Buchkritik „Glücklich ohne Geld!“

gluecklich-ohne-geld-fellmeMit hohen Erwartungen bin ich an Raphael Fellmers Buch „Glücklich ohne Geld!: Wie ich ohne einen Cent besser und ökologischer lebe“ herangegangen, da ich grundsätzlich der Ansicht bin, dass unser derzeitiges Finanzsystem und die Art und Weise, wir wir mit unserer Umwelt und uns selbst umgehen, nicht richtig ist. Und auch wenn für die meisten von uns ein „Leben ohne Geld“ praktisch nicht machbar ist, ist es interessant, von exzentrischen Vorreitern zu lernen und zu sehen, welche Erfahrungen diese machen und welche gedanklichen Anstösse sie uns geben können.

Und natürlich spricht Fellmer in seinem Buch viele Missstände an. Im großen z.B. unser entartetes* Finanzsystem oder wie zerstörerisch und auch ökonomisch unsinnig viele Produktionsläufe sind – z.B. dass nach wie vor jeden Tag große Flächen Regenwald für Weideland, Futtersoja oder Kraftstoffplanzen gerodet werden. Oder auch den Skandal, dass in Deutschland jeden Tag große Mengen noch brauchbare Lebensmittel einfach vernichtet werden, nur da sie nicht bestimmten Normen entsprechen oder das Verfallsdatum gerade abgelaufen ist. Wenn man nicht gerade mit verschlossenen Augen durch die Welt geht, weiß man das aber und kann viele Möglichkeiten finden, dagegen etwas zu tun. Was „Glücklich ohne Geld“ hier aber lesenswert macht ist der Umstand, dass er bei seiner umfangreichen Reise selber vor Ort gewesen ist und somit anschaulich aus erster Hand berichten kann.

Schade ist dabei nur, dass der Schreibstil auf dem Niveau eines Oberstufen-Aufsatzes ist, was dann auf Dauer doch etwas ermüdend ist.

Und auch mit vielen Zahlen und Fakten nimmt er es nicht so genau. Nicht nur, dass praktisch keine Nachweise vorhanden sind (darüber kann ich sogar noch hinwegsehen, wir haben es ja schließlich nicht mit einer Doktorarbeit zu tun), leider sind viele der stichprobenartig nachgeprüften Informationen schlichtweg falsch. So schreibt er, um eine Tonne Aluminium herzustellen, würden 15.000kWh Strom verbraucht. Nun, schon dieser Wert ist nur grob gemittelt, was aber für ein Buch dieser Art völlig in Ordnung ist. Ärgerlich ist jedoch, dass Fellmer dann meint, dies würde der Menge an Strom entsprechen, die ein Europäer in 40 Jahren verbrauchen würde – leider falsch, 15 Jahre wäre hier der passendere Vergleichswert, hört sich aber natürlich nicht so dramatisch an.

Als wäre die mangelnde Faktentreue für sich nicht schon ärgerlich genug, so stört mich noch mehr, dass das gesamte Bucht von einer triefenden Süße durchsetzt ist, die oft ins esoterische abgleitet:

Ich bin ein Mensch wie Du und Gast auf dem demselben Planet wie Du.

…wieder einmal kam alles wie gerufen, denn Gedanken sind mächtiger als wir uns vorstellen können.

Wie oft die Dinge „von Herzen“ kommen, sich „Herzen öffnen“ oder „liebe Menschen aus tiefstem Herzen“ handeln etc. pp, kann man gar nicht zählen.

Darüber mag man noch hinwegsehen, doch blickt man hinter diese schwere Süße, erkennt man in Fellmer einen Egozentriker, der sich durchs Leben schmarotzt, für andere Menschen kein Verständnis hat und Zusammenhänge nicht versteht.

Besonders deutlich wird dies bei der Art und Weise wie er reist – vorzugsweise als Tramper, kostenlos als Mitreisender auf Schiffen, eingeladen in der Bahn. Er will damit Menschen zeigen, „dass auch Mobilität gänzlich geldfrei funktioniert„, übersieht aber dass die Menschen, derer er sich bedient, Geld ausgegeben haben, um ihn transportieren zu können – angefangen vom Kauf des Gefährts bis hin zu den laufenden Betriebskosten. Und wenn dann jemand andeutet, ob er sich an den Kosten beteiligen könne, ist reagiert Fellmer mit Unverständnis.

Und das ist der rote Faden, der sich sich durch das ganze Buch zieht – der Autor übersieht einfach, dass fast alle Dinge, von denen er materiell profitiert, einfach mit Geldeinsatz geschaffen wurden und der – einmal vom „Lebensmittel retten“ aka „containern“ und Sperrmüll sammeln abgesehen – davon profitiert, dass andere bereit sind, ihm etwas zu schenken.  Im wesentlichen ist Fellmer auf Kosten Dritter „glücklich ohne Geld“ und lebt so seinen Traum aus.

Wie eingangs gesagt – ich stimme mit Fellmer überein, dass mit unserer Welt vieles im Argen liegt und wir vieles ändern müssen, insbesondere müssen wir das Dogma vom ewigen Wachstum überdenken. Aber der von ihm eingeschlagene Weg ist in vielen Punkten nicht der richtige.

Gleichwohl, sein Buch zu überfliegen kann einen auf interessante Gedanken bringen. Wer nun nicht das Geld für die Druckausgabe ausgeben möchte, kann es kostenlos für den Amazon Kindle herunterladen. Wer keinen hat – Amazon stellt kostenlose Reader Apps zur Verfügung.

* Ich benutze den Begriff hier bewusst. Verfallen Sie jetzt nicht in reflexhafte und unwissende „Hilfe, hier schreibt ein Nazi!“ Reaktionen.