Offener Brief: nochmal an Angela Merkel zu #Neuland

Star Trek: The Original Series, Captain Kirk, Spock, Uhura and Dr. McCoyNein, ich wollte eigentlich nichts zur #Neuland Diskussion auf twitter, facebook und im Rest des Netzes schreiben. Warum auch. Machen ja schon genug andere, wobei das Spektrum hier von Häme (sogar Sixt stimmt schon ein) bis zur mehr oder weniger weitgehenden Zustimmung reicht.

Ibrahim Evsan hat einen offenen Brief an die Bundeskanzlerin geschrieben, den ich als inhaltsleer bezeichnete. Zu recht fragten dann Claudia Hilker und Ibrahim selbst, was ich denn Frau Merkel schreiben würde. Nun, eigentlich gar nichts (s.o.) – aber wenn es denn sein muss… Ansonsten empfehle ich zur Lektüre noch dringend meine Beschimpfung der Netzgemeinde.

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel,

Ihr Ausspruch, dass das Internet „Neuland“ für uns sei, hat ich bei Teilen der „Netzgemeinde“ hohe Wellen geschlagen. So hohe Wellen, dass sich Ihr Regierungssprecher zu dem klarstellenden tweet genötigt sah, dass Sie damit die rechtlichen Herausforderungen des Internets meinten.

Mir scheint es, als hätten Sie sich von diesen lauten Teilen der „Netzgemeinde“ zu der Verwendung des Begriffs „Neuland“ treiben lassen. Also wollten Sie sich damit entschuldigen, dass Sie vermeintlich nicht genug auf diese eingehen.

Besser hätten Sie aber von Alltag gesprochen.

Denn für die meisten Menschen in Deutschland ist das Internet Alltag. Ob online-Banking, die digitale Ausgabe der Bild-Zeitung, die online-FAZ, das Spiegel Archiv, Kaninchen-Foren, Youtube, Partnerbörsen und natürlich Wikipedia. twitter, Google+ und tumblr werden von diesen wahrscheinlich nicht genutzt. Und Prism, Acta und Netzneutralität interessieren Otto Normalverbraucher auch nicht. Und einige sind sogar gar nicht dabei bei diesem Internet. Ob einem das jetzt gefällt oder nicht – aber es lesen auch nicht alle Bundesbürger Bücher oder haben eine Kreditkarte.

Daher, liebe Frau Dr. Merkel, lassen Sie sich nicht treiben und verrückt machen. Denn die neue digitale Gesellschaft ist schon da. Dass deren Möglichkeiten von den Bürgern unterschiedlich intensiv genutzt werden, ist verständlich, auch wenn Teile der „Netzgemeinde“ das anscheinend nur schwer akzeptieren können und vom „digitalen Graben“ sprechen. Es steht aber jedem weitgehend frei für sich zu entscheiden, ob und wie weit er diesen Graben zu überschreiten will. Entscheidend ist gleichwohl, dass er die Möglichkeit hat, dies zu tun, wenn er denn will, doch sehe ich das derzeit nicht als Problem an.

Mit dem „Graben-Argument“ könnte man ebenso argumentieren, dass sich jeder zum Experten in Sachen gesunder Ernährung machen sollte. Oder sich umfassend mit dem CO2 Kreislauf beschäftigt, um profunde Beiträge zur Energiepolitik liefern zu können.

Richtig ist, dass uns das Internet auch politisch und rechtlich vor neue Herausforderungen. stellt. Aber das machen auch andere Entwicklungen und Technologien. Oft werfen diese Fragestellungen von sogar noch größerer Tragweite auf – man denke nur an die Gentechnik.

Den meisten Herausforderungen, die sich ergeben, kann mit unseren bestehenden Gesetzen begegnet werden. Meine Rechte, die durch PRISM verletzt werden, schützen das Grundgesetz und andere Regelungen an sich schon – es muss nur gehandelt werden. Und wenn es dann doch noch Regelungsbedarf gibt, sollen sich Experten damit befassen. So wie sich auch Experten um das Arzneimittelrecht, Deichhöhen oder die Krümmung von Gurken kümmern. Dass dabei auch die Bedenken aller Beteiligten gehört werden müssen, sollte eine Selbstverständlichkeit sein, ist es aber leider nicht. Aber auch das ist ein generelles Problem.

Und so wünsche ich mir „Neuland“ auf allen Ebenen: eine Politik, die sich am Menschen orientiert. Eine Politik, die sich an der Interessen der Gemeinschaft und nicht einzelner Lobbygruppen ausrichtet. Eine Politik, die aber auch an die Minderheiten denkt und versucht, alle mitzunehmen. Eine Politik, die es leichter macht, Dinge hier in Deutschland zu verändern und nach vorne zu bringen. In allen Bereichen.

So gesehen ist überall Neuland. Nicht nur im Internet.

Vielen herzlichen Dank!

Ihr Severin Tatarczyk

Bild: (c) Allposters

An die Netzgemeinde an den Datenempfangsgeräten…

…so hätte Ansgar Hevelings Brandschrift im Handelsblatt gegen "das Internet" wohl auch beginnen können. Ein im übrigen wirklich schlechter Text, der nur strotzt von floskelhaften Plattitüden, Bildungsbürger-Buzzwords, Halbwissen, Nichtwissen, mal mehr oder weniger unfreiwilliger Komik und viel selbstgefälliger CDU-Bräsigkeit.

Die "liebe Netzgemeinde" spielt erwartungsgemäß mit- #hevelingfacts, Hacken seiner Website, hämische Kommentar über den vermeintlichen Hinterbänkler – und Thomas Knüwer arbeitet sich mal wieder an seinem alten Arbeitgeber ab.

Man könnte sich entspannt zurücklehnen, das Popcorn auspacken und Peter Altmaier zustimmen, der dazu twittert: "GsD, seit langem mal wieder ein entspannter Tag. Die Kinder bewerfen sich begeistert mit Förmchen und haben einen Riesenspass. Alles i.O.!".

Könnte man, sollte man aber nicht. Denn Ansgar Hevelings wirres Geschwurbel sollte Stein des Anstoßes sein. Denn in einem hat Heveling sicher recht – er vertritt mit seinen Grundpositionen wohl tatsächlich eine schweigende Mehrheit in Deutschland. Eine Mehrheit, die sich auf Schützenfesten vergnügt, die zu Wulff hält, die den RTL einschaltet, dort zu Dieter Bohlen aufschaut und für die das Internet eBay, amazon, Diät- und Katzenforen und wenn es hochkommt noch MeinVZ oder schon facebook ist (und ganz heimlich youporn). Dagegen steht die "Netzgemeinde", die 18 Stunden am Tag auf twitter lebt, auf Google+ diskutiert, sich über tumbler mitteilt und facebook "sowas von 2010" findet – von MeinVZ ganz zu schweigen.

Und das ist eine Welt, die Ansgar Heveling nicht versteht, vor der er Angst hat. Weil sie Veränderungen mit sich bringt, die er nicht mehr kontrollieren kann. Weil die Netzgemeinde so vielschichtig ist und eher liberal und links. Das muss doch eingedämmt werden – mit PIPA, SOPA und ACTA. Durch Diskreditieren der anderen Seite mit einer martialischen Sprache. Durch das Hochhalten klassischer Werte und Werke – gleich, ob Bibel oder Marx. Und der Herr der Ringe geht sowieso immer. In seiner ganzen Argumentation zeigt Heveling, dass er "das Netz" eben gerade nicht verstanden hat.

Durch die Reaktionen auf ihn wird er sich bestätigt fühlen. Seht her ich hatte Recht – die böse digitale Avantgarde hat meine Homepage gehackt, verhöhnt mich und ist in den Krieg gegen mich den Bürger gezogen. Und in den Schützenzelten am Niederrhein werden sie ihm zustimmen.

Auf die Hevelings dieser Welt sollte man daher zugehen und ihnen die Angst nehmen – indem man ihnen erklärt, was "das Netz" eigentlich ist, wie es funktioniert und wie die "Netzgemeinde" tickt. Aber auch indem man ihnen zuhört und deren Ängste und Bedenken ernst nimmt.

Denn sonst hören wir vielleicht als nächstes "We are Heveling. We are Legion. We do not forgive. We do not forget. Expect us."