Meinung: Was das Wahlrecht mit 16 und das Jugendstrafrecht miteinander zu tun haben – oder eben auch nicht und noch was zur demokratischen Teilhabe von Jugendlichen

Die Wahlalter Diskussion

Immer wieder wird über die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 bei Bundestagswahlen diskutiert, so auch aktuell wieder.

Hierzu schrieb ich auf twitter:

Wer für das Wahlrecht mit 16 ist, sollte konsequenterweise auch das Jugendstrafrecht verschärfen.

Neben einigem Zuspruch gab es auch Kritik, am gewichtigsten die von Henning Ernst Müller, der Professor für Strafrecht, Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzug an der Universität Regensburg ist:

Ihr Argument ist unrichtig. Richtiger: Wer für Strafbarkeit mit 14 ist, sollte konsequenterweise auch das Wahlrecht auf 14 senken. Uuups.

So sehr ich Müllers Kritik an meinen tweets meist schätze, so sehr möchte ich ihm hier widersprechen.

Das Jugendstrafrecht, ein schneller Blick

Werfen wir zunächst einen kurzen Blick auf das Jugendstrafrecht. Grundsätzlich ist, wer noch nicht das 14. Lebensjahr erreicht hat, nicht strafmündig. Ob diese Grenze so sinnvoll ist, mag man diskutieren, ich würde eine flexiblere Regelung bevorzugen.

Nach Eintritt der Strafmündigkeit gelten die Regelungen des Jugendstrafrechts; generell für alle 14- bis 17-jährigen und sogar auf Heranwachsende (18- bis 20-Jährige) sind einige zentrale Normen des Jugendstrafrechts anzuwenden (§§ 105 ff. JGG).

Wesentlich dabei ist der Gedanke des § 3 JGG, dessen erster Satz lautet:

Ein Jugendlicher ist strafrechtlich verantwortlich, wenn er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.

Der Gesetzgeber geht also davon aus, dass die geistige Entwicklung 16-jähriger Jugendlicher grundsätzlich noch nicht abgeschlossen ist. Die volle Härte des Strafrechts soll sie richtigerweise also regelmäßig noch nicht treffen.

Und was haben jetzt Wahlalter und Strafrecht miteinander zu tun?

Ähnlich wie das Strafrecht Jugendliche altersgemäß begleitet, ist es bei der demokratischen Teilhabe ohnehin schon:

Sie beginnt schon früh mit der Schülermitverwaltung an Schulen, geht weiter über das aktive Wahlrecht bei Kommunalwahlen ab 16 in vielen Bundesländern oder gar bei Landtagswahlen, z.B. in Schleswig-Holstein, und gipfelt dann beim Wahlrecht für die Bundestagswahlen ab 18.

Auf der einen Seite anzuerkennen, dass 16-jährige Jugendlichen die Einsichtsfähigkeit fehlt, Recht und Unrecht auseinanderzuhalten, ihnen aber andererseits pauschal die Einsichtsfähigkeit zu unterstellen, die Tragweite ihrer Entscheidung bei der Wahl zum Bundestag zu erkennen, passt nicht zusammen.

Wer das Wahlrecht auf Bundesebene ab 16 unterstützt, müsste dann konsequenterweise auch eine Verschärfung des Jugendstrafrechts unterstützen.

Und da letzteres nicht sachgerecht wäre, ist es auch das Wahlrecht ab 16 nicht.

Nachtrag: Zum Schluss noch ein Gedanke zur demokratischen Teilhabe von Kindern und Jugendlichen

Prof. Müller hat sich inzwischen zu diesem Text geäußert:

Meinen entscheidenden Gedanken haben Sie aber nicht beachtet: Er ist demokratietheoretisch. Wie kann ein Jugendlicher strafbar sein, wenn er gg Vorschriften verstößt, an deren Mitgestaltung er grds. nicht teilhaben kann?

Auf diesen Aspekt bin ich tatsächlich zunächst nicht eingegangen, denn hier könnte man nun diskutieren, ob es bei Kindern und Jugendlichen überhaupt angebracht ist, dass sie bei der Gestaltung dieser Regelungen mitwirken können.

Letztlich kommt es darauf aber nicht an: Denn sie haben viele Möglichkeiten, sich unabhängig vom aktiven Wahlrecht auf Bundesebene politisch einzubringen. Denn niemand verbietet Jugendlichen

  • sich politisch zu äußern und so Impact zu erzeugen – dank Social Media ist dies so einfach wie noch nie;
  • zu demonstrieren – und dass dies ziemlich viel Aufmerksamkeit erzeugen und bewegen kann, zeigt Greta Thunbergs Schulstreik und die daraus entstandene Fridays for Future Bewegung;
  • sich in der Jugendorganisation der Parteien zu engagieren; in der Regel ab 14.
  • „seinen“ Wahlkreisabgeordneten anzusprechen.
  • in anderen Verbänden aktiv zu werden, die Lobbyarbeit tätigen (Greenpeace).
  • Petitionen zu erstellen.
  • mit seinen Eltern über deren Wahlentscheidung zu diskutieren.

All dies ermöglicht ein Hineinwachsen in politische Prozesse, so dass die Reduzierung der Diskussion auf das Wahlrecht zu kurz greift.

 

 

10 Fakten über die Wahlen zum Bundestag – Art. 38 Grundgesetz

  1. Artikel 38 Grundgesetz lautet:
    I. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.
    II. Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

    III. Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.
  2. Die Vorschrift ist eine der zentralen des Grundgesetzes und füllt das Demokratieprinzip mit konkretem Leben aus.  Artikel 20 ff der Weimarer Reichsverfassung sowie Art. 125 WRV waren bereits ähnlich formuliert. So kannten diese schon den Grundsatz der allgemeinen Wahl. Dies soll sicherstellen, dass jeder wählen kann. Ein Ständewahlrecht ist damit z.B. ausgeschlossen. So klar dieser Grundsatz an sich scheint, so wirft er doch einige verfassungsrechtliche Fragen auf, angefangen mit dem Wahlalter, das aber durch Absatz 2 (s.u.) beschränkt wird. Die herrschende Meinung ging lange Zeit davon aus, dass der pauschale Ausschluss von Menschen unter Vollbetreuung verfassungsgemäß sei, dies hat sich jedoch seit dem Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Januar 2019 (2 BvC 62/14) und die darauf erfolgte Anpassung des BWG (Bundeswahlgesetzes) geändert. Auch problematisch ist der Verlust des Wahlrechts aufgrund strafrechtlicher Vorschriften. Ebenso dürfte § 39 Abs. 2 BVerfGG verfassungswidrig sein, der in Fällen des Art. 18 GG entgegen dem Wortlaut der Norm auch die Verwirkung des Wahlrechts vorsieht. Grundsätzlich kann man sagen: Der Grundsatz der allgemeinen Wahl verpflichtet den Gesetzgeber, möglichst jedem Deutschen das Wahlrecht einzuräumen.
  3. Weiter muss die Wahl zum Bundestag unmittelbar sein. Ein Wahlmännersystem scheidet also aus. Letztlich muss der Wähler wissen, wen er mit seiner Stimme wählt. Verfassungsrechtlich problematisch ist daher nach hier vertretener Ansicht ein Rotationsprinzip. Auf der anderen Seite heißt unmittelbar auch, dass der Wähler selbst wählt, also keinen Dritten zwischenschaltet. Unproblematisch ist jedoch, wenn behinderten Menschen bei der Wahl geholfen wird, z.B. durch die Wahlhelfer.
  4. Umfassend ist der Begriff der freien Wahl. Dies heißt zunächst, dass eine direkte Beeinflussung der Wähler durch den Staat unzulässig ist. Freie Wahl heißt aber auch, dass es überhaupt eine Wahl gibt. Einheitslisten wären also unzulässig. Nach hier vertretener Ansicht wäre auch eine Wahlpflicht unzulässig, denn die Freiheit der Wahl umfasst auch das Recht, eben nicht wählen zu gehen.
  5. Zudem muss die Wahl gleich sein, d.h. jede Stimme gleich gezählt werden und auch den gleichen Erfolgswert haben. Was sich zunächst einfach anhört, ist in der Praxis kompliziert. So müssen z.B. allein schon die Wahlkreise gleich groß zugeschnitten sein. Einen schwerwiegenden Eingriff hat auch die 5% Sperrklausel – man stelle sich vor, 18 Parteien bleiben je unter 5% und nur eine 19. kommt in den Bundestag und hätte dann 100% der Sitze…  Auch problematisch sind Überhangs- und Ausgleichsmandate, die dazu führen können, dass trotzt nahezu gleich vieler Stimmen unterschiedlich viele Sitze im Bundestag haben. Und auch Frauenquoten werden unter dem Grundsatz der freien und gleichen Wahl diskutiert. Letztlich stehen hier praktische Überlegungen und die normative Kraft des faktischen dem Grundsatz des gleichen Stimmgewichts und Erfolgswerts gegenüber. Letztlich ist es so, dass der Gesetzgeber und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hier Kompromisse gefunden haben, die praktikabel und nicht verfassungswidrig sind.
  6. Ein weiterer Grundsatz ist, dass die Wahl geheim sein muss. Dies soll eben verhindern, dass der einzelne Wähler unter Druck geraten, kann für eine spezielle Partei stimmen zu müssen. Freilich gibt es auch hier Ausnahmen, so z.B. die Briefwahl, bei der das Risiko, dass die Wahlentscheidung bekannt wird, deutlich größer ist als bei der Urnenwahl. Und auch Wahlhelfer oder andere Vertrauenspersonen erfahren ja die Entscheidung. Dem Grundsatz des Wahlgeheimnisses steht der so nicht geschriebene aber anerkannte Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl entgegen – nach der Wahl soll das Ergebnis eben nicht abgeschlossen in einer „Black Box“ ermittelt werden, sondern nachprüfbar sein. Ausprägung dessen ist z.B. dass die Auszählung der Stimmen öffentlich ist und die Wahl gerichtlich überprüfbar ist.
  7. Die gewählten Abgeordneten sind Vertreter des gesamten Volkes. Dies macht zunächst auch deutlich, dass es sich bei der Demokratie des Grundgesetzes um ein repräsentatives System handelt. Jeder einzelne Abgeordnete repräsentiert das gesamte Volk und eben nicht eine einzelne Interessengruppe oder gar einen Stand. In der Praxis sieht dies freilich oft anders aus, da sich die Abgeordneten naturgemäß für ihren Wahlkreis oder auch „ihre“ Berufsgruppe engagieren. Problematisiert wird dies allerdings viel zu selten.
  8. Weiter sind die Abgeordneten an Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. Problematisch ist dies insbesondere in Hinblick auf den Fraktionszwang und die Fraktionsdisziplin, die leider viel zu wenig kritisch betrachtet werden. Der wirklich unabhängige Abgeordnete ist ein Wunschbild, das in der Praxis so kaum existiert.
  9. Etwas unpraktisch und anachronistisch erscheint auf den ersten Blick die Regelung des Absatz 3, die für das aktive Wahlrecht 18 Jahre und für das passive Wahlrecht die Volljährigkeit voraussetzt – ebenfalls 18 Jahre. Bis 1970 musste man 21 sein, um Wählen zu können, 25, um gewählt werden zu können. Mit der neuen Regelung wollte man schon für die Bundestagswahl 1972 das aktive Wahlalter auf 18 setzen, die Wählbarkeit hingegen bei 21 belassen. Erst 1975 wurde die Volljährigkeit dann ebenfalls auf 18 gesenkt. Für Wahlen nach 1972 hat die momentane Formulieren keine Bedeutung mehr. Diskussionsbedarf könnte sich allenfalls ergeben, wenn zumindest das aktive Wahlrecht auf 16 gesenkt wird. Wünschenswert wäre es dann, im Grundgesetz wieder konkrete Zahlen zu nennen – oder auf das nach Abs. III erforderliche Bundesgesetz zu verweisen, so dass die Änderung des Wahlalters auch ohne Grundgesetz-Änderung möglich wäre.
  10. Letztlich hat sich Art. 38 GG alles in allem bewährt. Probleme ergeben sich vielmehr bei seiner Anwendung, insbesondere in Hinblick auf den Fraktionszwang. Bei einer Reform sollte die Stellung der Fraktionen expressis verbis abgeschwächt werden, der Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl explizit aufgenommen und Abs. 3 entschlackt werden.

Meinung: Der 20 Punkte Aktionsplan für Deutschland, den ich jetzt als CDU/CSU vorstellen würde

Ich bin in der komfortablen Situation, eben keine tragende Rolle in einer Partei zu haben. Hätte ich aber eine in der CDU – als sagen wir mal Vorsitzender – würde ich folgenden 20-Punkte Aktionsplan für Deutschland ausrufen und in Angriff nehmen:

  1. Bahnfahren, insbesondere auf der Langstrecke muss wieder günstiger werden. Daher senken wir den Mehrwertsteuersatz auch im Fernverkehr auf 7%. Flüge hingegen, gerade auf der Kurzstrecke, sind zu günstig. Deshalb führen wir eine Kerosinsteuer ein, deren Erlöse wir unmittelbar in nachhaltige Projekte zum Klimaschutz investieren.
  2. Der auf dem klassischen Verbrennungsmotor basierende Individualverkehr ist inzwischen eine Sackgasse. Wir wollen – auch gemeinsam mit der Automobilindustrie – die Entwicklung neuer Technologien wie z.B. die Brennstoffzelle und synthetische Kraftstoffe einerseits sowie andererseits innovative integrierte Mobilitätskonzepte fördern, die auf ein Zusammenspiel von Individualverkehr und ÖPNV setzen. Hierzu gehören auch ein klarer rechtlicher Rahmen für autonome Fahrzeuge.
  3. Das Schienensystem soll nach französischem Vorbild ausgebaut werden, so dass der Hochgeschwindigkeitsverkehr seine Vorteile unbeeinträchtigt von Güter- und Nahverkehr ausspielen kann. Es soll geprüft werden, welche stillgelegten Bahnstrecken reaktiviert werden können. Grundsätzlich soll der Ausbau der Schiene Vorrang vor Straßenbauprojekten haben. Ebenso sollen Güter vorrangig auf Schiene und Wasser transportiert werden.
  4. Als Flaggschiffkonzept der neuen Mobilitätspolitik wollen wir eine Hyperloop- oder Transrapid-Strecke zwischen dem Rheinland und der Region Dresden/Leipzig realisieren, auch um die Verkehrsverbindungen zwischen West und Ost zu stärken. Um die Technologie grundsätzlich zu evaluieren, wollen wir bis spätestens 2029 eine Teststrecke von ca. 60 km Länge zwischen zwei Großstädten umsetzen.
  5. Bei der städtischen Mobilität wollen wir den Vorrang von Fußgängern und Radfahrern sowie anderen Fortbewegungsmitteln wie E-Roller, klassischem ÖPNV oder neuen Konzepten wie Seilbahnen und Flugtaxis vor dem Auto. Hierzu gehört auch ein Umdenken beim Städtebau.
  6. Generell wollen die Wohnungsknappheit mit innovativen Methoden bekämpfen und damit Wohnen wieder günstiger, lebenswerter und umweltverträglicher gestalten.
  7. In der Energiepolitik wollen wir sofort die EEG Umlage abschaffen, um für marktgerechte Strompreise zu sorgen. Mittel und langfristig setzen wir auf eine zusehends dezentralere Energieversorgung: Solarenergie, Miniwindkraftanlagen, Wasserkraft, Gezeitenkraftwerke, Biogasanlagen und neue Technologien, deren Erforschung wir fördern; besondere Bedeutung kommt dabei der Entwicklung von Energiespeichern zu. Wir sehen aber auch die Notwendigkeit, kurzfristig an konventionellen Methoden der Energieerzeugung festzuhalten, um die nötige Grundlast bereitstellen zu können; wir wollen dabei in einem konsensualen Prozess die Laufzeit von AKW verlängern, im Gegenzug aber einen schnelleren Auszug aus der Kohle umsetzen. Die Auswirkungen von Großwindrädern auf die Umwelt – Insekten, Vögel, Fledermäuse, Landschaft, Wald, Wasser, Lärmbelästigung – wollen wir evaluieren und Art und Weise des weiteren Ausbaus davon abhängig machen.
  8. Der Erhalt der Artenvielfalt in Deutschland ist uns wichtig. Daher wollen wir die ökologische Landwirtschaft verstärkt fördern und größere zusammenhängende Naturschutzgebiete einrichten, Landschaften und Flüsse renaturieren und große zusammenhängende Gebiete wieder bewalden.
  9. In der Forschungs- und Bildungspolitik wollen wir den grundsätzlichen Gedanken des Föderalismus nicht antasten und den Ländern weitgehende Freiheiten belassen. In Bereichen entscheidender Zukunftstechnologien wie z.B. Quantum-Computing oder KI soll der Bund aber die Möglichkeit erhalten, in Abstimmung mit den Ländern mehr als bisher selbst aktiv zu werden, um eine führende Rolle Deutschlands hierbei zu gewährleisten.
  10. Distributed Ledger Technologien (Blockchain) können in vielen Bereichen – Finanzwirtschaft, Handel und sogar Verwaltung (DLT basierendes Grundbuch oder Handelsregister) – für schnellere und sicherere Prozesse sorgen. Entscheidend ist, dass hier schnell für entsprechende rechtliche Rahmenbedingungen gesorgt, die Grundlagenforschung gefördert wird und die Verwaltung selbst als Vorbild aktiv wird.
  11. Grundsätzlich wollen wir es leichter machen, unternehmerisch aktiv zu werden und Unternehmen zu gründen. Die radikale Vereinfachung von Verwaltungsvorschriften und des Steuerrechts sollen dazu beitragen.
  12. Wir sehen die Notwendigkeit einer umfassenden Reform des Urheberrechts, die den Anforderungen des Internet gerecht wird und das Recht auf Privatkopie besonders achtet. Uploadfilter lehnen wir ab. Bestehende Regelungen wie DSGVO oder NetzDG sollen auf ihre Sinnhaftigkeit überprüft werden. Weiter wollen wir in diesem Zusammenhang das Abmahnunwesen einschränken.
  13. Ebenso planen wir eine grundlegende Reform des Strafrechts. Insbesondere der Mordparagraph und das Notwehrrecht müssen angepasst werden. In diesem Zusammenhang wollen wir auch das System der strafrechtlichen Sanktionen grundlegend reformieren, Gefängnis soll die absolute Ausnahme sein.
  14. Die Zuwanderung nach Deutschland muss geregelt werden. Wir wollen daher schnellstmöglich ein Migrations- und Flüchtlingsgesetz realisieren, das Fachkräften den Zuzug erleichtert, Schutzbedürftigen Sicherheit bietet und andererseits eine bloße Einwanderung in unsere Sozialsysteme aus wirtschaftlichen Erwägungen erschwert. Weiter wollen wir verstärkt in Krisenregionen aktiv werden, um Fluchtursachen konzertiert zu bekämpfen.
  15. Wir streben eine umfassende Reform des Gesundheitssystems an. Als erste Sofortmaßnahmen wollen wir Homöopathie nicht mehr als Kassenleistung zulassen und die Arbeit in medizinischen Berufen, insbesondere in der Pflege, attraktiver gestalten. Der Zugang zu Fachärzten, gerade auch im Bereich der Psychotherapie, muss besser gesteuert und beschleunigt werden. Die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung muss für jeden Bürger Pflicht werden, zusätzliche private Versicherungen sollen aber weiter möglich sein.
  16. Die Altersvorsorge soll für alle Bürger – auch Beamte und Freiberufler – über eine einheitliche Rentenversicherung erfolgen. Auch hier soll es aber jedem unbenommen bleiben, sich zusätzlich in anderer Weise abzusichern.
  17. Langfristig streben wir eine umfassende Reform der Sozialsysteme ein, an deren Ende ein bedingtes Grundeinkommen stehen kann, wenn darüber ein gesellschaftlicher Konsens erzielt und die Finanzierung gesichert werden kann.
  18. Wir setzen uns für eine Reform des Wahlrechts auf Bundeseben ein, deren Hauptziele eine Verlängerung der Wahlperiode auf fünf Jahre, eine Verkleinerung des Bundestags, eine Stärkung der Rechte des einzelnen Abgeordneten und eine Begrenzung der Amtszeit des Bundeskanzlers auf zwei Amtszeiten sind. Elemente der direkten Demokratie auf Bundesebene lehnen wir jedoch ab.
  19. Langfristig wollen wir uns von einer zentralisierten Hauptstadt lösen und Regierungsstellen zur Stärkung des Föderalismus über ganz Deutschland verteilen.
  20. Im Bereich der EU setzen wir auf eine Stärkung des Europäischen Parlaments gegenüber der EU-Kommission und dem EU-Ministerrat einerseits
    und einer wieder verstärkten Beachtung des Subsidaritätsprinzips andererseits.

Offener Brief: Liebe MdB, lasst die Diätenerhöhung momentan sein

Liebe Mitglieder des Deutschen Bundestags,

wie man der Presse entnehmen konnte, bereiten Sie gerade eine Diätenerhöhung vor.

Dazu möchte ich zunächst sagen, dass ich diese im Grundsatz durchaus angemessen finde. Wer in die Politik geht, eine harte Ochsentour ins Parlament durchgemacht hat, sich in sozialen Netzen beschimpfen lassen muss, unter Dauerbeobachtung steht und kaum Freizeit hat, hat auch eine entsprechende Vergütung verdient. Das möchte ich gar nicht bestreiten und es sei Ihnen gegönnt.

Doch diese Diätenerhöhung kommt zur Unzeit: Die Jamaika-Verhandlungen sind geplatzt, ob es eine GroKo, eine KoKo, Minderheitsregierung, Neuwahlen oder was auch immer geben wird, steht in den Sternen. Und man hat den Eindruck, dass es die handelnden Köpfe auch nicht besonders eilig haben, eine neue Regierung auf den Weg zu bringen.

Auch wenn das eine mit dem anderen nicht unbedingt etwas zu tun hat ist der Eindruck, der entsteht fatal. Oberflächlich könnte man sagen „Die machen nicht mal ihre Arbeit, aber sich die Taschen voll.“ Und solche Reaktionen kann man nun zuhauf lesen. Ob in den sozialen Netzen oder auf den Titelseiten der Zeitungen – und nicht nur derjenigen mit den großen Buchstaben.

Dabei möchte ich nicht verkennen, dass Sie derzeit genauso viel oder wahrscheinlich noch mehr arbeiten als in den Zeiten geregelter Regierungsverhältnisse. Aber so differenziert sehen das in unseren schnellen Zeiten der Überschriftenleser nicht alle. Und Politik war schon immer schon Show.

Bringen Sie die Diätenerhöhung auf den Tisch, wenn die Regierung steht.

Und wenn es soweit ist, sollten Sie die Gelegenheit auch zu anderen Reformen nutzen. Zumindest zu einer verfassungsrechtlich gebotenen Wahlrechtsreform, die in Zukunft einen übergroßen Bundestag verhindert. Vielleicht auch zu einer Verlängerung der Wahlperiode auf fünf Jahre. Oder gar für eine Begrenzung der Amtszeiten des Bundeskanzlers auf eine Wiederwahl. Es gäbe in Zeiten wie diesen viel zu überdenken.

Unsere Demokratie ist zu wichtig, als dass man sie mit Abstimmungen zur Unzeit beschädigt.

Mit freundlichen Grüßen,

Ihr Severin Tatarczyk

Am 24. September 2017 wählen gehen – mit Tipps für Unentschlossene

Bitte gehen Sie wählen!

Nur noch wenige Tage sind es bis zu Bundestagswahl am 24. September 2017 und vielleicht wissen Sie noch nicht, was Sie wählen sollen und haben vor, deswegen erst gar nicht zur Wahl zu gehen. Oder Sie glauben, dass ihre eigene Stimme unter den vielen Millionen gar nichts bringt.

Das Wahlrecht ist aber eines der wichtigsten demokratischen Rechte, die Sie haben – und ich habe an anderer Stelle schon einmal erwähnt, dass z.B. in Bonn die OB Wahl 2015 durch nur rund 60 Stimmen entschieden wurden. Und gerade bei der Wahl der Direktkandidaten mit der Erststimme kann es auch bei einer Bundestagswahl ähnlich knapp ausgehen. Unvergessen auch die Bundestagswahl 2002, bei der die SPD sogar bei den Zweitstimmen bundesweit nur 6.000 mehr Wähler als CDU/CSU hatte. Sie sehen also: jede Stimme zählt.

Und daher gilt: Egal, ob Sie mit der Großen Koalition zufrieden sind oder nicht – gehen Sie am 24. September 2017 bei der Bundestagswahl 2017 wählen!

Sie haben zwei Stimmen

Gerade bei der Erststimme in Ihrem Wahlkreis kann es also richtig wichtig werden, dass auch Sie abstimmen. Mit der Erststimme wählen Sie Ihren Direktkandidaten, also sozusagen den Bundestagsabgeordneten (ich meine damit in der Folge übrigens auch immer Frauen), der ihren Wahlkreis direkt im Bundestag vertritt.

In den Bundestag zieht derjenige ein, der die meisten Stimmen im jeweiligen Wahlkreis erzielt, so dass im Regelfall hier die Vertreter von CDU/CSU oder SPD zum Zuge kommen. Nur sehr selten kann sich einer der Vertreter der kleinen Parteien durchsetzen, so z.B. Hans-Christian Ströbele (Grüne), der in seinem Berliner Wahlkreis bei den letzten Bundestagswahlen jeweils um die 40% holte und so als Direktkandidat in den Bundestag einziehen konnte.

Grundsätzlich sollten Sie hier eher nach Person denjenigen wählen, von dem Sie das Gefühl haben, dass er sich am meisten für ihren Wahlkreis einsetzt. Googeln Sie die Kandidaten oder schauen Sie bei abgeordnetenwatch.de vorbei, wo Sie einen Kandidatencheck vornehmen können.

Mit der Erststimme können Sie relativ gefahrlos „Protest wählen“, wenn Sie sich für den Direktkandidaten von z.B. FDP, Grüne, Freie Wähler oder Die PARTEI entscheiden – mit nahezu an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird dieser Kandidat zwar nicht in den Bundestag einziehen und Sie zeigen, dass Sie mit der GroKo in dieser Form nicht einverstanden sind.

Daneben stellen sich in einigen Wahlkreisen auch unabhängige Einzelbewerber zur Wahl (Liste hier), die keiner Partei angehören. Durch die Wahl eines dieser Einzelkämpfer belohnen Sie individuelles politisches Engagement und würfeln damit ggf. auch die Wahlkreisergebnisse etwas durcheinander. Zu raten ist dennoch, sich mit den Positionen der Einzelkämpfer vorab auseinanderzusetzen, da einige durchaus eher extreme Positionen aus der linken oder rechten Ecke haben.

Zweitstimme

Anders als der Name suggeriert ist die Zweitstimme die wichtigere Stimme. Mit dieser wählen Sie die Kandidaten von der Landesliste der Partei und entscheiden letztlich über die Anzahl der Sitze der Parteien im Bundestag, da der Anteil der Bundestagssitze einer Partei (ca.) dem Anteil der erhaltenen Zweitstimmen entspricht; Verzerrungen entstehen durch die 5% Hürde und durch Überhangmandate, aber an dieser Stelle soll es jetzt nicht zu kompliziert werden. Festhalten kann man jedenfalls – die Zweitstimme ist die an sich entscheidende Stimme.

Können Sie sich nicht entscheiden, wen Sie hier wählen sollen, helfen z.B. der Wahlomat und andere entsprechende Tools – oder Sie wählen in Hinblick auf die von Ihnen gewünschte Koalition.

Taktisches Wählen

Die Kombination aus Erst- und Zweitstimme bietet auf jeden Fall viele Optionen für taktisches Wählen.

Sind Sie z.B. für eine Schwarz/Gelbe Koalition, wählen Sie mit der Erststimme den CDU Kandidaten (der gute Aussichten hat, das Direktmandat zu erringen) und mit der Zweitstimme die FDP.

Ist Ihnen an der Fortsetzung der GroKo gelegen, ist es sinnvoll, mit beiden Stimmen die Partei zu wählen, die aus Ihrer Sicht in dieser das größere Gewicht haben soll, also entweder CDU (in Bayern CSU) oder eben SPD.

Möchten Sie eine möglichst schwache GroKo und wollen aus Ihrer Sicht nicht das Risiko von Schwarz/Gelb eingehen, sind die Grünen mit beiden Stimmen die Partei Ihrer Wahl, notfalls auch die Linke. Ob Sie angesichts eines Herrn Höcke die AfD wählen wollen, sollten Sie sich aber gut überlegen (auch wenn ich von pauschal unreflektiertem AfD Bashing nichts halte). Ist Schwarz/Gelb eine Option für Sie, kommt natürlich auch die FDP mit Erst- und Zweitstimme in Frage.

Eine interessante Kombination kann auch SPD Erststimme und FDP Zweitstimme sein.

Die Wahrscheinlichkeit von Rot-Rot-Grün ist zwar gering. Ist dies aber Ihre Wunschkoalition, wählen Sie Erststimme SPD und Zweitstimme Grün (oder meinetwegen auch die Linke).

Nischenparteien

Wenn Sie sich mit den etablierten Parteien gar nicht anfreunden können, stehen zahlreiche Nischenparteien zur Wahl – hier eine Liste aller Parteien bei der Bundestagswahl 2017.

Doch sollte man hier genauer hinschauen, wo man sein Kreuz macht – viele auf den ersten Blick harmlos erscheinende Parteien wie z.B. die V3 Partei bieten vielen Verschwörungstheoretikern eine Heimat. Und die so demokratisch klingende Partei „Volksabstimmung“ verfolgt einen stramm rechten Kurs.

Wenn Sie bei Ihrer Proteststimme auf Nummer sicher gehen wollen, wählen Sie „Die Partei“, die zwar keine echten Inhalte aufzuweisen hat, aber den anderen Parteien durchaus den Spiegel vorhält.

Befasst man sich aber weiter mit vielen der kleineren Parteien findet man darunter viele, die mehr Aufmerksamkeit und auch Erstattung von Wahlkampfkosten verdient hätten. z.B. „Die Urbane„.

Nachdenken statt blind wählen

Sie werden schon gemerkt haben, dass ich zwar auf der einen Seite eine Vorliebe für die FDP (und zugegebenermaßen auch für Die PARTEI) habe, dass ich hier aber niemanden vorschreiben möchte, was er zu wählen oder nicht zu wählen hat.

Wichtig ist, dass man wählen geht und sich über seine Wahl vorher Gedanken macht.

Kommentar: Wahlkampfgetöse – das kommunale Wahlrecht für nicht-EU Ausländer in NRW

Bekanntlich sprechen sich die Fraktionen der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PIRATEN für die Einführung eines kommunalen Wahlrechts für Ausländer, die nicht aus Mitgliedstaaten der EU kommen, in Nordrhein-Westfalen aus. Dies sei für die Integration dieser Menschen in den Gemeinden und in Deutschland ein ganz wesentlicher Aspekt.

Dazu soll die Landesverfassung Nordrhein-Westfalens in Art. 78 um folgenden Satz ergänzt werden:

Wahlberechtigt sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Drittstaates besitzen und die ihren ständigen Wohnsitz dauerhaft in Deutschland haben.

Von der CDU in NRW wird das abgelehnt, vielmehr sollten die Menschen über eine Einbürgerung in Deutschland integriert werden.  Und auch die Fraktion der FDP macht verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Gesetzentwurf geltend; sie vertritt den Standpunkt, dass eine solche Regelung mit Blick auf die Homogenitätsklausel des Grundgesetzes nur auf Bundesebene getroffen werden könne.

Nun sollte man mehr demokratische Rechte für hier dauerhaft lebende Menschen unter dem Integrationsaspekt durchaus diskutieren.

Doch das aktuelle Gesetzesvorhaben von SPD, Grünen und Piraten in NRW ist aussichtslos. Denn eine Änderung der Landesverfassung muss im Landtag mit 2/3 Mehrheit erfolgen; diese ist hier nicht abzusehen. Und selbst wenn sie durch käme wäre angesichts der verfassungsrechtlichen Bedenken mehr als fraglich, ob sie auch Bestand haben würde.

So ist es aktuell reines Wahlkampfgetöse.

Ob dies angesichts der momentanen Diskussionen um Auftritte türkischer Minister in Deutschland und Europa und des Einflusses der AKP auf die hiesige türkische Commuity nicht zur Unzeit kommt und nach Hinten losgeht, mag jeder für sich beurteilen.

Der Weg in den Bundestag als unabhängiger Kandidat

einzelkandidaten-bundestagDie Einzelbewerber

Immer wieder treten in einzelnen Wahlkreisen bei Bundestagswahlen von den Parteien unabhängige Kandidaten an, die auch Einzelbewerber, Parteilose oder einfach Unabhängige genannt werden.

Dies sind Direktkandidaten im jeweiligen Wahlkreis und können mit der Erststimme gewählt werde. Erreicht ein Direktkandidat in seinem Wahlkreis die relative Mehrheit der Stimmen ist er als Abgeordneter in den Bundestag gewählt.

Bei der Bundestagswahl 2013 gab es immerhin 81 solche Einzelbewerber – von denen es aber keiner ins Parlament schaffte.

Voraussetzungen

Doch was muss man tun, um selber als unabhängiger Kandidat anzutreten? Zunächst gelten folgende Voraussetzungen:

  • Passiv wahlberechtigt – also als Kandidat wählbar – ist grundsätzlich jeder deutsche Staatsbürger, der volljährig ist. Es ist nicht erforderlich, dass man seinen Wohnsitz in dem Wahlkreis hat, in dem man antreten will.
  • Spätestens am 66. Tag vor dem vorgesehenen Wahltermin muss man bis 18h beim zuständigen Kreiswahlleiter seine Anmeldung abgegeben haben. Hierfür gibt es ein Formblatt (Formblatt Anlage 13 zu § 34 Abs. 1 BWO), das die notwendigen Angaben aufführt. Angeben muss man insbesondere den Familiennamen, die Vornamen, den ausgeübten Beruf oder anderen Stand (z.B. Student, Rentner…), das Geburtsdatum, den Geburtsort und die Anschrift der Hauptwohnung. Daneben kann man statt des Parteinamens ein „Kennwort“ angeben, das dann auf dem Wahlzettel erscheint; z.B. „Ihr unabhängiger Kandidat für Bonn“ oder „Für Volksentscheide“.
  • Weiter braucht man 200 Unterschriften von Unterstützern, die in dem Wahlkreis, in dem man antritt, wahlberechtigt sind. Diese müssen die Erklärung auf einem Formblatt (Anlage 14 zu § 34 BWO) persönlich und handschriftlich unterzeichnen. Neben der Unterschrift sind dabei der Familienname, die Vornamen, Geburtsdatum und die Anschrift der Hauptwohnung sowie der Tag der Unterzeichnung anzugeben. Da die Wahlberechtigung der Unterstützerstimmen überprüft wird, empfiehlt es sich, aus Sicherheitsgründen mehr als 200 Unterschriften zu sammeln. Die Unterschriften müssen ebenfalls innerhalb der genannten Frist beigebracht werden.
  • Wenn alle Voraussetzungen passen, steht man als Direktkandidat auf dem Wahlschein.

Welches der zuständige Kreiswahlleiter ist, findet man auf den Internetseiten des Bundeswahlleiters. Der Kreiswahlleiter kann einem auch die entsprechenden Formulare zur Verfügung stellen.

Hilfen für Einzelbewerber

Als unabhängiger Kandidat kann man nicht auf die Unterstützung der Parteien zurückgreifen. Dennoch gibt es bestimmte Formen und Möglichkeiten der Unterstützung.

  • Zunächst hat jeder, der „sich um einen Sitz im Bundestage bewirbt, … Anspruch auf den zur Vorbereitung seiner Wahl erforderlichen Urlaub“, was sich aus dem Grundgesetz ergibt (Art. 48 GG). Dies sollte man mit seinem Arbeitgeber abstimmen.
  • Wahlkampfkosten sind möglicherweise steuerlich absetzbar; hier sollte man im Vorfeld mit seinem zuständigen Finanzamt Kontakt aufnehmen.
  • Spenden an Einzelbewerber sind anders als Parteispenden steuerlich nicht absetzbar. Möglich wäre es ggf. einen gemeinnützigen Verein zu gründen, der dann den Direktkandidaten unterstützt. Spenden an diesen Verein könnten dann von der Steuer abgesetzt werden. Auch dieses Konstrukt sollte man vorher mit seinem Steuerberater, ggf. Rechtsanwalt und zuständigem Finanzamt absprechen, damit es nachträglich keine bösen Überraschungen gibt.
  • Unterstützung durch bestehende Vereine und Zusammenschlüsse ist ebenfalls möglich; so traten 1987 245 unabhängige Kandidaten der Friedensliste an; 2009 hatten 62 Kandidaten das Kennwort „Willi Weise Projekt“ angegeben, das für ein bedingungsloses Grundeinkommen eintritt. 22 Kandidaten wurden in diesem Wahljahr von der Wählervereinigung „Für Volksentscheide“ unterstützt.
  • Nach der Wahl ist eine staatliche Zuwendung in Höhe von 2,80 Euro je gültige Stimme für den Einzelbewerber möglich. Diese wird aber nur gezahlt, wenn im Wahlkreis mindestens 10% der im Wahlkreis abgegebenen gültigen Erststimmen erreicht wurden. Diese Hürde ist vergleichsweise hoch und wurde bisher nur von wenigen Kandidaten erreicht. Nähers regelt § 49b BWG.

Ein Fazit

Bisher haben es erst drei Einzelbewerber in den Deutschen Bundestag geschafft, was 1949 der Fall war. Möglich war dies an sich nur durch das damals noch andere Wahlrecht sowie den Umstand, dass diese nur formell unabhängig waren, de facto aber von Parteien unterstützt wurden. Seit der Bundestagswahl 1953 erreichte kein Einzelbewerber mehr die relative Mehrheit der Stimmen in seinem Wahlkreis und nur neun mal wurden die für die Wahlkampfkostenerstattung notwendigen 10% erreicht.

Man möchte also meinen, dass es von vornherein aussichtslos ist, als Einzelbewerber anzutreten – dennoch kann dies lohnend sein, was ich in einem späteren Artikel hier betrachten werden.

Die OB Wahl 2015 in Bonn – eine kleine Nachlese

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Herzlichen Glückwunsch, Herr Sridharan!

Eins ist ziemlich sicher – der nächste Bonner Oberbürgermeister wird Ashok Alexander Sridharan heißen. Und das ist – siehe meine Einschätzung der Bonner OB Kandidaten – auch gut so.

Aber war’s das schon?

Aber warum nur ziemlich sicher?

Zum einen kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich das vorläufige amtliche Endergebnis noch ändert. Rund 60 Stimmen haben die Wahl entschieden. Schon wenige Stimmen mehr für seine Mitbewerber könnten also zum Verlust der absoluten Mehrheit führen und so den zweiten Wahlgang erzwingen.

Zum anderen ist davon auszugehen, dass die Wahl gemäß § 39 Kommunalwahlrecht NRW angefochten wird. „Die PARTEI“ hat dies auf twitter bereits angekündigt, wobei deren Begründung wohl nicht zu einer Neuwahl führen dürfte:

PRO NRW hat die Anfechtung bereits vor dem Wahlsonntag angekündigt, da deren Kandidatin nicht zur Wahl zugelassen wurde. Dieser Antrag dürfte schon mehr Erfolgsaussichten haben, denn auch das Wahlamt der Stadt Bonn hielt die Entscheidung, Frau Susanne Kutzner nicht zur Wahl zuzulassen, für problematisch.

Zuletzt dürfte das knappe Ergebnis  den ein oder anderen Bürger auf den Plan rufen, einen entsprechenden Antrag zu stellen.

Aber auch wenn einer durchkommt – dass am Ende Sridharan im Bonner Rathaus das Zepter übernehmen wird, ist nach dem gestrigen Abend eine klare Sache.

Die niedrige Wahlbeteiligung

Traurig ist aber, dass nur 45,11% der Bonner Wahlberechtigten von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht haben. Damit wurde der neue OB letztlich nur mit 22,6% der möglichen Stimmen gewählt.

Wer meint, die eigene einzelne Stimme sei eh nichts wert, der sei auf das knappe Ergebnis verwiesen.

Und wer sich mit keinem der drei aussichtsreichen Kandidaten identifizieren konnte, hätte z.B. Caroline Tepass aus Protest wählen, seinen Stimmzettel ungültig machen oder sich selbst zur Wahl stellen können.

Erstaunlich ist, wie groß die Unterschiede in den einzelnen Stimmbezirken sind -so haben in Neu Tannenbusch Mitte nur 7,86% der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben.

Es wird auf jeden Fall eine Herausforderung sein, bei zukünftigen Kommunalwahlen eine höhere Beteiligung zu erreichen.

Keine Chance für Extreme – und ein fairer Wahlkampf

Erfreulich hingegen: die beiden extremeren Kandidaten Pauqué und Yilmaz konnten mit 0,72% bzw. 0,82% der Stimmen keine nennenswerten Erfolge vorweisen. Anders hätte es vielleicht ausgesehen, wenn PRO NRW angetreten wäre, aber dies war ja nicht der Fall (s.o.).

Und auch der Wahlkampf wurde von allen Beteiligten fair geführt – eine gute Grundlage für die Zusammenarbeit der Parteien in der Stadt!

An die Arbeit

Und das ist auch notwendig. Bonn steht nach der Ära Nimptsch vor riesigen Herausforderungen. Ein CDU Bürgermeister kann zusammen mit der CDU/Grüne/FDP Koalition im Rat hier sicher mehr bewegen.

Also, an die Arbeit.

Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur 3% Hürde bei der Europawahl

Man mag nun schon darüber streiten, ob das Europäische Parlament aufgrund des extremen Disproportionalitätsfaktors – ein Abgeordneter aus Malta repräsentiert knapp 69 Malteser, ein französischer 874 Franzosen – überhaupt den Anforderungen eines demokratischen Parlaments entspricht. An dieser Stelle geschenkt.

Zumindest müssen aber die Abgeordnetenblöcke der einzelnen Staaten nach demokratischen Grundsätzen gewählt werden, worunter die Stimmengleichheit einen besonders hohen Wert hat. Eine Sperrklausel wie die 3% Hürde bei der Europawahl stellt eine massive Einschränkung der Stimmengleichheit dar, da die Stimmen für Parteien, die die Hürde nicht erreichen, eben „verloren“ sind. Für solch eine Einschränkung muss es dementsprechend gewichtige Gründe geben.

Die herrschende Meinung akzeptiert die 5% Klausel bei der Bundestagswahl nur, da es ein übergeordnetes Ziel sei, stabile Mehrheiten für eine Regierung zu erreichen, was durch ein zersplittertes Parlament erschwert würde.

Dieses Argument ist aber bei der Wahl zum Europaparlament aber nicht einschlägig. Das Ziel, eine Zersplitterung an sich zu verhindern, ist als Rechtfertigung für die 3% nicht ausreichend und argumentativ angesichts einer Versammlung, in der schon über 160 Parteien vertreten sind, zudem lächerlich.

Kritik am Urteil des Bundesverfassungsgerichts verbietet sich von selbst – Karlsruhe konnte hier objektiv gesehen nicht anders entscheiden. Anders mag es aussehen, wenn in Zukunft das Europäische Parlament tatsächlich einmal insgesamt nach demokratischen Grundsätzen gewählt wird und eine europäische Regierung trägt. Aber da ist Art. 146 GG vor.

Dass das ganze nun zu unliebsamen Ergebnissen führen kann, ist eine andere Frage. Aber eben keine rechtliche.

Meinung: Das verfassungswidrige Wahlrecht

Wie erwartet hat das Bundesverfassungsgericht das von der Schwarz-Gelben Koalition verabschiedete Wahlrecht für verfassungswidrig erklärt. Überraschen kann das niemanden, der sich mit dem Gesetz auseinandergesetzt hat und erst recht niemanden, der die mündliche Verhandlung verfolgt hat.

Anstatt viel zu schreiben stelle ich mir einfach nur die Frage, was von einem Parlament zu halten ist,

  • das ein so offensichtlich verfassungswidriges Gesetz verabschiedet,
  • das ein neues Melderecht durchpeitscht, ohne das hinterher gewollt zu wollen
  • und das über milliardenschwere Rettungsschirme entscheidet, ohne zu verstehen, was da eigentlich beschlossen wird (von wenigen Ausnahmen abgesehen).

Vielleicht öffnet das nun dem ein oder anderen Abgeordneten die Augen – denn die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.