Dokumentiert: § 6 BVerfGG – Richterwahl

Gesetz über das Bundesverfassungsgericht (Bundesverfassungsgerichtsgesetz – BVerfGG)
§ 6 – Richterwahl

(1) Die vom Bundestag zu berufenden Richter werden auf Vorschlag des Wahlausschusses nach Absatz 2 ohne Aussprache mit verdeckten Stimmzetteln gewählt. Zum Richter ist gewählt, wer eine Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, mindestens die Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Bundestages auf sich vereinigt.

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Meinung: Zur Verfassungsmäßigkeit einer möglichen Corona Impfpflicht

Dieser Beitrag stammt aus dem April 2021. Die Sachlage damals rechtfertigte mE klar eine Impfpflicht. Derzeit – Stand März 2022 ist dies nicht der Fall. Dazu unten im Fazit mehr.

Im Zusammenhang mit möglichen Sonderrechten für gegen Corona geimpfte Personen ergeben sich derzeit sich immer wieder Diskussion zu einer theoretisch möglichen Impfpflicht gegen das Virus, in deren Rahmen auch die Verfassungsmäßigkeit diskutiert und teilweise verneint wird.

Hier daher ein paar Gedanken zur Rechtslage bei Impfpflichten im allgemeinen und einer Corona Impfpflicht im Besonderen. „Meinung: Zur Verfassungsmäßigkeit einer möglichen Corona Impfpflicht“ weiterlesen

Gastbeitrag: Demokratisch-Liberal, Illoyal, Egal – Freiheit und Verfassungstreue nur unter besonderen Umständen.

Gastbeitrag von Manaf Hassan

Der Mietendeckel in Berlin wurde gekippt. CDU und FDP reichten Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein. Der umstrittene Berliner Mietendeckel verstoße laut BVerfG gegen das Grundgesetz und sei daher nichtig. Begründung: Nach Auffassung der Verfassungsrichter hatte das Land Berlin keine Gesetzgebungskompetenz für eigene Regelungen zur Miethöhe, weil der Bund insoweit abschließend von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht habe.

Im Umkehrschluss heißt das nicht – das muss man ehrlich sagen – dass er auf Bundesebene für verfassungsmäßig erklärt werden würde, so wie Grüne und SPD das Urteil nun für Wahlwerbung für die Bundestagswahl 2021 versuchen zu missbrauchen. Denn die Prüfung des Mietendeckels endete bei der Zuständigkeit. Wie es danach weitergegangen wäre, wissen wir nicht.

Ich selbst sehe den Mietendeckel deutlich zwiegespaltener als die Sozialismus vs Kapitalismus-Fraktionen. Die leeren ideologischen Floskeln kann man sich sparen. Sie sind fernab von der Realität, die Bürger dieses Landes mittlerweile durchleben müssen. Es ist doch so, dass man es in Berlin – als Mittelstandsbürger – wirklich sehr schwer hat. Niedrige Löhne, immer höhere Mieten und Wohnungsmangel. Ich mag kein schwarz oder weiß. Die Wahrheit und die Lösungen liegen wie so oft in der Mitte.

Man hätte den Mietendeckel für große Immobilienunternehmen und -Mogule wirklich mal so anpassen können, dass Menschen es wieder deutlich leichter haben, über die Runden zu kommen. Berlin ist seit Jahren im Wachstum. Menschen aus aller Welt, aber auch aus anderen deutschen Städten, strömen nach Berlin. Die Stadt platzt aus allen Nähten. Hohe Mieten sind für neu-zugezogene Menschen oftmals kein Problem, weil sie bspw. in Stuttgart oder in München deutlich mehr verdienen als die Ur-Berliner in Berlin und mit ihrem Umzug sich nicht sonderlich viel ändert. Wenn, dann zum Besseren. Der Berliner wird nach außen gedrängt. Fast schon nach Brandenburg. Gentrifizierung. „Der Markt regelt“ ist Blödsinn. Denn er regelt in diesem Sinne nichts. Er macht die Reichen nur Reicher. Und ärmere bzw. arme Menschen müssen weichen. Warum sollte ein Berliner kein Recht darauf haben in seiner Geburtsstadt aufzuwachsen. Über soziale Mobilität – vom Tellerwäscher zum Millionär – brauchen wir in Deutschland nicht sprechen. Der Aufstieg ist Utopie. Das belegen die Zahlen und Fakten. Die Politiker der CDU und FDP haben damit nur bewiesen, dass sie sich nicht für das Wohl ihrer Bürger einsetzen. Sondern für Lobbyismus und Korruption. Und das ist nun wirklich nichts Neues in diesem Land.

Ich bin aber natürlich auch ein Freund der Freiheit. In diesem Falle Eigentumsfreiheit.

Die Lösung sollte also aus meiner Sicht sein, dass ein angemessener und vorläufiger Mietendeckel eingesetzt wird. Niemand wird dadurch verhungern müssen. Weder Mieter. Schon gar nicht Vermieter. Und unabhängig davon sollte dieser Mietendeckel, wie bereits erwähnt, eher große Immobilienunternehmen und -Mogule treffen, nicht Personen, die ein oder zwei Häuser und/oder Wohnungen vermieten. Die Vorläufigkeit dieses Mietendeckels sollte mit einer angemessenen Frist behaftet sein, bis neue Wohnungen gebaut werden können. Sollte dies nicht passieren, wird der Mietendeckel eben wieder eingepackt. Und dann kann man sagen „der Markt regelt“. Sollte der Markt dann immer noch nicht regeln, also nach dem Bau vieler neuer Wohnungen, dann wäre ich für einen einheitlichen Mietendeckel, auf den sich alle einigen. Mit weiterer Unterscheidung von einzelnen Personen und großen Immobilienunternehmen und -Mogulen.

Das wäre nur fair. Nicht nur für Berlin. Sondern für ganz Deutschland. Dieses Problem gibt es nämlich nicht nur in Berlin. Argumente wie „dann zieh in eine andere Stadt oder auf das Land“ sind naive bzw. ignorante Gedanken, die ich nicht ernst nehmen kann.

Was ich aber sehr amüsant finde, ist die Tatsache, wie FDP und CDU sich verhalten, wenn es um Geld, Lobbyismus bzw. Korruption geht. Wenn es um den Mietendeckel geht, ist Verfassungsmäßigkeit ganz wichtig und wird ganz groß geschrieben. Wenn es aber um unsere Grundrechte während der Corona-Krise geht, dann sind die Grenzen dehnbar und Gerichte umgehbar. Grundrechte werden dann gerne als Privilegien verkauft.

Unabhängig davon hat Merkel mit Harbarth ihren Mann als Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts.

Christian Lindner ist auch das beste Beispiel, wie begrenzt und populistisch einige Liberale ihren Liberalismus verkaufen. Er werde nach Karlsruhe gehen, wenn Ausgangssperren sich durchsetzen. So als wären nicht noch viele andere Dinge seit einem Jahr zu hinterfragen gewesen. Gleichzeitig sprach er sich aber schon mehrfach dafür aus, Geimpften ihre Grundrechte zurückzugeben. Zweiklassengesellschaft. Leute, die sich nicht impfen lassen wollen, sollen also keine Grundrechte haben dürfen. Ist das der Liberalismus den alle feiern ? Mein Grundgedanke von Liberalismus sieht anders aus. Vielleicht sollte Lindner weniger Populismus machen und mehr Liberalismus wagen.

Von der CDU brauchen wir hier gar nicht reden. Diese Partei regierte dieses Land Jahrzehnte. Merkel hat dieses Land während der Pandemie auf den Kopf gestellt. Sie setzt sich ständig über die Demokratie des Landes. Auch jetzt, bei der Durchsetzung ihres Infektionsschutzgesetzes, das kein Zustimmungsgesetz werden soll. Obwohl es sich hier um krasseste Einschränkungen handelt, will sie den Bundesrat außen vor lassen. Weil sie weiß, sie hätte die Mehrheit nicht hinter sich.

Die Menschen, die sich ständig nur an ihre Parteien und Ideologien klammern, wie peinliche Fans, ohne ihren Kopf eigenständig zu nutzen, sollten sich vielleicht mal mehr mit all diesen Themen beschäftigen und Unterschiede und Gemeinsamkeiten sehen. Dann würde es unserem Land deutlich besser gehen.

Aber hey, Hauptsache der Mietendeckel ist verfassungswidrig, nicht wahr ?

M.H.

Der Journalist, Autor, Publizist und angehende Jurist Manaf Hassan kommt aus Berlin. Der Deutsch-Syrer ist u.a. auf twitter aktiv.

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Dokumentiert: Beschluss des 2. Senats des BVerfG vom 25. Juli 1960 (2 BvA 1/56)

Beschluss
des Zweiten Senats vom 25. Juli 1960 gemäß § 37 BVerfGG
— 2 BvA 1/56 —

Gründe:
Die Bundesregierung hat am 28. April 1952 beim Bundesverfassungsgericht beantragt, dem Antragsgegner gemäß Art. 18 GG die Grundrechte der Freiheit der Meinungsäußerung sowie der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit auf eine vom Gericht festzusetzende Dauer zu entziehen, ihm auch für diese Zeit das aktive und passive Wahlrecht und die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter abzuerkennen. Die Anträge waren damit begründet, der Antragsgegner habe als zweiter Vorsitzender der Sozialistischen Reichspartei in den Jahren 1950 und 1951 die genannten Grundrechte zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung in zahlreichen öffentlichen Propagandareden mißbraucht. Der Antragsgegner hat die Berechtigung der Anträge in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht bestritten.

Durch Urteile des Landgerichts Verden vom 25. Mai 1951 und des Landgerichts Braunschweig vom 15. März 1952 ist der Antragsgegner wegen Äußerungen, die er in jenen Reden gemacht hatte, zu einer Gesamtstrafe von fünf Monaten Gefängnis verurteilt worden, die er zum größten Teil verbüßt hat. Durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Oktober 1952 (BVerfGE 2, 1 ff.) ist die Sozialistische Reichspartei für verfassungswidrigBVerfGE 11, 282 (282) BVerfGE 11, 282 (283)erklärt und aufgelöst sowie die Bildung von Ersatzorganisationen verboten worden.

Seit dem Eingang der Anträge der Bundesregierung sind keine Tatsachen bekannt geworden, aus denen sich eine Fortsetzung der staatsfeindlichen politischen Betätigung des Antragsgegners ergibt; insbesondere hat die Bundesregierung weder auf die Verteidigungsschriften des Antragsgegners sich geäußert, noch hat sie auf Anfragen des Gerichts neue Tatsachen vorgetragen.

Wohl aber hat der Bundesdisziplinarhof in dem Urteil vom 17. März 1959 (II D 81/57), durch das er dem Antragsgegner wegen des dem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zugrunde liegenden Sachverhalts die Rechte aus dem Gesetz zu Art. 131 GG aberkannt hat, festgestellt, daß dieser sich nach der Auflösung seiner Partei aus dem politischen Leben völlig zurückgezogen hat.

Unter diesen Umständen sind die Anträge der Bundesregierung zur Zeit nicht hinreichend begründet und daher nach § 37 BVerfGG zurückzuweisen.

Sollte der Antragsgegner die Grundrechte künftig zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbrauchen, so kann in einem neuen Verfahren nach Art. 18 GG auch auf die Vorgänge zurückgegriffen werden, die dem gegenwärtigen Verfahren zugrunde liegen.BVerfGE 11, 282 (283)

Das Bundesverfassungsgericht über die Folgen des Todes eines Verfassungsbeschwerdeführers

Was passiert eigentlich mit einer Verfassungsbeschwerde, wenn der Beschwerdeführer während des laufenden Verfahrens verstirbt? Das Bundesverfassungsgericht führt dazu im Beschluss vom 24. Oktober 2017 (1 BvR 1312/16) aus:

Über die Folgen des Todes des Beschwerdeführers für ein anhängiges Verfassungsbeschwerdeverfahren lässt sich mangels einer gesetzlichen Regelung nur für den einzelnen Fall unter Berücksichtigung der Art des angegriffenen Hoheitsaktes und des Standes des Verfassungsbeschwerdeverfahrens entscheiden (vgl. BVerfGE 124, 300 <318> m.w.N.).

Eine Rechtsnachfolge im Verfassungsbeschwerdeverfahren kommt grundsätzlich nicht in Betracht, weil diese Verfahrensart regelmäßig der Durchsetzung höchstpersönlicher Rechte dient. Ausnahmen sind lediglich im Hinblick auf solche Rügen zugelassen worden, die ein Rechtsnachfolger im eigenen Interesse geltend machen kann (vgl. BVerfGE 109, 279 <304>; BVerfGK 9, 62 <70>, jeweils m.w.N.). Ein solches zur Fortführung der Verfassungsbeschwerde berechtigendes eigenes Interesse der Erben des Beschwerdeführers – für deren Vertretung im Übrigen aber auch keine Vollmacht vorgelegt worden ist – ist hier nicht gegeben, da die Verfassungsbeschwerde die Durchsetzung höchstpersönlicher, an seinen Status als Rechtsanwalt anknüpfender Rechte des Verstorbenen verfolgt.

Unter diesen Umständen ist lediglich auszusprechen, dass sich das Verfahren durch den Tod des Beschwerdeführers erledigt hat.

Das überraschende, möglicherweise richtige und letztlich doch falsche Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Sachen NPD Verbotsverfahren

npd-urteil-verfassungswidrig

Voranmerkung: Das Urteil des BVerfG zum NPD Verbot lässt mich in dieser Form recht ratlos zurück. In diesem Beitrag will ich darlegen, warum

  1. das Urteil für mich zunächst überraschend war.
  2. es juristisch nachvollziehbar sein kann.
  3. das gesetzte Signal dennoch problematisch ist.

und zuletzt, wie man das Dilemma anders hätte lösen können. Dazu ganz am Ende, wozu mich Meinungen von weiteren Juristen interessieren würden.

Ein überraschendes Urteil

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 2017 zum NPD Verbot hat mich zunächst sehr überrascht, stellt doch das Gericht in seinen Leitsätzen zum zweiten NPD Urteil klar fest:

Die Antragsgegnerin strebt nach ihren Zielen und dem Verhalten ihrer Anhänger die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung an. Sie zielt auf eine Ersetzung der bestehenden Verfassungsordnung durch einen an der ethnischen „Volksgemeinschaft“ ausgerichteten autoritären „Nationalstaat“. Dieses politische Konzept missachtet die Menschenwürde aller, die der ethnischen Volksgemeinschaft nicht angehören, und ist mit dem grundgesetzlichen Demokratieprinzip unvereinbar.

Die Antragsgegnerin arbeitet planvoll und qualifiziert auf die Erreichung ihrer gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Ziele hin.

Und in Art. 21 Absatz 2 des Grundgesetzes steht:

Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.

Soweit eigentlich alles klar, oder? Also: NPD verbieten.

Aber nein, denn auf einmal folgt ein weiterer Leitsatz:

Es fehlt jedoch an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass dieses Handeln zum Erfolg führt.

Letztlich hängt das ganze Urteil an der Auslegung von zwei kleinen Worten in Art. 21 GG:

darauf ausgehen

In meinen Sprachverständnis war dies im weitesten Sinn ein Synonym für „planen“ oder „vorhaben“. Zur Sicherheit fragte ich noch bei Anatol Stefanowitsch nach, der es mit „darauf anlegen“ definierte. Das ist vielleicht noch etwas konkreter als „planen“ – aber ein Zweifel daran, dass es die NPD es auf die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung anlegt, besteht nicht.

Die Verfassungsrichter laden das „darauf ausgehen“ mit etwas auf, das gar nicht darin enthalten ist – der Potentialität:

…kann ein „Darauf Ausgehen“ allerdings nur angenommen werden, wenn konkrete Anhaltspunkte von Gewicht vorliegen, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass das gegen die Schutzgüter des Art. 21 Abs. 2 GG gerichtete Handeln einer Partei erfolgreich sein kann (Potentialität).

Ist dies nicht der Fall, fehlt es an einem „Darauf Ausgehen“ im Sinne von Art. 21 Abs. 2 GG. An der hiervon abweichenden Definition im KPD-Urteil, nach der es einem Parteiverbot nicht entgegenstehe, wenn für die Partei nach menschlichem Ermessen keine Aussicht darauf besteht, dass sie ihre verfassungswidrige Absicht in absehbarer Zukunft werde verwirklichen können (vgl. BVerfGE 5, 85 ), hält der Senat nicht fest.

Dies ist nicht nur ein klarer Bruch mit der älteren Rechtsprechung des Senats, sondern erweitert Art. 21 Abs. 2 GG auch gleich um ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Potentialität – was vom Gericht freilich gleich in weiser Voraussicht im Urteil selbst bestritten wird.

Der Wortlaut des Artikel 21 GG deckt das Urteil daher auf den ersten Blick nicht.

…das auf den zweiten Blick richtig sein kann…

Vom Grundsatz her kann man das Urteil dennoch mit guten Gründen juristisch für richtig halten.

Muss es eine Demokratie nicht aushalten, dass es auch extreme Meinungen und Parteien gibt? Ist unsere Demokratie nicht so gefestigt, dass sie vor einer Splitterpartei NPD keine Angst haben muss?

Ja, wahrscheinlich schon.

Vielleicht ist es sogar verfassungsrechtlich geboten, solche Parteien als Bestandteil des demokratischen Spektrums zu dulden? Nicht völlig abwegig. Konsequent wäre dann aber gewesen, Art. 21 Abs. 2 in dieser Form als verfassungswidriges Verfassungsrecht für nichtig zu erklären und dem Gesetzgeber aufzugeben, eine entsprechende Änderung herbeizuführen.

Und was in der gesamten Diskussion weitgehend untergeht – das Bundesverfassungsgericht erteilt der NPD ja gerade keine Absolution und keinen Freifahrschein:

Der Senat verkennt nicht, dass die von einem einschüchternden, gezielt provokativen oder die Grenzen der Strafbarkeit überschreitenden Verhalten der Mitglieder oder Anhänger der Antragsgegnerin Betroffenen sich in ihrer verfassungsrechtlich gewährleisteten Meinungsäußerungs- und Handlungsfreiheit schwer und nachhaltig beeinträchtigt sehen können.

Auf Einschüchterung und Bedrohung sowie den Aufbau von Gewaltpotentialen muss mit den Mitteln des präventiven Polizeirechts und des repressiven Strafrechts rechtzeitig und umfassend reagiert werden, um die Freiheit des politischen Prozesses ebenso wie einzelne vom Verhalten der Antragsgegnerin Betroffene wirkungsvoll zu schützen.

Insoweit kann man vom juristischen Standpunkt aus mit diesem Urteil leben: Ja, unsere Demokratie kann und muss eine radikale Splitterpartei aushalten. Ein Parteiverbot ist ultima ratio, gegen Auswüchse im Parteispektrum ist mit dem bestehenden Strafrecht vorzugehen.

…von der Konsequenz her aber falsch

Allerdings: solche Zwischentöne werden in der öffentlichen Diskussion inzwischen kaum mehr wahrgenommen. Was bleibt ist die Feststellung, dass die NPD keine verfassungswidrige Partei ist.

Die Folgen können gravierend sein: Die NPD wird versuchen, ihre Grenzen weiter auszuloten und auch Pegida, Legida und besonders der radikale Flügel der AfD werden ihr Koordinatensystem weiter nach rechts verschieben. Höcke lässt grüßen.

Es ist ein bedenkliches Signal, dass die NPD nicht verboten wurde.

Eine persönliche Anmerkung

Bei dem obigen Text wollte ich nur aufzeigen, warum das Urteil zwar juristisch vertretbar sein kann, es aber gesellschaftlich problematisch ist. Es ist da und wir müssen damit leben – die normative Kraft des Faktischen eben.

Persönlich und nach einigem Nachdenken sowie der Lektüre des Urteils halte ich es nicht nur gesellschaftlich sondern auch juristisch für falsch:

  • Der Wortlaut des Art. 21 Abs. 2 gibt die Voraussetzung der Potentialität für ein Parteiverbot nicht her.
  • Das Grundgesetz verlangt im Umkehrschluss auch nicht, dass demokratiefeindliche Parteien toleriert werden müssen.
  • Art. 21 Abs. 2 ist kein Meinungs- oder Gesinnungsverbot. Es bleibt jedem im Rahmen des StGB frei, auch eine demokratiefeindliche Meinung zu vertreten. Es gibt aber gerade keinen Anspruch darauf, diese Meinung durch eine Partei zu vertreten und die Abschaffung der Grundordnung durch eine Partei zu betreiben.
  • Das Urteil ist ein Bruch mit der bestehenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 21 Abs. 2 GG.

Das Gericht hat in der Begründung teilweise ziemliche Verrenkungen angestellt, die NPD nicht verbieten zu müssen. Die Argumentation hinsichtlich der Potentialität in Art. 21 Abs. 2 GG halte ich zudem für schwach und vom Wortlaut des Gesetzes her nicht gedeckt – das hat das Gericht wohl auch erkannt, in dem es vorgreifend in den Leitsätzen schreibt

Für die Annahme ungeschriebener Tatbestandsmerkmale ist im Rahmen des Art. 21 Abs. 2 GG kein Raum.

Mich persönlich wundert, dass das Gericht so geurteilt hat. Noch mehr wundert mich, dass es zumindest kein Minderheitsvotum gegeben hat.

Bevor ich öffentlich über mögliche Gründe schreibe, lasse ich einige Tage ins Land gehen. Dass man nicht vorschnell spekulieren sollte, haben ja einige Eilmeldungen nach der Urteilsverkündung gezeigt…

Nachtrag zur persönlichen Anmerkung

Das Bundesverfassungsgericht hätte es sich mE viel leichter machen können:

Aus Art. 21 Abs 2 GG folgt zwar, dass es über die Verfassungswidrigkeit einer Partei entscheidet, aber strenggenommen nicht, was mit einer verfassungswidrigen Partei geschieht. Von einem Verbot ist dort nicht die Rede.

Auch aus § 32 ParteienG folgt mE nicht zwingend, dass eine verfassungswidrige Partei zwingend verboten werden muss. Aus § 33 Parteiengesetz lässt sich zwar schließen, dass eine verfassungswidrige Partei verboten werden kann, zwingend ist dies aber nach dem Wortlaut der Norm nicht.

Vielmehr lässt § 32 Parteiengesetz so interpretieren, dass das Bundesverfassungsgericht auch anders entscheiden könnte:

(1) Wird eine Partei oder eine Teilorganisation einer Partei nach Artikel 21 Abs. 2 des Grundgesetzes für verfassungswidrig erklärt, so treffen die von den Landesregierungen bestimmten Behörden im Rahmen der Gesetze alle Maßnahmen, die zur Vollstreckung des Urteils und etwaiger zusätzlicher Vollstreckungsregelungen des Bundesverfassungsgerichts erforderlich sind. Die obersten Landesbehörden haben zu diesem Zweck unbeschränktes Weisungsrecht gegenüber den Behörden und Dienststellen des Landes, die für die Wahrung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zuständig sind.
(2) Erstreckt sich die Organisation oder die Tätigkeit der Partei oder des für verfassungswidrig erklärten Teils der Partei über das Gebiet eines Landes hinaus, so trifft der Bundesminister des Innern die für eine einheitliche Vollstreckung erforderlichen Anordnungen.
(3) Das Bundesverfassungsgericht kann die Vollstreckung nach § 35 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht abweichend von den Vorschriften der Absätze 1 und 2 regeln.

Zwar fordert § 46 Bundesverfassungsgerichtsgesetz:

Mit der Feststellung ist die Auflösung der Partei oder des selbständigen Teiles der Partei und das Verbot, eine Ersatzorganisation zu schaffen, zu verbinden. 

Das ist aber nur einfaches Recht. Das Gericht hätte also ohne die angesprochenen Verrenkungen argumentieren können:

  • die NPD ist verfassungswidrig
  • bei Parteien, bei denen nicht absehbar ist, dass sie die verfassungsgemäße Ordnung wirklich beseitigen können (mangelnde Potentialität), ist ein Parteiverbot aber unverhältnismäßig und ergibt sich auch nicht als zwingende Folge aus Art. 21 Abs. 2 des Grundgesetzes.
  • § 46 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.
  • der Staat muss jedoch verfassungswidrige Parteien nicht finanzieren, daher wird angeordnet, die NPD von der Parteienfinanzierung auszuschließen.

Was meinen Staatsrechtler, andere Juristen oder interessierte Laien zu diesem Ansatz?

Pornographie ist Kunst

Ein pornographischer Roman kann Kunst im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG sein.

1.  Leitsatz von 1 BvR 402/87 (Mutzenbacher Entscheidung).

Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur 3% Hürde bei der Europawahl

Man mag nun schon darüber streiten, ob das Europäische Parlament aufgrund des extremen Disproportionalitätsfaktors – ein Abgeordneter aus Malta repräsentiert knapp 69 Malteser, ein französischer 874 Franzosen – überhaupt den Anforderungen eines demokratischen Parlaments entspricht. An dieser Stelle geschenkt.

Zumindest müssen aber die Abgeordnetenblöcke der einzelnen Staaten nach demokratischen Grundsätzen gewählt werden, worunter die Stimmengleichheit einen besonders hohen Wert hat. Eine Sperrklausel wie die 3% Hürde bei der Europawahl stellt eine massive Einschränkung der Stimmengleichheit dar, da die Stimmen für Parteien, die die Hürde nicht erreichen, eben „verloren“ sind. Für solch eine Einschränkung muss es dementsprechend gewichtige Gründe geben.

Die herrschende Meinung akzeptiert die 5% Klausel bei der Bundestagswahl nur, da es ein übergeordnetes Ziel sei, stabile Mehrheiten für eine Regierung zu erreichen, was durch ein zersplittertes Parlament erschwert würde.

Dieses Argument ist aber bei der Wahl zum Europaparlament aber nicht einschlägig. Das Ziel, eine Zersplitterung an sich zu verhindern, ist als Rechtfertigung für die 3% nicht ausreichend und argumentativ angesichts einer Versammlung, in der schon über 160 Parteien vertreten sind, zudem lächerlich.

Kritik am Urteil des Bundesverfassungsgerichts verbietet sich von selbst – Karlsruhe konnte hier objektiv gesehen nicht anders entscheiden. Anders mag es aussehen, wenn in Zukunft das Europäische Parlament tatsächlich einmal insgesamt nach demokratischen Grundsätzen gewählt wird und eine europäische Regierung trägt. Aber da ist Art. 146 GG vor.

Dass das ganze nun zu unliebsamen Ergebnissen führen kann, ist eine andere Frage. Aber eben keine rechtliche.

Zwei Gründe, warum die große Koalition eine Gefahr für die Demokratie ist (2013)

grundgesetz-beckJetzt kommt sie wohl, die große Koalition. Und ja, sie wird zu mehr politischer Faulheit und Politikverdrossenheit führen. Das soll jetzt aber gar nicht das Thema sein.

Denn anders als die letzte große Koalition halte ich diese für eine Gefahr für die Demokratie. Sicher, eine 2/3-Mehrheit, um das Grundgesetz zu ändern, hatten Union und SPD auch schon zwischen 2005 und 2009.

Diesmal gibt es jedoch sogar eine 3/4-Mehrheit. Und das hat zwei ganz gravierende Folgen.

Denn „der Bundestag hat das Recht und auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder die Pflicht, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen, der in öffentlicher Verhandlung die erforderlichen Beweise erhebt.“ Untersuchungsausschüsse sind ein wichtiges Mittel des Parlaments, problematische Handlungen der Exekutive zu durchleuchten und zu untersuchen. NSU, Gorleben, Kunduz oder Hypo-Real-Estate sind gute Beispiele, wie wichtig und sinnvoll Untersuchungsausschüsse sein können.

Doch käme es nun zur großen Koalition, gäbe es keine Opposition, die stark genug wäre, einen Untersuchungsausschuss zwingend einzufordern. Die Regierung hätte ja mehr als 75% der Stimmen auf ihrer Seite.

Das zweite Problem ist die abstrakte Normenkontrolle. Ebenfalls mindestens ein Viertel der Mitglieder des Bundestages kann die Überprüfung der grundsätzlichen Verfassungsgemäßheit eines Bundesgetzes beim Bundesverfassungsgericht beantragen (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 Grundgesetz in Verbindung mit § 13 Nr. 6 BVerfGG. Und auch wenn gerade die abstrakte Normenkontrolle nur selten zum Einsatz kommt, halte ich diese für ein wichtiges Merkmal in der Demokratie – gerade in Bereichen, in denen der einzelne Bürger oder andere Gruppen wegen oft tatsächlicher und manchmal aber auch nur wegen angeblicher mangelnder unmittelbarer Betroffenheit Rechte nicht durchsetzen können.

Doch bei dieser dräuenden großen Koaltion hätte die Opposition keine Möglichkeit, gegen den Willen der regierenden Mehrheit eine abstrakte Normenkontrolle zu beantragen.

Sicher, der Wähler hat die gr uoße Koalition so gewollt und Demokratie ist immer die Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit. Aber Demokratie bedingt auch, dass die Rechte der Minderheit zu wahren sind und dass es entsprechende Kontrollmöglichkeiten gibt.

Doch das wird jetzt schwieriger.

Bild: (c) Amazon

Warum ich mich von der Politik nicht ernst genommen fühle

Ruprecht Polenz jubelt auf facebook:

Nach dem Spruch der Richter steht es Bundespräsident Joachim Gauck nun frei, den ESM-Vertrag zu unterschreiben. Nur mit seiner Signatur kann der Mechanismus in Gang gesetzt werden, den der Bundestag Ende Juni verabschiedet hatte.“ – Ein klares Urteil. Ich bin gespannt, ob alle, die hierauf Facebook von „Abschaffung der Demokratie“, „Verfassungsbruch“, „Staatsstreich“ und ähnlichem gesprochen haben, jetzt akzeptieren, dass diese ungeheurerlichen Vorwürfe keinerlei rechtliche Grundlage hatten.

Polenz erweckt den Eindruck, das Bundesverfassungsgericht habe damit einschränkungslos grünes Licht für den ESM gegeben.

Er unterschlägt dabei aber, dass das Gericht durchaus ein „ABER“ vor die Zustimmung gesetzt hat. Die Beschränkung der Haftung Deutschlands auf gut 190 Milliarden Euro und die Stärkung der Informations- und Mitwirkungsrechte des Bundestages ist nicht unerheblich. Insbesondere bleibt auch die Frage, inwieweit diese Vorbehalte völkerrechtlich verbindend gestaltet werden können – und ob es z.B. reicht, dass der Bundespräsident diese Vorbehalte abgibt oder ob dies der Bundestag tun muss. Über viele Problempunkte – Stichwort Anleihenkauf der EZB – wurde inhaltlich eigentlich noch gar nichts gesagt.

Ich fühle mich jedenfalls angesichts solcher Äußerungen von Herrn Polenz nicht ernst genommen – oder auf gut Deutsch „verarscht“.

Polenz äußert sich hier, ohne dass ihm die Urteilsbegründung vorliegt und sogar, während der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Voßkuhle noch spricht. Und auf die Einschränkungen geht Polenz erst gar nicht ein. Zudem lassen sich aus dem Urteil gewichtige Einschränkungen für weitere Rettungsmaßnahmen lesen (BVerfG, 2 BvR 1390/12 vom 12.9.2012).

Alles in allem klingt aber in Polenz‘ Statement durch: „Lasst uns nur machen, Ihr habt alle eh keine Ahnung…“. Mein Vertrauen in Volksvertreter wie Herrn Polenz wird durch solche simplifizierenden vorschnellen Lobeshymnen jedenfalls nicht gerade gestärkt.

Viel gewichtiger ist aber:

Letztlich sind Fiskalpakt, ESM und EZB-Anleihenkauf nur einzelne Schritte auf dem Weg zur Rettung des Euro. Zudem Schritte, die für sich genommen nicht ausreichend sein werden.

Schauen wir doch der Wahrheit ins Gesicht: Der Euro wird nur dann überleben, wenn die politische Integration Europas massiv vertieft wird. Und selbst dann ist m.E. fraglich, ob die Währung überleben wird, da die einzelnen Volkswirtschaften einfach zu unterschiedlich sind, wie ich in meiner Euro-Parabel dargelegt habe.

Just heute spricht Barroso davon, dass er einen EU-Staatenbund wünscht.

Das sind die Herausforderungen, von denen wir stehen. Und hier möchte ich von der Politik ernst genommen werden.