Meinung: Für freie Abgeordnete

Das Abstimmungsproblem

Drastisch gesehen könnte man sich einen großen Bundestag (oder auch Landtage) mit vielen Abgeordneten sparen:

Nach den Wahlen entsenden die Parteien, die es ins Parlament geschafft haben, einfach einen Vertreter, der dann dem Wahlergebnis entsprechend viele Stimmen bekommt, die er dann bei den Abstimmungen entsprechend der Parteitagsbeschlüsse und des jeweiligen Koalitionsvertrages einsetzt. Die Ergebnisse wären nicht anders als derzeit, da die Fraktionen im Regelfall ja ohnehin blockweise abstimmen. Gut, das ist jetzt etwas polemisch und es gibt durchaus Sternstunden des Parlaments, in denen der Fraktionszwang aufgehoben ist, aber er ist leider der Regelfall und die Abgeordneten halten sich daran.

Hauptgrund dafür, dass die Abgeordneten sich den Abstimmungswünschen Ihrer Fraktionsführung unterwerfen, ist sicherlich, dass sie z.B. Sorge haben, nur auf einem schlechten Platz oder sogar gar nicht auf der nächsten Wahlliste zu stehen, wenn sie entgegen der Parteilinie abstimmen.

Die in Artikel 38 GG beschriebenen Abgeordneten, die „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“ sind, sind mithin in der Realität kaum mehr zu finden.

Kein Wunder also, dass die Reden und Debatten im Bundestag inhaltsleer sind und das Interesse der Bürger daran kontinuierlich nachlässt, was auf Dauer gefährlich für die Demokratie ist.

Doch wie kann man das ändern?

Mehr geheime Abstimmungen

Eine naheliegende Lösung könnte sein, mehr geheime Abstimmungen durchzuführen – sie sind an sich nur für wenige Fallgruppen wie z.B. die Wahl des Bundeskanzlers vorgesehen.

So könnte man daran denken, dass grundsätzlich oder auf Antrag eines oder mehrerer Abgeordneter die Abstimmungen geheim erfolgen müssen.

Auch wenn man damit dem einzelnen Abgeordneten mehr Freiheit geben würde, werfen einige ein, dass die vom Grundgesetz beschriebene Demokratie Transparenz bedinge. Dazu gehöre eben auch, dass der Bürger wisse, wie sein Abgeordneter abstimme. Und tatsächlich wird bei besonders wichtigen Entscheidungen oftmals sogar namentlich abgestimmt und die Namenslisten sind online abrufbar.

Ich persönlich bin mir nicht sicher, ob nicht doch eher geheime Abstimmungen geboten wären – doch halte ich eine dementsprechende Änderung der GeschOBT und ggf. sogar des Grundgesetzes angesichts der dargestellten Bedenken für sehr unwahrscheinlich.

Fraktionen auflösen – oder zumindest verändern

Ein weiterer Ansatz ist, die Macht der Fraktionen in der derzeitigen Form zu beschränken.

Vorgebracht wird immer, diese wären für eine effiziente politische Arbeit notwendig. Und in der Tat sorgen Sie für eine hocheffiziente Politik – bei der alle Abgeordneten der vorgegebenen Parteilinie folgen. Angesichts neuer technischer Möglichkeiten halte ich Fraktionen grundsätzlich nicht mehr für notwendig. Zudem könnte der Bundestag seinen wissenschaftlichen Dienst ausbauen und damit den Abgeordneten die für ihre Arbeit benötigten Ressourcen zur Verfügung stellen.

Interessant könnte auch ein System sein, bei dem die bisherigen Ausschüsse durch themenbezogene Fraktionen ersetzt werden – z.B. die „Fraktion der Außenpolitiker“ oder gleich auch die „Fraktion der transatlantischen Außenpolitiker“, die „Fraktion der ostorientierten Außenpolitiker“, die „atomstromfreundlichen Energiepolitiker“ und die „bayerischen Bienenfreunde“.

Egal wie – eine Abschaffung der Fraktionen in der derzeitigen Form dürfte eine der wichtigsten Maßnahmen zur Belebung der politischen Kultur sein.

Wer kann überhaupt in den Bundestag?

Bleibt das Problem, dass letztlich die Parteien entscheiden, wer als Direktkandidat eines Wahlkreises oder über die Landeslisten in den Bundestag einziehen kann. Freilich können sich schon jetzt unabhängige Direktkandidaten zur Wahl stellen, doch haben diese in der Regel keine Chancen, da sie nicht über die Ressourcen verfügen, die die Parteien bieten können.

Vorstellbar wäre, eine dritte Kategorie an Abgeordneten einzuführen – die der unabhängigen Direktkandidaten. Bei der Bundestagswahl hätte man dann zusätzlich eine „Drittstimme“, mit der man einen unabhängigen Direktkandidaten des jeweiligen Wahlkreises in den Bundestag wählen kann.

Eine andere Möglichkeit wäre, dass man ähnlich wie bei einigen Primaries oder Caucuses in den USA die Kandidaten der Parteien durch alle Wähler bestimmen lässt – also echte Vorwahlen.

Die radikalste Form wäre schließlich, die Parteien in der derzeitigen Form abzuschaffen. Auch wenn ich dies für wünschenswert hielte, ist mir bewusst, dass dies weder verfassungsrechtlich noch politisch durchsetzbar wäre.

Beschränkung der möglichen Legislaturperioden

Sinnvoll könnte zudem eine Beschränkung der möglichen Legislaturperioden des jeweiligen Abgeordneten sein, dies in Kombination mit der Verlängerung einer Legislaturperiode auf fünf Jahre und eine Begrenzung der Wiederwahlen des Kanzlers.

Ein MdB das weiß, dass es nur zwei oder drei mal in den Bundestag gewählt werden kann, wäre (zumindest in seiner letzten) Legislaturperiode gegen Fraktionszwang immuner. Zudem würde diese Einschränkung die Entstehung von karrieristischen „Berufspolitikern“ erschweren und zu „Abgeordneten“ im ursprünglichen Sinne des Wortes führen.

Aber auch hier ist zu befürchten, dass die Abgeordneten aus Eigeninteresse einer solchen Änderung nicht zustimmen werden.

Mehr Bürgerentscheide

Manche werden nun einwerfen, Bürgerentscheide auf Bundesebene würden doch auch für mehr Demokratie sorgen. Mir geht es hier jedoch um die Freiheit des einzelnen Abgeordneten und die würde dadurch allenfalls mittelbar betroffen.

Passieren wird nichts

Es gäbe viele Möglichkeiten, die Unabhängigkeit der einzelnen Bundestagsabgeordneten zu stärken. Passieren wird jedoch wohl nichts – denn diese Änderungen liegen nicht im Interesse der Fraktionsspitzen.

Langfristig wird dies jedoch dazu führen, dass politische Diskussionen nicht mehr im Bundestag geführt werden, sondern nur noch auf der Straße, im Internet und in Talkshows und sich das Parlament von der Lebenswirklichkeit mehr und mehr entkoppelt.

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