: Frau Bundeskanzlerin und Herr Minister, Ihr politisches Verhältnis miteinander galt ja in den letzten Jahren nicht als ultraharmonisch. Trotzdem ist es ja wichtig – auch für das Vertrauen in der Bevölkerung, wenn die Situation sich jetzt möglicherweise noch zuspitzt -, dass man das Gefühl hat: Da vorne sind zwei, die miteinander harmonieren. Könnten Sie einmal sagen, ob sich Ihr Verhältnis in den letzten Wochen und Monaten in dieser Hinsicht verändert, vielleicht sogar verbessert hat?

Eine Frage noch an Professor Wieler: Könnten Sie etwas zu den jüngsten Entwicklungen in China sagen, wo ja eine Abnahme der Neuinfektionen stattfindet? Ist das ein Trend, der irgendetwas aussagt, was auch uns Hoffnung machen kann?

BK’in Merkel: Aus der Tatsache, dass wir vielleicht in manchen politischen Fragen unterschiedliche Einschätzungen haben – was in einer Volkspartei per se vorkommen muss -, zu schließen, dass wir nicht gut zusammenarbeiten könnten, finde ich relativ kühn und meinem Wesen fremd. Wir arbeiten im Kabinett immer super zusammen, und jetzt natürlich noch sehr viel intensiver. Ich habe es gestern schon in der Fraktion gesagt: Ich finde, dass Jens Spahn gerade in einer schwierigen Situation einen tollen Job macht – wenn ich mir das als Regierungschefin erlauben darf; denn das hört sich immer so an, als würde man Bewertungen vergeben. Ich habe da volles Vertrauen und wir haben gute, schnelle Gespräche, einen super Austausch. Insofern: Darauf kann sich jeder verlassen.

BM Spahn: Ich kann das nur kurz ergänzen: Mein Eindruck, mein Erleben und meine Erfahrung wären, dass unser persönliches Verhältnis schon immer besser war, als die meisten von Ihnen manchmal geschrieben haben.

Prof. Wieler: Zu Ihrer Frage zur Entwicklung in China: Das ist eine sehr wichtige Frage. Noch einmal die Grundvoraussetzungen: Wir reden von einem pandemischen Virus, mit dem 60 bis 70 Prozent der Menschen infiziert werden. Natürlich wird es auch so sein, dass sich das Virus in China wieder ausbreiten wird; es gibt gar keinen Grund, das zu bezweifeln. Es war natürlich eine richtige, drastische Maßnahme, dass man in Wuhan eine ganze Stadt abgeriegelt hatte. Warum das getan wurde, versteht inzwischen, glaube ich, jeder; denn es werden eben sehr viele Menschen, die mit dem Virus infiziert werden, schwer krank. Aber wenn man diesen sogenannten Lockdown, diese Absperrung dann wieder aufhebt, ist das Virus natürlich nicht aus der Welt verschwunden. Vielmehr wird es selbstverständlich auch in China in Zukunft wieder eine Zunahme von Fällen geben. Das sind verschiedene Wellen, aber kein Mensch weiß, wann das sein wird und wie viel das sein wird.

Darum noch einmal: Die Vorstellung, dass man etwas durch eine Abriegelung aus einem Land halten kann, ist naiv. Selbst wenn man das eine gewisse Zeit lang schafft, wird das Virus irgendwann trotzdem in dieses Land kommen. Es geht also darum, alles zu verlangsamen und dafür Sorge zu tragen, dass es möglichst nicht an vielen Stellen gleichzeitig auftritt, sondern man die Kapazitäten im Gesundheitswesen nutzen kann, um sich gegenseitig zu unterstützen und die Patienten zu versorgen.

Ein weiterer Aspekt: Es wird irgendwann ja auch einen Impfstoff geben, aber das dauert noch eine Weile – ein Jahr; vor 2021 ist das unrealistisch. Wenn man diesen Impfstoff hat, kann man natürlich auch impfen. Es wird sich außerdem natürlich auch zunehmend eine Immunität in der Bevölkerung ausbilden, denn da mehr als 80 Prozent der Menschen, die infiziert werden, nur milde Symptome haben, haben sie auch eine gewisse Immunität.

Das heißt, wie sich das Virus verbreiten wird – ob es da etwa eine Saisonalität gibt -, werden wir sehen, und wir tun alles, um diese ganzen Effekte abzumildern. Aber dass das Virus auch wieder nach China kommt, ist aus wissenschaftlicher Sicht sicher.

Frage : Frau Bundeskanzlerin, man fühlt sich bei dieser Pressekonferenz ja ein bisschen an historische Pressekonferenzen erinnert – an das Motto „Whatever it takes“ von Herrn Draghi oder auch an Ihren Presseauftritt seinerzeit in der Finanzkrise mit der Aussage „Die Guthaben sind sicher“. Wenn Sie diese Pressekonferenz nehmen: Wie würden Sie das angesichts der Bedrohung einordnen?

BK’in Merkel: Wir sind, wie Herr Professor Wieler gesagt hat und wie es mir auch logisch erscheint – ich höre sowieso auf seinen Rat -, am Anfang einer Entwicklung, die wir noch nicht genau voraussehen können. Insofern wird es noch viele Pressebegegnungen geben – ich will jetzt nicht gleich meinen nächsten Besuch in der Bundespressekonferenz ankündigen, aber wir werden noch viel mit der Frage, über die wir heute gesprochen haben, zu tun haben.

Aus meiner Sicht ist dies eine Pressekonferenz, die sozusagen den Blick weitet für die Herausforderung, vor der wir stehen, die aber auch zeigt, dass wir noch nicht an allen Stellen die Lösung anbieten können. Die Botschaft sollte sein: Wir werden als Land das Notwendige tun, und das auch im europäischen Verbund. Ich fand das sehr, sehr wichtig.

Wir haben ja ein anderes Thema, bei dem wir gerade über Flüchtlinge sprechen. Die Europäische Union mit ihren Institutionen und ihren Mitgliedstaaten soll einfach bei solchen großen Herausforderungen sichtbar sein. Das ist niemals ideal, aber dass die Gesundheitsminister sich zum Beispiel schon zweimal getroffen haben, zeigt, dass wir das auch als eine europäische Herausforderung begreifen.

Mittwoch, 11. März 2020

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