Rede von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zur Eröffnung der CeBIT 2017

Am 20. März 2017 öffnet die CeBIT ihre Tore. Bereits am Vorabend hält Angela Merkel die Eröffnungsrede, die wir hier dokumentieren.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Abe, lieber Shinzō,
sehr geehrter Herr Higashihara und herzlich willkommen allen Gästen aus Japan,
Herr Ministerpräsident Weil,
liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Bundeskabinett,
Herr Oberbürgermeister,
Herr Dirks,
meine Damen und Herren,
liebe Aussteller aus nah und fern,

bei der CeBIT trifft sich die Welt. Das kann man in diesem Jahr auch wieder sagen. Wir freuen uns ganz besonders, dass Japan in diesem Jahr unser Partnerland, unser Gastland ist. Ein ganz herzliches Willkommen den 118 Unternehmen, die hier im größten Ausstellungspavillon sind, der jemals auf der CeBIT gewesen ist und den wir uns morgen anschauen werden. Herzlich willkommen, liebe Minister aus Japan. Und natürlich herzlich willkommen, lieber Ministerpräsident, lieber Shinzō. Das ist ein guter Tag hier auf der CeBIT in Hannover für die deutsch-japanische Kooperation.

Vor 70 Jahren fand hier in Hannover die erste Messe statt. Man muss sich das vorstellen: 1947. Ab 1950 nahmen wieder ausländische Aussteller teil. Ab dem Jahr 1961 gab es einen Pavillon, in dem man sich mit Computern beschäftigte. Die Computer wurden immer mehr. Dann hat man 1986 die Hannover Messe und die CeBIT getrennt. Seitdem gibt es die CeBIT, und jeweils wenige Wochen später die Hannover Messe.

Wer war der erste Partner auf der ersten CeBIT? Das war 1986 Japan. Damals waren die Dinge noch etwas anders und die Computer noch etwas schwerer. 1986 wurde der erste tragbare Rechner durch Japan präsentiert. Er brachte es auf ein Gewicht von rund 8,5 Kilogramm, also eher ein „Schlepptop“ als ein Laptop – eine schöne Aufgabe für die Übersetzer ins Japanische. Also „Schlepptop“ wurde zu Laptop. Wir sehen, dass wir bis heute doch weitergekommen sind. Ich denke, lieber Shinzō, wir können sagen, dass wir in Deutschland und Japan in den letzten Jahren unsere Kooperationen sehr intensiviert haben. Wir waren aufeinanderfolgende Gastgeberländer der G7-Gipfel und haben viel an der gemeinsamen Agenda erarbeitet. Es ist ein gutes Zeichen, dass ihr auch auf dieser CeBIT dabei seid.

Ich habe vor einigen Jahren im Scherz gesagt, die CeBIT müsste eigentlich wieder mit der Hannover Messe fusionieren. Ich dachte, das wäre eher ein Witz gewesen. Aber nun merke ich, dass inzwischen doch über die Eigenständigkeit der CeBIT diskutiert wird. Ich will heute Abend ein ganz klares Plädoyer dafür abgeben, dass die CeBIT doch als CeBIT erhalten bleiben sollte – auch weil man hier das Leitmotiv „d!conomy“ hat. Ich finde es fast ein bisschen bescheiden, denn es drückt nicht weniger als den Gedankengang in Richtung einer Verschmelzung der Realwirtschaft mit den Möglichkeiten der Digitalisierung aus – also auch Industrie 4.0. Aber mit dem, was hier auf der CeBIT eigentlich stattfindet, und auch mit der Vorstellung des japanischen Gesellschaftsmodells „Society 5.0“ ist ja ein viel breiterer Ansatz verbunden, nämlich ein Ansatz, die CeBIT zu einem Motor der Digitalisierung in allen gesellschaftlichen Bereichen zu machen – von privaten Nutzungen bis hin zu industriellen Nutzungen, auch zur Vernetzung der Dinge. Deshalb denke ich, dass man gute Chancen hat, die CeBIT in eine breitere Richtung weiterzuentwickeln, als es die Hannover Messe jemals leisten könnte. Ich jedenfalls würde dafür plädieren, weil sich unsere gesamte Gesellschaft in der Tat verändert.

Man liest, dass sich in den nächsten Jahren 50 Milliarden Dinge außerhalb der Smartphones und Computer vernetzen sollen. Die Welt hat über sieben Milliarden Einwohner. Das hieße pro Mensch sieben Dinge. Das scheint einem in dieser Betrachtung nicht sehr viel zu sein. Wenn ich auf der anderen Seite an die Vernetzung von 50 Milliarden Dinge denke und daran, wie es ist, wenn ich durch die ländlichen Regionen Deutschlands fahre und versuche, aus einem Auto zu telefonieren, dann sagt man: Bis wir alle vernetzt sind, brauchen wir zumindest noch eine bisschen bessere Infrastruktur. Deshalb gilt es das, was wir mit der Digitalen Agenda in der Bundesregierung beschrieben haben, in der gesamten Breite voranzutreiben – angefangen bei der Infrastruktur, die im Verantwortungsbereich von Minister Dobrindt liegt. Wir glaubten vor ein paar Jahren, dass wir schon eine Menge geschafft hätten, wenn jeder Haushalt mit 50 Megabit pro Sekunde angebunden wäre. Heute sprechen wir über Gigabit und über eine überall verfügbare Infrastruktur. Und das muss schnell realisiert werden.

Gemeinsam müssen – hier nehme ich das Angebot von Shinzō Abe sehr gern auf – Standards für die Vernetzung der Dinge entwickelt werden. Ansonsten wird es sehr schwierig werden, die Offenheit unserer Gesellschaften auch wirklich leben zu können. Die erste Aufgabe haben wir, wenn ich das sagen darf, in der Europäischen Union. Wir brauchen einen digitalen Binnenmarkt in umfassendem Sinne. Wir dürfen nicht an jeder Landesgrenze sozusagen unterschiedliche Frequenzbereiche und vieles andere haben. Hier haben wir noch viel zu tun. Es ist gut, dass das EU-Japan-Freihandelsabkommen jetzt mit Nachdruck verhandelt wird, denn das könnte ein Bekenntnis dazu sein, dass die Europäische Union – Deutschland möchte hierbei gern Motor sein – gemeinsam mit Japan ein Freihandelsabkommen abschließt, das deutlich macht: Wir wollen freie, offene Märkte. Wir wollen fairen Handel und keine Barrieren aufbauen, sondern dass in der Zeit der Vernetzung der Dinge sich auch unsere Gesellschaften miteinander vernetzen und sie fair miteinander kooperieren lassen. Das ist Freihandel.

Deutschland fühlt sich diesen Prinzipien in diesem Jahr besonders verpflichtet, weil wir die Präsidentschaft der G20 übernommen haben und in Hamburg in wenigen Monaten die Staats- und Regierungschefs zusammentreffen werden. Die ersten Konferenzen haben schon stattgefunden. Unter deutscher Präsidentschaft wird es zum ersten Mal ein Treffen der Minister für Digitalisierung geben. Ich denke, das ist ein Zeichen dafür, dass wir die Zeichen der Zeit erkannt haben. Ich hoffe, dass der Wunsch der gemeinsamen Erarbeitung einer großen digitalen Plattform, die Regeln kennt, die den Menschen in den Mittelpunkt nimmt und nach dem Nutzen für den Menschen fragt, dazu führt, dass ein solcher Fortschritt erzielt werden kann oder dass zumindest ein erster Schritt gemacht werden kann.

Lieber Shinzō Abe, was du in Bezug auf die Gestaltung einer Gesellschaft mit Blick auf die Digitalisierung und ihre Möglichkeiten gesagt hast, trifft in der Tat auch unsere Vorstellungen von einer Sozialen Marktwirtschaft. Ausgangspunkt ist die Entfaltungsmöglichkeit jedes einzelnen Menschen, aber natürlich nicht die freie Entfaltung zum Schaden vieler Menschen. Es geht also auch im digitalen Zeitalter um das Errichten von Leitplanken und die Möglichkeit eines fairen Wettbewerbs. Das heißt auf der einen Seite, dass wir nicht unbedingt Monopole, sondern dass wir eine Vielzahl von Unternehmen brauchen. Deshalb setzen Japan und Deutschland gemeinsam auf mittelständische und kleinere Unternehmen. Das bedeutet, dass auch diese Unternehmen gute Wachstumsbedingungen vorfinden. Wir brauchen neue Mechanismen der Förderung – von Wagniskapital bis hin zu Wachstumskapital. Hierfür hat Deutschland in den letzten Jahren vieles getan. Hierüber können sich Japan, Deutschland und andere sehr gut austauschen. Hier wird es für Start-ups die Möglichkeit geben, sich zu vernetzen, sich zu treffen und über Wachstumsbedingungen zu sprechen. Wir von der Politik werden das natürlich aufnehmen und überlegen, wo wir hierbei noch besser werden können.

An die Vertreter der Europäischen Kommission will ich die Bitte richten, dass wir solche Möglichkeiten schnell nutzen können, denn wir sind in unseren Entscheidungen in Europa oft zu langsam. Ich weiß, dass dahinter immer auch die Mitgliedstaaten stecken. Ich will jetzt gar kein „blame game“ betreiben. Aber 28 Mitgliedstaaten müssen sich einigen, 28 Mitgliedstaaten müssen sich entscheiden. Die Auseinandersetzung mit dem Thema Netzneutralität hat nicht deshalb so lang gedauert, weil sich die Kommission nicht entscheiden konnte, sondern weil sich die Mitgliedstaaten nicht entscheiden konnten. Aber wir spüren, dass das Tempo auf der Welt hoch ist. Mit Japan haben wir einen Freund, aber natürlich auch einen Wettbewerber, der sich die Möglichkeiten der Welt der Digitalisierung durchaus zu eigen macht.

Wir müssen das in den Mittelpunkt stellen, was in der Sozialen Marktwirtschaft der Realwirtschaft immer eine Rolle gespielt hat: der Mensch und seine Lebensbedingungen. Wir haben, sage ich einmal, in diesem Saal 2.000 begeisterte Menschen, die die Digitalisierung als Chance begreifen. Wir haben hier 3.000 Aussteller aus 70 Ländern, die nicht schnell genug vorankommen können. Wir haben aber auch Millionen von Menschen, die zum Teil noch nicht genau wissen, was sie erwartet und was Digitalisierung alles bedeutet. Ist das gut für meinen Arbeitsplatz oder ist das eine Gefahr für meinen Arbeitsplatz? Bin ich in der Lage, allen neuen Entwicklungen zu folgen? Wer gibt mir die Bildung dafür? Bin ich ein Datenlieferant, mit dessen Daten alles Mögliche gemacht wird, oder welchen Schutz und welche eigene Beeinflussungsmöglichkeit habe ich? Solche Fragen stellen sich viele Menschen.

Japan und Deutschland sind Gesellschaften, die auch einen demografischen Wandel durchlaufen. Ich denke, wir in Deutschland können von Japan zum Teil lernen, dass man der Technologie auch offen gegenüberstehen sollte. Wenn ich sehe, wie in Japan Roboter zum Beispiel in der Altenpflege eingesetzt werden und mit welcher Offenheit Menschen in Japan dem begegnen, und wenn ich dann unsere Gesellschaft sehe, die an dieser Stelle doch etwas zurückhaltender ist, dann denke ich, dass wir auch darüber sprechen, uns austauschen und Erfahrungen gegeneinander abwägen müssen. Denn ich denke, dass wir noch vieles voneinander lernen können.

Also: Die Menschen mitnehmen, sie mitnehmen in ein neues Zeitalter, in die Gesellschaft 5.0, wie Japan es nennt. Menschen mitzunehmen, das wird in vielerlei Hinsicht eine Aufgabe sein. Ich sage Ihnen ganz offen: Das wird die Politik nicht allein können, sondern das müssen wir mit Ihnen, den Anbietern digitaler Technologien, gemeinsam tun. Das wird heißen: neue Formen der Bildung, zum Beispiel in der Schule – Digitalisierung der Schulen, Zugriff auf Clouds, Ausstattung mit Computern und die Vermittlung der Fähigkeit zu programmieren als eine Grundfähigkeit neben Lesen, Schreiben, Rechnen. Ich sage allerdings immer dazu: Lesen, Schreiben, Rechnen bleiben notwendige Grundfähigkeiten, das Programmieren kommt aber noch dazu. Nicht dass irgendetwas anderes wegfällt, das können wir den jungen Leuten nicht versprechen.

Wir müssen auch das lebenslange Lernen weiterentwickeln. Das wird eine der spannendsten Aufgaben sein: am Arbeitsplatz, aber auch für die gesamte Gesellschaft. Da haben wir in der Politik in Deutschland, denke ich, eine Bringschuld. Diese Bringschuld heißt, dass der Staat den Bürgerinnen und Bürgern eben Fähigkeiten des 21. Jahrhunderts anbietet: Bürgerportale und digitale Möglichkeiten, Leistungen zu erbringen. Wenn ich ganz ehrlich bin, dann muss ich sagen: So lange, wie wir uns mit der elektronischen Signatur und der elektronischen Gesundheitskarte schon herumschlagen, werden wir sicherlich auch dabei keinen Weltrekord aufstellen. Da ist Japan wahrscheinlich etwas schneller. Deshalb heißt die Aufgabe, in den nächsten Jahren als Staat die Digitalisierung offensiv voranzutreiben und den Bürgerinnen und Bürgern zu zeigen, was an Mehrwert da ist.

Ich freue mich auf den Rundgang morgen, den wir gemeinsam mit dem japanischen Ministerpräsidenten machen werden, um Neues zu erleben. Mir konnte heute niemand sagen, ob auch wir schon mit autonom fahrenden Bussen über das Messegelände gesteuert werden oder ob man gedacht hat: Aus Sicherheitsgründen braucht man bei Regierungschefs noch einen Fahrer. Aber auf jeden Fall können viele hier schon autonom fahren. Der Vorstand der Messegesellschaft tut dies jedenfalls schon. Auf jeden Fall werden wir hier erleben, dass vieles Realität ist, was wir früher unter Science-Fiction gesehen haben. Deshalb denke ich, dass diese CeBIT ihre Wirkung entfalten wird. 200.000 Besucher werden erwartet, denen ich erfüllte Stunden zwar nicht versprechen kann, aber für die ich erfüllte Stunden erhoffe.

Noch einmal ein herzliches Dankeschön an unseren Partner Japan. Ich denke, diese Kooperation auf der CeBIT wird ein weiterer Meilenstein in der Kooperation unserer beiden Länder sein. In Zeiten, in denen wir über freien Handel, offene Grenzen und demokratische Werte mit vielen streiten müssen, ist es ein gutes Zeichen, dass Japan und Deutschland darüber nicht streiten, sondern dass sie zum Wohle der Menschen die Zukunft gestalten.

Herzlichen Dank und eine gute CeBIT.

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