Meinung: Altenstadt – ein Betriebsunfall der Demokratie auf ganz vielen Ebenen

Deutschland im September 2019: der Ortsbeirat der Wetterauer Gemeinde Altenstadt (Hessen) wählt den NPD-Funktionär Stefan Jagsch zu seinem Vorsitzenden – mit Stimmen von CDU, SPD und FDP. Es hätte niemanden gegeben, der sonst bereit gewesen, den Job zu machen, heißt es aus dem Gremium. Und erst keiner, der sich gut mit Computern auskenne. Außerdem sei die Arbeit in dem Ortsbeirat ganz unpolitisch. Der Sturm der Entrüstung lässt natürlich nicht lange auf sich warten und die Parteioberen fordern, die Entscheidung müsse rückgängig gemacht werden.

Soweit die Lage.

Für mich ist dies ein Betriebsunfall der Demokratie auf mehreren Ebenen.

  • Erstens ist es ein Fehler, dass es die NPD überhaupt noch gibt. Das Bundesverfassungsgericht hat den 2015 gestellten Antrag auf Verbot der Partei 2017 mit einer sehr fragwürdigen Begründung abgelehnt. Zwar sei die Partei verfassungswidrig, doch da sie nicht stark genug sei, die verfassungsmäßige Ordnung zu beseitigen, sei ein Verbot nicht angezeigt. Damit fügt das Bundesverfassungsgericht ein ungeschriebenes Merkmal zu Art. 21. Abs. 2 GG hinzu, das der Potenzialität. Nach hier vertretener Meinung hätte das Bundesverfassungsgericht diesen Spielraum gar nicht gehabt, sondern hätte die Partei verbieten müssen. Hätte das Gericht geltendes Verfassungsrecht konsequent angewandt, hätten wir das aktuelle Dilemma gar nicht. Ausführlicher dazu hier.
  • Zweitens haben wir es hier mit einem Versagen des demokratischen Engagements der Bürger zu tun – der NPD Kandidat war anscheinend der einzige, der sich für das Amt zur Verfügung stellte. Demokratie lebt aber vom Mitmachen.
  • Drittens war es natürlich ein Fehler der anderen Mitglieder des Ortsbeirats, einen NPD Funktionär zu wählen. Jeder muss sich selbst fragen, wie er es mit seinem Gewissen vereinbaren kann, einen Ortsvorsteher ins Amt gebracht zu haben, dessen Partei in einer nicht nicht nur entfernten Nähe zur NSDAP steht. Und auch die Reaktionen aus Medien und Politik hätten absehbar sein müssen.
  • Viertens finde ich aber auf der anderen Seite, dass dem Vorgang zu viel Bedeutung beigemessen wird. Wir reden hier lediglich über den Ortsbeiratsvorsitzenden einer 2.500 Seelen Gemeinde. Unsere Demokratie muss es aushalten, dass – wenn auch durch eine Art Betriebsunfall – ein Vertreter einer Partei gewählt wurde, die zwar möglicherweise verfassungswidrig ist, der es das Bundesverfassungsgericht aber im Ganzen nicht zutraut, eine echte Gefahr zu sein.

Durch den medialen Aufschrei und eine Korrektur der Entscheidung wird dem gesamten Vorfall eine Bedeutung beigemessen, die er nicht verdient hat – und die am Ende der NPD wohl nur nützen wird.

Mehr Gelassenheit täte uns allen auch hier gut.

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