Köpfe: Uwe J. Heuser

Uwe J. Heuser ist Herausgeber, ZEIT für Unternehmen, Redakteur, GREEN bei der Die Zeit (Deutschland).

Heuser ist Teilnehmer beim WEF 2023 in Davos.

Meinung: Was ist eigentlich Qualitätsjournalismus?

Immer wieder taucht in Diskussionen der Begriff Qualitätsjournalismus auf – und man muss sich die Frage stellen, was damit eigentlich gemeint ist.

Die meisten werden spontan Der Spiegel, Die Zeit oder auch Süddeutsche Zeitung nennen, wenn sie nach Qualitätsmedien gefragt werden. Und tatsächlich: „Als Qualitätsmedien gelten jene, die intensiv von anderen Journalisten genutzt werden“ schreibt Margreth Lünenborg.

Der Medienökonom Jan Krone bestätigt dies bei „Carta“ kritisch: „Das Unwort vom Qualitätsjournalismus lässt sich als Muffe zwischen Ideologien und Interessen begreifen.“, er sei ein „moralisches Bollwerk einer publizistischen Elite“. Ich würde sogar weitergehend und zuspitzend sagen, dass er das Bollwerk einer selbsternannten publizistischen Elite ist, die sich in ihrer vermeintlichen intellektuellen moralischen und intellektuellen Überlegenheit gefällt. Tatsächlich haftet dem Begriff des Qualitätsjournalismus also etwas selbstreferentielles an.

Das wichtigste, das Journalismus jedoch vorrangig leisten muss, lässt sich mit einem Leitspruch von Rudolf Augstein ausdrücken:

Sagen, was ist.

Dies beinhaltet für mich zunächst Genauigkeit und Faktentreue. Es ist immer wieder erschreckend, dass auch oder gerade in den selbsternannten Qualitätsmedien grundlegende Fehler gemacht werden. Angefangen damit, dass Prozent und Prozentpunkte verwechselt werden oder der Unterschied zwischen Eigentum und Besitz augenscheinlich nicht bekannt ist. Gerade bei Themenbereichen in denen ich mich leidlich gut auskenne ärgere ich mich immer wieder über falsche Darstellungen und offensichtliche Fehler. Wie kann und soll ich dann aber diesen Medien bei Themenfeldern trauen, bei denen ich die Richtigkeit der Darstellung nicht beurteilen kann?

Zum anderen ist zu beobachten, dass viele Journalisten nicht mehr sagen was ist, sondern wie es aus ihrer Sicht sein sollte. Natürlich kann, darf und soll Journalismus auch eine Einstellung oder eine wie auch immer geartete Haltung haben und vermitteln – dies darf aber nicht dazu führen, dass Sachverhalte, die nicht in dieses Weltbild passen, unter den Teppich gekehrt oder verfälscht dargestellt werden. Die in vielen amerikanischen Medien viel strikter gelebte Trennung zwischen Nachricht und Meinung sollte Journalisten hierzulande als Vorbild dienen.

Der Qualitätsjournalismus ist in einer Krise. Diese ist jedoch selbstverschuldet und könnte so einfach beendet werden. Die Journalisten müssen es nur wollen.

Meinung: Seenotrettung, die Zeit, Furor und Diskussionskultur

Sommerloch hin oder her – eines der derzeit kontrovers diskutierten Themen sind die privaten, meist durch Spenden finanzierte, Seenotretter im Mittelmeer.

Diese kreuzten vor der nordafrikanischen – speziell der libyschen – Küste, nehmen die in Seenot geratenen Flüchtlinge auf und bringen diese nach Europa. Brachten, muss man sagen, denn inzwischen sind die meisten europäischen Mittelmeer-Anrainer nicht mehr bereit, diese Schiffe aufzunehmen, so dass die Tätigkeit der privaten Seenotretter faktisch zum Erliegen gekommen ist.

Die einen begrüßen dies, da sie die Seenotretter als verlängerten Arm der Schleuser und Schlepper sehen. Die Schlauchboote seien für den Transport sovieler Menschen über das Mittelmeer gar nicht geeignet. Und wenn schon, solle man die Menschen wieder zurück nach Afrika bringen. Das Boot Europa sei voll und könne eine weitere Einwanderung in die Sozialsysteme nicht verkraften. Wären die Rettungsschiffe nicht mehr unterwegs, würden auch keine Schleuserboote mehr ablegen und damit niemand mehr ertrinken. Australien mit seiner NoWay Kampagne habe es vorgemacht. Helfen könne man schließlich vor Ort.

Die anderen halten die Einstellung dieser Fahrten für eine Tragödie, die zu vielen weiteren tausenden Toten auf dem Mittelmeer führen würde. Europa sei eine reiche Region, die durchaus mehr Einwanderung vertragen könne und moralisch verpflichtet sei, jeden aufzunehmen, der an seine Tür klopfe. Das Zurückbringen der Menschen nach Afrika sei zudem rechtlich und tatsächlich nicht möglich. Vor Ort Maßnahmen seien nicht machbar oder wirkungslos.

Ich kann und will mich zu dieser Frage an dieser Stelle nicht äußern, da mir zu wenig Fakten für eine sachlich begründete Antwort vorliegen. Haben es die Boote mit den Flüchtlingen nur darauf angelegt, direkt vor der Küste gerettet zu werden oder wollen sie wirklich die Überfahrt wagen? Hören diese Fahrten auf, wenn auch die Rettungsschiffe nicht unterwegs sind? Ist Australien mit NoWay wirklich so erfolgreich? Wie ist die Situation in Libyen? Sind die Fliehenden politisch verfolgte im Sinne des Asylrechts? Machen sich tatsächlich Familien mit Frauen und Kindern auf den Weg oder nur junge männliche Glücksritter? Wie schnell lassen sich die Menschen integrieren? Bleiben sie nur für kurze Zeit oder für immer? Ist es see- und völkerrechtlich möglich, die Geretteten wieder nach Afrika zu bringen? Je nachdem, wen man fragt, erhält man auf all diese Fragen unterschiedliche Antworten. Und so mag auch die Antwort auf die übergeordnete Ausgangsfrage, ob man die Rettungsschiffe machen lassen solle oder nicht, unterschiedlich ausfallen.

Was ich aber aufzeigen will: Es ist eine Frage, die man diskutieren kann und angesichts der politischen Stimmung in Europa auch diskutieren muss.

Gerade wenn man nicht will, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken oder in libyschen Lager verhungern oder sonst wie zu Tode kommen. Und außer einer – wirklich sehr sehr – kleinen menschenverachtenden Minderheit will dies meiner Wahrnehmung nach niemand. Auch keiner von denen, die sich gegen die Fahrten aussprechen.

„Die Zeit“ hat diese Diskussion nun aufgenommen und unter der Frage „Oder soll man es lassen?“ einen Pro- und einen Contra Beitrag zum Thema veröffentlicht. Und schon drehen Teile der Öffentlichkeit frei. Besonders auf twitter. Die Autorin solle mit heißem Kaffee übergossen werden. Ob man Zeit-Journalisten erschießen dürfe? Wie man überhaupt diese Frage stellen könne.

Ich will nicht, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der man kontroverse politische oder andere Fragen nicht mehr diskutieren kann. Und ich will in einer Gesellschaft leben, in der es eine von gegenseitigem Respekt geprägte Diskussionskultur gibt.

Auch wenn man anderer Ansicht ist.

Zum Thema Diskussionskultur und Social Media möchte ich noch diesen Beitrag anheim legen.

#severinpolitquiz: Als Angela Merkel von Flüchtlingsbekämpfung sprach

2009 wäre „Flüchtlingsbekämpfung“ fast das Unwort des Jahres geworden. Ich war recht verwundert als ich erfuhr, wer es gesagt hat und startete daher eine kleine Quiz-Umfrage auf twitter dazu. Als Auswahlmöglichkeiten gab es:

  • Edmund Stoiber
  • Frank Walter Steinmeier
  • Angela Merkel
  • Udo Pastörs

Geantwortet werden sollte natürlich, ohne es vorher gegoogelt zu haben.

Die meisten Stimmen fielen erwartungsgemäß auf Edmund Stoiber (36%), treibt doch die CSU Angela Merkel in der Flüchtlingspolitik vor sich her. Und sogar Frank Walter Steinmeier, damals SPD Kanzlerkandidat, hatten mit 24% einige auf dem Schirm. Dass NPD Politiker Udo Pastörs nur 11% der Stimmen bekam, schiebe ich einmal darauf, dass ihn nur relativ wenige kennen.

Tatsächlich gesagt hat es aber Angela Merkel, immerhin 29% hatten darauf getippt. Sie sprach auf einer Veranstaltung der Bertelsmann Stiftung wortwörtlich von „Flüchtlingsbekämpfung“ und später auch davon, dass man vor Malta „die Flüchtlinge bekämpfen“ müsse. Und was heute zu einem Aufschrei führen würde, wurde seinerzeit von „Die Zeit“ vergleichsweise moderat kommentiert.

Wer nachlesen möchte, wie Merkel 2015 dann von der Flüchtlingsbekämpferin zur Kanzlerin der Willkomenskultur wurde, kann dies in Robin Alexanders Buch „Die Getriebenen“ nachlesen.

Die Zeit, Blogs und journalistische Standards

Oh je, geschätzte ZEIT ONLINE.

Es ist schon schwierig, die Unterscheidung zwischen Blog-Schreibern hier und Journalisten dort. Und es ist auch nicht leicht, immer die richtigen Worte zu finden, wenn jemand auf einen Missstand aufmerksam macht.

Teil 1
Freitagabend will ich auf einen Blog-Beitrag der Zeit mit einem Kommentar antworten. Der Text wird nicht veröffentlicht – wird offenbar noch geprüft, kennt man.
Am nächsten Morgen finde ich andere Kommentare veröffentlicht, aber nicht meinen. Nanu. Ich schreibe die Zeit per Email an, ein technisches Problem?
Am Montagmorgen (also drei Tage später) finde ich meinen Kommentar zwischen zahlreichen anderen wieder.

Teil 2:
11 Tage später eine Antwort der „Community-Redaktion“ der Zeit:
„Da bei den Blogs die Autoren i. d. R. selbstständig für die Moderation der Kommentare verantwortlich sind und Letztere dort erst nach Sichtung veröffentlicht werden, kann es u.U. einige Zeit dauern, bis Ihr Kommentar öffentlich angezeigt wird.“

Teil 3:
Meine Antwort:
„Das bedeutet: Wenn ich am Abend einen Kommentar schreibe, dieser auch am nächsten Morgen nicht zu sehen ist, aber dafür andere Kommentare – dann hält die Autorin meine Kommentare bewusst zurück?
Es ist also auch zeitlich von den Arbeits- und Lebensgewohnheiten eines Autors abhängig, ob und wann ein Kommentar veröffentlicht wird? Es gibt keine Redaktion, die das zu festgelegten Zeiten prüft?
Und: Es kann also sein, dass ein Autor (kritische) Kommentare nicht veröffentlicht, ohne dass Sie das als Redaktion überhaupt feststellen?“

Teil 4:
Antwort der „Community-Redaktion“:
„Bitte beachten Sie, dass sich die beschriebene Praxis nur auf Blog-Beiträge bezieht, nicht jedoch auf alle anderen Artikel von ZEIT ONLINE – hier gehen Ihre Kommentare nämlich sofort online und werden auch rund um die Uhr von unserem Moderationsteam geprüft.“

Heißt also: Die Redaktion der Zeit widerspricht meiner Darstellung nicht. Interessant. Wohlgemerkt: Die Bloggerin bezeichnet sich explizit als Journalistin.

Merke: Sobald Blog drüber steht, gelten keine journalistischen Kriterien und Wertvorstellungen mehr – auch nicht bei der ZEIT.

Dieser Text stammt von Michael Ziegert, Gründer von entia und wurde ursprünglich auf Facebook veröffentlicht.

Auch Sie wollen hier mitschreiben? Hier alle Infos für Gastautoren.

Meinung: Zu G8 (und wider den Gymnasialwahn)

Dieser Beitrag stammt aus dem Jahr 2013 – ist aber auch 2020 noch in vielen Punkten aktuell, auch wenn G8 in vielen Bundesländern inzwischen wieder abgeschafft wurde.

Jedes Jahr, wenn die Sextaner und deren Eltern die ersten zwei bis drei Monate Erfahrungen mit dem Gymnasium gemacht haben, verbreitet sich neuerdings auf twitter und facebook ein Brief von Henning Sußebach an seine Tochter, der bereits 2011 in der Zeit veröffentlicht wurde. Er versucht ihr darin zu erklären, warum sie kaum noch Freizeit hat, sondern intensivst für die Schule lernen muss.

Unbestritten sind durch die Änderungen, die die Verkürzung der Gymnasialzeit auf 8 Jahre mit sich brachte, die Anforderungen an die Schüler gerade in den unteren Jahrgängen deutlich gestiegen, was bei vielen zu Lasten der Freizeit geht. Ja, das ist schade.

Das grundlegende Problem ist jedoch, dass in vielen Regionen das Gymnasium schon fast zur „Gesamtschule“ verkommen ist. Das mag man nun auf den ersten Blick für begrüßenswert halten, da so doch mehr Kindern der Zugang zum Studium eröffnet wird. Ja, das ist schön – doch mit fatalen Folgen. Ich habe mich in letzter Zeit mit einigen Hochschullehrern aus NRW unterhalten, die durch die Bank der Einschätzung waren, dass ein größerer Prozentsatz der G9 Erstsemester den Anforderungen eines Hochschulstudiums erst gar nicht gewachsen ist. Konnte früher durch anspruchsvolle Klausuren „ausgesiebt“ werden, so sei inzwischen politisch gewollt „jeden durchzubringen“, so der Direktor eines Instituts. „Dabei sollten viele besser eine ordentliche Lehre machen.“

Hier kommt ein weiteres grundlegendes Problem dazu: in bestimmten Milieus gehört es inzwischen „zum guten Ton“, dass der eigene Nachwuchs Abitur machen muss, koste es was es wolle – nicht nur Geld, sondern eben auch Freizeit. „Realschule? Gott bewahre!“. Dabei hätte die Realschule ein ganz andere Wahrnehmung verdient – sie ist immer noch eine Schule, die für spätere Berufe wie Krankenschwester, Bankkaufmann, Handwerksmeister oder Steuerberaterin qualifizieren soll. Dass sie das in der Praxis teilweise nicht mehr leisten kann, liegt wiederum im Gymnasialwahn der Eltern begründet.

G8 kann mithin ein Mittel sein, diese Fehler im System zu korrigieren und für Gymnasien zu sorgen, die diesen Namen auch wirklich verdienen, wodurch auch gleichzeitig andere Schulformen wie Realschule und Gesamtschule gestärkt werden. In Bayern sind zu G9 Zeiten rund 20 Prozent der Gymnasiasten nicht zum Abitur gelangt, jetzt sind es laut Sußebach 32%. Für viele von ihnen wäre es besser gewesen, gleich auf die passende Schule zu kommen.

Nicht bestreiten möchte ich, dass die derzeitige Art und Weise der G8 Umsetzung nicht immer optimal ist und die Komprimierung auch nachteilige Folgen haben kann. Oft verkommt Lernen zu reinem „Büffeln“ ohne echten Erkenntnisgewinn, wodurch sich Senecas oft verdrehtes Schulzitat bestätigt. Dass es aber trotz G8 auch anders geht, beweisen jeden Tag viele engagierte Lehrer und Schulen – und gerade diesen und ihren Schülern würde ich gerne mehr Zeit am Gymnasium gönnen.

Letztlich ist daher ein Umbau des Schulsystems auf lange Sicht unumgänglich. Mit starken Gymnasien, die auf eine anspruchsvolle und erfolgreiche Hochschulausbildung vorbereiten. Dazu Realschulen, die diesen Namen verdienen und anerkannt sind. Vielleicht auch Gesamtschulen, an denen ein „kleines Abitur“ für ein Studium an einer Fachhochschule qualifiziert- ich möchte hier keinen Systemstreit führen. Wenn dann dieser Umbau abgeschlossen ist und ein Umdenken stattgefunden hat, ist auch wieder mehr Zeit am Gymnasium. Bis es soweit ist, bleibt vorerst (leider) nur G8.

Es gäbe noch viel zu schreiben, doch ich muss jetzt meiner Tochter den Ablativ erklären. Sie verstehen.