Dokumentiert: Offener Brief von Brigadegeneral a.D. Dr. Klaus Wittmann an Generalleutnant a.D. Joachim Wundrak

Dr. Klaus Wittmann
Brigadegeneral a.D.

Berlin, 9. August 2019

Offener Brief

an den neuen Hoffnungsträger der AfD, Generalleutnant a.D. Joachim Wundrak

Sehr geehrter Herr General Wundrak,

als einer Ihrer Kameraden aus früheren Bundeswehrzeiten bin ich recht befremdet über Ihr Engagement für die AfD, beschränke mich aber nicht auf das „Kopfschütteln“, das, so der SPIEGEL, „unter Generälen der Bundeswehr herrscht“. Ich gebe Ihnen vielmehr folgendes zum Nachdenken auf den Weg (wobei ich mich, der Ordnung halber sei es gesagt, auf die Presseberichterstattung beziehe):

1. „Repressalien“

Sie waren schon während Ihrer aktiven Dienstzeit AfD-Mitglied, haben dies aber bis zu Ihrem Ausscheiden geheimgehalten als „eher stilles Mitglied“– aus Sorge vor Repressalien, wie berichtet wird. Da frage ich, der ich als aktiver und pensionierter Offizier und General immer, auch öffentlich und in Publikationen, meine Überzeugungen und Einsichten vertreten habe, mich und auch Sie, vor welchen „Repressalien“ ein Dreisternegeneral denn Angst haben muss. Da kann es doch eigentlich nur die Befürchtung gegeben haben, den Großen Zapfenstreich an der Seite der Ministerin in Gefahr zu bringen. Den Großen Zapfenstreich, die Ehrung unseres Staates auch für ausscheidende hohe Generale – des Staates, dessen Bundeskanzlerin Sie gleich danach als „antideutsch“ verunglimpft haben. Das finde ich (wohl gemeinsam mit vielen anderen Soldaten) ebenso wie Ihre „Sorge vor Repressalien“ unwürdig.

2. Soldatengesetz

An zwei Bestimmungen des Soldatengesetzes ist zu erinnern:

§ 10 (Pflichten des Vorgesetzten): (3). Offiziere und Unteroffiziere haben innerhalb und außerhalb des Dienstes bei ihren Äußerungen die Zurückhaltung zu wahren, die erforderlich ist, um das Vertrauen als Vorgesetzte zu erhalten.

§ 17 (Verhalten im und außer Dienst): (3) Ein Offizier oder Unteroffizier muss auch nach seinem Ausscheiden aus dem Wehrdienst der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die für seine Wiederverwendung in seinem Dienstgrad erforderlich sind.

Wie Ihr AfD-Kamerad Oberst a.D. Lucassen Ministerin Kramp-Karrenbauer nach deren Vereidigung und Regierungserklärung entgegengetreten ist, entspricht sicher nicht diesen Bestimmungen. Gelten die Regeln für ehemalige Soldaten nicht mehr, wenn sie ein politisches Amt innehaben? Wie stehen Sie dazu? Werden Sie es dem Genannten gleichtun, nun mit der Autorität des „Dreisterners“? Da bin ich sehr gespannt.

3. Die AfD-Thesen zur Sicherheitspolitik und zur Bundeswehr

Bisher habe ich nur ziemlich banale allgemeinpolitische Äußerungen von Ihnen gelesen und Ihre Nominierung zum Oberbürgermeisterkandidaten in Hannover zur Kenntnis genommen. Was aber mich und sicher auch andere Soldaten sehr stark interessiert, ist die Frage, welche Haltung Sie jetzt zur deutschen Sicherheitspolitik und zur Bundeswehr einnehmen, die Sie nach meiner Beobachtung in vielen Jahrzehnten systemkonform unterstützt haben. Aus dem „Strategiepapier“ Ihrer neuen Partei („Streitkraft Bundeswehr“) vom Juli 2019 ergeben sich zahlreiche Fragen. Denn neben viel Selbstverständlichem und auch von anderen erkannten Notwendigkeiten zur Behebung der Bundeswehr-Defizite aus den „hoffnungsfrohen Jahrzehnten“ sind auch äußerst problematische, teilweise sehr rückwärtsgewandte Forderungen enthalten. Ich wäre neugierig zu wissen, ob Sie (beispielsweise) unterstützen

– das Verlangen nach gesellschaftlicher Privilegierung der Bundeswehr und
,„gegenseitigem Treuebund“ (mit dem Anklang an die seinerzeitige „Schnez-
Studie“, die für die Behebung der Bundeswehrprobleme eine „Reform der Gesellschaft an Haupt und Gliedern“ forderte);

– die unrealistische Forderung nach Wiedereinführung der Wehrpflicht, für deren Beibehaltung ich zwar selbst publizistisch bis zu Ihrer Abschaffung (auf dem Papier „Aussetzung“) 2010 eingetreten bin, mit der es aber leider endgültig vorbei ist;

– eine Änderung der grundgesetzlichen Bestimmungen zum Einsatz der Bundeswehr im Innern („Die Sperrwirkung des Grundgesetzes ist anzupassen.“) und das vorgesehene „Reservekorps“ u.a. zur Unterstützung der Bundespolizei (mit größerem Umfang als diese);

– den geforderten deutschen Anspruch auf eine militärische Führungsrolle in Europa bei gleichzeitiger Ablehnung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der europäischen Union;

– die Forderung nach einer aktiven Entspannungspolitik der NATO gegenüber der Russischen Föderation (die ich auch stark befürworte, aber nicht in der
AfD-Lesart, ohne irgendeinen Hinweis beispielsweise auf Krim und OstUkraine);

– die Vorstellung, die deutsche Armee müsse in die Lage versetzt werden, das deutsche Staatsgebiet 20 Tage lang „autonom“ zu verteidigen, wofür ein deutscher Generalstab zu bilden sei;

– die damit einhergehende Formulierung „Befähigung und … Motivation … zum unerbittlichen Kampf im Gefecht“;

– die äußerst problematische Aussage: „Traditionswürdigkeit beruht stets auf einer Einzelfallbetrachtung. Persönlichkeiten und militärische Ereignisse sind stets im Kontext der jeweiligen Epoche zu bewerten.“ Und dazu der Anspruch, die militärische Seite solle weitgehend selbst entscheiden, in welcher Militärtradition sie die Bundeswehr sieht;

– die Maxime „Parallele Meldewege sind unzulässig“ (gegen die Institution des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages gerichtet?)

– Die Forderung nach dem Aufbau einer deutschen Militärjustiz und nach Aufhebung der Trennung von Truppe und ziviler Verwaltung;

– Das allgemeine Postulat „Novellierung der grundgesetzlichen Vorgaben“ für die Bundeswehr.

Sollten Sie sich mit all dem identifizieren, müssten Sie ja in atemberaubender Geschwindigkeit vieles von dem über Bord geworfen haben, wofür Sie bis vor kurzem standen. Ich hoffe, die meisten Staatsbürger in Uniform durchschauen, welche Art von Bundeswehr die AfD sich wünscht, und machen die Hoffnung der AfD zunichte, viele Soldaten anzuziehen mit Ihnen als Gallionsfigur (die Metapher ist inspiriert durch das “Willkommen an Bord, Herr General!“ des Oberstleutnant a.D. Junge, AfD Landesvorsitzender Rheinland-Pfalz, der wegen der Berufung von Annegret Kramp Karrenbauer zur Verteidigungsministerin einen „Aufstand der Generale“ gefordert hatte.)

4. Geschichtsbild

In aller Offenheit: Ein Offizier, gar General, der die skandalöse Äußerung des AfDVorsitzenden Gauland zur Relativierung der NS-Verbrechen, „Hitler und die Nazis [seien] nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“, „nicht schlimm“ findet, hat wohl im Geschichtsunterricht nicht aufgepasst und Jahrzehnte politischer Bildung in der Bundeswehr – für die er als Vorgesetzter ja verantwortlich war – verschlafen. Er sollte sein Engagement in dieser Partei überdenken, solange noch Zeit ist, den guten Ruf zu retten. Haben Sie sich denn wirklich vor Augen gehalten, mit wem Sie jetzt verbündet sind? Wer auch in Ihrem Namen auftritt und spricht? Die Fülle unsäglicher Äußerungen zur deutschen Geschichte, zur Gedenkkultur, zu Fremden, zur völlig tendenziös dargestellten Kriminalstatistik und zu vielen anderen Themen? Die zahllosen eindeutig extremistischen Aussagen? Das Ressentiment gegenüber unserem staatlichen „System“?

Und sollten Sie die Absicht hegen, durch Ihr Hinzutreten die AfD zu einer akzeptablen konservativen Kraft zu machen, so halte ich das angesichts der Tendenzen im gegenwärtigen innerparteilichen Richtungsstreit für eine Illusion.

Sie können diesen Brief gern auch als Angebot zur streitigen Auseinandersetzung auffassen, denn Ausgrenzung von Menschen, die aus Unzufriedenheit über dies oder das der AfD zulaufen, halte ich auch nicht für richtig.

Mit (noch) kameradschaftlichen Grüßen,

Klaus Wittmann
Dr. Klaus Wittmann, Brigadegeneral a.D., Berlin

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