Für jeden Flüchtling ein Smartphone? Michael Simon de Normier antwortet Aras Bacho

Der syrische Flüchtling Aras Bacho fordert, dass jeder Flüchtling in Deutschland ein Smartphone bekommen solle. Nachzulesen ist dies in der Huffington Post. Der Produzent Michael Simon de Normier antwortet ihm.

Lieber Aras, guten Tag und willkommen in Deutschland!

Dein Beitrag im Blog der Huffington Post gefällt mir, weil er in exzellentem Deutsch verfasst ist. Hast Du ihn tatsächlich selbst geschrieben? Das wäre fantastisch.

Bitte betrachte es nicht als Unhöflichkeit oder mangelnden Respekt meinerseits, dass ich Dir nicht in Deiner Muttersprache antworten kann, sondern der hiesigen Landessprache, die – wie Du ja bereits erkannt hast – hierzulande Integrationssprache ist.
Ich zähle zu denjenigen, die sich aus Überzeugung stark dafür gemacht haben, Dir und sehr vielen weiteren Menschen auf der Flucht, nicht nur Schutz für Leib und Leben zu bieten, sondern Euch auch herzlich willkommen zu heißen! Es war eine mitreißende Erfahrung, dass sich so extrem viele Deutsche (unter ihnen viele, deren Vorfahren – so wie meine – auch mal auf der Flucht waren, oder Migrationshintergrund haben) so enthusiastisch und vor allem zupackend zeigten, als der Notstand am dringendsten war.

Seitdem ist vieles geschehen.

Wie Du vermutlich auch in den Medien (hoffentlich mehr dort, als in Deinem unmittelbaren Umfeld!) mitbekommen hast, sind die Deutschen mittlerweile verunsichert, von den Folgen dieser massiven Zuwanderung. Was in der Silvesternacht in Köln und anderswo geschehen ist und weitere schreckliche Einzelerfahrungen die unser ganzes Land (!) mit Flüchtlingen verbindet, hat uns emotional stark erschüttert und stellt unseren Optimismus, was die Integrationsfähigkeit etlicher Migranten betrifft, auf eine harte Probe. Ich sage es bei aller Höflichkeit ganz offen: es prüft sogar meine Toleranz sehr, wenn ich mitbekomme, mit welchen Vorstellungen Menschen mit muslimischen Wurzeln hier und heute in Deutschland über unsere freiheitlich demokratische Grundordnung hinweg gehen, unsere Werte von Toleranz und Gleichberechtigung und – nur ein Beispiel – den einigermaßen fortgeschrittenen Grad an Emanzipation von Homosexuellen mit Füßen treten.

(Die Verachtung, die meinen homosexuellen Freunden aus dieser Richtung entgegegen schlägt, und der massive Antisemitismus, den viele Deiner Landsleute mitbringen, macht mich regelrecht sprachlos. Deswegen möchte ich hier auch nicht weiter auf diese beiden Aspekte eingehen.)

Ein paar Mißverständnisse allerdings möchte ich auch Dir und den Unterstützern Deiner Forderung gegenüber versuchen auszuräumen:

Deutschland ist ein Sozialstaat, dessen Wurzeln stark in der christlichen Soziallehre verankert sind und der jüdischen Suche nach Gerechtigkeit folgen. Solidaritäts- und Subidiaritätsprinzip bedeuten, dass die Gemeinschaft Notleidende mit Hilfe zur Selbsthilfe unterstützt – nach Möglichkeit nicht zentral (vom Bundeskanzleramt aus) sondern nahe am Geschehen vor Ort, in jeweiligen Einheiten. Diese Vorstellung kennst Du sicherlich auch aus Deinen Gemeinden, Deiner Familie, Deiner Community: nicht der Staat ist dafür zuständig alles zu richten, sondern Du, Deine Familie, Deine Gruppe, Deine Kommune… jeweils möglichst nach eigenen Kräften!

Dabei wird hierzulande auch nur in begründeten Ausnahmefällen etwas verschenkt. Die Vorstellung, dass der Staat Smartphones austeilt, dürfte hierzulande keine wirklich integrierte Persönlichkeit unterstützen.

Das wäre uns fremd! Ich weiß, das kommt jetzt vielleicht überraschend. Du erfährst ja an allen Ecken und Enden, dass Dinge bereit gestellt werden. Und auch einige Deutsche gewöhnen sich zunehmend an diesen Zustand. Aber denk nur mal nach: Wäre Deutschland ein so reiches Land, wie Du es erlebst, wenn alles so laufen würde, wie am Flughafen BER und zudem jeder alles bekäme, unabhängig davon, was sie oder er dafür an Eigenbemühungen und Verdiensten in die Gesellschaft einbringt?

Wir haben unseren Sozialleistungen das Motto „Fördern und fordern“ verordnet. Vieles in dessen Ausgestaltung ist zu Recht im Gespräch und im Wandel. An zukünftigen Diskussionen bist Du mit Deinen Sprachkenntnissen natürlich eingeladen, teilzunehmen (Tipp zum Einstieg: google mal „Agenda 2010“ „Oswald von Nell-Breuning“ und „Grundeinkommen“ – dann wird es richtig spannend, Deine Meinung dazu kennen zu lernen…).

Allerdings gilt in unserer Diskussions- und Medienkultur auch allzumenschlicherweise die Empfehlung, das Timing zu beachten:

Ich habe nicht den Eindruck, dass es dieser Tage auf allzu viel Gegenliebe bei der Mehrheit des hierzulande höchsten Souveräns, dem Volk, stößt – sprich: mehrheitsfähig wäre – auch noch Smartphones aus Steuergeldern an Flüchtlinge zu verschenken.

Mein Vater und meine Schwiegermutter haben übrigens auch keines. Und ich kenne ne Menge Leute, die sich keines leisten (können oder wollen).

So oder so, wird es dabei bleiben, dass Leistung(sbereitschaft) herzlich willkommen ist, weil wir wollen, dass Deutschland ein starkes, modernes Land bleibt. Freiheitlichkeit ist allerdings noch mehr als das – nämlich eine Grundbedingung!

In diesem Sinne – und aus meiner Warte – eine gesegnete Adventszeit und ein erfolgreiches Jahr 2017!

Michael

Dieser Beitrag erschien ursprünglich auf Facebook.

Ein modernes Märchen

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Flüchtlingskrise. Ein Wort, das uns in den letzten Monaten konstant begleitet. Die sozialen Medien sind voll davon und man wird von der Flut an Kommentaren und YouTube Links erschlagen, wobei sich meistens zwei Lager herauskristallisieren: entweder machst du dir Sorgen um die langfristigen Folgen (dann bist du automatisch ein Nazi) oder du zeigst Verständnis (dann bist du ein blinder Idiot). Wie aus dem Nichts sprießen viele selbsternannte Experten aus dem Internetkosmos, um ihren Senf dazu zu geben. Zum Glück gibt es auch viele, die sich auf respektvolle Art und Weise mit dem Thema auseinandersetzen. Besonders interessant: spricht man die Menschen im realen Leben an, so entsteht meist ein interessantes Gespräch. Was im Internet in eine Schlammschlacht ausartet, läuft im realen Leben dann doch zum Glück etwas anders. Ich diskutiere grundsätzlich nicht gerne online über einige Themen, sondern schätze es, wenn mein Gesprächspartner mit gegenüber sitzt. Im Alltag verfolge ich eine eigene Philosophie der Dinge, die mit folgender Geschichte vielleicht etwas deutlich wird:

Vier Männer trafen sich in einer abgelegenen Kneipe. Jeder erzählte von der Beschaffenheit seiner Heimat. „Bei uns ist Tradition das Wichtigste“, erzählte der Mann aus dem Norden. „Es gibt simple und klare Regeln, an die du dich halten musst. Wenn du das machst, bist du schnell ein Teil unserer Familie. Wenn nicht, wirst du schwer bestraft.“ Der Südländer schüttelte mit dem Kopf. „Solche Regeln gibt es bei uns nicht. Bei uns macht jeder, was er will und meistens klappt es auch. Wir kümmern uns nur um unseren Kram und gestalten unseren Alltag sehr flexibel.“ „Was ist mit Bildung?“ wirft der Mann aus dem Westen ein. „In unserer Kultur zählt, wie gut du über das, was um dich herum passiert, informiert bist. Das Wissen ist eine starke Waffe, die sogar körperliche Gewalt überwinden kann.“ Schweigsam hört der Mann aus dem Osten zu. „Bei uns zählt ausschließlich, was du leistest und wie hart du arbeitest. Disziplin wird uns bereits früh beigebracht und damit verbringen wir die meiste Zeit des Tages.“ Als der Wirt am Tisch vorbeigeht fragen ihn die Männer, welche Kultur er bevorzugt. „Meine Familie hat ursprünglich Viehzucht betrieben. Mein Vater war flexibel genug, um seinen eigenen Weg zu gehen und hat diese Kneipe eröffnet. Ich arbeite jeden Tag sehr hart, um sie zu bewirtschaften und höre viele Geschichten aus der Umgebung. Mein größter Wunsch ist es, dass meine Kinder diese Tradition eines Tages fortsetzen werden.“ Die Männer nicken schweigsam und nach einer Weile fügt der Wirt hinzu: „Wie steht es in eurer Heimat um die Gastfreundschaft?“

In der Geschichte ist die Kneipe ein neutraler Ort, in dem sich unterschiedliche Kulturen treffen, um sich auszutauschen. Jeder bringt seine persönlichen Erfahrungen und Einstellungen mit. Die Frage ist dabei nicht, welche Einstellung die beste ist. Vielmehr geht es darum, welche Aspekte einer anderen Kultur ich in mein Leben integrieren kann und was ich an andere weitergebe. Eine Vorgehensweise, die man vielleicht auch im Alltag ausprobieren sollte, fernab von der Medienschlacht im Internet.

Lesenswertes 4

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Der neue Schwung an lesenswerten Links.

  1. Traumfrau
    In diesem Artikel von Ralph Bollmann (FASZ) geht es anders als der Titel vermuten lässt um Angela Merkel.
  2. Sonnenbilder
    Faszinierende Aufnahmen der Sonne, die im Rahmen des SDO Projekts der NASA entstanden sind.
  3. WordPress now powers 25% of the Web
    …diese Seite hier übrigens auch.
  4. Wo steht die SPD in der Flüchtlingskrise
    Bericht von der Basis der Partei.
  5. Herbst der Kanzlerin – Geschichte eines Staatsversagens
    Auch in der „Welt“ gibt es gelegentlich lesenswertes.
  6. Sieben Leitlinien für die Flüchtlingskrise
    Boris Palmer schreibt mir aus dem Herzen: „Zwischen Willkommens-Teddybären und Pegida-Galgen ist ein nüchtern-sachlicher Diskurs kaum noch möglich.“
  7. Smarte Arbeit
    Hier empfehle ich gleich mal eine ganze Artikelserie, die sich mit der Zukunft der Arbeit befasst. Sollte jeder Arbeitnehmer dringend lesen.
  8. Das Poppelsdorfer Schloß soll eine Glaskuppel erhalten
    Mal wieder etwas aus Bonn. Würde mich freuen, wenn der Plan umgesetzt würde.
  9. This is what Netflix would have looked like in the 1950s
    Schöne Idee von Netflix Ingenieuren selbst.
  10. Faraday Future
    Tesla bekommt Konkurrenz…

Bild: Ziffer 4 in der Schriftart Linotype Palatino, einer meiner Lieblingsschriften.