Meinung: Riexinger und die Erste Klasse im Regionalverkehr

„Die Linke“, das Sommerloch und die Bahn bringen ja immer die verrücktesten Debatten mit sich. Und wenn erst mal alle drei zusammenkommen…

Aber von Anfang an: Bernd Riexinger, Chef von „Die Linke“ will die 1. Klasse im Regionalverkehr der Bahn abschaffen, um so mehr Sitzplätze in den bestehenden Zügen zu schaffen, wie mehrere Medien berichten: es sei doch ein Irrsin, dass fast leere 1. Klasse Waggons durch die deutschen Lande gezogen würden.

Für Verwirrung sorgt dann zunächst der offizielle twitter Account der Deutsche Bahn AG, der behauptet, dass es gar keine reinen 1. Klasse Waggons mehr gebe. Falsch, liebes twitter Team der Bahn, die gibt es durchaus noch, sie sind teilweise am durchgehenden gelben Streifen erkennbar (so, jetzt haben Sie wieder was gelernt), siehe Bild oben. Und ich selbst bin vor einigen Tagen noch in so einem Wagen mitgefahren. Doch dies nur am Rande.

Die Forderung Riexingers halte ich dennoch für Blödsinn.

Zum einen ist manchen Fahrgästen die erste Klasse durchaus wichtig. Sie bietet zwar nicht unbedingt viel mehr Komfort, aber mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit einen freien Sitzplatz, nicht ganz unwichtig, wenn man z.B. im Zug arbeiten will. Würde man die erste Klasse abschaffen, würde man den ein oder anderen Fahrgast wieder auf die Straße schicken.

Zum anderen: Ist ein Nahverkehrszug völlig überfüllt und die Fahrgäste treten sich auf die Füße, wird die 1. Klasse oftmals für alle freigegeben, die Kapazitäten werden also durchaus genutzt.

Über eine Abschaffung der ersten Klasse könnte man allenfalls nachdenken, wenn es im Regionalverkehr längere Züge sowie eine dichtere Taktung und mithin keine Kapazitätsprobleme mehr und für jeden einen Sitzplatz gibt. Bis dahin ist aber noch viel zu tun.

Sinnvoller könnte es als Sofortmaßnahme sein, im Einzelfall wenig ausgelastete Fernverkehrszüge auf einzelnen Streckenabschnitten auch für regionale Tickets zuzulassen – oder auf diesen wieder eine „Dritte Klasse“ einzuführen: einfach gehaltene Wagen, die mit Nahverkehrsfahrkarten genutzt werden können, was ich sogar schon einmal vorgeschlagen habe.

Also lieber Bernd Riexinger – nicht den Klassenkämpfer spielen, sondern sich den wirklichen Problemen widmen.

 

Meinung: Boris Palmer und die Bahn

Worum geht es eigentlich bei Palmer vs. Bahn?

(Hinweis: Wer die ganze Vorgeschichte kennt, kann direkt ein bißchen nach unten scrollen…)

Ruft man die Webseite der Deutsche Bahn AG auf, sieht man obiges Bild. Boris Palmer – Grüner Oberbürgermeister von Tübingen – schrieb dazu auf facebook:

Der shitstorm wird nicht vermeidbar sein. Und dennoch: Ich finde es nicht nachvollziehbar, nach welchen Kriterien die „Deutsche Bahn“ die Personen auf dieser Eingangsseite ausgewählt hat. Welche Gesellschaft soll das abbilden?

PS: Eine Stunde später tobt der Shitstorm. Wie vorhergesehen. Alle, die mich jetzt fragen, warum ich dieses Thema aufgreife, frage ich zurück: Wenn die Auswahl dieser Bilder vollkommen belanglos, normal, unbedeutend ist, warum regt ihr euch dann so auf?

Was wir hier diskutieren, ist Identitätspolitik. Und zwar von Recht wie Links. Die einen sagen, man wisse nicht mehr, in welchem Land man lebt, die anderen bekämpfen alte weiße Männer. Und gemeinsam haben die Identitätspolitiker es ziemlich weit damit gebracht, uns zu spalten.

PPS: Nach vier Stunden sind es 1500 Kommentare. Schlicht zu viele. Ich werde das nicht lesen oder antworten.

Die Pressestelle der Bahn antwortete auf twitter:

Herr #Palmer hat offenbar Probleme mit einer offenen und bunten Gesellschaft. Solch eine Haltung lehnen wir ab. Nico Rosberg, Nazan Eckes und Nelson Müller sind positive und repräsentative Identifikationsfiguren. Die DB freut sich, mit ihnen zusammenzuarbeiten.

Worauf Palmer schrieb:

Liebe Deutsche Bahn AG,

danke für deine Antwort auf Twitter. Leider beginnt diese jedoch mit einer Unterstellung. Ich habe kein Problem mit einer offenen und bunten Gesellschaft. In meiner Aussage, dass ich die Kriterien der Bildauswahl nicht verstehe, steckt auch keine Haltung, die es zu bekämpfen gilt.

Für mich als Betrachter sind diese fünf Bilder von Personen, die ich nicht kenne, in der Auswahl erklärungsbedürftig. Nur eine der fünf Personen scheint keinen Migrationshintergrund zu haben. Das ist ungewöhnlich und ich würde gerne die Absicht dahinter verstehen.

Wenn die Bahn aktuell eine offiziell erklärte Kampagne für Toleranz, Migration und Vielfalt durchführt, ist die Auswahl nachvollziehbar. Dann hat die Bahn entschieden, ein bestimmtes Gesellschaftsbild zu propagieren. Das kann sie tun, aber eine gesellschaftliche Debatte darüber sollte dann auch fair geführt werden.

Wenn die Bilder nicht im Zusammenhang mit einer Kampagne stehen – ich habe leider keinen entsprechenden Hinweis gefunden, vielleicht geben Sie mir den noch? – frage ich mich einfach, warum Menschen ohne erkennbaren Migrationshintergrund auf der Seite der Deutschen Bahn nur noch als Minderheit dargestellt werden.

Es gibt ihm Rahmen der Debatte über Identitätspolitik und alte weiße Männer die These, man müsse denen, die bisher nicht aufgrund ihrer Identität diskriminiert wurden, eine eigene Diskriminierungserfahrung zuteil werden lassen, um sie sensibler für Diskriminierung zu machen. So könnte man es deuten, wenn alte weiße Männer in der Bildauswahl der Deutschen Bahn nicht mehr vorkommen.

Für meine Begriffe ist das präzise die Trennlinie zwischen Antidiskriminierungspolitik, die von den meisten Menschen in Deutschland vollständig unterstützt wird, auch von mir, und einer neuen Form der Spaltung der Gesellschaft anhand von Merkmalen, für die niemand etwas kann, diesmal aber unter der Fahne der Antidiskriminierung. Benachteiligungen abbauen, ist immer und überall richtig. Neue Benachteiligungen für andere als Ausgleich für bestehende Benachteiligungen aufbauen, das ist nicht zielführend.
Und sollte diese Form der Identitätspolitik der Sinn Ihrer Bildauswahl gewesen sein, dann stört mich keines der Bilder, aber der Gedanke hinter der Auswahl.

Zur Vertiefung der Diskussion empfehle ich Texte von Sandra Kostner oder Bernd Stegmann.

Soweit der wesentliche Stand – und dass der Hashtag #Palmer auf twitter am Morgen des 24. April 2019 der beliebteste ist, ist nicht verwunderlich. Ebenso wenig verwunderlich dürfte sein, dass Palmer hier von den einen üblichen Verdächtigen Rassismus vorgeworfen wird, von den anderen üblichen ebenso verdächtigen wird vom großen Austausch fantasiert, den die Bahn hier werblich begleiten will.

Ein kurze Recherche auf den Seiten der Bahn führt übrigens schnell dazu, dass die Fotos zu der neuen Kampagne „Diese Zeit gehört Dir“ der Bahn gehören. Und deren Gesichter sind Nazan Eckes, Nelson Müller sowie Nico Rosberg – die ich auf den obigen Bildern übrigens ohne den Hintergrund zu kennen, nicht erkannt hätte. Der zugehörige Song „We are“ kommt von der Sängerin Hanna Batka, die allerdings nicht abgebildet ist. Das sei nur zur Abrundung des Bildes angemerkt.

Die übliche Schwarz-Weiß-Malerei

Leider haben wir es hier in der Diskussion wieder mit der üblichen Schwarz/Weiß-Malerei zu tun.

Tatsächlich hat Boris Palmer – anders als ihm von der Pressestelle der Bahn unterstellt – nie behauptet, eine offene und bunte Gesellschaft abzulehnen.

Er hat nur gefragt, nach welchen Kriterien die Bildauswahl erfolgte.

Diese Frage halte ich für durchaus berechtigt, hat sich doch die deutsche Bahn dabei ganz bewusst gegen die Darstellung einer bunten und offenen Gesellschaft entschieden. Lediglich eine von sechs abgebildeten Personen auf fünf Fotos sieht auf den ersten Blick nicht nach Migrationshintergrund aus. Und wenn man diese dann als Nico Rosberg erkennt, stellt sich diese als halber Finne heraus. Letztlich ist kein normaler Deutscher auf dem Bild zu sehen.

Soweit so gut. Oder auch nicht.

Denn den normalen Deutschen an sich gibt es nicht. Der normale Deutsche kann reinen oder teilweise griechischen, türkischen, syrischen oder italienischen Hintergrund haben. Man kann ihm seinen Migrationshintergrund ansehen oder wie bei Nico Rosberg und mir – als halber Pole und Österreicher – eben nicht. Deutschland ist dabei, ganz schön bunt zu werden. Aber zu bunt gehört eben auch – und das auch noch überwiegend – weiß. Genau so falsch wäre es im übrigen auch, auf den Bildern nur die inzwischen viel genannten „alten weißen Männer“ zu zeigen.

Die Agentur hinter der Kampagne – Ogilvy – und die DB AG wollten sicher zeigen, wie modern, offen und tolerant sie doch sind, dass sie (fast) nur Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund abbilden.

Bewirkt wird dadurch aber bei vielen der weißen Mehrheitsgesellschaft genau das Gegenteil. Sie finden sich in der Kampagne nicht wieder, fühlen sich ausgeschlossen. Man kann das kritisch sehen, aber es ist eben so und eine menschlische Reaktion.

Und die entstandene Diskussion zeigt auch, dass die Bahn mit der sicher positiv gemeinten Kampagne Öl ins Feuer der gesellschaftlichen Diskussion über Migration gegossen hat.

Boris Palmer hat das angesprochen. Ein Rassist ist er deswegen noch lange nicht.

Und noch eine Anmerkung zum Schluss: Als nahezu täglicher Bahnfahrer fände ich es besser, die Bahn würde Geld in Infrastruktur und Service statt in Werbung investieren.

Nachtrag

Boris Palmer hat am 24. April 2019 weiter auf die Kritik reagiert. Auch dies möchte ich gerne dokumentieren:

Rassismus andersherum
Nehmen wir einfach mal an, die Deutsche Bahn würde auf der Startseite fünf Bilder mit sechs Menschen zeigen, die allesamt weiß und in der Mehrheit männlich wären. Würde es dann nicht ganz automatisch eine Diskussion über Rassismus und Machos bei der Bahn geben? Etwa so:
„Haben die alten weißen Männer im Vorstand der Bahn immer noch nicht begriffen, dass wir ein buntes Land sind, in dem Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund dazu gehören?“
Wenn die Bahn dann antworten würden, man sei stolz darauf, drei Prominente als Werbepartner gewonnen zu haben, nämlich Vincent Klink, Markus Lanz und Sebastian Vettel, der einer sei ja Italiener und der andere fahre für einen italienischen Rennstal, wären dann alle mit der Erklärung einverstanden und würde Michel Kellner sagen: „Wir streiten lieber für pünktliche Züge und billigere Tickts. Wer in den Zug steigt, ist uns herzlich egal.“
Ganz sicher nicht. Es ist also heute geradezu eine Pflicht für jedes relevante Unternehmen, Gender und Diversity bei der Auswahl von Bildmotiven in der Werbung zu beachten. Wer darüber nicht nachdenkt, und einfach mal weiße Männer in die Werbung stellt, hat ein Problem.
Zwischenfazit: Es ist nicht rassistisch, die Frage nach der Hautfarbe zu beachten, sondern ein geforderter Standard.
Ich habe übrigens die Themen Herkunft und Hautfarbe gar nicht angesprochen. Das waren meine empörten Kritiker. Sie waren sich aufgrund der Bilder so sicher, dass es darum gehen muss, dass Sie danach gar nicht gefragt haben. Race und Gender hat die Linke in die Debatte eingeführt.
Nun hat die Deutsche Bahn auf ihrer Startseite soweit ich das den Erklärungen entnehmen und auf den Bildern erkennen kann, sechs Menschen (fünf Erwachsene und ein Kind) abgebildet, die nach dem Kriterium „Diversity“ allesamt nicht der Kategorie „Deutscher ohne Migrationshintergrund“ entsprechen. Das gilt für die drei Prominenten – sorry, ich habe keinen erkannt – nach der Darstellung der Bahn. Für die anderen zwei Bilder sieht es so aus. So wie man alte weiße Männer erkennt, sieht man halt auch, wenn jemand kein alter weißer Mann ist.
Sechs Bilder von Personen, die einen Migrationshintergrund haben, sind so wenig ein Abbild unserer Gesellschaft wie sechs Bilder von alten weißen Männern. So wie eine Frau oder ein Mensch dunkler Hautfarbe den Eindruck gewinnen kann, er gehöre nicht zu unserer Gesellschaft, wenn nur alte weiße Männer für die Bahn werben, so kann man auch als Angehöriger der Mehrheit der Deutschen ohne Migrationshintergrund – offiziell 60% – den Eindruck bekommen, dass man selbst bei der Auswahl der Bilder nicht mehr angesprochen werden soll.
Anders gesagt: Wenn zwei oder drei von sechs Personen ganz bewusst Menschen sind, deren Anblick einen Migrationshintergrund vermuten lässt, dann handelt es sich um Diversity. Wenn aber gar kein Mensch ohne Migrationshintergrund mehr vorkommt, sollte man zumindest mal in Ruhe darüber diskutieren, ob das angemessen und beabsichtigt ist. Im Rahmen einer Kampagne für Respekt und Toleranz in öffentlichen Verkehrsmitteln würde ich das bejahen. Ohne einen solchen Kontext finde ich es befremdlich.
Die linke Identitätspolitik wendet hier ein, es bestehe ein fundamentaler Unterschied zwischen den alten weißen Männern und allen anderen. Die einen würden aufgrund ihrer Identität privilegiert, die anderen diskriminiert. Daher müssten die einen es hinnehmen, auch mal unberücksichtigt zu bleiben, die anderen aber könnten sich dagegen immer zu recht wehren.
Diese These halte ich aus zwei Gründen für grundfalsch.
Erstens ignoriert sie, dass es vielfältige Ursachen von Diskriminierung gibt. Identität ist nur eine. Identitätspolitik blendet sehr viel existenziellere Konflikte und Probleme wie Armut und Krankheit aus. Man kann auch als alter weißer Mann in unserer Gesellschaft ein ausgegrenztes armes Schwein sein, halt nur nicht wegen der Identität.
Zweitens treibt die These, Diskriminierte verdienten sich eine Privilegierung und Privilegierte müssten Diskriminierung aushalten einen Keil in die Gesellschaft. Menschen sind sehr sensibel für Benachteiligungen, die sie als grundlos ansehen. Francis Fukuyama hat darüber einen sehr lesenswerten Aufsatz im Spiegel veröffentlicht. Er erklärt Trump als Ergebnis von 30 Jahren linker Identitätspolitik in den USA, die als Reaktion eine rechte Identitätspolitik hervorgebracht. Wer Menschen aufgrund ihrer Identität diskriminiert oder benachteiligt, der verursacht Gegenwehr. Genau das ist das Phänomen des wütenden weißen Mannes.
Also, liebe Freunde von Vielfalt, Toleranz und Offenheit, denkt mal drüber nach, ob die tausenden von empörten, herabwürdigenden und niederträchtigen Kommentare, die ihr in den letzten 24h über mich geschrieben habt, wirklich dazu beitragen, die Gesellschaft so zu formen, wie ihr sie gerne sehen wollt. Ich fürchte, das Gegenteil ist der Fall.

Hilfe, ich kann meine BahnCard nicht rechtzeitig bezahlen!

Wir erwarten Ihren Zahlungseingang spätestens zum 30.12.1899.

Der alljährliche Wahnsinn im Bahnverkehr

bahn-verspaetung-fahrplanumstellung

Jedes Jahr im Dezember ist es wieder so weit: Mitte des Monats wird der Bahnfahrplan umgestellt. Geänderte Abfahrtszeiten, neue Züge, neue Strecken und oft auch ganz neue Anbieter.

Dass es da Probleme gibt, ist klar: So verlief der Start von National Express im NRW Regionalverkehr alles andere als rund. Ich erinnere mich nicht gerne an eine Fahrt in einem total überfüllten RB48 mit 50 Minuten Verspätung. Im neuen Jahr lief dann wieder alles wie gewohnt.

Was ich mich aber frage – warum findet der Fahrplanwechsel ausgerechnet im Dezember statt? Zu dieser Zeit sind die Züge ohnehin überfüllt, es liegt überraschend Schnee auf den Schienen und die Weichen sind eingefroren. Mal ehrlich – einen ungünstigeren Zeitpunkt für die Umstellung gibt es eigentlich kaum. Warum legt man sie nicht auf Anfang Januar, wenn viele noch Urlaub haben und kein Vorweihnachtsstress mehr ist?

Ich bei der Pressstelle der DB nach einem Grund gefragt und ein Bahnsprecher hat tatsächlich geantwortet:

Dass der Fahrplanwechsel im Dezember stattfindet, basiert auf einer Vereinbarung der europäischen Bahnen, die entsprechend alle zum selben Termin den Fahrplan umstellen.

Nun, eine echte Begründung ist das nicht – schließlich wird es die gleichen Probleme auch in anderen europäischen Ländern geben.

Ändern wird sich aber wohl nichts – zu viele verschiedene Dinge müssten koordiniert werden.

Und so werden wir auch in den nächsten Jahren über Verspätungen zum Fahrplanwechsel schimpfen.