Dokumentiert: Rede von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel auf der 41. Kommandeurtagung der Bundeswehr am 10. März 2008 in Berlin

Sehr geehrter Herr Generalinspekteur, sehr geehrter Herr Schneiderhan,
sehr geehrter Herr Nato-Generalsekretär, lieber Jaap de Hoop Scheffer,
sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister, lieber Herr Wowereit,
sehr geehrter Herr Minister und Kollege, lieber Franz Josef Jung,
sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter,
liebe Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestags,
sehr verehrte Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Kommandeurtagung,

ich habe die Einladung, heute hier vor der Kommandeurtagung der Bundeswehr zu sprechen aus verschiedenen Gründen sehr gerne angenommen. Herr General Schneiderhan, Sie haben von der Standortbestimmung aus politischer Sicht gesprochen. Aber ich will zunächst mit einem Dankeschön beginnen.

Danken möchte ich den Soldatinnen und Soldaten, den Reservisten, den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Einsatz und für ihren Einsatz in der Bundeswehr, den sie oft unter nicht einfachen Bedingungen leisten. Das sage ich ganz bewusst angesichts der Tatsache, dass sich die Bundeswehr seit dem Ende des Kalten Krieges, seit der deutschen Wiedervereinigung in einem permanenten Transformationsprozess befindet. Nach dem Ende des Kalten Krieges war zunächst der Eindruck entstanden, dass dies vielleicht das Ende der Geschichte sei, wie ein japanischer Autor meinte. Dann wurden wir aber in völlig neue Realitäten gestoßen – politisch und eben auch hinsichtlich des Aufgabenfeldes der Bundeswehr.

Dieser Transformationsprozess vollzieht sich zum Teil in atemberaubender Geschwindigkeit, zum Teil fällt es uns allen schwer, die Muster, in denen die großen Konfliktlinien des 21. Jahrhunderts verlaufen, heute schon vollkommen klar zu erkennen. Deshalb war es wohl auch nicht ganz einfach, jeweils Standortbestimmungen für die Bundeswehr vorzunehmen. Auf jeden Fall hat es von 1994 bis zum Jahr 2006 gedauert, bis wieder ein neues Weißbuch für die Bundeswehr von der Bundesregierung ausgearbeitet und, so denke ich, auch aus voller Überzeugung vom Kabinett verabschiedet wurde. Wir waren damals sehr bewusst zu Gast im Bundesverteidigungsministerium, um zu zeigen: Hier ist der Ort, an dem wichtige politische Entscheidungen fallen. Wir sind mit diesem Weißbuch auch zu neuen Positionen gekommen. Denken Sie nur an die Definition des Sicherheitsbegriffs, an den Begriff der vernetzten Sicherheit. Das alles erfordert ein Umdenken.

Das heißt, Sie, die Sie heute Verantwortung tragen, und jene, die vor Ihnen seit 1990 Verantwortung getragen haben, sind daran gewöhnt, dass Sie sich in einem bislang nicht gekannten, sehr schnellen Transformations- und Veränderungsprozess befinden. Das ist für eine Institution wie die Bundeswehr, die zwar, wenn ich das so sagen darf, reibungslos funktioniert, wobei allerdings diese Reibungslosigkeit eine gewisse Vorhersagbarkeit erwartet, nicht einfach. Ich habe die Bitte, meinen Dank dafür, dass Sie das nicht nur klaglos tragen, sondern die Transformation selbstbewusst und mit Engagement gestalten, auch an alle in der Bundeswehr, an die zivilen und militärischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, weiterzugeben.

Es besteht also die Notwendigkeit, die Aufgaben der Bundeswehr neu zu definieren. Das muss natürlich in der Regierung, das muss im Parlament geschehen. Wir haben erlebt, dass wir im Zuge dieser Transformation immer wieder mit schwierigen und schwierigsten Entscheidungen konfrontiert waren. Ich sage voraus: Das wird auch so bleiben. Weder die Regierung noch das Parlament verschließen die Augen vor den Risiken, die mit den neuen Aufgaben der Bundeswehr verbunden sind.

Wenn ich mich heute sehr stark auf unsere Einsätze im Ausland konzentriere, so tue ich dies in dem Bewusstsein, dass der gesamte Apparat der Bundeswehr dahinter steht, das heißt, dass ich mich auch an alle wende. Denn ich weiß sehr wohl, dass die Aufgabengebiete heute zwar unterschiedlich sind, dass aber die Verteidigung unseres Landes die Optionen der Verteidigung aus dem Land heraus und im Ausland umfasst.

Wir wollen – das war immer unser Ansatz, darum kämpft der Bundesverteidigungsminister, darum kämpfe ich und darum kämpfen auch die Mitglieder der Bundesregierung – eine möglichst breite Unterstützung dessen, was die Bundeswehr tut, weil wir glauben, dass wir die Entsendung der Soldatinnen und Soldaten in Auslandseinsätze nach bestem Wissen und Gewissen immer dann erreichen, wenn die Unterstützung möglichst breit ausgeprägt ist. Deshalb gibt es auch eine sehr partnerschaftliche Zusammenarbeit mit dem Deutschen Bundestag. Ich möchte allen danken, die dort die Diskussionen führen, denn es sind viele Fragen zu beantworten und das ist nicht einfach. Das heißt, es ist ein hohes Maß an Professionalität sowohl in der politischen Diskussion als auch in der militärischen Ausführung der Aufgaben notwendig.

Wir sind in Afghanistan, wir sind auf dem Balkan, wir sind vor der Küste des Libanon, am Horn von Afrika und auch in anderen Regionen präsent. Wir haben die Wahlen im Kongo abgesichert, haben dort einen zeitlich begrenzten Einsatz durchgeführt, der gezeigt hat: Nicht alle Einsätze sind langfristig, sondern es kann zum Teil auch kurzfristig gearbeitet werden. Unsere Soldatinnen und Soldaten sind eingebunden, um Seite an Seite mit anderen Nato-Streitkräften zu arbeiten oder innerhalb der Europäischen Union und im Auftrag der Vereinten Nationen Aufgaben zu übernehmen. Allein das erfordert schon ganz unterschiedliche Herangehensweisen. In all diesen Dimensionen muss natürlich Professionalität erarbeitet werden.

Die Handlungsfähigkeit von und der enge Schulterschluss zwischen transatlantischem Bündnis und Europäischer Sicherheits- und Verteidigungspolitik sind, so denke ich, für Deutschland von existenzieller Bedeutung. Deshalb empfinden und definieren wir die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik niemals als Gegensatz, als Konkurrenz, als Wettbewerbsinstrument gegen die Nato. Nato und Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik müssen vielmehr Hand in Hand gehen. Das ergibt sich schon allein aus der internationalen Lage, aus den Gefährdungen, denen unsere Sicherheit ausgesetzt ist und die sich in den letzten 15 Jahren dramatisch verändert haben.

  • Das sind, als wesentliches Merkmal, der internationale grenzüberschreitende Terrorismus und religiöser Fanatismus, womit wir mit dem Phänomen völlig asymmetrischer Bedrohungen zu tun haben.
  • Das ist die Gefahr der Proliferation von Massenvernichtungswaffen und ihrer Trägersysteme, wie wir etwa auch im Zusammenhang mit dem Konflikt mit dem Iran sehen. Wir wollen weitere Proliferationen verhindern und haben erlebt, wie im Umgang mit Nordkorea das Mittel der Diplomatie erfolgreich eingesetzt werden kann.
  • Das sind Regionalkonflikte und zerfallende Staatlichkeit, die immer Ursache und Ausgangspunkt späterer terroristischer Anschläge sein können.
  • Das sind die Nichtbeachtung elementarer Menschenrechte und mangelnde Rechtsstaatlichkeit in bestimmten Regionen. Als Stichwort möchte ich nur Sudan/Darfur nennen.
  • Das sind heute zum Teil auch Auswirkungen von Trinkwasserverknappung, von Migration, von Epidemien und Seuchen, die wiederum von globalen Gefährdungen hervorgerufen werden können. An dieser Stelle darf ich an den globalen Klimawandel erinnern.

Das heißt, es gibt ein ganzes Bündel neuer Herausforderungen, die wir in diesem Ausmaß in der Zeit des Kalten Krieges nicht gekannt oder derer wir uns längst nicht so angenommen haben, wie das heute der Fall ist, da unsere Welt viel stärker zusammenwächst, die Aufmerksamkeit der Menschen deutlich ausgeprägter ist, das Wegschauen oder das Augenverschließen in Zeiten des Internet und der modernen Medien nicht mehr möglich sind und die Frage nach unserem wertegebundenen Leben natürlich nicht an den Grenzen Deutschlands endet, sondern sich auf die gesamte Welt bezieht. Das stellt uns vor neue Herausforderungen: Wo wollen wir etwas machen? Wann greifen wir ein? Sicherlich wird darüber noch manche Diskussion zu führen sein.

Wir wollen mit unserer deutschen Außen- und Sicherheitspolitik einen Beitrag zu einer friedlichen Welt, zu einer freiheitlichen Welt, zu Stabilität und Wohlstand nicht nur für uns, sondern insgesamt in der Welt leisten. Dabei ist für uns klar: Politik ist auf Werten aufgebaut. Wir sind der festen Überzeugung, dass diese an Werten ausgerichtete Politik gleichzeitig auch die beste Politik ist, um unsere Interessen in der Welt wahrzunehmen. Das heißt also, interessengeleitete und wertegebundene Politik gehören zusammen. Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde sind dabei die Leitlinien unseres Handelns.

Wie kann man nun diese Werte – natürlich nur Schritt für Schritt – in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts umsetzen? Welche Rolle hat darin die militärische Komponente, der Sie sich verantwortlich fühlen?

Ich möchte vier Ansätze nennen:

Erstens: Eine vorsorgende und wertegebundende Politik muss international möglichst breit abgestimmt sein. Wir müssen vor allen Dingen das Gespräch mit unseren Verbündeten und Partnern in Europa und in der transatlantischen Gemeinschaft suchen. Rein nationalstaatliche Lösungen helfen uns nur in den allerseltensten Fällen weiter. Selbst für eine Macht wie die Vereinigten Staaten von Amerika ist heute klar: Niemand kann allein ohne Verbündete, auch ohne politischen Rückhalt, Probleme lösen. Das heißt, jeder auf der Welt braucht Partner, weil wir eben auch ein universelles, ein umfassendes Verständnis von Sicherheit haben.

Was bedeutet „umfassendes Verständnis von Sicherheit“? Das bedeutet mehr als klassische, diplomatische, nachrichtendienstliche und sicherheitspolitische Instrumente. Das bezieht sich inzwischen auch – das ist eine neue Dimension – auf soziale, kulturelle und ökologische Aspekte sowie auf die wirtschaftliche Entwicklung. Das heißt, der Sicherheitsbegriff hat sich angesichts der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, die ich genannt habe, erweitert. Er erfordert daher zum Teil auch ein neues Herangehen, um die Probleme insgesamt zu lösen und um der militärischen Komponente, die notwendig ist, die unabdingbar ist, zum Erfolg zu verhelfen.

Dieser vernetzte Ansatz ist im Weißbuch 2006 sehr gut dargestellt. Wir glauben, dass er die Voraussetzung für eine zeitgemäße Krisenprävention, für eine zeitgemäße Konfliktlösung und für eine zeitgemäße Friedenskonsolidierung ist.

Zweitens: Wir müssen unsere nationalen Fähigkeiten bündeln und besser aufeinander abstimmen. Die Formel, die wir in Bezug auf Afghanistan für uns gefunden haben, heißt: Kein ziviler Aufbau ohne Sicherheit, keine Sicherheit ohne zivilen Aufbau. Diesen Weg müssen wir konsequent gehen. Er manifestiert sich jetzt auch in bestimmten Strukturen, zum Beispiel darin, dass vier Ressorts der Bundesregierung – das Verteidigungsministerium, das Auswärtige Amt, das Innenministerium und das Entwicklungsministerium – beständig und kontinuierlich Absprachen treffen, so dass der Begriff der vernetzten Sicherheit nicht irgendein theoretisches Gebilde bleibt, sondern in das praktische Handeln eingeht. Wenn wir uns einmal zehn oder zwölf Jahre zurückversetzen, dann wissen wir, dass die partnerschaftliche Zusammenarbeit von Bundeswehr und Entwicklungsorganisationen auch für die Bundeswehr in gewisser Weise durchaus Neuland ist, auch wenn darüber vielleicht gar nicht so viel gesprochen wird.

Drittens: Wir haben – dies schließt daran an – erfahren, dass die Expertise der Nichtregierungsorganisationen eine wichtige Ergänzung bei der Vorbereitung und Durchführung der Krisenprävention und -bewältigung sein kann. Ich glaube im Übrigen, dass die Bundeswehr in ausgezeichneter Weise – auch wenn das von Außenstehenden vielleicht manchmal belächelt wird – immer wieder versucht, sich auch in die kulturellen Gegebenheiten der Einsatzorte hineinzuversetzen. Bei der Vorbereitung auf den Kongo-Einsatz war dies von außerordentlichem Nutzen. Man ist nicht einfach irgendwohin gefahren und hat vorausgesetzt, dass unsere Regungen und Meinungen unmittelbar auf Verständnis stoßen, sondern man hat sich in die Kultur des Landes hineinversetzt. Das diente sowohl der Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten als auch der Akzeptanz der Mission in dem Einsatzgebiet.

Ich glaube, dass alte Feindbilder zwischen Nichtregierungsorganisationen und vielleicht auch militärisch Verantwortlichen in sich zusammengefallen sind, dass heute viel Wissen und Erfahrung für die Krisengebiete auch von Nichtregierungsorganisationen weitergegeben werden und dass Berührungsängste, wo sie noch existieren, abgebaut werden müssen. Aber wir sind hierbei schon viele Schritte vorangekommen.

Ich sage auch: Nicht nur die Herangehensweise der Bundeswehr an die Nichtregierungsorganisationen wird sich verändern – das ist ja im weiten Sinne schon geschehen –, sondern auch unser Blick auf die Entwicklungshilfe, unser Blick auf das, was wir zu tun haben und auf die Frage, wie eigentlich etwas organisiert werden muss. Denn guter Wille und kleinteilige Nichtregierungsorganisationen alleine reichen natürlich nicht, um die zivilen Aufbaukonzepte auch wirklich durchzusetzen.

Viertens: Auf internationaler Ebene muss die Sicherheitsarchitektur weiter vernetzt und die Instrumente des Krisenmanagements müssen besser aufeinander abgestimmt werden. Die Vereinten Nationen, die Nato und die EU sind die Hauptforen, auf denen diese Vernetzung realisiert werden soll. Wer sich einmal mit den praktischen Fragen auseinander gesetzt hat, weiß, wie viel noch zu tun ist.

In den europäischen Missionen haben wir noch nicht unendlich viele Erfahrungen, auch wenn wir im Kongo viele gesammelt haben. Für mich war es eine wunderbare Erfahrung, in der Einsatzzentrale in Potsdam zu sehen, wie selbstverständlich die einzelnen Teilnehmerstaaten an einem gemeinsamen Auftrag mitgearbeitet haben, so wie wir das in der Nato schon lange kennen. Aber ich sage auch und drücke es einmal vorsichtig aus: Manche Steuerung einer Mission seitens der Vereinten Nationen kann auch noch verbessert werden. Darüber werden wir weiter zu sprechen haben.

Bei dieser Vernetzung bleibt die transatlantische Werte- und Verteidigungsgemeinschaft, die Nato, die zentrale Säule auch der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Die Nato ist der institutionelle Rahmen. Die Nato hat sich in den letzten Jahren ebenfalls entschieden transformiert und wird das auch weiter tun. Dennoch gibt es noch eine lange Liste von Fragen, auf die das Bündnis eine Antwort braucht.

Ich will sagen, dass ich mich politisch weiter sehr dafür einsetzen werde, dass die Nato, obwohl sie der Überschrift nach eine Wertegemeinschaft darstellt, in der praktischen Realität dementsprechend eben nicht doch nur eine militärische Gemeinschaft ist. Vielmehr muss die Nato der Ort sein, an dem auch zentrale politische Diskussionen geführt werden. Denn es kann nicht sein, dass wir auf der einen Seite sozusagen vom Begriff der vernetzten Sicherheit schwärmen, ihn hochhalten – ich halte ihn für alternativlos – und dass auf der anderen Seite immer dann, wenn innerhalb der Nato die vernetzte Sicherheit besprochen werden soll, von einigen Seiten dennoch Skepsis geäußert wird. Das passt nicht zusammen. Deshalb muss sich der vernetzte Sicherheitsbegriff als ein umfassender politischer Begriff auch in der täglichen Arbeit der Nato widerspiegeln. Das funktioniert an einigen Stellen gut, aber an anderen ist es noch verbesserungswürdig.

Nun hat die Nato wie viele andere die Frage zu beantworten, wie weit sie sich noch neuen Mitgliedern öffnen kann, ob es Grenzen für die Nato-Mitgliedschaft gibt, wie wir unser Verhältnis zu Demokratien außerhalb der Allianz gestalten. Ich nenne nur asiatische Länder oder Australien. Wie gestaltet sich das Verhältnis der Nato zu den Vereinten Nationen? Wie können wir Russland in die Lösung von Sicherheitsfragen mit einbinden – aktuelles Thema ist natürlich die Raketenabwehr. Und wie gestalten wir die strategische Partnerschaft der Nato mit der Europäischen Union?

Diese Fragen müssen diskutiert und können nicht immer nur ad hoc an irgendeinem Beispiel entschieden werden. Herr Generalsekretär, wenn ich einmal auf den bevorstehenden Nato-Gipfel in Bukarest schaue, so werden wir es dort mit Fragen der Erweiterung zu tun haben, mit Fragen, die nicht besonders kontrovers sind, nämlich mit der Frage der Erweiterung um Kroatien, um Albanien und auch Mazedonien, sofern Differenzen über die Namenssetzung geklärt werden. Eigentlich muss ich es anders nennen, aber Sie wissen schon. Ich hoffe, dass dieses Namensproblem angesichts der geschichtlichen Bedeutung der Erweiterung der Nato um diese Länder zu lösen sein wird.

Wir werden uns auch über die Frage der Heranführung von Georgien und der Ukraine zu unterhalten haben.

Hierzu möchte ich heute nur zwei sehr allgemeine Bemerkungen machen.

Meine erste Bemerkung lautet: Ich bin der Meinung, ein Land sollte nur Mitglied der Nato sein, wenn nicht nur eine augenblickliche politische Führung diese Mitgliedschaft befürwortet, sondern wenn es auch eine qualitativ bedeutsame Unterstützung der Nato-Mitgliedschaft in der Bevölkerung gibt. Wir dürfen keine Risiken – sozusagen je nach Wahlverhalten in bestimmten Ländern, in denen sich noch zentrale politische Orientierungen herausbilden – eingehen.

Nun meine zweite Bemerkung hierzu – diese meine ich ganz ernst: Länder, die selbst in regionale oder innere Konflikte verstrickt sind, können aus meiner Sicht nicht Mitglied der Nato sein. Wir sind ein Bündnis zur Verteidigung der Sicherheit und kein Bündnis, in dem einzelne Mitglieder noch mit ihrer eigenen Sicherheit zu tun haben. Weiter ins Detail möchte ich heute nicht gehen.

Die Sicherheitsarchitektur braucht die Fähigkeiten der Nato und der Europäischen Union. Deshalb muss eine Kooperation geschaffen werden. Hierbei steckt die Tücke wie immer im Detail. Das macht uns politisch noch große Sorgen. Wir haben inzwischen interessante wichtige europäische Missionen: EUFOR ALTHEA in Bosnien-Herzegowina, die jetzt im Aufbau befindliche zivile Mission EULEX im Kosovo und beispielsweise auch EUPOL in Afghanistan. Wir verfügen seit 2003 auch über eine, wie ich finde, sehr gut formulierte europäische Sicherheitsstrategie. Der Hohe Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik arbeitet derzeit daran, sie besser in die Praxis umzusetzen. Er wird uns dazu Ende des Jahres Vorschläge unterbreiten. Ich glaube, damit ist eine gute Voraussetzung gegeben, dass unter der französischen Präsidentschaft diese praktische Umsetzung – dann wahrscheinlich auch im Zusammenhang mit dem neuen europäischen Vertrag – vorangetrieben werden kann.

Ich will aber nicht darum herumreden, dass aus der Tatsache, dass Zypern ein Mitgliedsland der Europäischen Union ist und die Türkei ein Mitgliedstaat der Nato ist und dass zwischen beiden Ländern noch erhebliche Probleme zu lösen sind, viele Komplikationen des täglichen Miteinanders in der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und in der Nato entstehen, die wir überwinden müssen. Das ist insofern sehr wichtig, als wir nicht dauernd Einzelfälle ausmachen können und dann froh sind, wenn wir etwa im Kosovo wieder eine vernünftige Lösung geschafft haben, aber dann in Afghanistan wieder nicht.

Ich sage auch: Wir können im Augenblick im Kosovo beobachten, wie der in Aufbau befindliche EUPOL-Einsatz mit dem UNMIK-Einsatz, der auslaufen wird, vernünftig verzahnt wird. Natürlich ist es wichtig – hierüber habe ich neulich auch mit dem UN-Generalsekretär gesprochen –, dass sich diese Missionen Hand in Hand auf- und abbauen und dass dazwischen kein Vakuum entsteht, das zum Schluss das gesamte Ziel der Mission als überflüssig erscheinen ließe.

Wir werden im Übrigen auch eine neue Orientierung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik allein dadurch haben, dass der Hohe Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, der heute allein dem Europäischen Rat verpflichtet ist, in Zukunft auch stellvertretender Präsident der Kommission und damit ein festes Verbindungsglied zwischen beidem sein wird. Vom Aufbau der europäischen Außenrepräsentanzen bis hin zur Gestaltung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik wird es viele Neuerungen geben, die wir dann auch aus den Mitgliedsländern heraus nicht nur politisch begleiten, sondern auch formen müssen.

In Deutschland besteht die Tradition, dass vieles, was die Bundeswehr an neuen Aufgaben bekommen hat, zunächst kritisch begleitet wurde. Das hat mit der Debatte zur Wiederbewaffnung angefangen, das ist beim Nato-Doppelbeschluss weitergeführt worden und das hat sich dann auch in einer sehr konfliktträchtigen Durchsetzung unserer Auslandseinsätze widergespiegelt.

Aber bei all dem und auch wenn manches lange gedauert hat – was unsere Verbündeten vielleicht auch zu der Frage gebracht hat, warum das eine oder andere in Deutschland immer so lange dauert –, haben sich doch eine Tradition und eine Akzeptanz der Bundeswehr herausgebildet, die die Bundeswehr in den letzten 50 Jahren zu einem anerkannten Teil unserer Gesellschaft gemacht haben. – Das ist ein ganz wichtiges Gut, das wir niemals leichtfertig aufgeben sollten. – Das Prinzip des Staatsbürgers in Uniform und, als Ausdruck der praktischen Umsetzung, die Wehrpflicht sind dafür aus meiner Sicht der Garant. Deshalb habe ich mich immer wieder für die Erhaltung der Wehrpflicht ausgesprochen und tue dies auch heute – wissend, dass dadurch manches nicht einfacher wird. Aber sie hat einen Rückhalt in der Bevölkerung. Das wird sich im Laufe der Zeiten als immer wichtiger herausstellen.

Wir wissen: Frieden, Demokratie und Freiheit sind kostbare Güter. Deshalb müssen wir darüber diskutieren und auch in der Bevölkerung darüber sprechen, wie wir sie bewahren oder erreichen können und warum dafür heute Auslandseinsätze notwendig sind. Wir können uns noch so viel Mühe geben, Kriterien aufzustellen und eine Checkliste zu machen, aber es wird mit Sicherheit kein einfaches Ja, kein einfaches Nein, keine volle Berechenbarkeit geben. Wir können nicht voraussagen, wo wann welcher Einsatz aus welchen Gründen notwendig sein wird. Wichtig ist aber, dass sich die Einsätze in ihrer Zielsetzung daran orientieren müssen, inwieweit wir unsere eigene Sicherheit sichern.

Sie werden also immer auch eine Komponente haben, die besagt: Unsere Sicherheit steht im Zentrum. Aber im Zentrum steht auch die Sicherheit unserer Verbündeten. Auch das muss klar sein. Die Nato ist eine Wertegemeinschaft. Das heißt, wir können und dürfen nicht in irgendeiner Weise Mitgliedstaaten erster und zweiter Klasse definieren und dann sagen, dass uns die Sicherheit des einen etwas näher liegt als die Sicherheit des anderen oder uns aus aktuellen politischen Gründen die Sicherheit eines Mitglieds nicht ganz so wichtig wie die Sicherheit eines anderen ist. Vielmehr besteht die Bereitschaft, sich für die Sicherheit aller Mitgliedstaaten der Nato einzusetzen. Die Erfahrung lehrt uns, dass dies nicht mehr nur innerhalb des Bündnisses geschieht, sondern dass dies auch in Teilen der Welt außerhalb des Bündnisses notwendig ist. Das ist ein riesengroßer qualitativer Sprung, der auch in der Bevölkerung und innerhalb der Bundeswehr und im Parlament immer wieder diskutiert werden muss.

Warum glauben wir, dass es richtig ist, dass zur Bewahrung unserer Sicherheit auch die Sicherheit in Afghanistan und in anderen Regionen sichergestellt werden muss? Gerade am Beispiel Afghanistan können wir sehr gut sagen: Terroristischen Angriffen, die außerhalb des Bündnisgebietes vorbereitet werden, kann nur dann ein Riegel vorgeschoben werden, wenn wir für politische Strukturen auch in solchen Regionen sorgen, die zeitweise eben keine stabile politische Strukturen aufgewiesen haben und deshalb Horte waren, aus denen heraus terroristische Aktionen gestartet werden konnten.

Die Bundesregierung hat in ihrem Weißbuch 2006 dargestellt, in welchem Rahmen sie Einsätze der Bundeswehr für möglich hält.

Erstens: Sie müssen sich daran ausrichten, inwieweit sie der Sicherheit Deutschlands, Europas und unserer Verbündeten dienen. Darüber gibt es die von mir gerade genannte Diskussion. Diese müssen wir aber auch wirklich führen. Was den Einsatz auf dem Balkan angeht, so ist es, glaube ich, inzwischen völlig klar, dass Sicherheit dort auch in unserem zentralen Interesse liegt. Aber für Afghanistan gilt das Gleiche.

Zweitens müssen wir uns darüber im Klaren sein – das ist nicht Ihre Aufgabe seitens der Bundeswehr, sondern das ist die politische Aufgabe –, welche politischen Ziele wir verfolgen und welche Konsequenzen das für die Menschen haben kann, die in den Konfliktregionen leben. Ich denke, dass wir gute Beispiele haben, wenn wir an Afghanistan und daran denken, was, bei all den Problemen, die wir haben, an Wiederaufbau unter anderem von politischen Strukturen geleistet wurde.

In den letzten Jahren, seit mehr als zehn Jahren ist oft über die Frage des westlichen Balkans gesprochen worden. Es gab Zeiten, in denen auch ich Zweifel gehabt habe, ob wir wirklich vorankommen. Es war immer richtig, wenn die militärische Seite gesagt hat: Politisch können wir die Dinge nicht für euch lösen. Aber heute können wir unsere Einsatzkontingente in Bosnien-Herzegowina reduzieren. Wir haben es geschafft, dass sich Kroatien jetzt um die Aufnahme in die Europäische Union bemüht. Uns – der CDU, damals in der Opposition – ist es schwer gefallen, dem Einsatz in Mazedonien zuzustimmen. Wir glaubten zu wissen, dass es der schwierigste in der Geschichte der Bundeswehr sein würde. Er hat sich letztlich als einer der erfolgreichsten herausgestellt. Heute bewirbt sich Mazedonien um die Aufnahme in die Europäische Union.

Nur die europäische Perspektive und nur die Perspektive der Mitgliedschaft in der Nato haben überhaupt die Kraft entfaltet, dass sich die politischen Verhältnisse auf dem westlichen Balkan so entwickeln, wie sie sich entwickeln. Ich bin mir sicher: Bei allen Schwierigkeiten, die wir jetzt mit dem Kosovo und Serbien haben, werden wir nach 20 Jahren dennoch sagen können: Das war ein Einsatz, der sich gelohnt hat und der den letzten Teil Europas befriedet und an Europa angebunden hat.

Drittens müssen wir immer die bündnispolitische Bedeutung unserer Entscheidungen sehen. Wir sind auf Partnerschaft angewiesen. Wir wollen deshalb auch Partnerschaft leisten. Es gibt – das ist vielleicht auch nicht verwunderlich – immer wieder Diskussionen über unseren Einsatz in Afghanistan. Dabei gibt es manchmal zwei Perspektiven. Die eine Perspektive ist, dass wir sagen, was wir alles getan haben, dass wir unser Engagement im Übrigen in den letzten Jahren immer weiter vervollständigt und auch erweitert haben. Dabei denke ich an den Beschluss zum Einsatz der Tornados zur Aufklärung über ganz Afghanistan oder auch an die Entscheidung, nach Norwegen die Schnelle Eingreiftruppe zu stellen. Auf der anderen Seite besteht natürlich auch die Aufgabe, dass die gesamte Mission in Afghanistan zu einem Erfolg geführt wird.

Ich kann und werde heute nur die Position wiederholen, die wir in den letzten Monaten immer wieder deutlich gemacht haben: Wir haben uns zu einem bestimmten Zeitpunkt – das ist in großem Einvernehmen mit dem Bündnis erfolgt – für den Einsatz im Norden entschieden. Wir stellen natürlich punktuelle Hilfe, wenn Freunde in Not sind, auch in anderen Teilen Afghanistans. Aber wir glauben, dass wir in dem Ausmaß, in dem wir heute dort engagiert sind – übrigens als drittgrößter Truppensteller innerhalb der Nato-Gemeinschaft –, unsere Aufgabe im Norden im umfassenden Sinne wahrnehmen und keine Unsicherheiten darüber aufkommen lassen sollten, ob wir vielleicht weggehen, vielleicht dann im Süden etwas tun und dafür Arbeiten im Norden vernachlässigen.

Ich halte auch nichts davon – ich will das heute noch einmal sagen –, dass wir jetzt in einen Wettlauf der Gefährlichkeit eintreten. Diejenigen, die im Norden engagiert sind, wissen, dass es dort alles andere als völlig ungefährlich ist. Deshalb sollten wir miteinander diskutieren, wie wir insgesamt den Afghanistaneinsatz zu einem Erfolg bringen. Ich glaube, dass der deutsche Beitrag ein umfassender und wichtiger ist und dass wir diesen Beitrag auch weiter umfassend leisten sollten. Wir nehmen ihn im Sinne des politischen Gesamtziels wahr. Wir haben Erfolge erzielt. Aber ich sage auch: Wir sind mit dem Konzept der regionalen Aufbauteams noch nicht lange dabei. Zwei oder drei Jahre sind eine kurze Zeit, um ein Land wie Afghanistan aus einer quasi zerstörten staatlichen Struktur heraus wieder voranzubringen. Deshalb glaube ich, dass wir hier, bei allen Erfolgen, die wir bereits erzielt haben, noch viel zu tun haben.

Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland eine Wehrverfassung, die das Primat der Politik gegenüber den Streitkräften eindeutig festlegt. Dazu gehören auch umfangreiche Beteiligungs- und Kontrollrechte des Deutschen Bundestags. Für die Bundeswehr gehört dieses Primat inzwischen zum Selbstverständnis, es ist eine Selbstverständlichkeit. Dies bedingt im Übrigen auch die Treue und Loyalität zu unserem demokratischen Rechtsstaat. Das steht innerhalb der Bundeswehr völlig außer Zweifel. Das macht auch das Vertrauen der Bevölkerung in die Bundeswehr wie umgekehrt das Vertrauen der Bundeswehr in unsere staatlichen Institutionen aus. Sie brauchen dieses Vertrauen, gerade in einer Zeit des Wandels, in einer Zeit sich stark verändernder Aufgaben.

Wir haben den Verteidigungshaushalt 2008 gegenüber 2007 um nahezu eine Milliarde Euro erhöht. Das ist ein wichtiger Beitrag. Ich vermute, Herr Schneiderhan, wenn Sie morgen hinter verschlossenen Türen diskutieren, wird angesichts neuer Notwendigkeiten das Loblied auf diese Milliarde verstummen. Aber ich bitte auch dann im Hinterkopf zu behalten: Es war, wenn auch ein überschaubarer, so doch ein wichtiger Schritt. Sie haben damit ebenfalls an den verbesserten Steuereinnahmen teilgehabt. Aber Sie dürfen auch wissen: Ich spreche mit dem Verteidigungsminister und ich möchte in nächster Zeit auch mit den jeweiligen Teilstreitkräften noch einmal darüber reden, wo es hakt, wo nach ihrer Ansicht die größten Notwendigkeiten der Anpassung an moderne Verteidigungsstrukturen bestehen.

Wenn wir ein international geachteter Partner sein wollen, dann müssen wir natürlich auch dazu bereit sein, unsere Bundeswehrsoldaten gut ausgerüstet in die Welt und zu den Übungen zu schicken, damit nicht andere etwa von oben auf uns herabschauen. Technik gehört heute eben dazu. Das ist ganz einfach so. Aber ich erlebe eben auch, dass man auf manches, was wir haben, ganz scharf ist in der Welt. Ich hatte den Eindruck, dass sich beispielsweise unsere schönen Fregatten bei UNIFIL allergrößter Beliebtheit erfreuen. Der Leopard ist auch überall gerne gesehen. Wir müssen uns also nicht verstecken. Nun habe ich mit meinen mangelnden militärischen Kenntnissen noch gar nicht von unseren schönen Tornados gesprochen, die sich offensichtlich auch großer Anerkennung erfreuen.

Deutschland ist auf einem Weg, der uns vielleicht nur durch die Deutsche Einheit so eröffnet wurde. Deutschland ist sich bewusst, Herr Generalsekretär, dass es zunehmende Verantwortung zu tragen hat. Wir sind in den letzten 18 Jahren aus unserer Sicht zum Teil sehr schnell und sehr ambitioniert in diese Verantwortung hineingewachsen. Wir wissen auch, dass wir noch nicht bei allem am Endpunkt angelangt sind. Aber vor fünf Jahren hätten wir uns zum Beispiel kaum vorstellen können, dass wir heute die Küste des Libanon schützen und dass wir das im Einvernehmen mit Israel tun. Dies sind Komponenten, die politisch immer wieder verarbeitet werden müssen.

Dass die Soldatinnen und Soldaten dazu bereit sind, dafür möchte ich Ihnen zum Schluss noch einmal danken und sagen, dass wir in einer Welt, die noch nicht so sicher ist, wie wir uns wünschen, gemeinsam diesen Weg weitergehen müssen – mit einem klaren politischen Konzept und klaren Werten. Dafür steht diese Bundesregierung und so werden wir gerne mit Ihnen zusammenarbeiten.

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