Meinung: Der feministische Mann, Margarete Stokowski und ihre 40 Ratschläge dazu

Margarate Stokowski hat im Rahmen ihrer „DER SPIEGEL“ Kolumne einen „Lebensratgeber – Wie kann ich als Mann Feminist sein“ geschrieben.

Als alter weißer Mann – rund 47 Jahre alt, tatsächlich zusehends ergrauende Haare, verheiratet, Tochter 15 und Sohn 12, berufstätig, studierter Jurist und Hobbybesserwisser – möchte ich zu den 40 Ratschlägen meine Meinung abgeben.

1. Erwarten Sie keine kostenlose Nachhilfe von Frauen in Sachen Feminismus. Informieren Sie sich selbst, das Internet ist voll und die Bibliotheken auch.

Ich informiere mich bei allen Themen am liebsten selbst. Dennoch bin ich immer froh über Meinungen und Wissen aus erster Hand und entsprechende Diskussionen.

2. Lesen Sie Bücher von Frauen, sehen Sie Filme von Frauen, hören Sie Musik von Frauen.

Mir ist es ehrlich gesagt egal, ob ein Buch von einer Frau, einem Mann oder einem multisexuellen Alien von Karnakos 3 geschrieben wurde. Auf den Inhalt kommt es an. Und ich werde nichts lesen, hören oder sehen, nur um irgendwelche Quoten zu erfüllen.

Wahrscheinlich lese ich mehr Bücher von Männern, höre mehr Musik von Frauen und bei Filmen kann ich es nicht sagen, da ich da wirklich nicht drauf achte.

3. Behaupten Sie nie wieder, Frauen hätten nichts Großes erfunden und informieren Sie sich stattdessen darüber, was Ihnen bisher entgangen ist.

Hab ich nie behauptet, würde ich nie behaupten. Man denke allein an Ada Lovelace, Marie Curie, Hedy Lamarr (Bild)…

4. Lesen Sie weiter, auch wenn Sie ungern belehrt werden, vielleicht kommt am Ende raus, dass Sie längst Feminist sind.

Ich werde gerne belehrt, wenn es sachlich und nicht ideologisch ist. Schon bei den ersten Ratschlägen kommt bei mir aber das Gefühl auf, dass eher Margarete Stokowski die Ideologin mit Vorurteilen ist und nicht ich…

5. Fragen Sie sich, ob es eine Frau gibt, die Ihr Vorbild ist. Wenn Ihnen nur Ihre eigene Großmutter einfällt, fragen Sie sich, warum das so ist.

Auch bei den Vorbildern achte ich nicht aufs Geschlecht. Allerdings habe ich eigentlich keine Vorbilder. Ich finde aber gleichermaßen Männer wie Frauen inspirierend.

6. Lassen Sie Frauen ausreden.

Das ist selbstverständlich.

7. Unterbrechen Sie Männer, die Frauen unterbrechen.

Ich unterbreche Menschen, die Menschen unterbrechen.

8. Glauben Sie Frauen, wenn sie von ihren Erfahrungen berichten, auch wenn es Ihnen schwerfällt. Neulich gab es ein Video, das viral ging: Eine Frau trug in einem Club ein „smart dress“, das die Menge der Berührungen maß, die unerlaubt auf ihrem Körper landeten. Viele Männer reagierten geschockt auf die Vielzahl der Übergriffe. Sie hätten das auch einfacher haben können, mit Zuhören.

Ich glaube Menschen die von ihren Erfahrungen berichten mal mehr und mal weniger. Auch hier achte ich nicht aufs Geschlecht. Dass das mit den Berührungen ein Problem ist, glaube ich aber sofort.

9. Geben Sie Frauen keine unerbetenen Ratschläge und vor allem keine, die Sie bei Männern unangemessen fänden.

Ich gebe im Zweifel allen Menschen unerbetene Ratschläge. Aber auch dabei mache ich keinen Unterschied zwischen Männern, Frauen und Diversen.

10. Fangen Sie keine Sätze an mit „Ich könnte dein/ Ihr Vater sein,…“.

11. Beenden Sie auch keine Sätze so.

Hab ich beides schon gemacht. Auch bei Männern – aber wenn, dann immer mit einem Augenzwinkern oder selbstironisch in Hinblick auf mein Alter.

Vielleicht sollte ich das aber überdenken.

12. Kommentieren oder berühren Sie die Körper oder Kleidung von Frauen nicht, wenn Sie auch nur den geringsten Zweifel haben, ob das gerade unangemessen ist. Unangemessen ist es in den meisten beruflichen Situationen, in öffentlichen Verkehrsmitteln, und bei Frauen, die nicht so aussehen, als wären sie an einem Gespräch interessiert (Kopfhörer sind ein guter Hinweis dafür). Wenn Sie denken, dass Sie dann ja gar nichts Nettes mehr sagen können, denken Sie noch mal nach.

Das ist selbstverständlich.

13. Sagen Sie Frauen mit kurzen Haaren oder Fingernägeln nicht, dass Sie lieber lange Haare oder Fingernägel mögen. Die ahnen das schon. Sagen Sie geschminkten Frauen nicht, dass Sie lieber ungeschminkte mögen.

Auch da sind wir uns einig.

14. Laufen Sie nachts nicht dicht hinter fremden Frauen her, auch wenn Sie den gleichen Weg haben. Gehen Sie langsamer oder auf der anderen Straßenseite. Wirklich.

Ich bin zu einer Zeit aufgewachsen, als man sich darüber noch keine Gedanken machen musste oder gemacht hat. Vielleicht war es damals unnötig, vielleicht gedankenlos.

Jedenfalls achte ich inzwischen drauf, nicht bedrohlich zu wirken. Sei es nachts in der Stadt oder morgens im Wald beim Joggen.

15. Bezahlen Sie Frauen für ihre Arbeit, mindestens so viel wie Männer.

Jeder sollte immer nach seiner Leistung bezahlt werden.

16. Geben Sie Ihrer Tochter mindestens so viel Taschengeld wie Ihrem Sohn im selben Alter.

Warum eigentlich das „mindestens“? Unterm Strich nicht mehr und nicht weniger.

17. „Helfen“ Sie Ihrer Partnerin nicht im Haushalt: Machen Sie einfach die Hälfte.

OK, hier mache ich definitiv weniger, da ich im Gegensatz zu meiner Frau tagsüber nicht zuhause bin. Aber wenn wir beide da sind, ist es schon sehr ausgewogen, wenn auch in unterschiedlichen Bereichen…

18. Denken Sie nicht, dass Sie schon Feminist sind, weil Sie nett zu Ihren weiblichen Familienangehörigen sind.

Ich bekomme zusehends Zweifel, ob ich Feminist in dem Sinne sein will, wie Stokowski Feminismus versteht.

19. Fordern Sie Frauen, die nicht lächeln, niemals zum Lächeln auf.

Ich hab sicher schon mal „Lach doch mal“ zu Frauen gesagt – und zu Männern. Hier kommt es mE immer auf den Kontext an.

20. Oder, wenn Sie es bei Frauen nicht lassen können: Fordern Sie auch mal Männer, die nicht lächeln, zum Lächeln auf, und fühlen Sie mal, wie bescheuert das ist.

Wie gesagt, habe ich schon gemacht. Und das hat schon oft Situationen aufgelockert. Auch wenn es eine Frau zu mir gesagt hat, wenn ich gerade griesgrämig war – privat wie beruflich.

Warum immer so verkrampft sein?

21. Wann immer Sie unsicher sind, ob Sie etwas Sexistisches sagen oder tun, machen Sie die einfachste Sexismusprobe, die es gibt: Vertauschen Sie im Kopf die Geschlechterrollen und schauen Sie, ob es merkwürdig wird. Wenn Sie gerade über eine Frau sagen wollten, dass sie wahrscheinlich so anstrengend ist, weil sie keine Kinder hat, fragen Sie sich, ob Sie über einen Mann auch so reden würden.

Ja, die Probe mache ich im Zweifel. Letztlich versuche ich aber, nicht in Geschlechterrollen zu denken.

22. Wenn Sie ein Baby kriegen, nehmen Sie mehr als die zwei Monate Elternzeit. Wenn Sie nur die zwei Monate nehmen: Fahren Sie nicht zwei Monate nach Thailand. Und schreiben Sie während der zwei Monate kein Buch/ Blog darüber, was für ein neuer Mensch Sie in dieser Zeit geworden sind.

Ja, ich habe mir bei meiner Tochter mehr als zwei Monate genommen. Bei meinen Sohn ging das leider nicht.

Und ja, Ich hatte tatsächlich drüber nachgedacht, ein Buch übers Vatersein zu schreiben, es dann aber vorerst doch gelassen. Vielleicht kommt es aber noch.

23. Sagen Sie lieber nicht, dass Sie so richtig verstanden haben, wie viel Ungerechtigkeit es noch gibt, seit Sie eine Tochter haben. Also, sagen Sie das ruhig, aber seien Sie sich bewusst, dass Sie damit sagen, dass Sie sich nie richtig mit Ihrer Mutter, Frau, Schwester, ihren Freundinnen und Bekannten beschäftigt haben.

Seit ich eine Tochter habe habe ich erlebt, dass zumindest an den Kindergärten, Grundschulen, Gymnasien, Vereinen, Behörden und anderen Institutionen, mit denen meine Tochter in Kontakt gekommen ist, keine strukturelle Ungerechtigkeit in Bezug auf das Geschlecht herrscht. Ganz im Gegenteil. Die gegenteilige Erfahrung geht sogar soweit, dass unser Sohn ganz bewusst eines der wenigen noch verbleibenden reinen Jungengymnasien in Deutschland besucht.

Aufgrund der Erfahrungen mit Mutter, Bekannten und Freundinnen weiß ich aber auch, dass es auch anders war und in einigen Bereichen noch immer anders ist.

24. Informieren Sie sich über Menstruation, PMS, Schwangerschaft, postnatale Depression, Verhütung, Geschlechtskrankheiten, Toxisches Schocksyndrom und Anzeichen von Herzinfarkten und Schlaganfällen bei Frauen. (Das Neo Magazin Royale hat neulich zum Frauentag Videos gemacht, in dem die männlichen Mitarbeiter Menstruation und verschiedene Verhütungsmittel erklären sollten, es war unterirdisch.)

Wer mich kennt weiß, dass ich mich mit allen möglichen Themen befasse, die mir gerade über den Weg gelaufen sind und laufen. Die genannten gehören auf jeden Fall dazu.

25. Falls Sie etwas mehr Zeit haben: Werden Sie Entbindungspfleger.

Das wollen Sie den Schwangeren nicht antun. Genau so wenig, wie ich Helfer beim Urologen sein sollte – oder in einem anderen medizinischen Beruf aktiv werden sollte.

26. Lachen Sie nicht mit, wenn Ihre Kolleginnen oder Freunde frauenfeindliche Witze machen. Merken Sie sich den Satz „find ich nicht lustig“. Falls Sie es doch lustig finden: Interessant, dass Sie bis hierher gelesen haben. Bleiben Sie dran.

Humor und Deutschland, ein schwieriges Thema.

Bei jedem Witz kommt es auch auf den Kontext an. Und es gibt durchaus Fälle, in denen ein frauenfeindlicher Witz auch mal lustig ist. Ebenso kann ich über männerfeindliche Witze und sogar über mich selbst lachen.

Es kommt eben auch immer auf die Intention an.

27. Ungefähr jede dritte Frau in Deutschland wird am Arbeitsplatz belästigt. Schützen Sie keine Täter, auch wenn die ansonsten sogenannte nette Kollegen sind. Die allermeisten Sexualstraftäter sind, wenn sie nicht gerade übergriffig sind, ganz normale, „nette“ Typen.

Volle Zustimmung.

28. Wenn Sie Belästigung oder andere Übergriffe beobachten, gehen Sie dagegen vor. Tun Sie das, ohne für die Betroffenen zusätzlich belastend zu werden. Nicht jede Geschichte braucht einen Helden.

Auch das ist klar.

29. Erklären Sie Feministinnen nicht, dass es eigentlich „Humanismus“ heißen müsste und nicht „Feminismus“.

Habe ich noch nie gemacht. Im übrigen müsste ich darüber mal nachdenken, das gleiche ist es nach spontaner Einschätzung aber nicht.

30. Geben Sie zu, wenn Sie von etwas keine Ahnung haben. Das ist pures Gold.

Das mache ich immer. Hat aber irgendwie nicht direkt was mit dem Thema zu tun, sondern sollte immer und überall für alle gelten.

31. Nennen Sie erwachsene Frauen nicht „Mädchen“ oder „Mädels“, oder alternativ: Nennen Sie erwachsene Männer auch „Jungs“. Aber lieber das Erste.

Weder die Bezeichnung „Mädels“ noch „Jungs“ für Erwachsene finde ich angebracht. Es gibt aber durchaus Milieus, in denen die Frauen sagen „Ich geh heut mit den ‚Mädels‘ weg, Paul macht was mit seinen Jungs.“ Mein Fall ist das nicht, soll im Privaten aber jeder halten, wie er will.

32. Sehen Sie Frauen nicht als Vertreterinnen einer Spezies. Wenn Ihnen eine Feministin nicht passt, sagen Sie nicht: „Wegen Ihnen kann ich Feminismus nicht mehr ernst nehmen.“ Das ist nur peinlich.

Stimmt. Generell sollte man nicht von einer Person auf eine Gesamtheit schließen.

Allerdings kann man durchaus den Standpunkt, den eine Person vertritt, ablehnen, siehe z.B. oben Punkt 18.

33. Erwarten Sie keine eindeutigen, endgültigen Antworten auf Ihre Fragen, denn Feminismus ist eine extrem vielfältige Bewegung und es gibt darin die unterschiedlichsten Positionen.

Ja.

34. Nennen Sie nie wieder eine Frau hysterisch, oder alternativ: Nennen Sie Männer auch so. Informieren Sie sich über den Ursprung des Begriffs „Hysterie“.

Bei der Verwendung des Begriffs hysterisch habe ich auch noch nie einen Unterschied gemacht – und der medizinisch nicht mehr gebräuchliche Begriff Hysterie – Spoiler, es kommt von Gebärmutter – hat mit dem umgangssprachlichen „hysterisch“ nicht so viel zu tun.

Laut meiner Tochter bin ich ohnehin eine Drama Queen, genau sie wie ihr kleiner Bruder. Und das geben wir beide sogar zu.

35. Wenn Frauen etwas kritisieren, nennen Sie sie nicht überempfindlich. Wenn Sie Feministinnen anstrengend finden, fragen Sie sich, warum genau.

Wenn Kritik berechtigt ist, nenne ich diese sicherlich nicht überempfindlich.

Anstrengend finde ich andere Meinungen grundsätzlich nur dann, wenn sie unsachlich und zu ideologisch aufgeladen sind. Und dann kann ich auch mal eine Feministin anstrengend finden. Genau so, wie ich Männer anstrengend finde, die meinen, Gleichberechtigung bräuchte es nicht.

36. Daten Sie auch Frauen, die mehr verdienen als Sie.

Hatte ich kein Problem mit. Inzwischen hätte meine Frau was dagegen.

37. Machen Sie nicht bei Konferenzen oder Podiumsdiskussionen mit, zu denen nur Männer eingeladen werden. Schlagen Sie Frauen vor, zitieren Sie Expertinnen. Nutzen Sie Ihre Privilegien, um gegen Ungerechtigkeiten vorzugehen.

Ein schwieriges Thema, da ich eben eigentlich das Geschlecht für irrelevant halte. Jeder, der etwas zu einem Thema zu sagen hat, sollte es unabhängig davon sagen können, ob er Mann oder Frau ist. Ich habe grundsätzlich kein Problem mit einem rein weiblich besetzten Podium und auch keines mit einem rein männlich besetzten, wenn in beiden Fällen keine Quote oder sonstwie unsachlichen Gründe zur Auswahl führten.

Vereinfacht gesagt: Spricht bei der Hebammen Jahresversammlung kein Mann so ist das genau so unproblematisch wie wenn beim Jahreskongress der Feuerwehrleute keine Frau zu Wort kommt. Ein Problem haben wir wahrscheinlich hingegen, wenn bei der Weiterbildungsveranstaltung der Anästhesisten keine Frau zu Wort kommt – oder kein Mann.

38. Werden Sie nicht wütend (hysterisch), wenn Sie auf Ihre Privilegien angesprochen werden.

Für Kritik bin ich immer offen und höre mir diese an.

39. Erwarten Sie keinen Applaus, erwarten Sie Streit und Kritik. Wenn Sie glauben, dass Sie für Ihren Einsatz für Gleichberechtigung mehr Anerkennung verdienen als eine Frau, lassen Sie es lieber gleich.

Auch hier gilt – ein Mann hat für seinen Einsatz für Gleichberechtigung genau die gleiche Anerkennung wie eine Frau. Nicht mehr und nicht weniger.

40. Bedanken Sie sich bei Feministinnen für ihre Arbeit. Männern, die an veralteten Geschlechterrollen festhalten, drohen mehr psychische Probleme, hat eine Studie 2016 gezeigt (PDF). Toxische Männlichkeit ist heilbar. Schützen Sie sich! Dankeschön!

Alles in allem glaube ich nicht, dass ich an toxischer Männlichkeit leide. Auf der anderen Seite bin ich auch kein Feminist, zumindest nicht in dem Sinne, in dem Margarete Stokowski oder Anne Wizorek Feministinnen sind – dieser Feminusmus ist mir zu negativ und zu sehr auf ein Gegeneinander der Geschlechter ausgerichtet.

Klar, ich habe sicherlich schon Fehler im Umgang mit Frauen gemacht und habe sichher immer noch Sichtweisen und Verhaltensmuster, die ich ändern sollte. Manches – siehe oben Punkt 14 – erkennt man auch erst im Lauf und im Licht der Zeit. Und in diesem Sinne versuche ich, an mir zu arbeiten.

Männer und Frauen haben die gleichen Rechte. Und das ist gut so. Männer und Frauen sind aber auch unterschiedlich. Und auch das ist gut so.

Wir sollten gegenseitig unsere Stärken und Schwächen akzeptieren, uns respektieren, ohne Vorurteile aufeinander zugehen und gemeinsam an einer besseren Gesellschaft arbeiten.

Bleibt doch alle bei den Fakten

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Tage wie diese lassen mich langsam an Politik, Medien und „dem Netz“ verzweifeln. Aber der Reihe nach.

Unstrittig dürfte zunächst sein: in Köln kam es in der Silvesternacht zu Übergriffen auf junge Frauen, die es in dieser Dimension in jüngerer Zeit noch nicht gegeben hat.

Das Versagen der klassischen Medien

Berichtet wird darüber zunächst kaum. Die wenigen Meldungen finden sich einerseits sehr zurückhaltend in lokalen Medien einerseits und sehr reißerisch andererseits auf eher strammrechts zu verorteten Nachrichtenseiten und Blogs. Die überregionalen Medien schweigen.

Mutmaßlicher Grund für diese Situation: Bei den Tätern hat es sich nach übereinstimmenden Berichten um arabisch und nordafrikanisch aussehende Männer gehandelt. Möglicherweise Flüchtlinge? Was bei den besorgten Bürgern zu geifernder klammheimlicher Freude führt („Haben wir es nicht schon immer gesagt?“) begründet bei den klassischen Medien betretenes Schweigen („Was nicht sein darf, findet nicht statt.“).

Irgendwann ist der Druck aus den sozialen Netzwerken und den Blogs aber so groß, dass ab dem 4. Januar eine breite Berichterstattung stattfindet. Einen Tag später zieht dann auch das ZDF nach.

Das Versagen des twitter-Feminismus und über die Instrumentalisierung sexueller Gewalt

Um diese Zeit herum habe ich geschrieben, dass es gefährlich ist, wenn in Sachen Köln der #Aufschrei der Pegida Fraktion überlassen wird, die diesen in erster Linie für pauschale Hetze gegen Ausländer, Flüchtlinge und Muslime missbraucht. Denn von den üblichen twitter Feministinnen war zunächst nichts und dann nur eher beschwichtigendes zu lesen.

Hier zeigt sich ein weiteres Versagen: die Instrumentalisierung sexueller Gewalt und deren Opfer. Empört wird sich nur dann, wenn es den eigenen politischen Zielen dient und ins Weltbild passt.

Einerseits: Brüderle beleidigt mit einem Altherrenkompliment – Aufschrei. Flüchtlinge gehen junge Frauen an – lieber mal ruhig sein.

Andererseits: Flüchtlinge gehen junge Frauen an – Grenzen dicht und kastrieren! Der Huber Toni hat auf dem Oktoberfest der Marie untern Rock gegriffen – Mei, so ist es halt auf der Wiesn, die soll sich nicht so anstellen.

Sexuelle Gewalt ist sexuelle Gewalt. Völlig gleich, von wem sie begangen wird. Und sexuelle Gewalt muss thematisiert werden, ob es einem gerade ins Weltbild passt oder nicht. Da gibt es in keiner Richtung etwas zu relativieren oder aufzubauschen. Punkt.

Zynisch finde ich auch, wenn der von mir ansonsten sehr geschätzte Heinrich Schmitz im Tagesspiegel und bei den Kolumnisten zu Köln schreibt:

Gleichwohl wurden hier sexuelle Handlungen ganz offenkundig von Trickdieben eiskalt genutzt, um die Opfer zu bestehlen – und nicht in erster Linie um sie zu „erniedrigen“.

Sorry Heinrich, zum einen weißt Du nicht, ob es den Tätern nicht um Handys und sexuelle Erniedrigung ging (wovon die Polizei inzwischen ausgeht). Zum anderen ist das auch völlig egal – den betroffenen Frauen wird es wohl kein Trost sein, dass sie nicht aus sexuellen Motiven heraus massiv sexuell belästigt wurden.

Natürlich hat sich in den letzten Jahrzehnten und Jahren in Deutschland viel geändert. Kaum mehr vorstellbar, dass sich heutzutage noch ein Gericht äußern würde wie der Bundesgerichtshof 1966 (Urteil des BGH vom 2. November 1966, Az. IV ZR 239/65):

Die Frau genügt ihren ehelichen Pflichten nicht schon damit, dass sie die Beiwohnung teilnahmslos geschehen lässt. Wenn es ihr … versagt bleibt, im ehelichen Verkehr Befriedigung zu finden, so fordert die Ehe von ihr doch eine Gewährung in ehelicher Zuneigung und Opferbereitschaft und verbietet es, Gleichgültigkeit oder Widerwillen zur Schau zu tragen.

Ich möchte aber nicht wissen, in wie vielen Ehen und Beziehungen das und schlimmeres Realität ist. Unter diesem Aspekt ist das aktuelle Interview mit der Aufschrei Initiatorin Anne Wizorek zu den Vorfällen in Köln durchaus lesenswert.

Wünschenswert wäre jedenfalls, wenn über alle Fälle sexueller Gewalt sachlich und ohne politische Vereinnahmung diskutiert werden könnte.

Das Versagen der Politik

Dazu gehört aber auch, nichts zu verschweigen und die Augen nicht vor den Ursachen zu verschließen.

Es ist nicht nachvollziehbar, dass sich der Kölner Polizeipräsident Albers am 5. Januar hinstellt und sagt, er hätte keine Informationen über die mutmaßlichen Täter, wenn in einem Einsatzbericht vom 2. Januar zu lesen ist, dass es 71 Personalienfeststellungen, 11 Ingewahrsamnahmen und 4 Festnahmen gab – darunter waren einige syrische Flüchtlinge.

Entweder hat der Kölner Polizeipräsident seinen Laden nicht im Griff oder es sollten wieder nicht in die politische Lage passenden Informationen zurückgehalten werden. Vielleicht ist sogar beides der Fall.

Über die weiteren Versäumnisse, Fehleinschätzungen und Fehler der Polizeiführung und des Innenministers von NRW in der Kölner Silvesternacht wird man jedenfalls noch einiges lesen können.

Die Konsequenzen

All diese Ungereimtheiten und Vereinnahmungen führt zu einem weiteren Entfremden zwischen großen Teilen der ehemals meinungsführenden Medien und Politik einerseits und großen Teilen der Bevölkerung andererseits.

Nachdem am 7. Januar die Polizeiberichte veröffentlicht wurden, die viele der Aussagen aus Politik und Medien als unrichtig entlarvten, habe ich Begriffe wie Lügenpresse und Verräter von Menschen gehört und gelesen, von denen ich dies nie erwartet hätte.

Eine weiterer Vertrauensverlust in Politik und Medien wäre angesichts der zahlreichen bevorstehenden Herausforderungen mehr als bedenklich.

Und Vertrauen gewinnt man durch Ehrlichkeit.

Kurze Gedanken zum #Aufschrei Buch der Anne Wizorek

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Anne Wizoreks Aufruf bei twitter, ihr #Aufschrei Buch bei Amazon gut zu bewerten, hat mich jetzt doch dazu gebracht, mich etwas näher damit auseinanderzusetzen und es zumindest querzulesen.

Was mich allein schon oberflächlich genervt hat sind die Schreibweisen wie „dem_derjenigen“, „Wissenschaftler_innen“ oder „Feminist_innen“. Wenn man schon mit der hergebrachten Sprache Probleme hat, soll man von mir aus direkt nur die weibliche Form verwenden, viele Texte wären dann leichter lesbar. Ansonsten ist der Schreibstil bemüht jugendlich, umgangssprachlich und ziemlich Denglish. Was auf 140 Zeichen funktionieren mag, passt nicht unbedingt zum langen Fließtext.

Ich will mich nun aber nicht an Kleinigkeiten aufhalten sondern zwei grundsätzliche Probleme ansprechen, die ich mit dem Buch habe.

Stereotypen

Gleichberechtigung soll nach meinem Verständnis Gräben zuschütten und eben für gleiche Rechte sorgen. Der „Feminismus“ wie Anne Wizorek ihn versteht, schafft aber gerade neue Abgrenzungen zwischen den Geschlechtern und Menschen unterschiedlicher Ansichten. Dass sie dabei grundsätzlich verkennt, dass Gleichberechtigung nicht Gleichstellung bedeutet, ist nur ein Detail am Rande. Symptomatisch sind zudem stereotypisierende Begriffe wie „Maskus“ oder „BWL-Feminist_innen“. -Immer schwingt durch „hier sind wir, die Guten und dort sind die anderen“. Ideologie und Ausgrenzung allenthalben. Sie betreibt genau das Schubladendenken, das sie eigentlich bemängelt.

Irgendwie verhält sich ihre Vorstellung von Feminismus zu Gleichberechtigung wie die Juche-Ideologie zur Demokratie.

Fakten!? Welche Fakten!?

Überhaupt lebt Wizorek in ihrer eigenen Wahrnehmungswelt. Dazu ein ganz kleines und banales Beispiel: So echauffiert sie sich, dass Angela Merkel die „Mutti“ sei und Ursula von der Leyen als „Truppenursel“ (hab ich übrigens vorher noch nie gehört) bezeichnet würde. Sexismus – und bei Männern sei das ja unvorstellbar… Ich darf an Theodor „Papa“ Heuß, Rudolf „Bin Baden“ Scharping, Helmut „Der Dicke / Birne /Bimbeskanzler“ Kohl, Gerhard „, Philip „Bambi“ Rösler, Gerhard „Flasche Bier / Brioni / Genosse der Bosse“ Schröder, Konrad „der Alte“ Adenauer, Peter „Rumsauer“ Ramsauer, Kurt „Mecki“ Beck oder Christian „ApO Opa“ Ströbele erinnern. Und auch sonst werden immer wieder Behauptungen aufgestellt, ohne dass diese untermauert werden. Und da hat es mir dann gereicht.

Doch die Debatte ist notwendig

Es ist sicher noch einiges im Argen in Sachen gelebter Gleichberechtigung in Deutschland ich denke da nur an die berechtigte Forderung „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Genau so bedenklich ist aber, dass es in Deutschland inzwischen durchaus möglich ist, dass ein Sohn einer alleinerziehenden Mutter ohne ein echtes männliches Vorbild geschweige denn Bezugsperson aufwächst. Auch das ist nicht in Ordnung. Und für beide Seiten gäbe es noch viele Beispiele. Nicht klein reden möchte ich aber, dass sicherlich Frauen in einigen Milieus und Regionen nach wie vor deutlich benachteiligter sind.

Die Debatte ist also nach wie vor notwendig. Und sie wird auch immer notwendig bleiben, da sich die Gesellschaft eben fortlaufend entwickelt. Aber sie hat bessere Beiträge verdient als den von Wizorek.

Gibt es eigentlich das Wort „Puellaismus“? Kam mir so während der Lektüre…

Die Posse um die Aufschrei Rezensionen (mit Update)

Eigentlich wollte ich zu Anne Wizorek und Ihrem #aufschrei Buch nichts schreiben. Ich halte Feminismus für wichtig, meine aber auch, dass Wizorek außer einem Hashtag nichts sinnvolles zur Debatte beigetragen hat sondern vielmehr neue Gräben und Mauern zwischen den Geschlechtern errichtet hat. Letztlich ist sie mir aber reichlich egal.

Gleichwohl finde fände ich es auch nicht richtig, dass sollte in verschiedenen Foren von – nennen wir sie mal frauenfeindlichen – Kreise dazu aufgerufen wird werden, negative Rezensionen über das Buch zu schreiben. Scheint leider auch mit einigem Erfolg zu funktionieren So oder so,  es gibt sehr viele negative Bewertungen, nachzulesen bei Amazon.

Wizoreks Reaktion darauf ist aber auch ziemlich wenig souverän:

aufschreigate

Pauschal alle negativen Rezensionen als „nicht hilfreich“ zu bewerten finde ich einfach, ähm, nicht hilfreich. Denn einige sind durchaus sehr fundiert und enthalten gute Argumente. Im gleichen Atemzug dann auch noch um gefakte Rezensionen zu bitten ist einfach nur lächerlich. Kindergarten von allen Seiten.

Immerhin habe ich ein neues Wort kennengelernt: „Maskus“. Dazu schreibe ich jetzt aber wirklich nichts mehr…

Nachtrag – durch einen Blogbeitrag wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass das mit dem Aufruf zu negativen Kommentaren wohl nicht so klar ist, wie Anne Wizorek das darstellt. Ich habe den Text daher oben korrigiert.

Nachtrag II – inzwischen habe ich das Buch quergelesen – hier meine Gedanken dazu.